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Ausgabe:

1954 Nr. 10

Spalte:

601-603

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Goode, William J.

Titel/Untertitel:

Religion among the primitives 1954

Rezensent:

Beth, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 10

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Professor für Erziehung in Sheffield, hat aus dem umfangreichen Nachlaß
S a m. H a r 11 i b s Auszüge veröffentlicht, die hauptsächlich dessen
Beziehungen zu Duräus und zu Comenius betreffen. — Der ungenannte
Kritiker stellt diese Arbeit in den größeren Zusammenhang der
Friedensbestrebungen im damaligen Protestantismus — unter besonderer
Berücksichtigung solcher Strömungen in Polen. Er geht auf die
damit sich berührenden Gehcimgesellschaften (Rosenkreutzer u. a.) und
ihre Ausstrahlungen in den Osten ein. Er weist Forschungsaufgaben
nach, die hier vorliegen, wie er anderseits eine gründliche Bearbeitung
des Thorner Gesprächs von 1645 vorschlägt. — Fesselnd und wertvoll
ist die Kennzeichnung des polnischen Protestantismus in seiner zu Frieden
und Verständigung geneigten Grundhaltung gegenüber der bekenntnismäßig
verhärteten Einstellung, wie sie sich in weiten Kreisen
Deutschlands, aber auch Hollands und der Schweiz fand. Von weiteren
Veröffentlichungen Turnbulls aus Hartlibs Papieren erhofft der Bespre-
cher eine viel größere Ausbeute für die polnische Geistesgeschichte.

Der reiche Inhalt des zuerst besprochenen Vorkriegsbandes
der „Reformacja w Polsce" zeigt, aus welcher Fülle lebendiger
Forschungsarbeit der letzte Krieg und der Verlust der
eigenen Staatlichkeit die polnischen Gelehrten, die damals in der
Heimat weilten, herausgerissen hat. Viele von ihnen sind den
Schrecken, die über das polnische Volk hereinbrachen, zum Opfer
gefallen, und gerade wir Deutschen wollen ihrer in Ehrfurcht
gedenken.

Der sodann behandelte Jahrgang XI der polnischen Zeitschrift
beweist, wie das heutige Forschergeschlecht unter Leitung
des Krakauer Professors H. B a r y c z und der Warschauer Theologieprofessoren
O. B a r t e 1 und J. Szeruda (von ihm stammen
die Nachrufe auf E. Bursche und J. Glass) mit neuem Mut und
Eifer die alten Aufgaben angreift, ja ganz neue ins Auge faßt. —
Daß in beiden Bänden, gerade auch in dem letzterschienenen, die
deutsche Mitarbeit an der Erforschung der polnischen Reformationsgeschichte
so ausführlich und — aufs Ganze gesehen — freundlich
gewürdigt wird, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

Hinsichtlich der Auswahl der verschiedenen Forschungsaufgaben
vermitteln beide Hefte den Eindruck, daß neben der Geschichte
der polnischen A r i a n e r, die seit langem in der polnischen
Geschichts- und Kirchengeschichtsforschung bevorzugt
werden, und über die auch noch viel zu erforschen bleibt, die
reformierte Kirche Kleinpolens im Vordergrunde
der Teilnahme steht, was auch insofern begreiflich scheint, als die
polnischen Forscher jenem Gebiet räumlich zumeist näher sind als
etwa den westlichen Landesteilen.

Wertvoll sind die Namenverzeichnisse in beiden Banden
. Der Vorkriegsband enthält ein englisches Inhaltsverzeichnis,
der folgende sogar Inhaltsangaben für die Beiträge in russischer
und englischer Sprache.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Goode, Williams J.: Religion among the Primitives. Glencoe III.,
USA: The Free Press. 321 S. gr. 8°. Geb. Hlw. $ 5.-.

Dieses mit großer Um- und Vorsicht geschriebene Werk sucht
vergeblich nach seinesgleichen in der Literatur über die Primitiven
der Gegenwart. Da Vf. als Soziologe schreibt, sieht er sich
gedrungen, in einem der einleitenden Kapitel grundlegende methodologische
Bemerkungen zu machen, durch die er von gewissen
soziologischen Religionstheoricn entschieden abrückt. Er betont
mit besonderer Schärfe, daß die funktionale Analyse der religiösen
Grundstruktur, wiewohl er selbst sie keineswegs ausscheiden
will, zu mangelhaften wenn nicht zu völlig irrigen Ergebnissen
führt. Ihm liegt daran, die Religion als das bedeutsamste Moment
menschlicher Aktivität begreifen zu lehren. Denn, wie er zugleich
zu zeigen unternimmt, sind alle primitiven Völker Inhaber
eines religiösen Systems, welches, soweit auch sein Einfluß auf die
übrigen Strukturen des Volkstums reichen mag, nicht etwa von
der soziologischen Struktur erzeugt worden sein kann. Wo man
die Religion in eine solch schiefe Stellung gedrängt hat, ist das,
wie Vf. betont, nicht im Verlaufe wissenschaftlicher Erkenntnisse
geschehen, sondern aufgrund der Gesamthaltung einer Ablehnung
einer dem Glauben und der Intuition angemessenen Erkenntnis-
Weise bzw. aufgrund des also eingestellten Temperaments. Daraus
ergibt sich für den Vf. die Einsicht, daß die Religion eine Erscheinung
sui generis ist, die überhaupt nicht aus anderen Funktionen
hergeleitet werden kann.

Diese Idee von der spezifischen Eigengerichtetheit und Eigenmächtigkeit
der Religion wird als Leitidee von den verschiedenen
Seiten aus wieder und wieder beleuchtet. In zusammenfassender
Vorschau ist ihr das zweite Kapitel („Sociology and Social Beha-
vior") gewidmet. Von dort gelangt Vf. zu der Fragestellung: Was
hat die Religion in ihrer Eigenmächtigkeit zur Erhaltung der Gesellschaft
als ganzer beigetragen?

Auch durch das Illustrationsmaterial stellt Goode den Leser
'n eine wenig gewohnte Weise der Anschauung. Er will durch
möglichste Begrenzung des Materials das Höchste erreichen, durch
wenige Beispiele auf den wahren Grund führen. Mancher möchte
vielleicht eine andere Auswahl bevorzugt haben, und zum Teil
mag das unter Umständen auf Geschmack beruhen. Man wird indessen
beim Lesen und genauen Vergleichen verstehen, wie der
zu seiner Beispielwahl gelangt ist. Es sind die folgenden fünf
Volkstypen. 1) Die Murngin von Ost-Arnhemland in Nordost-
Australien mit etwa 3000 Individuen; 2) Die Dahomey (in deutschen
Werken gewöhnlicher Ewe genannt) in Westafrika mit ca.
250 000 Seelen; 3) Die Manu in den Binnenländern der großeh

Admiralitätsinseln, eine melanesische Gruppe von etwa 2000
Seelen; 4) Die ganz isoliert lebenden westpolynesischen Tikopia
von den Salomoninseln mit kaum 1300 Individuen; und 5) Der
Pueblostamm der Zuni im Südwesten der Vereinigten Staaten von
Amerika mit nicht mehr als 2000 Individuen. Unter ihnen sind
die Dahomey am meisten kultiviert. Sie treiben regelmäßigen
Handel nach außen, während die Manu, und ähnlich die Tikopia,
am wenigsten Kultur aufzuweisen haben.

Was die emotionale und begriffliche Bestimmtheit des religiösen
Systems dieser Völker anlangt, so verzeichnet Goode zunächst
als allgemein anzutreffenden Charakterzug die durchgreifende
Unterscheidung von Heilig und Profan. An zahlreichen Einzelheiten
sucht er zu verdeutlichen, auf wie verschiedene Erfahrungen
der Gedanke der Gottheit zurückgeht. Hierbei wagt er
das folgende allgemeine Urteil: „Wir können nicht mehr bei dem
früher herrschenden Glauben beharren, daß der primitive Mensch
im Unterschiede von dem aufgeklärten und kultivierten Westeuropäer
in ständiger Furcht vor dunklen Gewalten lebe, die ihn
umgeben. Statt dessen müssen wir sehen, daß primitive Götter
dieselbe Vorstellung von dem, was gut und böse ist, haben wie
der Volksstamm. Das allgemeine Verhalten der geistlichen Wesenheiten
ist wohltuend, nicht feindlich."

Der Leser dürfte den Wunsch nach etwas schärferer Herausarbeitung
der geistlichen Lage haben, da es nicht bloß auf das
Vorhandensein von Wohlwollen und Wohltun ankommt, sondern
darauf, ob die es betätigende Macht und Autorität Vertrauen auf
Sicherheit gegen die finsteren Gewalten verleiht. Nun liegt Nachdruck
auf der Tatsache, daß neben den sog. großen Göttern die
vielen Gottheiten zweiten Ranges vorhanden sind, die im Bewußtsein
des Menschen durchaus im Vordergrunde stehen. Der Glaube
an dieselben, die zumeist durch Deifizierung von Verstorbenen zur
Existenz gelangt sind, ist zu schwach, selbst um sie gegen Absetzung
zu schützen. Nicht bloß die Manu, bei denen dieser Geisterglaube
den persönlich-individuellen Standard ihrer Religion
bildet, sondern auch die anderen Bezirke weisen nichts von einer
Stabilität dieser Klasse von Gottheiten auf. Es ist aber durchaus
natürlich, daß des Menschen Stellung zu den anderen Gottheiten,
unter denen sich immer ein widerwärtiger (ein „trickster", Gegenspieler
, Till) befindet, desto ehrfurchtsvoller ist. Hervorgehoben
wird mit Recht, daß solche Ehrfurcht nicht zuletzt in dem
heiligen Schweigen zum Ausdruck gelangt, wie es z. B. von den
Frauen bei ihrer tagelangen Vorbereitung des großen Festes eingehalten
wird, wie es aber auch — und das sollte auf gleiche Linie
gestellt werden — dem rituellen Verbote des Gebrauchs der eigenen
Sprache zugrunde liegt und der Einführung einer heiligen Ersatzsprache
für Novizen und weiterhin überhaupt in der Anwendung
eines besonderen Vokabulars in Zusammenhang mit dem
rituellen Ideenschatz ausgeprägt erscheint. Man sollte wohl bei