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Ausgabe:

1954 Nr. 9

Spalte:

567-569

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Melzer, Friso

Titel/Untertitel:

Unsere Sprache im Lichte der Christus-Offenbarung 1954

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 9

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nicht durch Äbte S. 261. — Ein Akathist S. 510 ist nicht „Rhythmische
Lobpreisung der Heiligen", sondern ein Hymnus auf die Gottesmutter,
bei dem man sich nicht setzen darf, s. eben S. 3 57. — Könnte in einer
zweiten Auflage zum Text der Vita des Johann von Novgorod S. 463
die bekannte Ikone des Kampfes zwischen den Susdalern und Novgo-
rodern beigegeben werden? In der orthodoxen Ikonenmalerei wird übrigens
, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer vor einem Gebäude
dargestellt, was i n ihm stattfindet, man denke nur an die Ikonographie
der Verkündigung. So betet also auf Abb. 36 der hl. Sergej Radonezskij
nicht auf dem Hofe, sondern in der hinter ihm dargestellten Zelle. Das
gleiche gilt für Abb. 26. — Die S. 7 angekündigten Erläuterungen zur
Transkription habe ich nirgends gefunden.

Abgesehen von den Randbemerkungen zu einzelnen Stellen
in der deutschen Übersetzung ist aus der Besprechung ersichtlich,
daß ich mich mit den geistesgeschichtlichen Grundprinzipien des
Buches nicht immer einverstanden erklären kann, wobei ich keineswegs
geistesgeschichtliche Zusammenhänge als solche ablehne.
Benz hat an anderer Stelle auch auf die ökumenisch-kirchliche
Bedeutung der Hagiographie und der Heiligen überhaupt, m. E.
sehr zu Recht, hingewiesen9. Sollte dieser Konzeption zuliebe
schon der Titel ,,Heiligen legenden" statt Heiligen leben
gewählt worden sein? Trotzdem darf die evangelische Theologie
wohl mit einem gewissen Recht des Stolzes auf diese Veröffentlichung
blicken. Der hagiographischen Forschung aller Konfessionen
und darüber hinaus auch einer weiteren interessierten Leserschaft
, die der russischen Sprache nicht mächtig ist, sind hier
Heiligenviten in Übersetzung gegeben worden, an die sie bisher
einfach nicht herankam. Das Buch bedeutet in dieser Hinsicht
eine hagiographisdhe Pioniertat. Aus einer fruchtbaren Zusammenarbeit
von Slavisten und Theologen evangelischer und orthodoxer
Konfession ist hier eine Arbeit geleistet worden, die zweifellos
einen Meilenstein auf dem Wege zu einer wissenschaftlich gegründeten
protestantischen hagiographischen Forschung darstellt.

") Die Bedeutung der Konfessionskunde für das Theologiestudium
und das Pfarramt in: Kirche und Kosmos. Witten-Ruhr 1950. Vgl. auch
die Rezension von B. über das Buch von Walter Nigg: Große Heilige
in: ThLZ 1948, Sp. 321.

Hille (Saale) Konrad Onasch

PHILOSOPHIE UND RELIGION SPH1L0S0PHIE

Melzer, Friso: Unsere Sprache im Lichte der Christus-Offenbarung.
Tübingen: Mohr 1952. 456 S. brosch. DM 24.—.

Das Buch ist eine stark erweiterte Auflage; 1941 erschien es
unter dem Titel: „Die Sprache vor Gott". — Das Thema dieses
Buches ist Zeichen der Hinwendung zur Sprache in der Theologie,
die erst in ihren Anfängen steht. Das Buch ist von einem Missionar
geschrieben; immer wieder stößt man im Buch selbst darauf,
daß in der Praxis der evangelischen Mission einer der wesentlichen
Anstöße zu dieser Hinwendung zur Sprache lag und noch
liegt. Es dämmert die Erkenntnis, daß die Sprache nicht nur Form
ist. Hier setzt das Buch ein: beim Wunder der Sprache. Die Frage
nach dem Ursprung der Sprache wird kurz gestreift. Der 2. und
3. Teil des Buches handeln von der Eigenart der deutschen Sprache
. Das 2. Buch klagt darüber, wie wir unsere Sprache verdorben
haben, zunächst im Blick auf die Sprache im allgemeinen, dann im
Blick auf unsere deutsche Sprache. Das 3. Buch betrachtet unsere
Sprache in der Kirche. Der Vf. legt zunächst unseren christlichen
Sprachschatz dar; er spricht von der „Christus-Sprache". Dann
erwägt er in einem Kapitel „Von der Bibelübersetzung" die Möglichkeit
des Übersetzens im Blick auf die Christusbotschaft. Dieses
Kapitel ist wohl das wertvollste im ganzen Buch. Das 4. Buch
erklärt, wie die Sprache in der Kirche dient gegenüber Gott und
gegenüber den Menschen. Das nun noch folgende Kapitel „Von
den Namen" wirkt eher wie ein Anhang. Das Buch als Ganzes ist
eine höchst wertvolle Anregung zum Weiterfragen in der Richtung
, von der im Anfang die Rede war. Es ist festzuhalten, daß
diese Fragestellung als eine umfassende neu ist. Es ist dem Vf.
zu danken, daß er die Frage so umfassend stellt und zeigt, wie
die Frage nach der Sprache geradezu alles Denken und Handeln
in der Kirche irgendwo angeht. Es ist dem Verfasser auch durchaus
gelungen zu zeigen, wie groß und wie sehr in die Tiefe wirkend
die Gefährdungen sind, die von der Mißachtung und Mißhandlung
der Sprache ausgehen. Er hat gezeigt, daß diese Gefährdungen
auch in der Kirche, im alltäglichen Betrieb eines Pfarrbüros
wie in den theologischen Lehrbüchern und Hörsälen vorliegen
. Eine besondere Lebendigkeit gewinnt das Buch durch eine
Fülle von Zeugnissen vor allem aus den ersten Nachkriegsjahren,
die sprachliche Vorgänge fixieren und beleuchten. Dabei werden
Hinweise auf Bücher und Aufsätze aus ganz verschiedenen Bereichen
genannt, die jeweils von ihrem Standort das Problem gesehen
haben.

Zu einigen Punkten, die mir für die Weiterführung der hier
gegebenen Anregungen wesentlich erscheinen, möchte ich Stellung
nehmen.

Der Vf. bezeichnet Seite 45 das Hebräische, Griechische und Lateinische
als die „heiligen drei Hauptsprachen"; S. 155 redet er nur von
zwei heiligen Sprachen, hebräisch und griechisch. Wenn der Vf. am Anfang
auf das Wunder weist, daß Gottes Wort in unsere menschliche
Sprache eingegangen ist, entspricht es wirklich dieser Tatsache, daß dann
diese Sprachen (ob es zwei oder drei sind, ist gleichgültig) als heilig bezeichnet
werden? Ergibt sich nicht von hier aus eine von der Bibel her
gerade nicht mögliche Scheidung zwischen diesen heiligen und den übrigen
profanen Sprachen? Es ist im Grunde die gleiche Frage, ob es wirklich
der Bibel entspricht, in einer der Sprachen, in der jetzt das Evangelium
verkündet wird, zu scheiden zwischen dieser an sich profanen
Sprache und einer sich aus ihr heraushebenden Christus-Sprache (S. 229).
Der Vf. kann auch diese „die heilige Sprache der Christenheit" (S. 283)
nennen. Zwar führt er es nur für die deutsche Sprache durch, aber es
kann dann natürlich mit genau dem gleichen Recht von einer englischen,
französischen, russischen, chinesischen Christus-Sprache gesprochen werden
. Besonders bedenklich sind mir die Ausführungen S. 285. Hier häufen
sich die Adjektive gefährlich. Kann man denn wirklich so glatt die
„weltlichen Wörter der Muttersprache" von den „heiligen Wörtern der
Kirche" scheiden? Ein einfaches Beispiel: Ist „Wort" eine heilige oder
eine weltliche Vokabel? — Ist eine solche Scheidung von weltlicher und
heiliger oder weltlicher und Christussprache von der Bibel her berechtigt
? Ich verweise auf zwei biblische Zusammenhänge, die Vätergeschichten
im AT und die Evangelien im NT: Hat der Jahwist eine „heilige
Sprache" gesprochen, die sich deutlich und wesentlich von einer profanen
Sprache unterscheidet? Hat Jesus Christus selbst eine heilige
Sprache gesprochen? Ist nicht diese ganze Bemühung einer der vielen
Versuche, ein Wunder Gottes in menschliche Begriffe zu bringen, das
sich nun einmal nicht in unsere Begriffe bringen läßt? M. E. hat der Vf.
dies selbst gesehen dort, wo er von den Grenzen kirchlicher Sprache
spricht (S. 276 ff.). Diese Bemerkungen sind gut und heilsam. Denkt man
sie aber durch, so kommen sie doch darauf hinaus, daß es an sich heilige
Vokabeln oder eine heilige Sprache eben nicht gibt. (Vgl. hierzu
in der ersten Auflage S. 193 „Es gibt keine sakrale Sprache . . ."). Hierzu
noch zwei Einzelheiten. Der Abschnitt S. 68 f. bringt ein begeistertes
„Lob der deutschen Sprache." Ist nicht das Lob der deutschen Sprache
einfach eine Form des Selbstlobs und ist mit solchem Selbstlob irgend
jemandem gedient? Wichtiger sind objektive Feststellungen wie die
S. 253, daß nämlich die deutsche Sprache, anders als die englische, in
einer entscheidenden Epoche „so wenig eigene Schöpferkraft bewies,
wo doch die Angelsachsen ... so viel selbständiger vorgingen". Eine
andere Einzelheit hierzu: Höchst erstaunt war ich über das Urteil des
Vf. S. 137: „Wie die Dinge liegen, verstehe ich gut, daß die römisch-
katholische Kirche die lateinische Sprache beibehält. . . . Die Gemeinschaft
, die auf solche Vergangenheit zurücksieht, tut in der Tat gut daran
, solches Erbe nicht fortzuwerfen. Wir andern aber. . . was bleibt
uns?" Wenn hier der lateinischen Gottesdienstsprache eine gewisse Berechtigung
, vielleicht eine durch die Geschichte erworbene Berechtigung
nicht abgesprochen wird, so macht sich der Vf. selbst unglaubhaft in
dem, was er über die Grundfunktion der Sprache sagt. Das Lob der
Muttersprache auf der einen Seite und diese teilweise Anerkennung der
lateinischen Gottesdienstsprache nebeneinander muten merkwürdig an.

Die zweite Frage richtet sich auf die das ganze Werk durchziehende
Unterscheidung zwischen Leib und Geist der Sprache (S. 11, 71, 188,
306 u. ö.). Gewiß kann man so einmal sagen. Wenn dies aber eine
wesentliche Bestimmung der Sprache ist, muß doch gefragt werden:
Steht hinter dieser Unterscheidung das biblische Verständnis von Leib
und Geist oder etwa doch das griechisch-platonische? Wenn z.B. S. 186
vom Dogma geredet wird als dem „edlen Gefäß göttlichen Geisteslebens
", so scheint mir hier unverkennbar die griechische Grundunterscheidung
vorzuliegen. Der Vf. sagt einmal am Anfang sehr richtig:
„Die Sprache lebt nidit in Wörtern, sondern in Sätzen." Hätte er diese
Erkenntnis zum Ausgangspunkt seines Nachdenkens über die Sprache
gemacht, so wäre er mit den „drei Schichten der Sprache" in große
Schwierigkeiten gekommen. Er geht faktisch doch nicht von den Sätzen
sondern von den Wörtern aus. Nur gelegentlich im Laufe des Werkes
treten die geprägten Redeformen heraus (z. B. der Gruß, der Segen)'
die die wirkliche Grundlage jeder Sprache sind, solche Sätze nämlich'
bzw. solche Redeformen, in denen etwas von einem Ich zu einem Du