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Ausgabe:

1954

Spalte:

565-567

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Russische Heiligenlegenden 1954

Rezensent:

Onasch, Konrad

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565 Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 9

memoratio sacrificii Christi in cruce semel oblati, aber nicht als
,,Opfer der Kirche", es sei denn als Gelegenheit zum Selbstopfer
. Und da unser Autor S. 138 selbst auf die theologische
Unklarheit gerade in puncto „Meßopfer", die zur Zeit der beginnenden
Reformation herrschte, hinweist, so ist es nicht abwegig
, die durch Luther erfolgte ,.lutherische" Klärung einmal
ganz anders anzusehen denn als „Leugnung des Opfergedankens".
3.) Überhaupt wäre Luther und das Luthertum von katholischer
Seite her liturgisch neu einzureihen, von seiner Mitarbeit am
Katholizismus her, und nicht schon gleich von der Sicht „Hae-
resie" her. Es ist doch auffällig, daß es Luther war, der die Gemeinde
in der Liturgie als deren „aktuoses Subjekt" einsetzte;
der den Gebrauch der Muttersprache, nicht aus philologischen,
völkischen oder „liberalen" Gründen, sondern aus liturgischen
Gründen forderte und durchsetzte; der auch um der Gemeinde
willen mit der Musik im Gottesdienste rang (siehe seinen Choral
-Dialekt in der „Deutschen Messe"); der den „Mahl-Charakter
" der Eucharistiefeier urgierte; der die Kalamität mit der Opferung
von Brot und Wein spürte; und das als katholischer
Theolog!

Augsburg Leonhard Fendt

Benz, Ernst: Russische Hciligcnlcgcndcn. Übers, it. erl. v. G. Apel,
E. Benz, W. Fritze, A. Luther u. D. Tschizewskij, hrsg. u. eingel. v.
Ernst Benz. Zürich: Verl. Die Waage [1953]. 524 S., 52 Abb. auf
Taf., 8°. Lw. DM 29.75.

Das vorliegende Buch bietet russische Heiligenviten von den
Anfängen der Kiever Epoche bis zum 17. Jhdt. Sie sind aus den
Quellen ins Deutsche übersetzt worden, wobei die oben Genannten
in wissenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit zugleich aber für
ihreArbeit voll verantwortlich sind. Jedem übersetzten Text wird
eine Einleitung in die geistesgeschichtliche Situation von ausgezeichneter
Prägnanz und instruktiver Kürze vorangegeben. Eine
ganze Reihe von Quellen, die allerdings nicht immer hagiogra-
phischer Art sind, erscheinen deutschen Lesern zum ersten
Male: so z.B. die Erzählung von Boris und Gleb, die Vita des
hl. Feodossij, eine große Zahl von Stücken aus dem Kiever Pa-
terikon, die Vita des hl. Sergej Radonezskij und die des hl. Mak-
sim Grek. Audi den eigentümlichen „Narren in Christo" wird
ein gesonderter Abschnitt eingeräumt, während der Schlußabschnitt
den sog. Märchenlegenden gilt, die sich auf mancherlei
vor allem häretische Quellen stützen. In den Anhang sind die
wichtigen Anmerkungen, ein Namen- und Sachregister, sowie die
Erklärung einiger häufig wiederkehrender Fachausdrücke verwiesen
. Den übersetzten Texten sind ausgezeichnete Reproduktionen
von Ikonen, Mosaiken, Fresken, Handschriften und seltenen
Drucken beigegeben, eine anerkennenswerte Leistung des
.•Photo Marburg". Sie stellen nicht nur einen Schmuck des Buches
dar, sondern bilden in Ergänzung zu den jeweiligen Quellen eine
Art „optischer Hagiographie", die den Wert des Ganzen noch
unterstreicht. —

Ernst Benz, der eigentliche Inspirator dieses Unternehmens, hat
'hm auch sein theologisches Profil gegeben. Sein Hauptanliegen besteht
darin, die traditionellen „Urbilder" der Hagiographie: Die Märtyrer und
Heiligen der alten Kirche, die Sprache der hl. Schrift, die Sprache der
Liturgie und das Dogma (S. 10—15) geistcsgeschichtlich mit dem Urbild-
Abbild-Schema des Pseudodionysios vom Areopag zu verbinden. Das
ist richtig. Man denke nur an den russischen Ehrentitel prepodobnyj,
d. h. „sehr ähnlich", nämlich seinem hagiographischen Urbild. Das Urbild
-Abbild-Schema ist zweifellos wichtig für die Stilelemente der Heiligenviten
. Ich halte es aber nicht für so entscheidend, daß man es, wie
B-, einem ganzen Buche aufprägt. Bereits dem Areopagiten ist das eigentliche
Zentrum dieses Schemas die „uns analoge Vergottung", vgl.
MG 3, 124 A. Auch die Bemühungen des Maximos Konfessor um die
orthodoxe Rehabilitierung des Areopagiten konzentrieren sich um dessen
Lehre von der „gottmenschlichen Energie" und des „Gottmenschen ,
MG 4, 445 zu Ep. 4 (MG 3.1072). Und wenn man den Damascener
S. 79—80 für das Urbild-Abbild-Schema bemüht, wird man auch hier
bedenken müssen, daß einer seiner wichtigsten Sätze lautet: Ich bete das
Bild Christi an, wie das des flcischgewordencn Gottes (MG 94, 1252 D).
So wird man nodi hinter diesem Schema den Gedanken der Menschwerdung
Gottes für die Hagiographie als dessen fruchtbares „Urbild"
mobil machen müssen. Mit Recht hat Andre Grabar in einer umfangreichen
Untersuchung1 sowohl für die Hagiographie als auch für die Iko-

*) Martyrium. Recherchcs sur le culte des reliques et l'art chretien
antique. Vol. I, II. Paris 1946.

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nographie die Idee der Theophanie in ihrer theologischen als auch in
ihrer geistesgeschichtlidien Bedeutsamkeit herausgestellt. Bei einer Überbetonung
des areopagitischen Schemas besteht die Gefahr, die jeder
echten Vita innewohnende Dialektik von Geschidite und Übergeschichte
zu nivellieren. Der Heilige ist nicht ein religiöses Individuum in einer
abstrakten „überzeitlichen lkonenhaftigkeit" (S. 11, vgl. etwa S. 157),
sondern vor allem ein Glied der tkklesia, die sein Gedächtnis in der
Synaxis im Morgengottesdienst festhält. Diese Bedeutung des Heiligen
für das Bewußtsein der Kirche fehlt bei B., obwohl dazu bei der Erwähnung
der liturgischen Urbilder Gelegenheit gewesen wäre. In den
Versuchungen des Moissij Ugrin wird nicht nur eine zeitlose „erotische
Thematik" aufgenommen, sie haben vielmehr auch einen sehr geschichtlichen
Hintergrund". Gewiß ist der Zug der „Entpersönlichung" in der
Vita des hl. Feodossij aulfallend, aber man sollte ihm gegenüber nicht
die von anderen betonten historischen Züge außer Acht lassen', denn
eine Vita ist keine Legende4. Die Gabe der Tränen S. 236 ist nicht nur
ein traditionelles Thema, sondern ein pneumatisches Charisma'3. Die
Dialektik von zeitgebundener Geschichte und zeitloser Thematik hätte
vielleicht bei Alexander Nevskij S. 25 5 stärker betont werden sollen,
als es dort geschieht, indem das „ideale Urbild" des Fürsten dem „in
seiner eigenen Zeit "lebendigen „Fürstenideal" gegenübergestellt wird. —

Angesichts der großen Schwierigkeiten bei der Beschaffung der
Quellen (vgl. S. 6) konnte ich nur einige Übersetzungen mit dem Urtext
vergleichen. S. 38: „Erhielt im Geheimen zum christlichen
Glauben" finde ich nicht in dem mir vorliegenden Text der Nestorchronik5
. S. 74: „eine große Befestigung" für gorod velikij halte ich
für etwas schwerfällig. Trautmann" übersetzt „große Stadtbefestigung",
was im Hinblick auf die Mariä Verkündigungskirche auf dem Goldenen
Tor eben dieser Stadtmauer (das „Mütterchen Stadtmauer" der Byline
Vassilij Ignatevic) vielleicht entsprechender ist. In der Erzählung von
der Gründung der Hauptkirche des Höhlenklosters heißt es S. 175: „Es
war im Warägerland ein Fürst namens Afrikan, der Bruder des schönen
Jakun . . .". Bei Gudzij7, der die Ausgabe des Kiever Paterikon
von Abromovic (SPB 1911) benutzt, ist er aber der Bruder des blinden
Jakun (brat Jakunov slepago). Auch sonst stimmt die Übersetzung
mit dem bei Gudzij mitgeteilten Text nicht immer überein. S. 65 würde
ich das „bei Gott dessen erkühnen" mit „Freimut bei Gott haben" übersetzen
, denn dr'znovenie im Text (Gudzij S. 44) entspricht jiaoQtjai'a.
S. 71 müßte es nach Gudzij S. 48 „im weiten russischen Lande" (v
Rus'stei velicei strane) heißen. „Erzählen" für „ispovedati" dortselbst,
Z. 12 erscheint mir zu blaß. Der Erzähler will die Wunder verkündigen
. In der Vita des Alexander Nevskij — warum wird denn Zitie
hier und an anderen Stellen mit Legende übersetzt? — wird der Name
des Mannes von der Izora auf S. 258 mit Beglussitsch und mit Pelgussia
wiedergegeben, wie es auch im Text bei Mansikka steht, vgl. Gudzij
S. 157, der noch die Edition von Sercbrjanskij hinzuzieht. Trautmann
hat diese Unstimmigkeit im Mansikka-Text kurzerhand beseitigt, indem
er an den drei Stellen Pelgui schreibt'. Vielleicht sollte man ihm bei der
Übersetzung in einer Neuauflage folgen. S. 261 in derselben Vita würde
ich v rizach statt mit „in Kutten", mit „in Meßgewändern" übersetzen,
und den ganzen Satz: so kresty igumeny popove v rizach — „Die
Igumene mit Kreuzen und die Priester in Meßgewändern" (Gudzij S. 1 519,
Trautmann S. 125). Bei Gudzij S. 3 52 kann man übrigens einen Text
der Erzählung über die hl. Julianija Lazarevskaja (vgl. S. 43 5) finden,
der vom Institut für Literatur der Akademie der Wissenschaften der
SSSR herausgegeben wurde. Bei Gudzij S. 210 finden wir ferner den
Text zur wunderbaren Reise des Johann von Novgorod nach Jerusalem
und die Erzählung von Peter und Fevronija (Povest' o Petre i Fevronii).
Vozdvizenie cestnago kresta (Gudzij S. 237) würde ich auf S. 480 statt
„Auffindung des heiligen Kreuzes" mit „Kreuzerhebung" übersetzen,
Vozdvizenie = ßyxoati. Im übrigen würde ich die orthodoxen termini
technici nicht durch römisch-katholische ersetzen, also z. B. Igumene

2) Vgl. Hepell, The „Vita Antonii", a lost source of the „paterikon
" of the monastery of caves in: Byzantinoslavica XIII (Prague
1952) S. 50 ff.

'') Smolitsch, Russisches Mönchtum. Entstehung, Entwicklung und
Wesen 988—1917. Würzburg 1953. S. 61 f. stellt historisch bedingte
und nationale Züge in der Vita des Feodossij fest. In der Mitte zwischen
„Entpersönlichung" und zu starker Betonung geschichtlicher und nationaler
Züge bewegt sich E. Behr-Sigel: Etudes d'Hagiographie russe in:
Irenikon XII (1936), S. 25 ff.

*) Kljucevskij Dreonerusskija zitija sojatych kak istoriceskij istoc-
nik. Moskva 1871 hat aus den Viten eine Reihe wichtiger histor.
Erkenntnisse gezogen.

4a) Vgl. Steidle, Die Tränen, ein mystisches Problem im alten
Mönchtum in: Benediktinische Monatsschrift, Bd. 20 (1938), S. 181 ff.

r') Povest' Vremennych Let, izd. D. S. Lichaceva. Moskva-Lenin-
grad 19 50.

6) Die altrussische Nestorchronik. Leipzig 1931. S. 108.
) Chrestomatija po drevnej russkoj literature XI—XVII vekov.
Moskva 1952. S. 80. Vgl. Nestorchronik z. J. 1024.

8) Altrussisches Lesebuch. Teil I: 11.—14. Jahrhundert. Leipzig
1949. S. 122.