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Ausgabe:

1954 Nr. 9

Spalte:

549

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dobschütz, Ernst von

Titel/Untertitel:

Die Bibel im Leben der Völker 1954

Rezensent:

Delling, Gerhard

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549

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 9

550

Neue Testament in einem doppelten Sinn von „Haus" redet:
einmal im Sinn einer tatsächlich bestehenden Hausgemeinschaft
und ferner im Sinn von „Haus Gottes". Die Frage nach der Herkunft
dieser zweiten Verwendung braucht uns hier nicht zu beschäftigen
. Diese doppelte Verwendung des Begriffes wird man j
so verstehen dürfen, daß jedes „Haus" innerhalb der Gemeinde
etwas von dem „Haus Gottes" insgesamt widerspiegelt, enthält
und darstellt. Für die Urchristenheit ergibt sich, daß „Haus und
Familie die kleinsten natürlichen Einheiten bleiben, von denen
aus die Gemeinde als Ganzes aufgebaut wird"3. Wenn heute die
Vorstellung allgemein vorherrscht, daß die Gemeinde sich unter
Aussparung des „Hauses" sozusagen unmittelbar aus den christlichen
Individuen zusammensetzt, so ist dies noch kein Gegenbeweis
. Und wenn noch bei Luther dem Hausvater (und der Hausmutter
) im Blick auf Familie und Gesinde eine so bedeutsame
Funktion zugesprochen wird, so läßt sich dies nicht nur aus einer
inzwischen vergangenen soziologischen Struktur erklären. Es gehört
vielmehr zum Wesen der Ehe, der Familie, des Hauses, daß
sie in dieser Weise der Gemeinde zugeordnet sind.

3. An dem Ehegefährten als an dem mir nächsten Christen
erlebe ich, daß ich nicht allein bin, sondern daß ich zur Gemeinde
gehöre, ja daß Gemeinde überhaupt existiert. Die Ehe ist darum
das praeeipuum exemplum für die Mitmenschlichkeit in dem Sinn,
in dem Karl Barth davon redet. Sollte sie nicht auch das praeeipuum
exemplum dafür bilden, daß Mann und Frau in der Gemeinde
leben und zu ihr gehören? Denn auch für die Ehe gilt die
Verheißung Jesu Matth. 18, 20, ebenso jene vierte Weise, in der
Evangelium Gestalt gewinnen kann und von der Luther an der
bekannten Stelle in den Schmalkaldischen Artikeln' spricht. Gerade
in dieser Hinsicht ergibt sich aus der Verheißung das Gebot,
daß jeder der Ehegefährten von Gott dazu berufen und verordnet
ist, dem anderen auch in diesem Bereich ihrer Lebensgemeinschaft
beizustehen, ihn zu trösten und ihm zu widersprechen, vielleicht
sogar ihn zu strafen. Die höchste Verheißung und zueleich das gewichtigste
Gebot für eine solche Ehe besteht nach Eph. 5, 22 ff.
darin, daß Mann und Frau in der Art ihrer Gemeinschaft die Art
der Gemeinschaft darstellen, nachbilden und abbilden sollen und
dürfen, in der sich Christus der Gemeinde verbunden hat. Daß es
sich hierbei nicht um den Vollzug eines Sakramentes handelt, ergibt
sich — von anderem abeesehen — schon aus der Tatsache. da_ß
dieser Art der Gemeinschaft keinesfalls eine erlösende und rettende
Wirkung zukommt, wohl aber eine heiligende und bewahrende
Kraft innewohnt (vgl. 1. Kor. 7, 14 ff.).

4. Der vierte Gesichtspunkt bezieht sich auf das Zustandekommen
der Ehe. Der römische Rechtssatz „consensus facit nuptias
" ist allgemein anerkannt, auch für eine Ehe unter Christen
und deren kirchlicher Trauung. Nach Matth. 19, 6 stellt Jesus nun
fest, daß der Mensch nicht scheiden dürfe, was Gott zusammengefügt
hat, und Paulus spricht davon, daß ebenso zur Ehelosigkeit
wie zur Ehe eine Gnadengabe von Gott und eine Berufung
gehören (l.Kor. 7, 7. 17. ff.). Es mag nun doch zu fragen sein,
ob sich dieser Rechtssatz gegenüber den Aussagen des Neuen
Testaments rechtfertigen läßt. Grundsätzlich steht fest, daß Gott

•1) O.Michel, Th.W.B. Bd. V S. 133.

*) Göttinger Ausgabe der Lutherischen Bekenntnisschriften S. 449.

die Ehe nicht nur im allgemeinen, sondern auch die konkrete Ehe
gestiftet hat und daß Berufung und Gnadengabe Gottes die Ehe
begründen. Wenn der Mann gerade diese Frau und die Frau gerade
diesen Mann zum Ehegefährten nimmt, dann vollziehen sie
damit ein Wagnis, dann treffen sie damit eine Entscheidung, durch
die sie im Gehorsam gegen Gottes Gebot jene Berufung zur Ehe
verwirklichen und — si Deus vult — die Gnadengabc für ihre Ehe
empfangen. Hier beginnt nun das Interesse der Gemeinde an dem
Zustandekommen der Ehe, abgesehen von dem, was bisher erörtert
wurde: Berufung und Gabe Gottes zur Ehe kann unter
Christen nur so verstanden werden, daß die so verbundenen Eheleute
als „Miterben der Gnade des Lebens" der Gemeinde nur
umso kräftiger zugeordnet sind.

5. Der fünfte Gesichtspunkt gilt einem weiteren Interesse,
das die Gemeinde an dem Zustandekommen der Ehe hat. Es sind
ihre Glieder, die jenes Wagnis unternehmen und jene Entscheidung
treffen, die damit dem Ruf Gottes folgen und die Gabe zur
Ehe erhalten. Die Gemeinde hat sicher nicht nur darüber zu wachen
, daß dabei alles „ordentlich und ehrbar zugehe" (l.Kor.
14,40), sondern daß dabei im Gehorsam gegen Gottes Verheißung
und Gebot gewagt und entschieden werde. Die Gemeinde
ist nun von sich aus an dem Zustandekommen einer solcher,
Ehe interessiert, weil dabei — man muß schon auf diese Ausdrücke
zurückgreifen — ein Bruder und eine Schwester aus
ihrer Mitte ihre Lebensgemeinschaft miteinander beginnen. Sie
ist aber vor allem an diesem Schritt ihrer Glieder beteiligt,
weil auf diese Weise — wieder muß ein historisch belasteter Ausdruck
gebraucht werden — eine „ecclesiola in ecelesia" entsteht.
Gehört es zu den konstitutiven Elementen einer Ehe auch unter
Christen, daß ihr Beginn und ihr Fortbestehen nicht heimlich,
sondern öffentlich geschieht, dann ist doch wohl die Öffentlichkeit
, die dem Christen am nächsten steht und mit deren Respektierung
er jener Anforderung genügt, nicht so sehr die Öffentlichkeit
der Bürgergemeinde als vielmehr die der Christengemeinde
.

Bei dieser hier entwickelten Sicht der Dinge geht es also um
eine Trauung „in die Gemeinde hinein". Es kann nun nicht unsere
Aufgabe sein, einen Entwurf für die Ordnung einer solchen
Trauung ,,in die Gemeinde hinein" vorzulegen. Eine derartige
Ordnung kann auf die bisherigen Bestandteile der Trauung, nämlich
auf die praedicatio, die confessio und die benedictio keinesfalls
verzichten. Allerdings müßten diese Bestandteile deutlicher
als bisher die Beziehung der Trauung wie erst recht der Ehe zur
Gemeinde zum Ausdruck bringen. Jeder Kundige weiß überdies,
wie sehr diese Bestandteile der bestehenden Trauordnungen einer
sorgfältigen Überprüfung hinsichtlich ihrer theologischen Relevanz
bedürfen. — w|

Wir brechen damit ab. Die vorgetragenen Bemerkungen
können nichts anderes als einen überdies sehr knapp gefaßten Beitrag
zu dem theologischen Verständnis der kirchlichen Trauung
darstellen. Es dürfte selbstverständlich sein, daß eine Reihe weiterer
gewichtiger Fragen geklärt werden muß, ehe man sich zu
den heute notwendig werdenden Folgerungen entschließt. Nur soviel
sollte deutlich sein, daß die Neuordnung der kirchlichen Trauung
allein von theologischen Gesichtspunkten abhängig gemacht
werden kann.

BIBELWISSENSCHAFT

Dobschütz, Ernst von: Die Bibel im Leben der Völker. 3. Aufl.
In neuer Bearb. hrsg. v. Alfred Adam. Witten: Luther-Verlag
11953]. 240 S., 12Taf. 8°. DM 4.80; Lw. DM 6.40.

Die Neuherausgabe (vgl. ThLZ 69 [1935] 44 f.) von E. v.
Dobschütz' Schilderung der Schicksale und Wirkungen der Bibel
in 19 Jahrhunderten, abgesehen von einer knappen Skizze ihrer
Entstehung (9—24) nach Aufbau und Stoffwahl im ganzen eine
Kirchen geschichte der Bibel, in der begreiflicherweise die
Geschichte des Bibeltextes, seiner Verbreitung und Auslegung,
aber bei den speziellen Neigungen des Verf. auch die seiner Ausstrahlungen
in der Kunst mit besonderer Liebe gezeichnet werden
, schenkt uns noch einmal die Freude an seiner Gabe des

scheinbar mühelosen Gestaltens einer Fülle von Stoff, das nur aus
dessen Beherrschung heraus möglich ist.

A. Adam hat das Buch sehr behutsam überarbeitet in Berücksichtigung
der Wandlung der Redeweise (die einem bei dem
Vergleich auch für einen so kurzen Zeitraum merkwürdig spürbar
wird und freilich gerade im „christlichen" Bereich wohl mit
mehr als formalen Veränderungen zusammenhängt; gelegentlich
wird auch ein theologisches Urteil leicht modifiziert), in einer
Umsetzung des früher häufigen historischen Präsens in das volks-
I tümlichere Imperfekt, in der Einteilung des Textes in kleinere
Abschnitte, im Ersetzen von vermeidbaren Fremdwörtern (das
alles wohl mit Rücksicht auf den breiteren Leserkreis, den das
Buch heute finden dürfte), in mehrfachen sachlichen Ergänzungen
(und wenigen Kürzungen). Die (zwangsweise neu ausgewählten)
Abbildungen sind technisch gut ausgeführt.

Halle/S. Oerhard Delling