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Ausgabe:

1954 Nr. 9

Spalte:

545-550

Autor/Hrsg.:

Niebergall, Alfred

Titel/Untertitel:

Bemerkungen zu dem theologischen Problem der kirchlichen Trauung 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 9

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nicht mehr die gleiche Sammlung zum Memorieren wie sie vergangenen
Jahrzehnten zu eigen war. Damit soll der notwendigen
Memoriertechnik auch in der Glaubensunterweisung in keiner
Weise der Kampf angesagt werden. Wenn aber sogar die Schule
das Auswendiglernen nicht immer durchsetzen kann, müssen wir
in der Glaubensunterweisung mit dieser Tatsache rechnen.

Der Memoriertechnik steht zur Seite der pädagogische Impressionismus
, wie ich das zu nennen pflege. Entscheidend bleibt,
in welcher persönlichen Weise der Unterrichtende die Perikope
oder das Lied oder den Katechismus den jungen Menschen nahebringt
, ob er ihnen das alles in das Herz hineinsagen kann. Dann
bleibt das für ein Leben. Hier zeigt sich der Mangel in der katechetischen
Ausbildung. Wir haben zu wenig Dozenten, welche den
angehenden Religionslehrern und Katecheten von Art und Wesen
des Kindes sprechen. Man kann es auch schärfer formulieren:
Viele unserer Katecheten, und das ist nicht ihre Schuld, lernen
kaum noch den lebendigen Umgang mit den Kindern. Man lehrt
sie oft eine Art von Kleintheologie, deren Vortrag bei den Kindern
häufig Opposition und Kritik hervorruft. Uns fehlt ganz
fraglos eine theologische Kinderpsychologie, an der manche unter
uns schon seit Jahren arbeiten. Das Kind kann uns nicht verstehen
, wenn wir das Kind nicht verstehen. Die Jugend, das sei
nochmal gesagt, ist moralisch nicht tieferstehend als die Jugend
vergangener Zeiten. Das deutsche Volk hat zwei Kriege verloren,
und damit auch viel von der inneren pädagogischen Sicherheit
und Klarheit, deren wir uns mit einer gewissen Wehmut erinnern.
Vielleicht könnte es mißverständlich wirken — aber es muß doch
gesagt werden —: Uns fehlt in den deutschen Ländern ein klares
Erziehungs- und Schulgesetz, das die Grundlagen von Zucht und
Ordnung, von Güte und Einfühlung wieder herstellt. Irgendwie
leben wir hier doch im luftleeren Raum. Es soll über die Eltern
kein abfälliges Urteil gefällt werden. Wir haben das schon angedeutet
: Die Mehrzahl der Erziehungsschwierigkeiten geht auf
die Unsicherheit der Eltern zurück. Wer sich je mit der familiären
Situation Jugendlicher beschäftigt hat, dem ist es klar geworden,
daß hier oft ein verborgenes Inferno vorhanden ist.

Über dieses Problem hat schon vor lahren Alfred Adler, der
Begründer der Individualpsychologie, mit dem ich auch literarisch
zusammengearbeitet habe, sehr weise Beobachtungen angestellt.
In vielen Familien beobachtet man im Hintergrund Ambivalenz
und Multivalenz, Anziehung und Abstoßung, Eifersuchtskomplexe
nach allen Seiten. Wenn meine Beobachtungen mich nicht
täuschen, gibt es nicht nur Wunschkinder, um mit Ina Seidel zu
sprechen, es gibt auch unerwünschte Kinder und verwünschte
Kinder, auch verstoßene Kinder, weniger im eigentlich sozialen
Sinne, als im seelischen Sinne. Hier zeigen sich die tiefsten Ursachen
auch der Erziehungsnöte.

13.) Wenn wir von der Krisis in der Religionspädagogik
sprechen, so möchte ich abschließend einige Punkte herausstellen,
die schon angedeutet worden sind.

a) Die alte Katechetik darf als gesunde Basis der Glaubensunterweisung
nie unterschätzt werden. Aber sie muß sich empor-
cntwickeln zu einer Religionspädagogik, die mit der Gesamtbildung
im Zusammenhang steht.

b) Wir unterrichten Kinder und junge Menschen. Dabei haben
wir gerade als Theologen die Verantwortung vor Gott, daß
wir ihre Seelsorger sind. Das sage ich wiederum nicht als Theoretiker
, sondern weil ich durch Jahrzehnte in der Jugendseelsorge
gestanden habe.

Hier unterscheidet sich der Religionsunterricht in einem wesentlichen
Punkte von den anderen Schulfächern. Diese sind in
erster Linie Kenntnisübermittlung. Sie sollen aber, um mit Eduard
Spranger zu sprechen, den Menschen wesensmäßig formen.
Der Religionslehrer und der Seelsorger muß aber seinen Klassen
und Gruppen immer zugleich der Seelsorger sein ohne irgendwie
die Disziplin anzutasten, und sein Wirken muß bei aller Autorität
als Güte empfunden werden. Vielleicht darf man hier auf
eine große pädagogische Arbeit der katholischen Kirche hinweisen
. Im vorigen Jahrhundert wirkte in Italien Don Bosco, den
man vielleicht als den italienischen Pestalozzi bezeichnen könnte.
Auf seine Lehre und Praxis gründet sich der Orden der Salesia-
ner, dessen Einfluß über die ganze Welt hingeht. In Deutschland
haben die Salesianer im wesentlichen die elternlosen Kinder betreut
. Die Erzieher sind Priester, Pädagogen und zugleich doch
Seelsorger und Freunde der ihnen anvertrauten Jugend. Die Literatur
ist schwer erreichbar, da sie im wesentlichen als Manuskript
gedruckt wird. Don Bosco hat immer wieder gesagt, man
müsse als Christ ein wenig von der christlichen Güte und
Freude in sich tragen. Bei aller Ernsthaftigkeit werde man die
Jugend durch Güte gewinnen.

c) Wir müssen von der Krisis zur christlichen Wirksamkeit
gelangen. Wieviele Religionslehrer und Pfarrer, die dazu geeignet
sind, stehen zur Verfügung? Lind hier zeigen sich die eigentlich
kritischen Punkte in der Religionspädagogik am allerstärksten.
Glaubensunterweisung muß in allen Schulen geschehen, natürlich
unter den jeweiligen staatlichen und politischen Voraussetzungen.
Das gilt auch für die DDR, mögen die Verhältnisse dort
auch anders gestaltet sein. Seit jeher wird in den Simultanschulen
Religionsunterricht erteilt, und zwar als offizielles Lehrfach
, aber ohne jeden Gewissenszwang. Es gibt rein kirchliche Bekenntnisschulen
, es gibt, besonders in katholischen Gegenden,
auch staatliche Bekenntnisschulen. In Westberlin ist der Religionsunterricht
ein Fach im Range der Wahlfächer, um die Situation
ungefähr zu begreifen.

Die Krisis zeigt sich weiterhin in der Ausbildung der Katecheten
oder Religionslehrer. In früheren Zeiten konnte der junge
Philologe die große Religionsfakultas erwerben, indem er an
der Universität theologische Vorlesungen hörte. Die Prüfung
fand in Gegenwart von Vertretern der Kirchenleitung statt.
Diese Regelung gilt wohl zum größeren Teil noch für Westdeutschland
, für Westberlin noch nicht. Hier werden Katecheten
herangebildet, unter denen es treffliche Männer und Frauen gibt,
die aber im wesentlichen den Religionsunterricht nur bis zur Zeit
der Konfirmation erteilen können. Weder auf der Freien Universität
noch an der Pädagogischen Hochschule zu Lankwitz besteht
die Möglichkeit zur Erwerbung der Religionsfakultas. Die Theologische
Fakultät der Humboldt-Universität hat seit Jahren einen
Lehrauftrag für Religionspädagogik in Verbindung mit dem Katechetischen
Seminar. So können die Theologie-Studenten pädagogisch
vorgebildet werden. Nicht wenige nehmen daran mit großem
Interesse teil. Die Kirchliche Hochschule versucht es, Katecheten
von höherer pädagogischer Qualität auszubilden und
erstrebt auch eine Fakultasprüfung auf ihrer Basis. Hochgeschätzte
kirchliche Kreise sind offensichtlich der Meinung, daß jede an der
LIniversität erworbene Fakultas notwendigerweise zur Häresie
führen müsse.

Damit sind wir am Ende zu dem entscheidenden kritischen
Punkt gekommen: Die Ausbildung von Religionslehrern, die entweder
Theologen sind und eine pädagogische Vorbildung haben
oder die Philologen sind und über eine theologische Vorbildung
verfügen.

An der Lösung dieser Frage wird sich das Schicksal des evangelischen
Religionsunterrichtes in absehbarer Zeit entscheiden.

Bemerkungen zu dem theologischen Problem der kirchlichen Trauung

Von Alfred Niebergall, Hofgeismar/Göttingen

Von den mancherlei Fragen, die uns heute im Blick auf die
kirchliche Trauung beschäftigen, sei im Folgenden nur die Frage
nach dem Verhältnis von standesamtlicher Eheschließung und
kirchlicher Trauung herausgegriffen. Verschiedene Umstände bieten
zu dieser besonderen Fragestellung Veranlassung: Im Zuge
der gesamten Neuordnung des gottesdienstlichen Lebens der Gemeinde
steht auch die Ordnung der kirchlichen Trauung zur Diskussion
. Die im Bonner Grundgesetz (Art. 3, II) proklamierte
Gleichberechtigung von Mann und Frau hat für Westdeutschland
eine Änderung des bisher geltenden Ehe- und Familienrechts
zur Folge; in diesem Zusammenhang wird die Frage der obligatorischen
Zivilehe akut. In letzter Zeit hat auf evangelischer Seite