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Ausgabe:

1954 Nr. 9

Spalte:

541-546

Autor/Hrsg.:

Jahn, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Krisis in der modernen Religionspädagogik 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 9

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fentlichkeitswillens", sondern vielmehr um den theonomen Menschen
selbst. Es geht bei der sozialen Gestaltung der Christenheit
nicht um die Durchsetzung eines kirchlichen Willens zur Macht,
die im Wettbewerb der Kollektive erfolgen müßte, sondern um
das Ja zum Menschen als Geschöpf, das gefallen ist und dem
doch das Heil Gottes zuteil werden soll. Die Kirche ist dann als
communio Gemeinde, in der dem Menschen seine Einzigkeit gewahrt
und die verlorene Existenz vor Gott immer wieder geschenkt
wird.

Es wird dann allerdings notwendig sein, die cura generalis
auf die Lebensbereiche des Menschen überhaupt auszudehnen. Sie
wird dennoch nicht etwa Ethik, weil sie ja die Folgerungen aus
dem Ansatz der Ethik zu ziehen hat, also nun den Weg zur Verwirklichung
zu zeigen hat.

Die Krisis in der modernen Religionspädagogik

Von Ernst Jahn, Berlin

Hier handelt es sich nicht um irgendein Schlagwort. Wir wollen
uns bemühen, die wesentlichen Punkte klarzustellen.

1. ) Katechetik als solche ist ursprünglich die kirchliche Belehrung
der Taufbewerber und später der Kinder, die zur Kommunion
vorbereitet werden. Das Hauptstück war in der Urkirche und
in der alten Kirche die Disciplina arcani, in erster Linie das Vaterunser
und das Glaubensbekenntnis.

Im Mittelalter wurde diese Praxis der katholischen Kirche
fortgesetzt, und zwar, wie schon gesagt, mit dem Ziel der Erstkommunion
, einer geistlichen Übung, die heute noch besteht.

2. ) Die Kirchen der Reformation nahmen die katechetische
Praxis sofort auf. Aus der Fülle der bekannten Katechismen der Reformationszeit
nennen wir kurz Luthers Kleinen und Großen Katechismus
und von reformatorischer Seite den Heidelberger Katechismus
. Das offizielle Lehrbuch der römisch-katholischen Kirche
ist der Catechismus Romanus, der aus dem Tridentinum erwachsen
ist. In der katholischen Kirche ist sehr verbreitet der Katechismus
von Deharbe aus dem Jahre 1847. Die neueren Katechismen bringen
zum Teil schon eine Darstellung des Lebens Jesu.

3. ) Über die Bedeutung der Katechismen ist bekanntlich eine
große Kontroverse entstanden. Der Katechismus dürfte seine
Hauptbedeutung für den Konfirmandenunterricht haben. Er ist
im wesentlichen Darstellung des Katechismus, wenn auch der moderne
Konfirmandenunterricht, der zwei Jahre umfaßt, die Bibelkunde
mit einschließt.

4. ) Nun ist seit vielen Jahrzehnten ein neuer Typus der Glaubensunterweisung
entstanden, nämlich der Religionsunterricht in
den Schulen, sowohl an den Grundschulen wie an den Oberschulen.
Die Strukturierung des Religionsunterrichtes war und ist je nach
dem Zeitstil verschiedenartig, auch im Hinblick auf die Stellung
des Religionsunterrichtes im Organismus der Schule.

5. ) Zunächst müssen wir uns deutlich machen, wie sich die
Krisis im Religionsunterricht heute darstellt. Tatsächlich ist es
irgendwie der Kampf zwischen Kirche und Schule, der schon vor
vielen Jahren auf Grund verschiedener Forderungen der Lehrerschaft
für einen sich erneuernden Religionsunterricht besteht. Die
Lehrerschaft wehrte sich einst gegen die sogenannte geistliche
Schulaufsicht, die heute nicht mehr besteht. Aber diese Erinnerung
'st in der Lehrerschaft geblieben. Seit Jahrzehnten sind Pädagogik
und Schulorganismus zu einem selbständigen Bewußtsein erwacht.
Es müßte also die Aufgabe aller verantwortlichen kirchlichen Stellen
sein, die Lehrerschaft nicht erneut in die Opposition zu bringen
, sondern mit den Pädagogen Fühlung zu halten, die sich für
die Religionsunterwcisung einsetzen.

Hier sei noch eine kurze Bemerkung zur Verständigung eingeschaltet
. Vielfach wird heute der Religionsunterricht als Christenlehre
bezeichnet. Das ist historisch nidit zu billigen. Die
Christenlehre bedeutet in der lutherischen Kirche das Jahr nach
der erfolgten Konfirmation. Die Konfirmierten sollen sich sonntäglich
in der Kirche sammeln. Darum sagen wir einfach: Evangelischer
Religionsunterricht oder Glaubensunterweisung. Dieser
Terminus ist auch bei allen Verhandlungen mit staatlichen Organen
üblich.

6. ) Man kann die Aufgaben des Religionsunterrichtes generell
nie völlig festlegen. Wer, wie der Vortragende, ehrenamtlich
ein humanistisches Gymnasium mit neun Klassen unterrichtet,
von der Sexta bis zur Abiturientenklasse hin, dem ist eine Erkenntnis
geläufig geworden: Die Probleme des Zehnjährigen sind
anders als die Probleme des Neunzehnjährigen. Das mag als Trivialität
empfunden werden. Es ist aber eine Tatsache, die man
nicht übersehen kann.

7. ) Die ältere Religionspädagogik ist weithin vergessen
worden. Ja, ihre einstigen Schöpfer sind, wenn man einmal so sagen
darf, nahezu gebannt. Wir denken an drei Namen: Richard
Kabisch, Friedrich Niebergall und Hans Richert, der in der Zeit
der Weimarer Republik die Lehrpläne auch für die Oberstufe entworfen
hat. Der Expert aber darf Kabisch nicht deswegen auf den
Index setzen, weil er den Aufbruch der neuen Theologie nicht
erlebt hat. Er fiel in gereiften Jahren und hat so die dialektische
Theologie nicht miterleben können. (Übrigens ist das Werk von
Kabisch in den Neuauflagen von Tögel wesentlich verschlechtert
worden.)

Immerhin aber haben diese Pädagogen und Theologen eine
Erkenntnis zum Ausdruck gebracht: Kinder und junge Menschen
muß man auch in der Glaubensunterweisung in einer bestimmten
Form ansprechen, wie sie eben der kindlichen und jugendlichen
Seelenstruktur gemäß ist. Sie hatten auch große Erfahrungen auf
diesem Gebiet, was man nicht außer acht lassen darf.

Nun sind seit Jahren Versuche zu einer neuen Religionspädagogik
unternommen worden. Ich nenne nur die Namen von
Kittel und Bohne. Hier spiegelt sich eine bestimmte Problematik:
die Spannung zwischen Kultur und Theologie. Diese Tatsache
kann niemand übersehen, aber man kann bei Kindern und jungen
Menschen die Spannung nicht zum Hauptpunkt der Glaubensunterweisung
machen. Gerade die jungen Menschen in der Nähe der
Adoleszenz kommen dadurch noch stärker in Krisen hinein. Sie
erwarten in Frage und Antwort eine gewisse Klärung.

Die ganze Aufgabenfülle der Glaubensunterweisung ist
neuerdings durch ein dreibändiges Werk aktualisiert worden, das
Paul Börger herausgegeben hat. Die drei Bände für Unter-, Mittel
- und Oberstufe scheinen mir im wesentlichen den Lehrstoff in
ausgezeichneter Form darzustellen. Es gibt auch eine gut gemeinte
Katechetik, die manchmal aus einer freundlichen Naivität nicht
ganz herauskommt. Börger erhöht den Katechismusunterricht zu
einem Religionsunterricht von universaler Schau.

8. ) Vor vielen Jahren hat einmal ein namhafter deutscher
Theologe gesagt: Die Glaubensunterweisung und der Konfirmandenunterricht
hättrri bei weitem nicht die Bedeutung, die wir
voraussetzen. Er hätte Konfirmanden die Fraqe gestellt nach dem
höchsten Erlebnis im Konfirmandeniahr. Sie haben sofort geantwortet
: „Als wir auf den Kirchturm steigen durften". Man
müßte sich vielleicht wundern, wenn die Antwort anders ausgefallen
wäre. In der ganzen Unterrichtspraxis wird das Sprachverständnis
nicht genügend berücksichtigt, auch in seiner Begrenzung.

9. ) Richard Kabisch hat einst gefragt: „Ist der Glaube über-
haurjt lehrbar?" Und er hat diese Fraee beiaht. Der Verfasser
möchte etwas weiter eehen: Kann man Menschen, besonders jungen
Menschen, zur Erfahrbarkeit des Glaubens führen? Im 1. Timotheusbrief
heißt es: ,,Gott wohnt in einem Licht, da niemand
zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen
kann." In diesem einen Satz konzentriert sich die ganze Problematik
der christlichen Verkündigung und der christlichen Pädagogik
.

Es geht nicht ohne die Selbstoffenbarung und die Selbstmitteilung
Gottes, die wir nicht bestimmen können. Doch soweit es