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Ausgabe:

1954

Spalte:

525-532

Autor/Hrsg.:

Nagel, William

Titel/Untertitel:

Der Artikel von der Rechtfertigung in seiner Bedeutung für die Entfaltung der Liturgik 1954

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schehen zwischen dem Heilsereignis und der Heilsvollendung
steht. Ferner hat sie vor allem die Aufgabe, die S c h r i f t, d. h.
das apostolische Zeugnis, zu erforschen und aus ihm die Antwort
nach dem Wesen des christlichen Gottesdienstes zu gewinnen, wobei
natürlich das Zeugnis der Kirche in ihren Bekenntnissen mit
heranzuziehen ist. Hier tut sich die ganze Fülle der Fragen auf,
die eine theologische Antwort erfordern, angefangen bei der von
P. Brunner so eindrucksvoll behandelten Grundfrage des Heilsgeschehens
im Gottesdienst der Kirche, seines Verständnisses
als Dienst Gottes an der Gemeinde in der Verwaltung der
Gnadenmittel sowie des Gottesdienstes der Gemeinde in Gebet
und Lobopfer — wobei insbesondere auch wieder neu die Frage
nach dem Verhältnis von Gottesdienst und Opfer Christi lebendig
geworden ist. Aber auch das Kirchenjahr mit seinen Sonn-
und Festtagen, ferner Musik und Kunst im Gottesdienst stellen
Aufgaben, die theologisch durchdacht sein wollen. Dabei ist eine
Ause:n^ndersrt~uns" mit de^i V^stnndn's und der Ges^aH des
Gottesdienstes in den verschiedenen christlichen Konfessionen
geboten. Durch die Erfüllung dieser Aufgaben kann eine Theologie
des Gottesdienstes schließlich dazu gelangen, bestimmte
Grundsätze oder Richtlinien für die rechte Gestalt des Gottesdienstes
der Kirche aufzustellen.

8. Die Theologie des Gottesdienstes liefert den kritischen Kanon
zur Prüfung und Beurteilung des christlichen Gottesdienstes
in seiner geschichtlich gewordenen Gestalt. Sie hat
gegenüber der Liturgie eine kritische Funktion, nicht eine
konstruktiv schöpferische Aufgabe. Sie zeigt der praktischen
Liturgik, d. h. der Anweisung zum rechten Einrichten und
Halten von Gottesdiensten, die Wege, die die Kirche im
Gottesdienst gehen darf.

Wie die Theologie überhaupt eine wesentlich kritische Funktion
in der Kirche hat, so gilt das auch für die Liturgik als theologische
Disziplin. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es
nicht ihres Amtes sein kann, der Kirche den Gottesdienst zu
schaffen. Dabei braucht es nicht ausgeschlossen zu sein, daß auch
ein Liturgikcr sich beteiligt an einer Reform des Gottesdienstes,
wenn solches in einer Kirche für erforderlich gehalten wird. Ja,
es gehört zu seiner Aufgabe als Theologe, unter Umständen sogar
auf eine notwendige Reform des Gottesdienstes zu dringen
und dafür zu sorgen, daß die kirchliche Tradition nicht als heilig
und unantastbar angesehen wird. Aber sein eigentlicher Auftrag
als wissenschaftlicher Theologe ist es, wie der eines Dogmatikers,
der die Lehre und Verkündigung der Kirche an der Schrift zu
prüfen hat, den Gottesdienst der Kirche in seiner geschichtlich
gewordenen Gestalt, wie er etwa in den Agenden der Kirche vorliegt
, theologisch zu prüfen und zu beurteilen nach dem, was sich
ihm aus dem apostolischen Schriftzeugnis als Lehre vom Gottesdienst
ergibt. Hier allein ist auch der kritische Kanon theologisch
zu erarbeiten, der es ermöglicht, zur Geschichte des Gottesdienstes
und ihren Ergebnissen Stellung zu nehmen. Und die Geschichte
des Gottesdienstes stellt uns eine ganze Reihe von wesentlichen
theologischen Fragen, deren Erörterung wir nicht den
Anglikanern oder Benediktinern überlassen dürfen. Erst von daher
kann die Liturgik eine echte praktisch - theologische
Aufgabe übernehmen, die allerdings auch zu ihrem Bereich gehört
und gewiß als Ziel dieser Arbeit angesehen werden kann.

Die gegenwärtig Gottesdienst begehende Kirche braucht
nicht nur ein rechtes Verständnis dessen, was sie eigentlich tut,
wenn sie Gottesdienst hält, sie braucht auch eine Hilfe, Rat und
Wegweisung, diesen Gottesdienst so zu halten und zu gestalten
— und das ist ihre Aufgabe in der verantwortlichen Übernahme
des Dienstes an Wort und Sakrament —, daß er durch den Dienst
an Wort und Sakrament Gottesdienst ,,im Geist und in der Wahrheit
" sei.

Der Artikel von der Rechtfertigung in seiner

Von William N a

Das gegenwärtige Ringen um die rechte Gestalt des Gottes- !
dienstet innerhalb der evangelischen Kirchen Deutschlands bedeutet
eine notwendige weitere Auswirkung des Neubaues der Kirche
von Bibel und Bekenntnis her. Wenn der Satz gilt ,,Was auf de
Kanzel und am Altar geschieht oder nicht geschieht — daran entscheidet
es sich, ob eine Kirche noch Kirche des reinen Evangeliums
ist" (H. Sasse), dann können wir uns ebensowenig bei den
Gottesdienstordnungen der Vergangenheit beruhigen, wie wir
das gegenüber deren Predigtweise und kirchlichem Unterricht,
Verfassungen und Lebensordnungen getan haben. Wie hier, so
müssen auch dort, wo es zweifellos viel schwerer ist, die Gemeinden
in einer zielbewußten, zähen und doch barmherzigen Weise
2u einem tieferen Verständnis und danach einer besseren Gestaltung
ihres gottesdienstlichen Lebens geführt werden. Es wird uns
dabei die Beobachtung nur bestärken können, daß heute innerhalb
der Ökumene eine Fülle von Gruppen und Richtungen erneut
das der Sache des Gottesdienstes Wesensgemäße herauszuarbeiten
und praktisch zu gestalten bemüht ist1.

Vergleicht man diese Tatsachen mit dem erschütternden
Unverständnis, das einem etwa auf Pfarrkonventen entgegenschlägt
, sobald man sich zum Anwalt solcher Anliegen macht,
dann muß man behaupten: Die Studiengestaltung der jetzt im
Amte stehenden Generation ist in der Regel noch nicht über jene
Herdersche Ansicht hinausgekommen „Mit dem Ritual ists eben
a'so: in unsern protestantischen Kirchen ists kein Hauptstudium,
wie bei den Katholiken"; es solle nur das gewonnen werden,
Was zur notwendigen Vorkenntnis des künftigen Predigers
"gleichsam als Einleitung in seine Kirchenagende" gehört2. Allein
w'e mancher vernachlässigte Kirchenraum erhebt Anklage wider
eine Gemeinde und ihren Pfarrer, daß sie das an dieser Stätte

*) Vgl. Stalilin, Wilhelm: Liturgische Erneuerung als ökumenische
Frage und Aufgabe (in: Zeichen der Zeit, Jahrg. 1950, S. 65 ff. und
'26 ff.).

s) Herders Werke, Ausgabe Cotta 1830, Zur Religion und Theologie
, S. 47 ff.).

Bedeutung für die Entfaltung der Liturgik

gel, Greifswald

Geschehende selbst nicht wirklich ernst nehmen! Was wird jedoch
aus den besten agendarischen Neugestaltungen werden, wenn sie
in die Hände von Pfarrern geraten, denen alle Maßstäbe fehlen,
die zu Grunde liegenden theologischen Entscheidungen überhaupt
zu erkennen, geschweige denn sachgemäß zu beurteilen; ohne
dies muß aber alle Wertung der Form oberflächlich und unsachlich
bleiben, mag sie zustimmend oder ablehnend ausfallen. Wie solche
Pfarrer ihren Gemeinden einen Zugang zum Verständnis des
Gottesdienstes oder gar künftiger Neuerungen an dessen überlieferter
Gestalt öffnen sollen, erscheint völlig rätselhaft.

Aus jener Wiederentdeckung der zentralen Bedeutung des
Gottesdienstes im Leben der Kirche und diesen dazu völlig im
Gegensatz stehenden Beobachtungen in der kirchlichen Praxis ergibt
sich zunächst die Forderung nach einem verstärkten Anteil
der Liturgik am Lehrbetrieb der Praktischen Theologie. Ich verstehe
darunter eine vierstündige Liturgik-Vorlesung und die
Möglichkeit, auch auf diesem Gebiet durch Spezialseminare oder
Übungen in die Urkunden des gottesdienstlichen Lebens der Vergangenheit
wie in die Agenden der Gegenwart einzudringen.
Doch viel wichtiger als der äußere LImfang erscheint mir die
rechte Gestaltung einer solchen Einführung in die Liturgik. Nicht
eine möglichst erschöpfende Beschreibung des liturgischen Handelns
in Geschichte und Gegenwart, nicht psychologische und
soziologische Beobachtungen auf diesem Gebiet, auch nicht praktische
Ratschläge für den Liturgen sind ihre eigentliche Aufgabe.
Eine derartige Darbietung könnte erst recht dazu führen, daß
späterhin der „routinierte" Pfarrer meint, sich dieser Dinge entschlagen
zu können, oder sich sogar in dem gefährlichen Irrtum
bestärkt fühlt, als verbürge die geschickt gehandhabte Technik
seines gottesdienstlichen Handelns bereits dessen gemeindebauende
Wirkung. Wir brauchen Liturgik als theologische Theorie
des gottesdienstlichen Handelns der Kirche. Sie muß dem künftigen
Praktiker gültige Maßstäbe für den gesamten Komplex des
Liturgischen liefern. In ihrem Zentrum hat deshalb eine in die
Tiefe gehende Wesensschau des Gottesdienstes zu stehen. Hier