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Ausgabe:

1954

Spalte:

510

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lindner, Werner

Titel/Untertitel:

Der Dorffriedhof 1954

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Seite 1

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509

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

510

Der Band bietet eine Phänomenologie des Priesterlichen.
Besonders eindrücklich ist der erste Aufsatz, der eine an reicher
Erfahrung und geschichtlicher Anschauung gewonnene Meditation
über den Dienst und das Wesen des Priesters darstellt. Er meint
mit dem Priesterlichen „jene geheime und geheimnisvolle Kraft,
die das geistliche Handeln lenkt, um es vor seinen Gefahren zu
bewahren" (5). „Der Priester steht vor Gottes Angesicht und
führt hin zu Gottes Angesicht" (16). „Ein Bischof muß etwas
Priesterliches haben; ebenso muß der Lehrer am göttlichen Wort,
der Doktor, etwas Priesterliches haben, sonst bekommt er etwas
Professorales. Der Evangelist muß etwas Priesterliches haben,
sonst bekommt er etwas Propagandistisches. Der Prophet muß
etwas Priesterliches haben, sonst bekommt er etwas Agitatorisches
oder Fanatisches. Wenn dem Diakon das Priesterliche fehlt, entartet
sein Dienst in die Betriebsamkeit; er wird ein Agent, wo er
doch ein Helfer sein sollte" (8). Er versucht, den Unterschied des
Priesters zum Propheten und zum Lehrer zu markieren, auch zum
Evangelisten. Wenn er vom Propheten spricht, mag sein Niemöller
-Bild, möglicherweise auch sein Lutherbild hinter den Erwägungen
stehen. Neben Luther und Blumhardt, die in früheren
Aufsätzen von Merz besonders hervortraten, gewinnt er seine
Erkenntnisse heute besonders an Bodelschwingh, Löhe, auch
Bezzel. Besonders an Bodelschwingh vermag er das Wesen des
Priesterlichen herauszustellen. Ritterliche Haltung und Verständnis
für poetische Phantasie und Geschichte scheinen ihm
charakteristisch, Zugang zu Liturgie und Diakonie kennzeichnend
. Merz bringt auf diese Weise wichtige Gestalten und
Kräfte des 19. Jahrhunderts zu Ehren. Auch das reife Urteil
von Fontane, Raabe und anderen wichtigen Zeugen des 19. Jahrhunderts
stellt er dar. Die theologischen Entscheidungen, die
hei praktischen Theologen der Kirche im 19. Jahrhundert gefällt
worden sind, werden interpretiert, und der Kirche werden
auf diese Weise die Väter der letzten Vergangenheit wieder
lieb gemacht, die wir ohne Schaden nicht vergessen dürfen.
Daß in den praktischen Entscheidungen erhebliche theologische
Erkenntnisse wirksam geworden sind, hat er früher an Blumhardt
und hat er diesmal an Bodelschwingh, Löhe, Wichern und Bezzel
gezeigt. Daß Löhe sein armseliges Dorf mit edler Sprache und
wohlerprobter Liturgie beschenkte, daß die der Erweckung entstammende
Diakonie „eines der stärksten Bollwerke gegen die
Zersetzung, durch die unser Volk durch die Literaten bedroht
war" (94), bedeutete, daß die katechetische Arbeit sich in der
Christenlehre erneuert im Sinne Luthers, der an die Stelle des

Kultus im Weihrauch-erfüllten Kultraum die Kinder- und Christenlehre
in Haus und Schule setzte und einen Wortgottesdienst
am Evangelium schuf, durch den er beten lehren wollte (57), —
diese und andere Beobachtungen bringen Züge im 19. Jahrhundert
zu Ehren, die zu verstehen und zu bewahren heilsam sein könnte.
Man kann dabei an den Schriften Merz' lernen, daß schwierige
theologische Gedankengänge ausreifen können zu schöner Einfalt
. Die Schönheit und Anschaulichkeit seiner Sprache spiegelt
gesunde Erkenntnis (um so mehr sollte ein Schönheitsfehler in
einer späteren Auflage verbessert werden; S. 105 Zeile 9 von
unten muß es „wie" statt „als" heißen). Merz ist seit drei Jahrzehnten
als einer der großen Erzieher theologischer Jugend tätig.
Er weiß die „herzliche Barmherzigkeit Gottes" (24) zu bezeugen.
Die theologische Leidenschaft tritt zurück. Eine diakonische und
franziskanische Art treten in den Vordergrund als Gegengewicht
gegen die das priesterliche Wesen bedrohende Härte und gegen
eitlen Doktrinarismus. Er wehrt der Gefahr des geschichtslos-
Revolutionären dadurch, daß er die Väter — auch die des 19. Jahrhunderts
— aufgeschlossen anzuhören und ihrem Glauben zu folgen
lehrt. Dafür ist auch dieses Büchlein ein kostbares Beispiel.

Berlin Martin Fischer

Lindner, Werner, unter Mitarb. v. F. Hille u. G. Reepel:
Der Dorffriedhof. Wege zu seiner Gesundung. Kassel: Bärenreiter-
Verlag 1953. 49 S. m. Abb., 16Taf. 8°. DM3.80.

In dieser Zeitschrift Jahrg. 1953 Sp. 533 ist die von R. Pfi-
ster herausgegebene Friedhof-Fibel besprochen worden, als deren
Mitarbeiter auch der Verf. des neuen Heftes genannt war. So erklären
sich die Berührungen im Materiellen und Geistigen: verschiedene
Abbildungen begegnen dort wie hier, und die Gesinnung
, aus der beide Schriften entstanden, ist die gleiche. Nur ist
diesmal der Textteil umfangreicher als der Bildteil, der wieder
ausgezeichnete Reproduktionen bringt. Nun kommt alles darauf
an, daß die gewiesenen Wege gegangen werden. Denn leider ist
wahr, was wir S. 45 lesen: „Wo wird denn auf dem Lande nach
maßgeblichen Bestimmungen gehandelt? So gut wie nirgends!
Die Friedhofsordnung wird zu einem beschämenden Fetzen Papier,
wenn sie im Schreibtisch verstaubt, wenn sich niemand nach ihr
richtet. . . Das Friedhofswesen leidet wie ein lange schon siecher
Mensch an einer als solcher schon längst erkannten schleichenden
Krankheit".

Das Wort „Totengarten" will uns nicht gefallen, — wir
sähen es gern wieder verschwinden.

Rostock O. Holtz

BERICHTE UND MITTEILUNGEN

Ein Papyrusfragment (Pap. Lond. 878) von Konstantins
1. Edikt an die Orientalen

In der Festschrift für Wilhelm Schubart (Aus Antike und Orient,
nrsg. von S. Morenz, Leipzig 1950) hatte T. C. Skeat (S. 126 ff.: Bri-
Jain and the papyri) ein Papyrusfragment veröffentlicht, das in den
Greek Papyri in the British Museum, Catalogue with Text, vol. III (ed.
f-G. Kenyon — H.J.Beil, London 1907, p. XLI1) nur kurz angezeigt
*ar. Die Vorderseite enthält eine Bittschrift, die auf ein Ereignis des
Jahres 319/20 (S. lndiktion, Z. 12) Bezug nimmt und von Bewohnern
' Vertretern?) der 'Agatvotxüiv jiö[Xe<ogj an 2'ejßaoroi und einem Caesar
(bzw. mehrere Caesares), dessen Namensangabe mit OvaXe()lco
(Valerius Licinianus Licinius oder? Valerius Crispus (vgl. Catalogue of the
Greek and Latin Papyri in the John Rylands Library vol. IV (1952) 1 11—
"*p. Ryl. 617) beginnt, gerichtet ist, also auf jeden Fall vor 324 abgefaßt
Sein muß, wenn sie nicht aus dem Jahre 319/20, der 8. Indiktion selbst,
'tammt. Die Rückseite sollte nach der Meinung von T. C. Skeat ebenfalls
eine petition enthalten, in which the petitioner is stressing his
record of past (military?) Services. Er fügt allerdings hinzu: but 1 am
Very conscious of the fragility of this hypothesis. Die Hypothese konnte
kurze Zeit später von A. H. M. Jones widerlegt werden; aber die Forschung
muß dem verdienstvollen Papyrologen dafür dankbar sein, daß
£r mit seiner Publikation überhaupt erst das Interesse für den wichtigen
PaPyrus geweckt hat.

Auf dem Oxforder Kongreß für patristische Studien 1951 gab Jo-
zum ersten Mal seine Entdeckung bekannt (vgl. Fr. Vittinghoff.
Eusebius als Verfasser der „Vita Constantini", Rh. M. N. F. 96 (1953/4),
330ff., hier 334 Anm. 17), über die er außerdem am S.April 1952 in

der Societc Theonoe (Brüssel) berichtete. Von dieser Sitzung erschien in
der Nouvelle Clio (Revue Mensuelle de la decouverte historique, publice
sous la direction de H. Gregoire, Bruxelles) t. V (1953) p. 215 ein
kurzes Protokoll, dessen Inhalt allgemeine Beachtung verdient, da e»
m. W. die bisher ausführlichste Publikation darstellt (vgl. den letzten
Hinweis bei J. Moreau: Sur la vision de Constantin, RevEtAnc 5 5
(1953), 305 ff., hier: 332 Anm.; außerdem noch: T. C. Skeat, Two By-
zantine Documents, the British Museum Quarterly, Vol. XVIII, Nr. 3
(1953), 72).

Jones erkannte, daß auf der Rückseite des — stark beschädigten —
Papyrus der Wortlaut des 1. Edikts des Kaisers Konstantin an die Orientalen
nach seinem Sieg über Licinius im Jahr 324 abgeschrieben ist. Das
Edikt ist uns in der Vita Const. des Eusebius (Ausg. v. I. Hfeikel, II 24 ff.)
vollständig überliefert. Das Pap. Fragment enthält die in c. 27/28 (nicht
chap 37 et 3 8 du III« livre, wie es in der Nouv. Clio a.a.O. heißt)
wiedergegebene Partie. Da die beiden Texte Wort für Wort miteinander
übereinstimmen (vom Schluß des c. 26 sind nur noch ein paar Buchstaben
erhalten, vom Anfang des c. 29 lassen sich die beiden ersten Zeilen
wiederherstellen), sind die Lücken mühelos auszufüllen, unsichere Lesungen
einwandfrei zu berichtigen (Einzelheiten anzuführen erübrigt
sich in diesem Rahmen; nur darauf sei noch hingewiesen, daß das von
Heikel p—52, 26 athetierte [ws qjeroj auch im Pap. überliefert ist, wie
auch die in den MSS VJMBA stehende Variante ixetvtjg zu exeivon
p. 53, 8, während umgekehrt p. 53, 10 <.rivt> Svrdfiei wie in FHL fehlt).

Das Protokoll der Nouv. Clio vermerkt: de la comparaison de«
deux textes il decoule que l'auteur a copie une traduetion grecque du
texte original qui etait en latin. Diese Formulierung könnte zu Mißverständnissen
Anlaß geben. In der VC II 23 ist nämlich ausdrücklich
hervorgehoben, daß das Edikt in beiden Sprachen abgefaßt war. Außer-