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Ausgabe:

1954

Spalte:

508-510

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Merz, Georg

Titel/Untertitel:

Priesterlicher Dienst im kirchlichen Handeln 1954

Rezensent:

Fischer, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

508

Gottes gute Schöpfung. Die Welt ist dann nicht bloß das Objekt
der technischen Weltbearbeitung oder die Welt, vor der sich der
Mensch in die Innerlichkeit seiner Subjektivität zurückziehen
darf, sondern in der Schöpfungswelt begegnet dem Christen Gott.
Die ganze Tragweite dieses Glaubensurteils findet der Verfasser
zum Ausdruck gebracht in Markus 7. Die gegenständliche Unterscheidung
von kultischer Reinheit und Unreinheit wird von Jesus
überwunden, weil alles in der Welt Gottes gute Schöpfung
ist. Es ist zu unterscheiden zwischen der Geschöpflichkeit, die von
Gott gesegnet wird und der Sündhaftigkeit, die unter dem Fluch
Gottes steht. So sind denn die Ordnungen des geschichtlichen
Menschenlebens nicht bloß Erhaltungsordnungen und nicht allein
nachträgliche Mittel, um das Böse einzuschränken, sondern die
Kunst der Gesetzgebung und das Aufbauen der Gemeinschaft ist
im Paradies gewissermaßen von Gott in die Natur hineingelegt
(S. 41). Die Ordnungen dieser Welt sind Mittel der schöpferischen
Selbstvergegenwärtigung Gottes. Er heiligt also durch seine
Ordnungen, d. h. sie ziehen zu Gott hin, sie bringen uns geheimnisvoll
mit Gott zusammen. Das zeigt der Verfasser an manchen
, bisher wenig beachteten Ausführungen Luthers. Gott ist
also für Luther als Schöpfer schon der Heiligende und durchwaltet
heiligend die Welt (S. 45). Die Ordnungen sind aber nun nicht
bloß empirisch Vorfindliches und erkennbar Vorhandenes. Es ist
der Glaube, der die göttliche Seite der Welt wahrnimmt. Es ist
eine Selbstdarstellung Gottes in seiner Verhüllung, wie sie in der
Larventheologie Luthers sich ausspricht. Es ist eine Weltbejahung
, die nicht bloß Gehorsam lehrt, sondern zum innerlichen
Verstehen und zur Freude an der Welt Gottes hinführt. Diese
dialektische Betrachtung der Welt ist aber nur möglich von dem
biblischen Glauben an das Wohin von Leben und Welt, das der
Reichsglaube vermittelt. So ist die Welt der Schöpfung und die
Welt der Erlösung nicht als kontradiktorischer Gegensatz zu betrachten
. Reich Gottes und Welt haben ein tieferes Verhältnis als
das der bloßen Distanzierung. Der Blick auf die Endvollendung
ist gerade das eigentlich Unterscheidende und Neue im christlichen
Ethos. Das Fragen des natürlichen Menschen kreist immer
um das Warum. Der Christ fragt nach dem Wozu. Die Konsequenzen
für die ethische Prinzipienlehre werden von dieser
Grundlegung aus deutlich gezogen. Das Ethos des Gottesreiches
kann sich niemals mit einer subjektivistischen und formalistischen
Auslegung der Gottesgebote begnügen, wie sie im Gefolge von
Kant und dem Neu-Kantianismus einen großen Teil der protestantischen
Theologie im 19. Jahrhundert beherrschte. Bei dieser
subjektivistischen Ethik liegt der Ton auf der christlichen Person
und ihrer Betätigung „in" den Ordnungen der Welt. Gerade die
moderne Entwicklung hat uns gelehrt zu erkennen, daß das Verhältnis
des Christen zu den weltlichen Ordnungen nicht bloß vom
Christen abhängt, sondern von den objektiven Ordnungen. Das
Weiterführende ist der Glaubensblick auf das Telos, das Gott selber
der Welt gesetzt hat. Über allen geschichtlichen Gebilden,
auch über den staatlichen Machtgebilden, läßt die theologische
Ethik daher ein allumfassendes Wohin, eine richtunggebende Zielbestimmtheit
aufleuchten (S. 111). Diese Gedankengänge werden
in dem zweiten Kapitel der Untersuchung mit dem Titel: „Das
Ethos des Gottesreiches" weiter verdeutlicht. Hier wird der Unterschied
heutiger Fragestellung gegenüber dem urchristlichen
Ethos hervorgehoben. Entgegen der urchristlichen Naherwartung
hat Gott die Welt als Schöpfung bestehen lassen. Das
bedeutet nun für die Christenheit Auftrag und Aufgabe. Das
Reich Gottes ist Gegenbild zur Welt und als solches Gegenbild
Ziel und Richtmaß des Guten. Hier zeigt sich, wie das
Ethos des Gottesreiches sich auch von allem naturrechtlichen
Denken unterscheidet. Das Naturrecht, sei es nun das
antike, scholastische oder das aufklärerische Naturrecht, ist
im statischen Denken befangen. Natur ist das vernünftige Sein
der Welt, das Unwandelbare und Anfängliche und daher auch die
für die Welt endgültige Ordnung. Das christliche Telosdenken
begnügt sich aber nicht damit, sondern sieht die Grundordnungen
des Lebens geschichtlich-heilsgeschichtlich. Alle innerweltliche
Selbstsicherheit eines Ordnungsdenkens wird dadurch unmöglich
gemacht. Es wird deutlich hervorgehoben, daß Luther die Beziehung
der beiden Regimente, des geistlichen und des weltlichen
Regiments auf eine dritte Größe, auf das jenseitige Gottesrcich
in dieser Direktheit nicht ausspricht.

G. Wehrung zeigt, wie die Kritik, die Troeltsch und Barth
an Luther üben, den Unterschied von Luther und Machiavelli
verwischt. Wenn Luther auch hervorhebt, daß das Reich der Welt
mit der Vernunft zu regieren ist, so ist das nicht eine autonome
Vernunft, die nicht mehr an Gott gebunden ist. Das weltliche
Regiment wird in seinem unveräußerlichen Gottesverhältnis gesehen
. Luther ist ferner von der Problematik der menschlichen
Vernunft zutiefst durchdrungen. Die Vernunft ist stets in Versuchung
eitel zu werden. Andererseits steckt in den weltlichen
Ordnungen eine objektive Vernunft, „ein Gottessinn, auf den
wir lauschen sollen, an dem sich unsere menschliche Vernunft emporbilden
soll". Trotz dieser Verteidigung Luthers wird aber die
Grenze der Lehre Luthers deutlich aufgezeigt. Der konservative
Sinn Luthers sieht die weltlichen Ordnungen mehr als ein Feststehendes
und nicht so sehr als etwas Bewegtes durch die Richtung
auf das jenseitige Reich. Die Problematik des modernen To-
talitäts- und Wohlfahrtsstaates ist bei Luther noch nicht vorhanden
. Wehrung meint, über Luther hinausgehen zu müssen,
glaubt aber, die tiefsten Erkenntnisse Luthers von der Einheit und
Verschiedenheit der beiden Reiche erst wirklich zur Geltung zu
bringen.

Wehrung bewährt seine prinzipielle Orientierung am Reich
Gottes in der Auseinandersetzung in den Hauptfragen der modernen
Ethik, insbesondere mit dem Kultur-Ethos und mit der
Ethik der Werte. Ebenso wie das christliche Ethos übergesetzlich,
d. h. von keiner Gesetzlichkeit behaftet ist, so ist es auch nicht
durch die Werte, die nach Wehrung ein „ideales An sich" darstellen
, bestimmt. Es ist ein konkretes lebendiges Geschichts-Ethos
und durch die Hinordnung auf das Reich Gottes ist zu erschließen
, was Freiheit und Wahrheit innerhalb des menschlich gefährdeten
Kulturstrebens bedeutet. In der Beurteilung dieser ethischen
Prinzipienfrage vertieft Wehrung die Spannung von Gesetz
und Evangelium der lutherischen Ethik durch die Besinnung
auf die Spannung von Reich Gottes und Welt. Die Eigenart des
christlichen Ethos ist durch diese Spannung gekennzeichnet; seine
Wahrheit erweist sich in der inneren Absolutheit und Unerschöpflichkeit
des göttlichen Liebens. In diesem zweiten Teil des Buches
werden diese Probleme nur kurz berührt und infolge der Zusammenfügung
der beiden selbständigen Abhandlungen lassen sich
Wiederholungen wohl nicht vermeiden. Man möchte z. B. eine
eingehendere dogmatische Interpretation des Reich-Gottes-Ge-
dankens in Auseinandersetzung mit der modernen Eschatologie
von der Christologie aus wünschen. Aufs Ganze gesehen ist durch
das neue Gedankenmaterial, das am Neuen Testament und bei
Luther gewonnen wird, die Diskussion über die ethische Prinzipienlehre
einen Schritt weiter geführt. Der Gedanke des Reichs-
Gottes-Ethos ist in deutlicher Differenzierung sowohl von den
Ritschlianern als auch von den sogenannten konsequenten Escha-
tologen in neuer Weise für die theologische Ethik fruchtbar
gemacht.

Kiel Martin Redeker

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Merz, Georg: Priesterlicher Dienst im kirchlichen Handeln. München:
Chr. Kaiser 1952. 112 S. gr. 8°. Kart. DM4.50.

. Georg Merz, früher Studentenpfarrer in München, verdienter
Herausgeber der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten", Leiter der
Theologischen Schule in Bethel und jetzt Rektor der Kirchlichen
Hochschule in Neuendettelsau, legt in diesem Sammelband Aufsätze
vor, die für ihn selbst, seine Theologie und seinen Weg als
Lehrer der Kirche überaus kennzeichnend sind. Es sind die gr<>'
ßen einfachen Grundlinien kirchlichen Handelns, zu denen Merz
zurückleitet: „Priesterlicher Dienst", „Die Barmherzigkeit Gottes
als Grundlage unseres Dienstes", „Kirchliche Erziehung und
geistliche Erweckung", „Luthers katechetischer Dienst", „Schrift'
auslegung und Verkündigung", „Bodelschwingh als Erzieher >
„Die Diakonie und der moderne Geist". Merz folgt dabei seinen*
seelsorgerlichen Anliegen, indem er besonders der jüngeren, duren
vorzeitige Leistungen hart gewordenen Generation die Gefahre"
der Härte zeigt, die möglicherweise keinen Blick für das Schwache
hat, und indem er die edlen Züge zurückgewinnen will, ohne die
priesterlicher Dienst sich nicht denken läßt.