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Ausgabe:

1954

Spalte:

505-506

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Oeing-Hanhoff, Ludger

Titel/Untertitel:

Ens et unum convertuntur 1954

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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Seite 1

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505

506

PHILOSOPHIE UND HELIGIONSPIULOSOPHIE

Oeing-Hanhof f, Ludger, Dr.: Ens et unum convertuntur. Stellung
und Gehalt des Grundsatzes in der Philosophie des Hl. Thomas
von Aquin. Münster: Aschendorff 1953. XV, 194 S. gr. 8° = Beiträge
zur Geschichte der Philosophie u. Theologie des Mittelalters.
Texte u. Untersuch. XXXV11, 3. DM 13.50.

Das auf der Höhe der modernen thomistischen Forschung
stehende Werk ist nicht nur eine Spezialuntersuchung zur Philosophie
des Thomas. Indem das Verhältnis von ens und unum als
Nerv seines metaphysischen Denkens nachgewiesen wird, gibt
Oeing-Hanhoff vielmehr eine Darstellung der inneren Strukturzusammenhänge
der ganzen sog. „Ersten Philosophie" (d. h. der
Metaphysik im Unterschiede zur Physik) des Aquinaten.

Die Analyse des Seinsbegriffs von der ontologischen Differenz
zwischen Sein und Seiendem her erinnert an Heideggers Untersuchung
über das „Wesen des Grundes". Im Gegensatz zu dem
Essentialisten Avicenna erscheint Thomas als Existentialist: Die
Wesenheiten resultieren für ihn ontologisch aus dem esse. Doch
kann das eigener Subsistenz entbehrende esse commune als bloßes
Prinzip den Wesenheiten keine Existenz geben. Die formalen
Prinzipien des Seienden — esse und essentia — zur Einheit zu
verbinden, das vermag nur Gott, in welchem das esse subsistiert —
der aber nicht als Seiendes, sondern als ipsum esse subsistens zu
verstehen ist.

Durch die Teilhabe der Wesenheiten am Sein wird dessen
Unendlichkeit eingeschränkt, individuiert. Das Wesensprinzip
ist also Prinzip der Endlichkeit und der Mannigfaltigkeit. Von
der Entwicklung dieser Ansätze in den konkreteren Bestimmungen
der Metaphysik sei hier nur der Aufweis erwähnt, wie das
esse die Einheit von Substanz und Akzidenz begründet, indem es
die Akzidentien (z. B. die Seclenpotenzen) aktuiert.

In Letzterem deutet sich schon die Convertibilität von esse
und unum an, derzufolge die Realität aller Dinge verwirklicht
Wird in ihrer (vom mathematischen unum zu unterscheidenden)
Einheit. Als in singulärer Weise unum ist Gott Inbegriff der Vollkommenheit
des Seins und zugleich des Guten. Und in jeder
Weise kreatürlicher Einheit spiegelt sich die göttliche Vollkommenheit
. In der Teilhabe am esse commune hat alles Seiende eine
gewisse Einheit und seine vornehmste Ähnlichkeit mit Gott. Und
durch das Sein, welches immer actus ist, wirkt Gott alle Einheit.
Von der Substanz, deren Einheit den Gedanken ontologischer
Schichtung (wie N. Hartmanns Kategorialontologie sie annimmt)
ausschließt, bis hinunter zum bloßen Aggregat gibt es vielfältige
Grade der Einheitlichkeit und damit des Seins. Auch die Einheit
der staatlichen Ordnung wie die des Universums in seiner auf
Gott zielenden Bewegung erhöhen das Sein dessen, der daran teilhat
. In der Einheit mit Gott, welche vermittelt ist durch die Liebe
und durch die visio beatifica, in der Gott selbst die Form des
menschlichen Geistes wird, erfährt der Mensch den Gipfel der
Seinsfülle.

Die eindrucksvolle Darstellung Oeing-Hanhoffs zeigt den
ganzen Glanz, welchen die allumfassende Glaubensphilosophie
ues Thomas auch heute noch auszustrahlen vermag. Allein zwei
Einwänden kann auch diese Interpretation nicht überzeugend
entgegentreten. Die Möglichkeit der realen Vielheit der Dinge
,s* vom Begriff des im Zeichen der Identität von Sein und Einheit
wirkenden Gottes her nicht erklärbar (cf. S. 168 f. Anm.). Der
zuhilfcgcnoinmcnc augustinischc Gedanke von der in Gottes Intellekt
bercitlicgcndcn Vielheit von Ideen setzt voraus, was erklärt
werden soll. Schwerer noch wiegt der zweite Einwand: Uns
Heutigen ist durch die von Kant begründete Erkenntniskritik
«er Weg zu einer Metaphysik, die logische Unterscheidungen als
pntologische Elemente verwendet, versperrt. Oeing-Hanhoff will

"lonias gegen diesen Vorwurf in Schutz nehmen (S. 90 Anm.:
s-a- S. 149). Aber läßt Thomas nicht das Realsciende aus sei-
nen logisch geschiedenen Momenten esse und essentia, Substanz
und Akzidenz, ontologisch nach dem Schema von
und Potenz sich zusammensetzen? Der evangelische Christ
*'rd sich ein solches, unter der Voraussetzung der Identität von

"Kenntnis- und Seinsordnung stehendes Denken nicht nur erkenntnistheoretischer
Tradition wegen, sondern prinzipiell aus
der Einsicht in die auch das Erkenntnisvermögen in Mitleidenschaft
ziehende Verkehrung der menschlichen Natur durch die
Sünde, verboten sein lassen. Dennoch muß er mit Gedanken wie
denen des Thomas in Umgang bleiben, weil er sich selbst der Aufgabe
, auch sein Denken der Bestimmung durch seinen Glauben
zu überlassen, nicht entziehen kann.

Heidelberg Wolthart Pannenberg

ETHIK

W e h i u n g, Georg: Welt und Reich. Grundlegung und Aufbau der
Ethik. Stuttgart: Kohlhammer [1952]. 345 S. gr. 8". Kart. DM 21.—.

Unter dem Titel „Welt und Reich" vereinigt Georg Wehrung
zwei Arbeiten: „Die Welt in der Sicht des Glaubens" und
„Das Ethos des Gottesreiches". Der Gesamttitel kennzeichnet
treffend das Anliegen des Verfassers und den besonderen Beitrag,
den er zur Erhellung des grundsätzlichen Problems der Ethik liefert
. Die Eigenart und Wahrheit des christlichen Ethos beruht
darauf, daß es durch den Ausblick auf das Reich Gottes und durch
die Überwinderkräfte dieses Reiches bestimmt ist. Aus diesem
eschatologischen Charakter des Reiches Gottes wird nicht die
ethische Konsequenz der unendlichen Resignation im Sinne Kierkegaards
als des Verzichtes auf die Verantwortung für die Welt
gezogen, sondern dem Verfasser kommt es gerade darauf an, die
spannungsreiche Beziehung von der Überwelt Gottes zur irdischen
Welt zu finden. Deshalb bemüht sich der Verfasser in seinem
ersten Kapitel, die Glaubenssicht der Welt, die spezifisch
theologische Deutung der Welt zu kennzeichnen. Damit greift
der Verfasser in diejenige ethische Diskussion ein, die durch die
moderne Philosophie neue Aktualität gewonnen hat und das In-
der-Welt-sein des Menschen zum Gegenstand hat. Es zeigt sich
bereits bei dieser theologischen Bestimmung der Glaubenssicht
der Welt, daß G. Wehrung hier Neues aus der neutestamentlichen
Gedankenwelt und aus Luther, das bisher nicht in dieser Weise
beachtet worden war, hervorhebt. Für die heutige Existenzphilosophie
ist ja die Welt nicht in erster Linie die Außenwelt, die
Welt des sogenannten Realen, der Gesamtzusammenhang alles
objektiv Erfahrbaren, sondern der Horizont aller wirklich und
möglich erfahrbaren Dinge, d. h. die Welt ist das Gehäuse, in dem
sich der Mensch stets schon befindet, d e r der Umkreis des Bekannten
, in dem er heimisch ist, die Welt, die der Mensch sich auf Grund
seiner Erfahrungen und Erkenntnisse selber schafft. Darüber
hinausgehend ist für Heidegger die Welt aber nicht bloß der Entwurf
des denkend erfahrenen Subjektes, sondern dieser Weltentwurf
des Menschen ist bereits geworfener Entwurf und das Sich-
Entwerfen des Menschen ist dann schon Ausdruck seiner Angst
und seiner Sorge in der Begegnung mit dem Nichts. In konträrem
Gegensatz zu diesem modernen Weltbegriff steht die Glaubenssicht
, wie sie Wehrung darstellt. Die Welt ist nicht in erster Linie
die Welt des Menschen, sondern die Welt Gottes. Die Überwelt
Gottes befaßt alle Welt in sich und trägt sie. Gerade gegenüber
der modernen nihilistischen Skepsis, gegenüber der Weltbetrachtung
des Menschen, die auf der einen Seite durch die technische
Weltbeherrschung und auf der anderen Seite durch die nihilistische
Verzweiflung am Sinn der Welt bestimmt ist, zeigt
Wehrung, wie und weshalb die Welt für den Christen die
Welt Gottes ist. Diese christliche Sicht der Welt unterscheidet
sich von 2 Gesamturteilen über die Welt, von der griechisch
-klassischen und der orientalisch-gnostischen Weltschau.
Die Welt ist für den Christen weder der Kosmos der Griechen
, aber auch nicht nach der orientalisch-gnostischen Weltschau
bloß gottfeindliche Finsternis. Auf der einen Seite ist die
Welt und der Geist der Welt eine Macht und eine Bewegung, die
dem Geist Gottes entgegensteht und wirkt. Dieser Weltgeist ist
so stark, daß auch der Gesetzesdienst des alttestamentlichen Bundesvolkes
davon betroffen ist. Das Neue Testament, insbesondere
Paulus, enthält die tiefe Einsicht, daß zum Weltdasein der Druck
von Satzungen, Gesetzen und Verboten wesentlich gehört. So ist
für den Christen die Welt auf der einen Seite als Ganzes Versuchung
und Verhängnis und enthält einen furchtbaren Zusammenhang
des Bösen, auf der anderen Seite ist dennoch die Welt