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Ausgabe:

1954

Spalte:

489-491

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV. 1954

Rezensent:

Kusch, Horst

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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hingewiesen auf die Autographe Johanns XXII. in cod. 242,
255 und 280 und auf die vielen Autographe von Papst C 1 e-
mens V. (Petrus R o g e r i i). Ein alphabetisches Verzeichnis
der Initia Operum und ein Index nominum et rerum machen
den reichen Inhalt des Bandes leicht zugänglich. So ist dieser Band
eine hochwillkommene Hilfe für die Erforschung der Theoloeie,
Philosophie, Kanonistik und Predigtliteratur der zweiten Hälfte
des XIII. und des XIV. Jahrhunderts.

Es wäre sehr zu wünschen, daß die gelehrte Verfasserin sich
entschließen möchte, auch das Inventar aus dem Jahre 1411 zu
edieren; vielleicht wäre es doch noch möglich, damit dem Schicksal
der 595 verschollenen Handschriften auf die Spur zu kommen.

Freiburj I. Br. Friedrich StegmAller

E rd m • n n f, Carl und Norbert Fi c k e rm a n n: Briefsammlungen
der Zeit Heinrichs IV. Bearb. Weimar: Bühlau 1950. VI, 433 S.
4* = Monumenta Germaniae Historica. Die deutschen Geschichtsquellen
des Mittelalters 500—1500. Die Briefe der deutschen Kai-
•eneit. V. Bd. DM 45.—.

Vorliegender Band ist hauptsächlich das nachgelassene Werk
Carl Erdmanns, dessen Tod (im März 1945) E. R. Curtius einen
der schmerzlichsten Kriegsverluste der Wissenschaft nennt. Wie
viele andere Arbeiten Erdmanns zum Besten gehören, was die
deutsche Geschichtsforschung seit 1933 hervorgebracht hat, so ist
auch die Ausgabe, auf die hier hingewiesen wird, von höchster
Qualität.

Die Ausgabe der Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV.
gliedert sich in fünf Teile. Erdmann edierte: 1. die Hannoversche
Briefsammlung, d. h. den Codex III der auf mehrere ma. Codices
zurückgehenden Hannov. Hs. XI 671, einer Hs. der Magdebureer
Zenturien: 2. die außerhalb der Hannov. Sammlung in zwei Pariser
Handschriften und im Codex Udalrici vorkommenden Briefe
Meinhards: 3. drei Briefe von den 35 Stücken des Codex I der
Hannov. Hs. (der Rest eehört aus sachlichen Gründen in andere
Editionen); 4. 10 Briefe an Wratislaw, deren Veröffentlichung
auf Pez beruht, da dessen Vorlage verschollen ist. Norbert Fik-
kermann besorgte die Erstausgabe der Regensburger rhetorischen
Briefe.

Zur Hannov. Briefsammlung und den außerhalb dieser
Sammlung vorkommenden Briefen Meinhards ließ E. bereits im
Jahre 1938 als besonderes Buch einen Kommentar erscheinen, die
• Studien zur Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert".
Dieser Kommentar gehört zu den wirklich bahnbrechenden Büßern
. Er enthält nicht nur eine sachliche Auswertung des Brief-
ttaterials und eingehende quellenkundliche Untersuchungen,
sondern auch methodische Erwägungen, die für die Erforschung
der ma. Briefgattung grundlegend sind. Stilverwandtschaft ermittelt
E. auf verschiedenartigen Wegen, vor allem immer in Kombination
mit anderen Areumenten; er überwindet dadurch den
optimistischen Glauben Gundlachs, Pivecs und Schmeidlers an
einen nur lexikographischen und phraseologischen Stilvergleich
und erledigt durch seine weitausgreifende Methode auch Hellmanns
Bedenken gegenüber einem solchen Stilvergleich. E.s Untersuchung
der Latinität Meinhards ist ein Stück Geschichte des lat.
Briefstils. Auch was das Zustandekommen von Briefsammlungen
betrifft, ist E. durch den Begriff der literarischen Edition und
durch sehr differenzierte Untersuchungen der Überlieferungszusammenhänge
weit über Schmeidler hinausgekommen.

In der Wiedergabe de» Textes der Hannov. Briefsammlung hat E.
°ft dem Textsinn entsprechend die Interpunktion geändert und so erst
v|ele Stellen verständlich gemacht. Im Nachwels von Zitaten und sti-
"»ischen Parallelen peht E. weit Ober Sudendorf hinaus. In den meisten
fällen werden Absender und Empfänger. Briefgepenstand und Datierung.
oft auch der Verfasser (Diktator) neu bestimmt; die von vielen Fordern
hingenommene chronologische Ordnung, die Sudendorf bietet,
mi|ß jetzt im ganzen gesehen als unhaltbar verworfen werden.

Die 109 Briefe der Hannoversdien Briefsammlung zerfallen in
j Gruppen: Zwischen der Hildesheimer Sammlung (H 1-60) und der
Schlußgruppe (H 105-109). beide mit Stücken verschiedener Herkunft,
'»ehen die Briefcorpora Meinhards (H 61-81) und Berengars von Tours
(H 12-104).

Die Hildesheimer Sammlung bietet ähnlich wie die Worm-
•er Briefsammlung eine an der Domschule vorgenommene Vereinigung
verschiedenartiger Stücke, also nicht die Briefe eines einzigen
Autors. In der einen der drei sachlichen Gruppen spielt der
Bischof Hezilo von Hildesheim, der Erbauer des Hildesheimer
Domes und Gründer des Moritz- und Kreuzstiftes, die Hauptrolle
, die beiden anderen Gruppen enthalten Schul- und sonstige
politische Korrespondenz. Es liegt nahe, daß hier wie in Worms
und Bamberg der Domschulmeister an der Entstehung der Sammlung
beteiligt ist. E. bringt die Sammlung mit Bernhard in Verbindung
, der wahrscheinlich 1072, mit Bestimmtheit aber 1076
in Hildesheim als Domscholaster tätig war. Bernhard ist nicht
nur der Sammler der Hildesheimer Briefe, sondern auch sehr wahrscheinlich
der Autor einer Anzahl von Bischofs- und Lehrerbriefen.

H 61—81 sind Briefe des von den Zeitgenossen hochgeschätzten
Domscholasters Meinhard von Bamberg. Meinhard ist
der wichtigste Briefautor der Salierzeit; er zeigt sich in seinen
Briefen als Ciceronianer und Humanist, christliche und klassische
Bildung sind ihm eine Einheit. Meinhard gebührt ohne Zweifel
in der Bildunpsgeschichte Deutschlands ein nicht unwichtiger Platz.
Der Literaturhistoriker wird seine Briefe mit Gewinn benutzen.
E. selbst hat in der Zeitschr. f. d. Altertum 73 1936 mit Meinhards
Briefen Ezzos Gesang kommentiert und gezeigt, daß H 62 und
H 73 einen Einblick in die Geschichte der Heldensage und des
Spielmannsgesanges geben: ia aus beiden ebengenannten Briefen
eeht hervor, daß Bischof Gunther, von dessen Vorliebe für fa-
bulae curiales, Etzel und Amalung gesprochen wird, sehr wahrscheinlich
Anreger von Ezzos Gesang ist. Für eine künftige Geschichte
der mittelalterlichen Kunstprosa wichtic sind die Briefe
H 79 und H 105, die zeigen, daß die Bamberger Schule etwas vom
oratorischen Numerus gewußt hat, der bisher im Mittelalter nicht
gefunden worden ist. —

Neben den Meinhardschen Briefen der Hannov. Hs. druckt E. das
von ihm 1930 gefundene und bereits 1931 im NA 49 veröffentlichte
Briefcortms Meinhards aus der Hs. Paris lat. 2903 (= M 1—36). sechs
Briefe Meinhards aus dem Codex Udalrici CM 37—38, 40—43; bei zwei
Briefen davon. M 42 und 43. ist die Verfasserschaft Meinhards zweifelhaft
und dis WMnwngsschreiben von Meinhards Traktat De fide aus
einer Pariser Hs. CM 39). Briefe Meinhards sind weiterhin zwei Briefe
der SoMuflgniPne der Hannnv. Hs. *H 105 und 106) und zwei Briefe der
Hildesheimer Sammlung (H 26 und 58).

Die dritte Gruppe des Codex III d«r Hannov.Hs. (H 82—104)
bildet das Briefcorpus des Berengar von Tours, des schroffen
Gegners der gregorianischen KirAenreform und des durch seine
Methode und Abendmahlslehre heftig diskutierten Scholastikus.
Von den 22 Briefen haben 14 Berengar zum Absender, 2 zum
Empfänger, 6 sind von seinen Beschützern versandt. In den Anmerkungen
der Ausgabe zeigt E., daß die 6 Briefe der Beschützer
Berengars in der Phraseologie weitgehende Gemeinsamkeiten mit
Berengars Schriften und Briefen haben und auf Berengar als Verfasser
zurückgehen. Daß der Brief des Grafen Gottfried Martell von
Anjou an den Archidiakon Hildebrand (H 87) erst nach dem
Tode des Grafen von Berengar selbst geschrieben worden ist, hat
Erdmann überzeugend in Quellen und Forschungen a. ital. Arch.
u. Bibl. 28 1937/38 nachgewiesen. Ob aber auch sämtliche Papstbriefe
zugunsten Berengars, zwei Schreiben Gregors VII. und
vier Briefe Alexanders IL, auf Berengar als Verfasser zurückgehen
, wie E. in QuF meint, wird heute bezweifelt (vgl.
R. W. Southern, Lanfranc of Bec and Berengar of Tours, in:
Studies in Medieval Hist., presented to F. M. Powicke, Oxford
1948, 27 ff.; F.Heer, Aufgang Europas, Wien-Zürich 1949, 531).
Ein wirklicher Beweis gegen Erdmanns These und eine überzeugende
andere Erklärung der Begünstigung Berengars durch die Päpste
Gregor und Alexander, der unter dem starken Einfluß Hildebrands
stand, sind aber noch nicht gelungen. Man könnte einen Augenblick
an den aufrührerischen ketzerischen Priester Ramihrdus
als Parallelfall denken, dessen Flammentod Gregor beklagt und
als Unrecht empfindet (Reg. IV, 20, MG Epp. sei. 328). Aber die
Dinge liegen doch anders, des Ramihrdus Kampf förderte Gregors
Gedanken von der Würde des Priestertums, Berengars Ansichten
schädigten sie. Wahrscheinlich sah Gregor in Ramihrdus, dessen
ketzerische Tätigkeit bezeugt ist (Chron. S. Andr. III, c. 3, MG
SS. 7, 540), einen Verteidiger der Reform. (Chr. Dawson hat —
in: Religion and the Rise of Western Culture. London 1950 —
über die Möglichkeit der Verwechslung der Reform- mit der Ketzerbewegung
gehandelt und auch am Beispiel Arnolds von Brescia
den Übergang von Rechtgläubigkeit zur Ketzerei dargestellt.