Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1954

Spalte:

475-476

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Religion und Kultus 1954

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

475

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

476

men könnte. Dabei sind wesentliche durchgängige Phänomene
des Religiösen zu kurz gekommen, wie z. B. das der Mystik, das
keineswegs durch die knappe Konfrontierung mit dem Prophetismus
die rechte Würdigung seiner geschichtlichen Bedeutung erfährt
. Die Prägung neuer termini technici bzw. die Füllung alter
termini mit einem neuen, spezifisch „religionswissenschaftlichen"
technischen Inhalt ist gewiß eine verdienstliche Aufgabe, bleibt
aber zunächst einmal auch wieder im Stadium eines Experimentes
haften, dessen Ausgang noch ungewiß erscheint. Manchen Ausdrücken
würde man lieber nicht mehr begegnen, weil sie zu sehr
abgegriffene Münze geworden sind, so etwa der Behauptung, „daß
das germanische Handeln vielfach heroischen Charakter
trägt, wenn es der notwendigen Selbstbehauptung gegenüber der
ständig den germanischen Menschen umgebenden Bedrohung gilt."
(S. 77; Sperrung vom Ref.). Ist denn nur der germanische Mensch
bedroht? Und wenn ja, warum trägt gerade sein Abwehrhandeln
heroischen Charakter? Im übrigen schreibt Mensching, was besonders
hervorgehoben sei, eine flüssige und einprägsame Sprache,
die die Lektüre seiner Werke angenehm und anziehend selbst bei
diffizilen Materien macht.

Alles in allem: ein wagemutiger und anregender und deshalb
dankbar aufzunehmender Versuch, in Neuland vorzustoßen oder
Neuland abzugrenzen und aufzugliedern. Dankbar aufzunehmen
auch von dem, der das Gebiet anders umgrenzt und verteilt
sehen möchte.

Marburg/Lahn Kurt Goldammer

ALTES TESTAMENT

Mowinckel, Sigmund: Religion und Kultus. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1953. 164 S. gr. 8°. Hlw. DM 9.80.

Eingerahmt von einer Einleitung (S. 7—10), die dem Buche
die Aufgabe zuweist, den Kultus als Erscheinungsform der Religion
überhaupt und der Religion des Alten Testaments insbesondere
darzustellen, und von einem Rückblick (S. 136—137), der
betont, daß jede Religion eine Größe eigener Art ist und daß
doch alle Religionen ein Gemeinsames, einen Anteil an der
„Logos-Saat", haben, löst das Korpus des Buches die diesem gestellte
Aufgabe durch Darbietung von neunzehn Betrachtungen
mit diesen Überschriften: Was ist Kultus? (S. 10—13); Das magische
Weltbild (S. 13-27); Magie und Religion (S. 27-30); Das
Heilige (S. 30—35); Die heiligen Mächte (S. 35-49); Die Gemeinschaft
. — Gott und Gemeinde (S. 49—53); Die festen Ordnungen
(S. 53-59); Das Ziel des Kultus (S. 60-69); Der Kreislauf
. Die Erneuerung des Lebens (S. 70—73); Das schaffende
Drama (S. 73—80); Unreinheit, Sünde, Reinigung (S. 80—90);
Prophetie und Mystik (S. 90—94); Der Kultmythus; der Glaube
und das Bekenntnis (S. 94—98); Die kultischen Handlungen (S.
98-108); Die kultischen Worte (S. 108-115); Das Gebet und
der Psalm (S. 115-121); Kultus und Moral (S. 121-124); Dai
religiöse Erlebnis (S. 125—127); Das Problem des Ursprungs der
Religion (S. 127—136). Fast 400 Anmerkungen (S. 1 38—154) untermauern
die Darstellung durch Nennung von Quellen-Belegen
und Literatur und werden dabei durch den am Ende des Buches
(S. 164) gegebenen Hinweis auf allgemeine Literatur wie religionswissenschaftliche
Enzyklopädien und Darstellungen der Allgemeinen
Religionsgeschichte unterstützt. Sachregister (S. 155—
162) und Verfasserregister (S. 163—164) erleichtern die Auffindung
der in dem Buch verarbeiteten vielen Einzelheiten.

Das Buch ist die reife Frucht einer fünf Jahrzehnte umspannenden
unermüdlichen Beschäftigung mit dem Alten Testament,
mit den Religionen des Antiken Vorderen Orients und mit der
Geschichte der Religionen überhaupt und legt zugleich, ohne
irgendwie aufdringlich zu wirken, von der Verbundenheit des
Autors mit seinem Gegenstand, davon, daß er nicht nur weiß,
was Religion ist, sondern auch Religion hat, beredtes Zeugnis
ab. Dabei werden, so sehr beides als notwendige Vorbedingung
wirklichen Verständnisses religiöser Phänomene beurteilt wird,
die Bereiche wissenschaftlicher Erkenntnis der Religion und persönlicher
Anteilnahme an ihr doch sauber auseinandergehalten

„Die Wissenschaft. . . kann . . . nicht weiter als bis zu der Aussage
gelangen, daß die Religion ,sich entwickelt hat' oder ,entstanden
ist' aus der Anlage in Verbindung mit diesen und jenen
seelischen und biologischen Bedingungen. Die Wissenschaft kann
ja nur mit immanent-weltlichen Gegebenheiten rechnen, denn
ihre Fähigkeit zur Kontrolle erstreckt sich nicht weiter, und über
die Möglichkeit solcher mit den Sinnen erfaßbaren Kontrolle
will sie nicht hinausgehen" heißt es S. 133, und S. 135 wird das
dahin ergänzt: „Die Frage nach dem Ursprung der Religion stößt
— wie alle Fragen nach den innersten Wirklichkeiten — auf eine
Grenze, wo die wissenschaftliche Erklärung am Ende ist. Aber
damit steht sie nur am gleichen Punkt wie die Frage, was das Leben
oder der Sinn des Lebens usw. ist. Dann wird vom Gesichtspunkt
der Kausalität aus zu dem der Werte und der Teleologie
verwiesen. Die Frage nach dem Wesen des Lebens wird schließlich
zur Frage nach seinem Sinn und Ziel. Und erst von dort her
kann die Frage nach dem Ursprünge beleuchtet werden, jedoch
nicht mehr durch das genetische Licht der Wissenschaft, sondern
durch das empfangende des Glaubens".

Heraushebung der Darlegungen, die besonderen Anspruch
auf Beachtung haben, ist hier ebenso unmöglich wie Kennzeichnung
der Einzelheiten, die nicht ohne weiteres Gefolgschaft zu
verdienen scheinen oder gar zu Widerspruch Anlaß geben. Was
das letztere angeht, so darf aber doch ein Einwand allgemeinerer
Art nicht unterdrückt werden. Wie ein erheblicher Teil der wissenschaftlichen
Veröffentlichungen Mowinckels überhaupt, so
stellt auch das vorliegende Buch einen bewußten Gegenschlag
gegen die im Protestantismus weithin übliche Unterschätzung
des Kultus und seiner Bedeutung in der Religionsgeschichte dar.
Daß die damit gegebene Korrektur vieler älterer Auffassungen,
etwa in der Erklärung des Psalmenbuches und der Prophetenbücher
, einen großen Fortschritt der Forschung darstellt, ist gewiß
, und Mowinckels Leistung auf diesen Gebieten kann kaum
hoch genug veranschlagt werden. Aber nun ist, wie das wohl zu
geschehen pflegt, bei ihm das Pendel zu weit nach der anderen
Seite ausgeschlagen und dem Kultus eine Bedeutung zugewiesen,
die er in Israels Religionsgeschichte in Wahrheit nicht gehabt hat.
So wird — die Anführung dieses einen Beispiels muß hier genügen
— die S. 126 f. vorgeschlagene Erklärung des 73. Psalms
aus dem Kultus, die von dessen Beter sagt: „Er hat die Wahrheit
und Stichhaltigkeit seiner ganzen Religion durch seine Teilnahme
an dem Kultus im Tempel erlebt" außer dem Rezensenten
gewiß auch manchem anderen Leser des Buches als ein durch
die Übertreibung des Prinzips, die Psalmen aus dem Kultus heraus
zu verstehen, veranlaßter Mißgriff erscheinen.

Trotz solcher Bedenken bleibt es dabei, daß Mowinckels
neues — von Albrecht Schauer gut aus dem Norwegischen ins
Deutsche übersetztes — Buch als reife Frucht langer und gründlicher
und hingebungsvoller Beschäftigung mit dem Gegenstand
dem Leser viel, sehr viel zu sagen hat und daß ihm eine weite
Verbreitung zu wünschen ist. Insbesondere darf man hoffen, daß
die Theologie-Studierenden es durcharbeiten, um sich so die Augen
öffnen zu lassen für die Mannigfaltigkeit und Ähnlichkeit
der religiösen Phänomene in der Welt überhaupt ebenso wie für
die besondere Art der biblischen Religion. Vielleicht empfängt
der eine oder andere durch die Mitteilung der folgenden beiden
auf S. 135 des Buches stehenden Absätze den Anstoß, es wirklich
zur Hand zu nehmen und zu lesen: „In der Religion handelt es
sich um ,das ganz Andere'. Daher kann die Religion von diesem
.Etwas', von diesem ,Er', von diesem ,Du' und seinem Werk nur
in der Sprache des Bildes, des Symbols reden. Daher ist die Bilder
- und Symbolsprache des .Mythus' die angemessene Sprache
der Religion".

Deshalb kann die Religion, auch das Christentum, nicht
.entmythologisiert' werden. Eine gewisse vorläufige .Entmytho-
logisierung' und Rationalisierung darf als ein Stadium auf dem
Wege vorgenommen werden. Das gehört aber in das Gebiet der
Seelsorge und der seelsorgerischen .Apologetik' dem sogenannten
.modernen Menschen' gegenüber, in die konkrete Situation,
Mensch zu Mensch. Der weitere Weg führt aber zum .Mythus'
zurück".

Halle/Saale Otto Ei ß fei dt