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Ausgabe:

1954

Spalte:

473-475

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mensching, Gustav

Titel/Untertitel:

Vergleichende Religionswissenschaft 1954

Rezensent:

Goldammer, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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Phasen, die al-Ghazäli auf der Suche nach der Wahrheit durchschritten
hat: den kindlichen Autoritätsglauben, das kritische
Studium der philosophischen Systeme, das Versinken in Skepsis
und Zweifelsucht, und schließlich das Erlebnis Gottes in der Verzückung
. Die zweite Schrift „Der Beginn der Rechtleitung"
(Bidajat al=hidaya) ist eine Anleitung zum gottseligen Leben
und zeigt, wie sehr sich al-Ghazälis Glaubensinnigkeit trotz aller
mystischen Ekstase mit einer Einordnung in die überkommenen
Formen muslimischer Lebensführung verträgt, so daß der Übersetzer
nicht ungeschickt al-Ghazälis Ideal mit dem eines Tertiariers
mit besonders strenger Ordensregel vergleicht. Beide Übersetzungen
sind wohlgelungen und vermitteln dem Leser einen
Einblick in die Gedankenwelt des Verfassers. Daß seine bei aller
Größe unvermeidliche Abhängigkeit von den Anschauungen und
Bedingungen seiner Zeit und Umwelt in der knappen Einleitung
nicht recht zur Geltung kommt, fällt bei dem spezifischen Charakter
der Sammlung nicht ins Gewicht.

Halle/Saale J. W. Fiick

Henninger, Josef, S. V. D.: Spuren christlicher Glaubenswahrheiten
im Koran. Schöneck/Bcckcnricd/Schweiz: Neue Zeitschrift für Mis-
sionswiss. 1951. III, 135 S. gr. 8° = Schriftenreihe der Neuen Zeitschr.
f. Missionswiss. X. Kart. sFr. 7.50.

Die in diesem Buche zusammengefaßten Artikel, die zuerst
in der „Neuen Zeitschrift für Missionswissenschaft" erschienen
sind, behandeln nach dem Vorwort in „zwangloser Folge christliche
Dogmen in ihrer Beziehung zum Koran", wobei es dem Vf.
darauf ankommt, „die zweifellos christlichen Bestandteile in der
Verkündigung Muhammeds hervorzuheben, als Anknüpfungspunkte
für das religiöse Gespräch und die christliche Lehrverkündigung
gegenüber Muhammedanern" (S. 1). Dieser missionarische
Standpunkt, welcher die Dogmen der römisch-katholischen Kirche
als geoffenbarte Wahrheiten voraussetzt und dann im Koran nach
Parallelen sucht, entrückt dies Buch — trotz der reichlich eingestreuten
Zitate aus der abendländischen islamkundlichen Literatur
— wissenschaftlicher Kritik und reiht es in die lange Reihe
polemischer Schriften ein, in denen Vertreter der römisch-katholischen
Kirche seit den Tagen des Thomas von Aquin versucht
haben, die Lehren des Islams mit rationalen Mitteln als irrie und
die ihrer eigenen Kirche als wahr zu erweisen. Das Buch schließt
mit den Worten „Einstweilen ist unsere Stellung gegenüber den
Bckennern des Islams die gleiche, wie sie Paulus gegenüber seinem
Volke einnehmen mußte", worauf Römerbrief 10, 1-4 zitiert
wird. So wenig wie die Juden den Weg zum Christentum
Befunden haben, so ergebnislos war aufs ganze gesehen die Mu-
hammedanermission, und es ist nicht anzunehmen, daß des Verfassers
Polemik daran etwas ändern wird.

Halle/Saale !■ w". Fück

Mensching.Gustnv: Vergleichende Religionswissenschaft. 2.,ne*"
boarb. Aufl. Heidelberg: Quelle* Meyer 1949. 208 S. 8° = Hoch-
schulwiss. in Einzcldarst. Pp. DM 6.80.

Verf. bemerkt selbst im Vorwort zur 1. Auflage des bereits
'"37 erschienenen Buches, daß über „Methoden und Arbeitsgebiete
" der Vergleichenden Religionswissenschaft „noch keineswegs
Einstimmigkeit herrscht", und daß er den Versuch unternehme
, „einen systematischen Aufbau der vergleichenden Religionswissenschaft
in aller gebotenen Kürze zu bieten". Andereres
kann er im Vorwort zur zweiten Auflaee das Gebiet^ dieser
Wissenschaft als das seiner „eigensten Forschungsarbeit" bezeichnen
und auf eine Reihe von eigenen Veröffentlichungen
hinweisen, die ihn zu Umgestaltungen und Erweiterungen der
'« Auflage veranlaßt haben. Das spezifische Anliegen dieser so
befaßten „Religionswissenschaft" ist für Mensching wieder „das
verstehen".

Sieht man sich den Inhalt näher an, so findet man folgende Aufgliederung
des gesamten, von M. derart bezeichneten Wisscnschafts-
berciches: Nach gcsdiichtlichcn und methodischen ..Vorfragen" bringt
der erste Teil eine „Typologie der Religionen", bei der die Veränderung
Reccniibcr der I. Auflaee besonders ins Auge fällt. War sie dort nach
r:,ssischcn Gesichtspunkten geordnet, also nach einem anthropolo?isch-
^hnologischen. quasihistorischen Schema, so sind nunmehr die Kriterien
des Systems aus den vorfindlichen geschichtlichen Religionskreisen als

eine Art von Leitmotiven zu erheben versucht worden, bezeichnet als
die jeweilige „Lebensmitte" der Religionen. Sachlich sind aber in den
so beschriebenen Religionskreisen keine Veränderungen vorgenommen
worden, außer daß eine ganz knappe Beschreibung der primitiven Religiosität
hinzugetreten ist. Das alte Schema wurde also im Grunde unter
systematischen Titeln gewahrt. Der zweite Teil gibt eine „Typologie
der Erscheinungsformen der Religion", umfassend das Heilige, den Gottesumgang
, die Gottes-, Menschen- und Weltvorstellung. Der dritte
Teil schließlich versucht, „Strukturen und Lebensgesetze der Religion"
bloßzulegen. Darunter werden „Strukturen", „Entwicklungen" und
„Erlebnisse" in der Religion verstanden.

Das Buch bietet zahlreiche Probleme. Man sieht sich vor die
Frage nach Gegenstand und Methode der darzustellenden „Wissenschaft
" gestellt, die, wie ja Verf. selbst einführend gesteht,
keineswegs eine festliegende Größe ist, über die irgendwelche
Übereinstimmung bestünde. Das, was sich hier als „Religionswissenschaft
" darbietet, könnte man vielleicht auch als „Religi-
onsphänomenotypologie" bezeichnen. Denn scheint nicht die
heutige Entwicklung derjenigen Disziplinen, die sich mit „Religion
" im theologischen und außertheologischen Räume befassen,
gebieterisch zu fordern, daß „Religionswissenschaft" der übergreifende
Ordnungsbegriff für eine Reihe von speziellen und sehr
konkreten, methodisch längst ausgebildeten und festgelegten
Fächern sei? Unter „Religionswissenschaft" sollte man m. E. —
ähnlich wie unter „Theologie" — Einzeldisziplinen zusammenfassen
, wie Religionsgeschichte, Religionsphänomenologie, Religionspsychologie
, Religionsphilosophie, Religionssoziologie, die
als Teilgebiete einer großen Wisssenschaft gelten können. Und
für das hier gebotene System (das wieder die Neigung und
große Befähigung Menschinps zum systematischen Vorgehen in
dem in Frage stehenden Gebiet bekundet) sollte man lieber
einen anderen Namen wählen. Zu klären wäre auch auf breiterem
Räume die Frage nach dem Verhältnis der — so oder so verstandenen
— Religionswissenschaft zur (christlichen) Theologie,
die sowohl als eines ihrer Gebiete wie auch als einer ihrer Gegenstände
aufgefaßt, sicher aber nicht völlig von ihr gelöst werden
kann. Diese Fragestellung sprengt natürlich die Grenzen
eines kleinen Handbuches wie des vorliegenden.

Das was M. unter „Religionswissenschaft" versteht, ist also etwas
anderes als ein wissenschaftlicher Oberbegriff, etwas Neues. Selbständiges
, Systematisch-Spekulatives. Verf. ist dabei nicht ohne Vorläufer,
vor allem nicht unter den Vertretern und Darstellern der Religions-
phänomenoloeie. Man wird daher über Gegenstand und Methode der
hier entwickelten Wissenschaft einfach deshalb nicht streiten können,
weil sie noch nicht festliegen. Es dürfte aber eine der ersten Voraussetzungen
für die Beseitigung der Unsicherheit auf diesem Hingen Wissenschaftsgebiete
sein, daß endlich einmal eine diesbezügliche Abklärung
erfolgt, weil gerade die Bezeichnung „Religionswissenschaft" nicht
nur Ausdruck ernsthafter Bemühung und Besinnung war, sondern immer
wieder zur Deckung allen möglichen Mißbrauches hat herhalten müssen,
bis hinein in die allerjüngste Zeit.

Hinsichtlich des Inhaltes des Menschingschen Buches und
seiner Einzelheiten sind natürlich noch weit mehr Fragen aufzuwerfen
. Es versteht sich, daß die Bildung vor allem von
„Typologien" dem Subjektiven und der schöpferischen Willkür
weiten Spielraum läßt, da sie mindestens ebenso mit Hilfe der
Intuition und der spekulativen Systematik wie mit den Resultaten
gesicherter geschichtlicher Erkenntnis vollzogen wird. Diesen
Vorbehalt wird man insbesondere dem ersten Teil mit seinen
„Lebensmitten" der Religionen gegenüber geltend machen, an
denen der Verf. auch — wie die Veränderungen gegen die 1. Auflage
zeigen — am meisten gearbeitet hat. Manchmal hat man die
Sorge, daß „Religionswissenschaft" in Menschings Verständnis
sich zu einer Art von Theologieersatz auswadisen könnte. Der
Wille zur formelhaften Prägnanz ist lobenwert, beschwört aber
auch die Gefahr unzulässiger Vereinfachung und damit der von
vornherein beschränkten Gültigkeit der Aussage herauf. Mögen
die Charakterisierungen der einzelnen Religionen auch richtig
sein, — sind sie deshalb auch zutreffend und zureichend
? Vor diese Frage sieht man sich auf Schritt und Tritt in
diesem Buche gestellt, das im Banne des didaktischen Willens zur
knappen und klaren Aussage über Dinge steht, die man auf so
beschränktem Räume vielleicht gar nicht knapp und klar wiedergeben
kann. Man fühlt sich manchmal versucht zu sagen, daß der
Verf., was er mit der einen Hand gibt, mit der anderen wieder
nimmt, bzw. daß wenigstens er oder ein anderer es wieder neh-