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Ausgabe:

1954

Spalte:

472-473

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Watt, William Montgomery

Titel/Untertitel:

The faith and practice of al-Ghazálí 1954

Rezensent:

Fück, Johann

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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in die Erforschung ihrer formalen und geistigen Bildekräfte. Es
gibt Dinge, die sich so, wie sie entstanden und damit verwirklicht
sind, weder aus der Botschaft Jesu noch aus jüdischen oder
griechischen Ansätzen ableiten lassen, die jedoch aus ägyptischen
Tatbeständen und Wirkungen ohne weiteres begreiflich werden.
Ägypten hat mitgewirkt an der Gottheit lebendigem Kleid. Mir
scheint sogar, der Anspruch Ägyptens reiche wesentlich weiter,
und man müsse seine Kulturwelt schlechthin als eine Bildungsmacht
für das Abendland bezeichnen. Für die bildenden Künste
galt das seit Jahrhunderten und gilt es in unseren Tagen fort;
dafür ist jeder Museumsleiter Zeuge, der den Besuch von Künstlern
empfängt. Seit aber die Ägyptenwissenschaft eine hinlänglich
klare und umfangreiche Rechenschaft von der ägyptischen Geschichte
und vielen ihrer Äußerungen abgelegt hat, gilt es in dem
umfassenden Sinne, daß eine grandiose und in ihren Werken an-
schaubare und begreifliche historische Selbstverwirklichung für
den Schauenden und Begreifenden zwangsläufig zur Bildungsmacht
wird. Viele Anzeichen an Universitäten und Schulen, nicht weniger
aber in der sogenannten Laienwelt, deuten darauf hin, daß
Ägypten im Begriffe ist, als Bildungsmacht in eine kühne Nähe
zur klassischen Antike zu rücken.

In dieser Situation gewinnen Darstellungen ägyptischer Geschichte
besonderes Gewicht. Sie gewinnen es namentlich dann,
wenn sie sich an einen größeren Leserkreis wenden, wie Ottos
handliches Büchlein, das Tatsachenwissen weniger voraussetzt als
vermittelt. Hier ist Geschichte in ihrem äußeren Verlauf gewissenhaft
, dabei nötigenfalls mit vorsichtiger Zurückhaltung erzählt
. Aber der Blick wird stets auch auf die inneren historischen
Bildekräfte gerichtet, und es wird beständig versucht, das geschichtliche
Werden aus Kräften und Gesetzen verstehen zu lehren
. Die Grundposition des Autors ist die einer geistesgeschichtlichen
Betrachtung im schlichten, guten Sinn des Wortes. Sie wird
faßbar etwa in dem Satz, der von Schrift und Zeitrechnung sagt
(S. 41): „Beides sind nicht Einfälle, die beiläufig und spielerisch
gemacht worden sind, sondern es sind wahrhafte Entdeckungen, die
genau zu dem Zeitpunkt dem menschlichen Geist gelangen, als
er ihrer bedurfte." Obwohl die historischen Linien nicht unerlaubt
vereinfacht werden, geht dem Leser der umfangreiche Stoff
fast mühelos ein, weil ein anständiges Deutsch das Lesen zur
Freude macht und das Behalten erleichtert. Das Büchlein kann
also jedem empfohlen werden, der sich über ägyptische Geschichte
zuverlässig und nach jetzt gültigem Wissensstande unterrichten
will.

Es ist unmöglich, aber auch unnötig, den Inhalt wiederzugeben,
also die ägyptische Geschichte nachzuerzählen. Ich sage nur, daß das
Büchlein primär politische Geschichte darstellt, aber Erscheinungen wie
Religion, Kunst, Schrift usw. ebenfalls kurz zur Sprache bringt. Daß kulturgeschichtliche
Fakten wie Sdirift und Zeitrechnung, statt in eigenen
Kapiteln abgehandelt zu werden, innerhalb der historischen Darstellung
der Frühzeit rangieren, rechtfertigt sich aus einer im Vorwort formulierten
Einsicht: Sie sind in der Tatsache ihrer Entstehung „Geschichtsquellen
" und machen für die Zeit ihrer Entstehung eo ipso geschichtliche
Aussagen. Im übrigen beschränke ich mich auf einige (vorwiegend kritische
) Bemerkungen zu den für Theologen besonders wichtigen Kapiteln
V (Hyksos) und VII (Spätzeit). Einer der unterägyptischen Teilfürsten
kurz vor den Hyksos trägt den Titel Mermeschau „General"
als Königsnamen (S. 134); man wird dabei an eine entsprechende Erscheinung
im Alten Testament erinnert: „David" ist ursprünglich offenbar
kein Name, sondern bezeichnet den „Freischarführer" oä. (vgl.
W. v. Soden, Das altbabylonische Briefarchiv von Mari = Die Welt des
Orients I 1948, S. 197, ferner den Bericht von H. Schmökel in Jahrg. 75,
1950, Sp. 689/90 dieser Zeitschrift). Was die Hyksos selbst anlangt, so
wird man künftig die Mari-Texte, aber auch gewisse ägyptische Ächtungstexte
für die Rekonstruktion des Geschichtsbildes heranziehen
müssen. A. Alt hat es in einem noch nicht erschienenen Akademie-Vortrag
getan; ich durfte seine Erwägungen in meiner historischen Skizze
■ •Ägypten und das Berliner Ägyptische Museum" (1953, S. 40 f.) berücksichtigen
. Zu unverbindlich sind Ottos Äußerungen über den Aufenthalt
von Israelstämmen in Ägypten (S. 136, auch S. 182); hier hätte
auf Bemühungen der alttestamentlichen Wissenschaft und die Möglich-
keit gewisser Ansctzungen wenigstens hingewiesen werden sollen (etwa
auf H. H. Rowley, From Joseph to Joshua, 1948, vgl. dazu die Rezension
von O. Eißfeldt in Jahrg. 76, 1951, Sp. 281/5 dieser Zeitschrift).
Die in diesem Zusammenhang wichtigen „Apiru" leben zwar in der Bezeichnung
„Hebräer" fort, doch ist damit keinesfalls ein Stamm (S. 168),
sondern eine soziale Gruppe gemeint. In diesem Zusammenhang darf ich
sagen: So stark Ottos Buch als ägyptologische Leistung ist —gerade an I

einem guten Buche wird schmerzvoll deutlich, daß die Wissenschaft von
der Geschichte des Alten Orients die großartige Geschlossenheit nicht
mehr besitzt, die sie einst im Lebenswerk Eduard Meyers offenbart hat,
und daß dieser Verlust augenscheinlich eine wissenschaftsgeschichtlichc
Unabwendbarkeit ist. Handelt es sich hier um prinzipielle Feststellungen
(durchaus nicht um Vorwürfe!), so beschränken sich Bemerkungen zum
Kapitel über die Spätzeit auf Einzelheiten. Wesentlich und besonders
gut formuliert ist die Einsicht in die „Gewaltenteilung" zwischen Gott
und König im Zeitalter des sogenannten Gottesstaates (S. 214/5). Für
Verhälthisse der Äthiopenzeit und namentlich für die Regierung Ta-
harkas wird dem Theologen jetzt Janssens Aufsatz willkommen sein-
Que sait-on actuellement du Pharaon Taharqa = Biblica 34, S. 23 ff.
In diesem Abschnitt sind übrigens zwei Stellenangaben durch Drude-
fehler verdorben (S. 277 Anmerkungen 1 und 3 zur Äthiopenzeit: Lies
jeweils Urk. III, nicht VII). Die Spannungen in der Tradition vom persischen
Erobererkönig Kambyses würde ich nicht nur von verschiedenen
Standpunkten der Überliefernden her erklären; audi der historische Verlauf
, der in Ägypten durchaus nicht alle Blütenträume des Persers reifen
ließ, ist als Faktor zu berücksichtigen, dh. wir haben mit einer tatsächlichen
Wandlung des Verhältnisses von Kambyses und Ägypten zu
rechnen. In dem „Klassizismus" (bzw. „Ardiaismus") der Spätzeit zeigt
sich neben dem Alten und Mittleren Reich auch die 18. Dynastie als
eine (selbständige) Epoche von Leitwert (vgl. zB. A. Scharff, Bemerkungen
zur Kunst d. 30. Dynastie = Miscellanea Gregoriana 1941,
S. 195 ff.). Die Sprachgrenze zwischen Ägyptern und Griechen wird zu
streng gezogen (S. 256); tatsächlich gab es einen breiten Grenzsaum der
Zweisprachigkeit (Einiges bei Morenz, Handbuch d. Orientalistik I 2,
1952, S. 196); hier wird übrigens die Hellenisierung der ägyptischen
Sprache vorbereitet, die sie in koptischer Zeit kennzeichnet. Die Transponierung
politischer Verhältnisse ins Mythische, die Verwendung des
Mythus zur Darstellung politischer Tatbestände, die in der griechischen
Zeit (Horus von Edfu) so klar in Erscheinung tritt (S. 259/60), fordert
den Vergleich zu dem entsprechenden Brauch in der griechischen Bildkunst
heraus; es wäre reizvoll, dem einmal nachzugehen. Mit alledem
soll der vorzügliche Eindruck nicht verwischt werden, den gerade das
(Schluß-)Kapitel über die Spätzeit macht. Man spürt vor allem den Seiten
über die Welt- und Lebensanschauung des späten Ägypters eine gediegene
Kenntnis des Quellenmaterials ab, die sich auf eigene, z. Zt.
noch unveröffentlichte Textstudien gründet.

Leipzig Siegfried Morenz

Watt, W. Montgomery: The Faith and Practice of al-Ghazäli. London
: Allen &Unwin [1953]. 155 S. kl. 8° = Ethical and Religious
Classics of East and West, s 9/6.

Kein islamischer Theologe hat die Aufmerksamkeit der modernen
Forschung in so hohem Maße auf sich gezogen wie al-
Ghazäli (1058—1111). Das umfangreiche Schrifttum, das sich mit
ihm und seinem Lebenswerk beschäftigt, hat immer deutlicher
seine beherrschende Stellung in der islamischen Geistesgeschichte
und seinen bis in die Gegenwart reichenden Einfluß erkennen lassen
. In einer stürmischen Zeit lebend, in welcher das sunnitische
Kalifat von Bagdad immer mehr in die Thronstreitigkeiten der
Seldschukensultane hineingezogen ward, während sein Bestand
von innen durch die Wühlarbeit der für das schiitische Gegenkalifat
der Fatimiden von Kairo tätigen Assassinen und von außen
durch den ersten Kreuzzug bedroht war, hat al-Ghazäli die
starre Buchstabengläubigkeit der Orthodoxie, den blutleeren
Intellektualismus der scholastischen Dogmatik, die unfruchtbare
Kasuistik der kanonischen Rechtsschulen und schließlich den Extremismus
der pantheistischen und anomistischen Mystik überwunden
und den sunnitischen Islam mit neuem Leben erfüllt, indem
er die unbezweifelbare Gewißheit der Glaubenserfahrung,
welche er selbst in mystischer Verzückung erlebt hatte, gegen alle
Einwände und Zweifel menschlicher Vernunft sicherzustellen
wußte. Dabei beruht die starke Anziehung, welche er seit jeher
auf religiöse Naturen ausgeübt hat, in seiner einzigartigen Fähigkeit
, das Wesentliche der mystischen Religiosität in Gedanken zu
fassen und in Worte zu kleiden, und auf dieser Grundlage das
System einer religiösen Weltanschauung und Lebenshaltung aufzubauen
.

Es ist deshalb berechtigt, daß in einer Serie, welche die Klassiker
der Religion aus Ost und West suchenden Laien aller Stände
nahebringen will, der große Erneuerer des Islams mit zwei
Schriften zu Worte kommt, deren Bearbeitung den sachkundigen
Händen des Edinburgcr Arabisten W. M. Watt anvertraut
wurde. Die erste Schrift „Die Befreiung vom Irrtum (abMunqid
min ad'dalal) ist eine Art Selbstbiographie und schildert al'.e