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Ausgabe:

1954

Spalte:

463-468

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Pankarpeia 1954

Rezensent:

Irmscher, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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mit Recht gegen die Vermischung von Geistlichem und Weltlichem
, wie sie in der Hierarchie vorliegt; er hat einen stark antirömischen
Affekt. Aber verkennt er nicht, daß geistliche und weltliche
Gewalt wohl in ihren Zuständigkeiten verschieden, aber in
ihrem Wirken einander zugeordnet sind? Mißdeutet er nicht den
neutestamentlich-reformatorischen Gegensatz der beiden Reiche
(geistlich und weltlich), indem er ihn verabsolutiert? Daher rührt
sein scharfes Urteil über die drei protestantischen Kirchenrechtssysteme
mit der Begründung, daß in diesen entweder geistliche
und weltliche Gewalt miteinander vermengt11 oder die Kirche, die
doch geistlich ist, ihrem Wesen zuwider an die weltliche Gewalt
ausgeliefert werde". Jenes habe der Episkopalismus, dieses der
Territorialismus und Kollegialismus getan. Diese Systeme werden
aber vielmehr, wie jetzt nicht gezeigt werden kann", als geschichtlich
bedeutsame Versuche zu würdigen sein, geistliche und
weltliche Gewalt in der Unterschiedenheit ihrer Zuständigkeiten
einander zuzuordnen. Daß sie von bestimmten geschichtlichen
Voraussetzungen ausgehn, ist in der Sache begründet. Daß diese
Voraussetzungen heute nicht mehr gelten, muß von uns für unsere
kirchenrechtliche Arbeit beachtet werden, setzt aber jene
Systeme nicht nachträglich ins Unrecht. Sohm läßt für das Kirchenrecht
nur die negative Konsequenz der Zwei-Reiche-Lehre
gelten: Entweder gibt es eine Instanz, die über die Sündenvergebung
rechtlich verfügen kann, m. a. W. eine Hierarchie, oder
es gibt kein Kirchenrecht; aut Papa aut nihil. Da nun Sündenvergebung
und Rechtfertigung durch Wortverkündigung und
Geistmitteilung geschenkt werden, folgert Sohm, daß es nur pneumatische
, nicht juristische Kirchenordnung geben kann, daß aus

") Kirchenrecht l.Bd., 1892, S. 67210.
") aO. S. 673 ff.

") Näheres in meiner Halleschen Antrittsvorlesung ZsystTh XXII,
1954, 335 ff.

FESTSCHRIFTEN

[Grt;oire:] — TTATKAPTJKJ A — Melanges Henri Gregoire. Vol.
I—III. Bruxelles: Secretariat des £ditions de 1'InsHtut de Philologie et
d'Histoire orientales et slaves 1949—1951. XXXIX, 640 S., 1 Titelb.,
7 Taf. + LXVII. 731 S., 12Taf + IX, 607 S. gr. 8° = Annnnire
de l'Institut de Philologie et d'Histoire orientales et slaves Tome
IX, X, XI; Universite Libre de Bruxelles. Vol. I bfr. 500.-, Vol. II
u. III je bfr. 600.—.

Das als Lehr- und Forschungseinrichtung beachtliche Institut
de philologie et d'histoire orientales et slaves in Brüssel1 hat seinen
seit 1932 — freilich nicht alljährlich — erscheinenden Annu-
aire gern zur Ehrung für verdiente Gelehrte zur Verfügung gestellt
. Der zweite Band kam 1934 als Festschrift für Joseph Bi-
dez heraus, der dritte Band (193 5) war Jean Capart gewidmet,
der sich um das belgische Muscumswesen Verdienste erworben
hat; zu Ehren Franz Cumonts wurden die Aufsätze des vierten
Bandes (1936) zusammengestellt, dem Linguisten Emile Boisacq
die des fünften (1937) und sechsten (19381 gewidmet. Der zweite
Weltkrieg und die Besetzung Belgiens durch d'e Hitler-Armee
führten zur Verlegung des Instftutg in die V<,rein'<»,'<,n Tanten:
die im Exil erschienenen Bände VIT (1939—1944) und VIII (194?
—1947) sind daher in deutschen Bibliotheken selten. Der siebente
Band trägt die Widmung: Dedie ä la memoire des Orientalistes
et des Slavisants victimes de l'invasion et de la persecution des
barbares, dem achten ist der Name Michael Rostovtzeffs vorangestellt
. Ab Band IX (1949) konnte der Annuaire wieder in Belgien
erscheinen; diesen und die beiden folgenden Bände gestaltete
das Institut als Festschrift für Henri Gregoire, und auch der
zwölfte ist noch für diesen Zweck vorgesehen. Henri Gregoire ist
heute unbestritten das Haupt der westlichen Byzantinistik5. Sei-

*) Vgl. Minerva lahrbudi der gelehrten Welt, Abt. Museen und
Fadihodisdiulen, 1, 34. Jg. 1952, 142 f.; Index generalis 19, Paris 1953,
29.

*) In solcher Bedeutung wird er trotz aller ideologischen und politischen
Gegensätze auch von den sowjetischen Byzantinisten anerkannt;
vgl. z. B. M. B. JleBweHKO, Bn3aHTHHCKHß BpeMeHHHK 3/1950/ 230.

dem Wesen der Kirche nur ein Liebes-, nicht ein Gesetzesrecht
hervorgeht. Er unterläßt es zu fragen, wie nun diese pneumatische
Ordnung, dieses kirchliche Liebesrecht im Wechsel der Zeiten der
weltlichen Rechtsordnung zugeordnet werden soll. Sein Kirchenrechtsdenken
bleibt im Grunde zeitlos dogmatisch; darum ist ihm
der Gedanke an eine (notwendigerweise geschichtlich bedingte)
Zuordnung der geistlichen und weltlichen Gewalt unvollziehbar.

Die vorgetragene Argumentation führt zu folgendem Ergebnis
: Das evangelische Kirchenrecht ist eine Funktion nicht des
Kirchenbegriffs, sondern der Zuordnung von Geistlichem und
Weltlichem und damit eine Funktion der Geschichte, also eine
echte Variable. Das römische Kirchenrecht dagegen, das in seinem
jus humanum zwar ebenfalls veränderlich ist, beruht auf einem
göttlich-rechtlichen Grundgesetz, welches unveränderlich ist, ist
also im Grunde nicht variabel, nicht Funktion der Geschichte,
sondern übergeschichtlich-konstant. Das evangelische Kirchen-
recht ist eine zeitliche Größe, hat zeitliche Aufgaben und steht für
alle zeitbedingten Möglichkeiten offen. Das römische Kirchen-
recht ragt als göttliche Setzung in die Zeit hinein, vermittelt ewige
Güter und gibt der Kirche in den Wandlungen der Zeit eine auf
die Ewigkeit gegründete feste Stellung. Diese Autarkie macht das
römische Kirchenrecht in einer Zeit grundstürzender Wandlungen
auch für viele Evangelische anziehend. Die restlose Zeitbedingtheit
evangelischen Kirchenrechts erscheint als eine Gefahr
für die Kirche. Dabei wird verkannt, daß der Schutz gegen Überfremdung
und Vergewaltigung primär nicht in rechtlichen Sicherungen
erblickt werden kann (sie versagen im entscheidenden
Augenblick allzu leicht), sondern in dem unübersehbaren Faktum
der in Geist und Glauben um Wort und Sakrament gescharten
Gemeinde. Der entscheidende Fehler der Sohmschen Anorie liegt
demnach nicht im Kirchenbegriff oder im Rechtsbegriff, sondern
in ihrer Zeitlosigkeit.

ne Arbeiten befassen sich mit dem Griechentum auf allen seinen
Entwicklungsstufen von der Epoche Homers bis auf unsere Tage
und machen auch vor den Grenzgebieten nicht halt, ja finden
vielfach in diesen geradezu ihre Schwerpunkte; die von Gregoire
ins Leben gerufene Zeitschrift ..Byzantion" hat sich auch durch
kritische Zeiten hindurch zu halten vermocht und in den letzten
Jahren in Amerika gar noch Ableger gefunden; die großen Byzan-
tinistenkongresse schließlich kamen wesentlich auf Gregoircs Initiative
in Gang. Es ist also kaum zu verwundern, daß eine Vielzahl
von Wissenschaftlern der verschiedensten Disziplinen und
der verschiedensten Länder sich zusammenfand, um einen Gelehrten
von solchem Rang zu ehren; 54 Beiträge zählt der erste,
53 der zweite und 29 der dritte Band der Festschrift (letzterem
sind noch die regulären Arbeitsberichte des Instituts beigegeben).
Aus der Fülle des Gebotenen sollen im folgenden diejenigen Aufsätze
herausgestellt werden, welche bei den Lesern dieser Zeitschrift
in erster Linie auf Interesse rechnen dürfen. Dabei soll an
die Stelle der im großen ganzen alphabetischen Ordnung der Titel
in der Festschrift eine systematische treten.

Zwei Beiträge sind zunächst dem Jubilar selber gewidmet
. Bd. I, VII ff cribt Roct Goossens eine von der Liebe und
Verehrung des dankbaren Schülers getragene Würdigung der wissenschaftlichen
Tätigkeit Gregoircs. Auf die Verzeichnung von Daten
glaubt der Verf. fast ganz verzichten und dafür auf die Biographie von
M. N. G. Mavris im ersten Bande der Byzantina-Metabyzantina (New
York 1946) verweisen zu können, einer Zeitschrift, die freilich in deutschen
Bibliotheken höchst selten zu finden ist. Erfreulicherweise ist dagegen
die im selben Bande der genannten Zeitschrift veröffentliditc
Bibliographie der gelehrten Arbeiten Gregoires, nachdem sie auf den
neuesten Stand gebracht wurde, neu gedruckt worden; sie umfaßt mehr
als 500 Nummern und wird Marguerite Mathieu verdankt (Bd. II,
Vff.; Ergänzungen dazu Bd. III, VII f. und 603).

Die Bibelwissenschaft Alten und Neuen Testaments
ist in der Festschrift nur mit wenigen Aufsätzen vertreten.
Isidore L e v y beschäftigt sich in zwei Beiträgen mit dem 2. Makka-
bäerbuch (II 681 ff.). 2. Makk. 8,20 ist paradigmatisch die Rede von
einem wunderbaren Sieg über die Galater. Die hcrkömmlidie Beziehung
dieses Ereignisses auf die Niederwerfung des aufständischen Satrapen
Molon durch Antiochos III. im Jahre 220 sieht Levy nicht als hinlänglich
begründet an; er verweist stattdessen auf den Sieg Antiochos' l