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Ausgabe:

1954

Spalte:

429-430

Autor/Hrsg.:

Jursch, Hanna

Titel/Untertitel:

Das Weihnachtsbild 1954

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429

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

430

mir die Antwort auf der Hand zu liegen: es fehlte das ganze Jahrhundert
hindurch an einer starken, verbindenden Mitte zwischen
den auseinanderstrebenden philosophischen und historischen Interessen
, an einer überzeugenden theologischen Bewältigung des
Problems. Ohne sie war über den toten Punkt nidit hinwegzukommen
. Daß sie sich entfaltete, ist der grundlegende Unterschied
des 20. vom 19. Jahrhundert. Aber nach 30 Jahren intensiver
und schon allzu spezialisierter Arbeit ist die Gefahr nicht zu übersehen
, daß diese theologische Arbeit sich isoliert und die nötigen,
viel umfassenderen gesamthistorischen Bemühungen um Luther,
der, so oder so verstanden, in jedem Falle ein Kardinalproblem
der deutschen Geschichte bleibt, beiseite drängt. Es wird darum
nötig sein, sich der Problemweite zu erinnern, die das Lutherbild
des 19. Jahrhunderts auszeidinet, damit sich das Schicksal Th. Har-
nacks nicht an der heutigen theologischen Lutherforschung wiederholt
.

Das Weihnachtsbild

Von Hanna J u r s c h, Jena
(Resume)

Aus ikonographischen und liturgiegcschichtlichen Gründen werden
wir ein Weihnachtsbild, als dessen wesentliche Bestandteile ich das Kind
in der Krippe und die Tiere betrachte, nicht vor dem 4. Jahrhundert
erwarten.

In konstantinischer Zeit entwickelt sich auf den Friessarkophagen,
meist auf den Deckeln, ein ganz schlichter Bildtypus, der das Kind in
der Krippe, die Tiere und ein oder zwei Hirten zeigt. Diese Anbetung
des Kindes durch die Hirten wird mit der früher entstandenen Magieranbetung
kombiniert; zuerst werden beide Szenen einfach nebeneinandergeordnet
, dann werden sie zu einer Komposition zusammengezogen
: das Kind in der Krippe wird Mittelpunkt, von der einen Seite
her kommen die Magier, von der andern der Hirt, zu dem sich die sitzende
Maria gesellt. Auf Sarkophagen der theodosianischen Zeit rückt
j; . i j, i _5 . n j fc _ M„,ji*,i,-„„ i erst die mittelalterliche Mystik liefert das Material für einen dnt

die Maria neben die Krippe, sie gewinnt an Bedeutung. Norditalien und _ , , '., , ',, , v. ■ , . .

Pallien sind für diese Abwandlung in der Ikonographie verantwortlich

Der erste Typus wurde aus Rom hergeleitet, seine Abwandlungen
aus Norditalien und Gallien. Er ist der abendländisch-idealistisdie Typus
, der nidit eigentlich die Geburt, sondern die Anbetung zum Gegenstand
hat. Er hat lange im Abendlande nachgewirkt, sowohl in der ursprünglichen
römischen als auch in der abgewandelten norditalisdi-
gallischen Form.

Im 6. Jahrhundert entwickelt sich unter starker Abhängigkeit von
den Apokryphen ein morgenlandischer Typus des Wcihnachtsbildcs, auf
dem die liegende Maria die Hauptperson wird. Erst jetzt ist die Geburt
und nicht mehr die Anbetung gemeint. Der Sinn dieses Typus ist der
Nachweis der jungfräulichen Geburt der Maria. Auch dieser Typus hat
ein langes Nachleben im Morgen- und Abendlande.

zu machen. Daneben entwickelt sich ein zweiter norditalisch-gallischer
Typus, der das Bildfeld unterteilt, auf dem oberen Streifen Maria neben
dem Körbchen und einen Hirten darstellt und auf dem unteren ein
neues Thema gestaltet, nämlich die sternsuchenden Magier. Zwei Darstellungen
ordnen sich dem üblichen Sdicma nidit ein.

Einzelheiten über die Form der Krippe und die Anwesenheit der
Tiere wurden erörtert.

ten Typus, der die jugendliche Maria, die vor dem Kinde kniet, zum
Thema hat und sich dadurch als abendländisch erweist, daß auch er die
Anbetung des Kindes (durch die Maria) und nicht das Wunder der Geburt
selber verherrlicht.

(Erscheint mit Abbildungen in der Wiss. Zeitschrift der Universität
Jena)

SYSTEMATISCH-THEOLOGISCHE SEKTION

(Leitung: H. J. I w a n d, Bonn, und R. Hermann, Berlin)

Theologie der Existenz

Von Fritz B u r i, Basel

Im Denken der Gegenwart hat sich ein Begriff von Existenz
herausgebildet, der mir für das Verständnis und die Beantwortung
der Grundfragen christlicher Theologie so bedeutsam erscheint
, daß ich hier programmatisch von der Möglichkeit und
Notwendigkeit einer Theologie der Existenz reden möchte.

Als Beispiele solcher Grundfragen, die hinter allen uns beschäftigenden
theologischen Einzelproblemen immer wieder auftauchen
, hebe ich hervor:

Erstens: die Frage nach dem Wesen des Glaubens an die
Heilsoffenbarung Gottes in Christus in seinem Verhältnis zu
einer außerhalb dieses Zusammenhangs möglichen Gotteserkennt-
nis.

Zweitens: die Frage, wie der Mensch um Sünde und Schuld
w'ssen und Versöhnung erfahren könne, ohne daß dabei die
Natur durch die Gnade oder die Gnade durch die Natur in Frage
gestellt wird.

Drittens: die Frage nach dem Verhältnis von erforschbarer
und gestaltbarer Geschichte einerseits und zu glaubender göttlicher
Heilsgeschichte anderseits — und zwar beides sowohl in be-
Zug auf die Überlieferung als auch in bezug auf die Zukunft.

Gerade im Blick auf diese theologisch wesentlichen Problemstellungen
läßt sich der hier in Frage stehende Existenz-
"egriff folgendermaßen charakterisieren:

Erstens bezeichnet Existenz ein Selbstsein, das nur durch
begrifflich-gegcnständliches Denken erhellt, wissenschaftlich-al!-
genicingültig aber nicht bewiesen werden kann. In solchem Selbst-
Vcrständnis erfährt sich Existenz als bezogen auf eine ebenfalls
nicht zu vergegenständlichende Transzendenz. Diese Transzcn-
denz des Glaubens für Existenz ist etwas anderes als das Nichts,

vor das sich das gegenständliche Erkennen an seinen Grenzen
gestellt sieht.

Zweitens wird sich Existenz ihres Zusichselberkommenp,
auf dem Hintergrund eines möglichen Verfehlen- und Verfallenkönnens
, als eines unverfügbaren Geschenkes bewußt. Während
die Grenzen des gegenständlichen Denkens und die Selbsterfahrung
es verbieten, das Verfehlen und Verfallen auf eine
außerhalb der Existenz gelegene Macht abzuschieben, versteht
Existenz sich in ihrer Sclbstvcrwirklichung als Gnade.

Drittens ist sich Existenz bewußt, daß sie in ihrem Selbstverständnis
nie am Anfang steht, und daß die Art und Weise,
wie sie sich in verwandelnder Aneignung der Überlieferung verwirklicht
, gerade um der Unbedingtheit ihrer Geschichtlichkeit
willen nie auf Allgcmeingültigkeit Anspruch erheben darf. So
aber erscheint in der Gemeinschaft selbstseiender Existenzen das
Reich der Wahrheit in der Zeit.

Was mit diesen Bestimmungen des Existenzbegriifes, wie
er heute vor allem bei Karl Jaspers vorliegt, gemeint ist,
läßt sich am besten in ihrer Anwendung auf die vorangehend erwähnten
Grundprobleme christlicher Theologie zeigen. Dabei
wird sich nicht nur die Stichhaltigkeit, sondern auch die theologische
Fruchtbarkeit unseres Existenzbegriffs erweisen.

I.

In der Offenbarungsfrage stehen sich in der heutigen
theologischen Situation vor allem zwei Auffassungen gegenüber
. Nach der einen kann von einer Offenbarung und Erkenntnis
Gottes nur in Christus für den Glauben gesprochen werden.
Außerhalb des Glaubens an Gottes Offenbarung in Christus gibt
es keine Gotteserkenntnis. Daß dem so ist, wird daraus abgelei-