Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1954

Spalte:

421-426

Autor/Hrsg.:

Wessel, Klaus

Titel/Untertitel:

Religion und Christentum bei Friedrich Samuel Gottfried Sack 1954

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

421

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

422

gorisierung jedenfalls recht nahe. Ja auch der Begriff la Loy
spirituell e28, so gewiß er darauf begründet ist, daß der
Gesetzgeber ein Legislateur spirituel59 ist, erhält in diesem Zusammenhang
den Mitsinn des Allegorischen.

Daß das theologische Denken Luthers und Calvins verschiedene
Wege geht und daß die Differenzierung bereits beim Ausgangspunkt
, bei dem Verständnis, der Verwendung und der Auslegung
der Schrift beginnt, dürfte der Einzelfall der Formulierung

") Ebenda 24, 7.
") Ebenda 23, 23.

der Zehn Gebote besonders eindrücklich zu machen imstande sein.
Dieser Einzelfall erweist sich als ein Problem von zentralem Rang.
Die Formulierung, die ein Ergebnis des Schriftverständnisses ist,
zwingt zu bestimmten Konsequenzen in der Methode und den
Möglichkeiten der Interpretation. Es zeigt sich, wie wenig damit
getan ist, daß man auf die hier wie dort gleichlautende Formel
sola scriptura schwört, und wieviel darauf ankommt, daß man
jeweils dem wirklichen theologischen Sinn eines solchen Schlagwortes
nachgeht. Was aber dieser Formel reformatorischer Theologie
recht ist, das dürfte den anderen Formeln billig sein.

Religion und Christentum bei Friedrich Samuel Gottfried Sack

Von Klaus Wessel, Greifswald

Der preußische Hofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack
ist eine der wichtigsten Gestalten aus der Vorgeschichte der Preußischen
Union. Er war der religiöse Erzieher und Konfirmator
Friedrich Wilhelms III., in den er die Keime der religiösen Haltung
pflanzte, aus der heraus die Union von 1817 wuchs. Er vertrat
theologisch etwa die gleiche Linie wie sein Vater und wie
sein Schwiegervater Spalding, also einen gemäßigten Rationalismus
, der sich freilich bei ihm mit einem gewisssen, besonders
die Sprache stark formenden Biblizismus verbindet. Seine literarische
Hinterlassenschaft ist verhältnismäßig gering; sie besteht
m der Hauptsache aus zum Druck überarbeiteten Predigten und
den von ihm veröffentlichten Glaubensbekenntnissen, die die
preußischen Prinzen und Prinzessinnen unter seiner Anleitung als
Quintessenz seines Unterrichtes zu ihrer Konfirmation verfaßten
und vortrugen. Man spürt diesen Aufsätzen in jeder Zeile Geist,
Formulierung und gestaltende Hand des Konfirmators ab. Diese
Bekenntnisse ähneln sich übrigens teilweise derart, bis in die
Einzelheiten, daß sie wie bloße Wiederholungen wirken, ja, daß
Sack selbst nicht alle der Veröffentlichung für wert hielt'. Neben
dieser erzieherischen und Predigttätigkeit — auch die Predigten
wirken auf den heutigen Leser eher wie Moralabhandlungen voll
erzieherischer Absicht — steht dann in den letzten Lebensjahren
die maßgebende Teilnahme an den Vorbereitungen der Union
von 1817. Er hat bereits Jahre vor der Verkündigung der Union
ein eigenes Gutachten veröffentlicht; er hat schon dem späteren
König der Union als Konfirmanden die Überzeugung eingeimpft,
daß die „zwey Hauptkirchenpartheyen" in „allem Wesentlichen
des christlichen Glaubens" vereinigt und die eine „so gut als die
andre" sei*; er hat dann auch mit in der theologischen Kommission
gesessen, die das LInionswerk vorbereiten helfen sollte, und
war an deren Arbeit eifrig und stetig beteiligt3.

Sich heute, da die APU eine neue Form sucht, mit einem
ihrer Väter zu beschäftigen, scheint eine dankbare Aufgabe zu
sein, zumal bereits vor Jahren Walter Wendland die Forderung
nach einer Monographie über Sack erhoben hat4. Das hier angegriffene
Teilthema gibt einen Ausschnitt aus der Vorbereitung
einer solchen Monographie. Seine Formulierung ist nicht beziehungslos
gewählt, sondern geht bewußt auf die von Sack gerne
benutzte Formel „Religion und Christentum" zurück. Gerade von
"ier aus läßt sich am ehesten ein Verständnis der theologischen
Haltung und der kirchlichen Absichten Sacks erarbeiten.
Die Begriffe Religion und Christentum sind ihm keineswegs
deckungsgleich, das Christentum ist auch nicht eine oder die
höchste Form der Religion, sondern eine notwendige, gottgegebene
Ergänzung und Vertiefung der von der menschlichen Na-
^■^zu^erreichenden Gotteserkenntnis, die für Sack Religion

p *) Vgl. „Reden bey und nach der Konfirmation Sr. Königlichen
Hoheit des Prinzen Ludwig und Ihro Königlichen Hoheit der Prinzessin
"filhclmine von Preußen", Berlin 1790, S. 12: „Das Glaubensbekennt-
selbst ist, da es dem Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen und Ihro
*°nigl. Hoheit der Prinzessin Friederike, welche beyde bekannt sind,
,n Materie und Form ziemlich gleich ist, nicht mitgedruckt worden."
p , ') Glaubcnsbekenntniss Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen
"'edrich Wilhelm Kronprinzen von Preußen. Nebst den dadurch verfaßten
Reden, Berlin 1787, S. 40.

,. ,1) Vgl. dazu E. Förster, Die Entstehung der Preußischen Landes-
klr*e Bd. 1 pass.

) Kirchengcschichte Berlins. S. 165.

schlechthin ist. „Ein richtiger Gebrauch der Vernunft" lehrt den
Menschen Gott und seinen Willen erkennen. „Seine Werke und
Einrichtungen in der Natur" sind die Quelle dieser natürlichen
Gotteserkenntnisr'. „Das unsichtbare Wesen Gottes ist allen vernünftigen
Geschöpfen offenbart, denn Gottes Daseyn und Eigenschaften
werden aus dem Daseyn und aus der bewundernswürdigen
und wohltätigen Beschaffenheit der Werke Gottes hinlänglich
erkannt"". So wird die Schöpfermacht Gottes daraus bewiesen
, daß die Welt sonst „durch sich selbst und von Ewigkeit vorhanden
" oder durch einen Zufall entstanden sein müsse. Da aber
alles auf der Welt vergänglich und veränderlich ist, ist es unmöglich
, ihre Ewigkeit anzunehmen; ebenso wäre es wider alle
Vernunfterkenntnis, sie durch einen Zufall entstanden zu denken,
„da überall eine so bewundernswürdige Ordnung und weise Absicht
wahrgenommen wird". Aus beiden Erwägungen ergibt sich,
daß die Welt ein Werk eines allmächtigen und allweisen Schöpfers
sein muß7. Zu dieser aus der Anschauung der Welt als eines
Werkes Gottes resultierenden Gotteserkenntnis kommt dann
noch die Lehre der Erfahrung und die Stimme des Gewissens. Der
Mensch empfindet die Macht Gottes in seinem Leben, und er erfährt
täglich seine Güte und Wohltätigkeit. Er erkennt Gottes
Willen aus den Folgen der Gesinnune und Verhaltungsart, die
ein Mensch in seinem Leben und Handeln beweist. Daraus ist bei
ausreichender Aufmerksamkeit Gottes Absicht zu erkennen und
auch, „auf welchem Wege er uns glücklich haben wolle". Und
soear noch vor der Erfahrung sagt uns die innere Stimme des Gewissens
, was Gott von uns fordert. „Das Gewissen ist gleichsam
das heilige Gesetzbuch, das seine Hand in eines jeden Herz tief
und unauslöschlich eingeschrieben hat. Hier hören wir die Rechte
seiner Gerechtigkeit verkündigen; hier wird uns gesagt, was gut
ist, und was der Herr unser Gott von uns fordert"".

Daraus folgt nun das Wesen der Religion. Wer aus der Natur
, dem Gewissen und der Erfahrung Gott, sein Wesen und
seinen Willen erkannt hat, muß diese Erkenntnis in sein Leben
und Tun übergehen lassen. Religion ist „eine aufrichtige und
wirksame Verehrung Gottes", die das Leben in der Art bestimmt,
daß der Mensch Gottes Gebote hält, auch wenn er sie nur aus der
Natur und der Erfahrung erkennt, ohne sie aus Gottes Wort
vernommen zu haben". Diese Religion nun ist Pflicht des Menschen
, weil niemand sich Gottes Willen entziehen kann, weil er
uns alle in seiner Hand hält, weil jeder seiner Gnade bedarf und
weil er alle Menschen richten wird. Diese Religion ist aber auch
des Menschen Ehre, weil er sich durch sie aus der unvernünftigen
Kreatur heraushebt. Und sie ist schließlich des Menschen Glück,
weil sie „Ruhe und Zufriedenheit des Gemüths" verleiht, dem
Tugendfreund Kraft, dem Leidenden Trost, jeder Seele Hoffnung
und damit eben Glück spendet10.

Diese Religion also ist der Vernunft zugänglich, sie ist

r') Glaubensbekenntniss Kronprinz Friedrich Wilhelm 1787, S. 17.
Vgl. auch: Glaubensbekenntniss Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen
Friedrich Wilhelm Kronprinzen von Preußen. Nebst den bei der
Konfirmation Sr. Königl. Hoheit gesprochenen Reden, Berlin 1813, S. 6.

6) Glaubensbekenntniss Kronprinz Friedrich Wilhelm 1787, S. 24.

7) Ebenda S. 24 f.

") Predigten, Berlin 1781, S. 5 f.

") Glaubensbekenntniss Kronprinz Friedrich Wilhelm 1787, S. 70 ff.
(Predigt bei der ersten Kommunion des Kronprinzen)
10) Ebenda S. 76 ff.