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Ausgabe:

1954

Spalte:

409-414

Autor/Hrsg.:

Delius, Walter

Titel/Untertitel:

Luther und die Marienverehrung 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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mit dem Franziskanertum ist seit 1238 mehr und mehr verloren
gegangen. Auch hier in Prag haben wir wie in Marburg eine
Ubergangslösung, bei der die franziskanische Gedankenweit nur
dazu dient, früher bestehende Frömmigkeitsmotive mit neuem
Glänze zu schmücken, bei der sie aber nicht zur vollen Auswirkung
kommen konnte32. .

") Den genaueren Vergleich zwischen den Marburger und Prager
Verhältnissen behalte ich mir vor.

Nicht nur die Marburger Stiftung der hlg. Elisabeth, auch
ihre Person gehört in eine solche Übergangssituation hinein. Die
Tendenzen zweier einander ablösender Zeitalter werden darin
sichtbar. Das Zeitalter des hlg. Bernhard und der Kreuzzüge geht
zu Ende. Die dafür repräsentative Frömmigkeit aber bleibt bestehen
und gibt Kräfte ab für eine neue Periode, da der christliche
Glaube im Dienst an der Welt seine Bewährung suchen muß.

Luther und die Marienverehrung

Von Walter D e 1 i u s, Berlin

Der Ausgangspunkt unserer Darstellung soll Luthers Haltung
gegenüber der Heiligenverehrung sein, innerhalb der sii
die Marienverehrung vollzieht. Sie kann hier nur in ihren wesentlichen
Grundzügen dargestellt werden. Die Stellung Luthers
zur Heiligenverehrung muß einmal die kirchliche Umwelt berücksichtigen
, in der Luther aufgewachsen und erzogen ist, in der er
als Mönchspriester und Theologe gedient hat', zum andern muß
der Blick auf die Entwicklung der Hagiologie gerichtet werden'.
Wie jeder Fromme seiner Zeit hat auch Luther die Heiligen angerufen
". Dem Theologen war dabei der Einfluß Bernhards von
Clairvaux, Anselms* und Gabriel Biels" wichtig. Seit dem Jahre
IS 16 regt sich indessen Luthers Kritik gegenüber der Anrufung
der Heiligen und gegenüber ihren Legenden". Dabei spricht Luther
bereits die Befürchtung aus, dab der Glaube an die Madit
Gottes und Christi Einbuße erleide7. Jetzt sind ihm die Heiligen
mehr Vorbilder demütigen Glaubens als eine Vorbedingung des
Heiles". Einige Heilige werden als Vorbilder besonders hervorgehoben
: Franciscus", den er allerdings später kritischer beurteilt
'", Elisabeth von Marburg", Ambrosius, Augustin, Hieronymus
, Bernhard von Clairvaux*2, Martin von Tours1" und besonders
Christopherus".

Die Frage des Ablasses legte Luther in der Ablehnung
menschlicher Verdienste und besonders der opera superero-
gationis weitere Zurückhaltung in der Heiligenverehrung
auf. Wichtige Aussagen macht Luther in den 95 Thesen

ben die Bilderstürmer sich auch gegen den Heiligenkult gewendet.
Luther mahnte nach seiner Rückkehr von der Wartburg zur Zurückhaltung
. Man solle nur Gottes Wort zur Befreiung der Gewissen
walten lassen. Der Heiligenkult werde von selbst zusammenbrechen
". Andererseits stimmt er den Böhmischen Brüdern
zu, wenn sie weder Maria noch die Heiligen anrufen'". Von den
Wittenberger Domherrn fordert er, daß sie die Fürbitte für die
Heiligen aus der Liturgie tilgen, wie dies sdion seit längerer Zeit
in der Stadtkirche der Fall war21. Im Bekenntnis vom Abendmahl
(1528) billigt er die Angriffe gegen die Anrufung der Heiligen22
und gibt dafür im Sendbrief vom Dolmetschen und Fürbitte der
Heiligen folgende Begründung: Man dürfe im Gottesdienst nidits
ohne Gottes Befehl vornehmen, ja man versuche sonst Gott. Die
Leute lassen sich gar zu leicht verführen, auf die Heiligen statt auf
Christus die Zuversicht zu setzen. Man dürfe namentlich den
Schwachen kein solches Ärgernis geben und dürfe den Teufel
nicht an die Wand malen. Das Licht des Evangeliums sei jetzt
auch so hell am Tage, daß niemand entschuldigt sei, wenn er in
Finsternis bleibe23.

Nach den Schmalkaldischen Artikeln (II, 2) ist die Anrufung
der Heiligen ,,der endechristlichen Mißbräuche einer und streitet
wider den ersten Artikel und wider die Erkenntnis Christi."

Die Stellung Luthers zur Marienverehrung ist wie die gegenüber
der Heiligenverehrung von der Heiligen Schrift her bestimmt
. Luther hat auch hier in seiner theologischen Haltung

*ur. wichtige Aussagen macht Lutner m den 95 inesen in stimmt. Luther hat auch hier in seiner theologischen Haltung
These 5 8 und den Resolutionen16. Dazu steht auch nicht der | eine Entwicklung durchgemacht, deren Ergebnis sich von dem
Satz der Leipziger Disputation im Widerspruch: „Meritum Christi
esse thesaurum ecclesiae et sanetorum meritis nos iuvari certum
est1*". Luther macht hier die wichtige Aussage, daß die Heiligen
mit allen wahren Christen als Glieder des Leibes Christi in der
communio sanetorum sich befinden. In seiner Predigt von der
Bereitung zum Sterben (Herbst 1519)1' hat Luther diesen Gedanken
weiter ausgeführt. Gerade hier wird aber auch deutlich,
daß die Anrufung der Heiligen noch kein problematischer Punkt
'einer Theologie ist. So äußert er sich Eck gegenüber in der Frage
«er Kanonisation der Heiligen gleichgültig1". In der Wittenber-
8er Bewegung und in der Wiederholung derselben in Erfurt ha-

') O. Scheel: Martin Luther I3 (1921) S. 26 f. J. Köstlin: L. Theo-
'°gie I'(1901). Th.Harnack: L.Theologie I. 1862. II. 1886. H. Preuß:
• der Christenmensch. 1942 S. 104 ff. R. Schimmelpflennig: Die Geschichte
der Marienverehrung im deutschen Protestantismus. Pader-
b°n^i952. H. Dietrich Preuß: Maria bei Luther. Gütersloh 1954.

') St. Beissel: D. Verehrung U.L.Frau in Deutschland während des
MA. 1896

') WA. 49, 712, 17. 20; 36, 388, 20, TR. 5, 95.
*) TR. 1, 219, 7.

*) Expos, can. Miss. lect. 32. TR. 3, 192, 24. 564, 5.
) WA. 1, 150. 412 ff.
) WA. 79, 276, 30.

) WA. 3, 647; 4, 237, 31; 10. 6, 130, 10; 12, 382, 20; 17. 2,
J7»! 38, 506, 4; 42, 637, 10; 45, 713, 27; 49, 42, 29. 380, 11; 51, 67,
17»i 53. 543, 37.
J WA. 8, 579, 26; 27, 123. 25. TR. 5, 451 f. 616.
™) WA. 42, 495, 24; 47, 338, 15.
J WA. 31. 1, 201, 7; TR. 3. 489, 1.
3 WA. 15, 194, 36; 53, 411, 20.
) WA. 49, 709. 3. 24.

308 WA' 27' 385' '; ä2' i2' 20; 29' 498 ffi 34' 2' "4' 8; TR' 6'

!') WA. 1, 236. 605 ff.
WA. 2, 427.
WA. 2. 689.
") WA. 2, 651 f.

gegenüber den Heiligen unterscheidet. Er steht im Hinblick auf
die Marienverehrung ganz in der Tradition der Kirche. Seine
Stellung wird nur dann deutlich, wenn man die Entwicklung der
Mariologie von ihren ersten Anfängen bis zur Reformationszeit
vor Augen hat. Erst dann versteht man die Entwicklung, die Luther
in dieser Frage erfahren hat, und das Ergebnis, zu dem
er schließlich gekommen ist. Sehen wir uns den Weg Luthers, den
er in der Marienverehrung gegangen ist, in seinem wesentlichen
Verlauf an.

Als junger Student ruft er, als er sich in der Nähe Erfurts
mit seinem Degen verwundet hatte (16. 4. 1503), in Todesangst:
„O Maria hilf." Zu diesem Ruf bemerkt er später „Da war ich
auff Mariam (im Vertrauen auf Maria) dahin gestorben." In der
Nacht darauf brach die Wunde wieder auf, die Kräfte nahmen ab
und er rief wieder die Maria an2'. Dieses Ereignis zeigt deutlich,
wie tief Luther damals in der Frömmigkeit der Kirche steht.

Als Theologe gibt er sich dann Rechenschaft über die Marienverehrung
. Er sieht wie für die Heiligenverehrung in Bernhard
von Clairvaux und Anselm das Vorbild25. Besonders Bernhard
hat ihn hier angesprochen, weil er Jesus und seine Menschwerdung
lieb gehabt hat20. Aber er tadelt Bernhard auch wegen
seiner Ausführungen in seinem Sermon „Missus est angelus" und
wegen anderer Stellen seiner Schriften27. Besonders übel genommen
hat er ihm, daß auf Grund seiner Schriften ein „lästerlich
Bild" vom jüngsten Tage gemalt worden ist. Auf dem Bild fällt

,0) WBr. 2, 548, 20. WA. 10, 2. 164. 10, 2. 273. 10, 1, 2. 82 f.

20) WA. 11, 452.

") WBr. 2. 389 f.

") WA. 26. 389.

23) WA. 30, 2. 643 ff. cf. 22, 174.

2«) TR. 1, 46.

26) TR. 1, 219, 7.

") TR. 5, 154, 6; 43, 581, 11.

") TR. 1, 45, 24.