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Ausgabe:

1954

Spalte:

401-410

Autor/Hrsg.:

Maurer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Heilige Elisabeth im Lichte der Frömmigkeit ihrer Zeit 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

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Die Heilige Elisabeth im Lichte der Frömmigkeit ihrer Zeit'

Von Wilhelm Maurer, Erlangen

Einen ersten Versuch, die heilige Elisabeth von Thüringen
von der Geschichte ihrer Zeit her zu verstehen, habe ich vorwiegend
unter rechtsgeschichtlichen Gesichtspunkten unternommen2
. Ich fasse hier die Grundthesen zusammen, ziehe einige Linien
aufgrund neugewonnenen Materials weiter aus und achte
dabei besonders auf frömmigkeitsgeschichtliche Zusammenhänge.

L

Seitdem Elisabeth mit ihrer Verheiratung im Jahre 1221 in
das Licht der Geschichte eingetreten ist, finden wir sie im Bannkreis
der monastischen Reformfrömmigkeit des 12. Jahrhunderts,
wie sie durch Bernhard von Clairvaux repräsentiert und vornehmlich
, wenn auch nicht ausschließlich, von den Zisterziensern und
Prämonstratensern gepflegt worden ist. Seit dem Tode Landgraf
Hermanns, des Gönners der Minnesänger, hatte sich das thüringer
Fürstenhaus dieser Frömmigkeit mit Eifer zugewandt; indem
Hermanns Witwe Sophie 1221 als Oblata in das Eisenacher Zisterzienserinnenkloster
der hlg. Katharina eintrat, war jene Wen-
dune besiegelt. Der Geist der Kreuzzüge erfüllt seitdem das junee
Landerafenpaar, beherrscht vor allem die 14jährige Fürstin, die
die Züge der Kindlichkeit in frühem Ernst überwindet. Schon
längst, ehe Konrad von Marburg in ihren Gesichtskreis eetreten
war, hatte sie jene nächtlichen Gebets- und Geißelunesübuneen
auf sich genommen, in denen sich für die asketische Frömmigkeit
der Zeit die Nachfolge des Gekreuzigten bewährte.

Schon im Mai 1223 läßt die Kurie den juneen Landgrafen
Ludwin auffordern, sich der Kreuzfahrt anzuschließen; so früh
schon fällt deren Schatten auf die junge Ehe. Ein Jahr später, Juni
1224, legt der Fürst das Gelübde ab; seitdem ist seine politische
Tätigkeit — im Einvernehmen mit dem Kaiser und den Beauftragten
des Papstes — der Vorbereitung des heiligen Unternehmens
gewidmet. Als Ende 1225 oder Anfang 1226 Konrad von
Marburg an den thürineer Hof kam, war als spätester Termin für
die Durchführung des Kreuzzuges das Jahr 1227 festgelegt.

Elisabeth beeinnt in dieser Zeit das fromme Leben einer
Kriegerfrau, die das heiliee Ziel, dem der Mann das Leben weiht,
durch ihre frommen Opfer. Gebete, Almosen und Enthaltungen
zu unterstützen trachtet. Alle besonderen Züge, die nunmehr in
den Äußerunpen ihres relipiösen Lebens hervortreten, sind von
ienem Ziele her verständlich, haben nichts mit etwaigen franziskanischen
Einflüssen zu tun. Die Krieperfrau verspricht, sich,
wenn ihr Mann fällt, nicht wieder zu verheiraten; von unbedinp-
tem Gehorsam Konrad gegenüber ist in dieser Frühzeit noch
keine Rede. Sie bringt jenes Opfer, um damit, wenn möplich. des
Gatten Leben zu erkaufen, zum mindesten aber die Lebenshin-
Rabe der Kreuzfahrer durch ein pleichwertipes Werk zu unter-
stüt7en. Aus demselben Streben eeht die Intensivierung ihres Gebetslebens
hervor, die Verschärfune der Geißeluneen, die asketische
Armut in Nahrune und Kleidung, das zeitweilige Anlegen
der Witwentracht, die Fürsorec für Arme und Kranke. Das alles
geschieht, ohne daß ein direkter Befehl Konrads nachweisbar
yäre. ist reiner Ausdruck der Zeitfrömmigkeit, die freilich auch
|hn beseelt. Sein eieenstes Werk ist nur das Speiseverbot, das
'hr untersaet, Erträpnisse aus unrecht erworbenem Kirchengut und
Luxusartikel zu genießen, die mit Geld be7ahlt wurden. Auch
diese Verbote sind Ausdruck einer für den Kreuzzugszweck bestimmten
Interimsethik: das ranze Territorium, zum mindesten
der Hof, soll sich heilipen für den heiligen Krieg; dazu sollen
a"e finanziellen Mittel dienen, keine Gewalttat gegen Kirche
Ur>d Arme soll das Land beflecken.

Dieses Beispiel zeigt, daß Konrads Forderunpen auch politischer
Art sind, die Landesfürstin ansprechen und nicht nur das
Private Beichtkind Wer Konrad vornehmlich als Beichtvater oder
*"<h Prinzenerzieher anspricht, hat seine Stellunp am thürineer
Hofe völlig verkannt. Er ist Kreuzprediger — praedicator verbi

') Der Vortrag auf dem Theologentage am 4. 1. 19 54 stand unter
dem Titel: Methodisches zum Verständnis der Hl. Elisabeth von Thu-
r'ngen.

') ZKG 65, 1953/54, S. 16-64.

divini — für ganz Deutschland; die Hauptlast der Kreuzzugsvorbereitung
liegt hier auf ihm. Am Hofe des mächtigsten Kreuzfahrerfürsten
hat er nicht nur die Propaganda über das Reich hin zu
entfachen, sondern auch eine Fülle politischer und finanzieller
Fragen zu lösen. Indem er zugleich das päpstliche Protektorat
über Familie und Land des Landgrafen während dessen Abwesenheit
wahrnimmt, ordnet sich sein beichtväterlicher Dienst — in
Begründung und Durchführung — jener Kreuzzugsvorbereitung
ein.

Auch hier steht ein Politikum im Vordergrunde. Mit seiner
hervorrapenden kirchlichen Stellung schützt Konrad das Thüringer
Territorium gegen die Ansprüche des zuständigen Diöze-
sanbischofs in Mainz. Der ist für das Landgrafenhaus der mächtigste
und gefährlichste Gegner auf dem Wege zur Errichtung
der Landesherrschaft; die Kämpfe mit ihm füllen die Thüringer
Geschichte dieser Jahrzehnte. Was nützt dem Landgrafen die
Hinwendung zu kirchlicher Devotion, die Gefügiekeit geeen-
über der kurialen Politik, wenn ihm während seiner Abwesenheit
im Heiligen Lande der Mainzer seine Rechte schmälert? Daeegen
soll Konrad ihn als vom Papste bestellter Protektor schützen,
soll vor allen Dinpen dafür sorgen, daß die Kreuzzueszehnten,
die aus den landesherrlichen Patronatsstellen fließen, dem Landgrafen
für seine Kriegsrüstung und nicht dem unersättlichen Erz-
bischof zugute kommen.

Konrad von Marburg muß also — gerade auch in seinem
Verhältnis zu Landgräfin Elisabeth — als praedicator verbi divini
und d. h. als päpstlicher Kreuzzugskommissar verstanden
werden. Man kann die Machtvollkommenheiten dieses Amtes,
dessen Geschichte noch nicht penüpend erforscht ist. nicht hoch
genug einschätzen; sie schließen auch Klerusreform und Ketzerbekämpfung
in sich ein. Sie ermöglichten Konrad damals schon
und erst recht in den Jahren vor seinem Tode eine politische
Machtstellung, von der aus er in die Reichseeschichte eineriff.
Seine Stellung ist begründet in der Kirchlichkeit und Frömmigkeit
der Kreuzzüee; die hat auch Elisabeth eeteilt, und Konrad
hat sie bei ihr befördert. In den Jahren vor Ludwies Tode kann
man von einer inneren Spannung zwischen beiden nicht reden.

Neuere Forschungen" ermöglichen uns, den Lirsprung von
Konrads Frömmigkeit genauer zu erkennen. Wenn nicht alles
trügt, ist er Prämonstratenser gewesen. Als Regularkanoniker des
von Gottesgnaden aus gegründeten Stiftes Arnstein an der unteren
Lahn gehört er zu dem Zweig des Ordens, der vom Marienstifte
in Magdeburg abhängig war und den Dienst für die
Kirche in der Welt der Abgeschiedenheit des klösterlichen Lebens
vorzog, der deshalb auch Weltpriesterkleidung trug und
nicht das weiße Mönchsgewand. Als Beauftraeter der Kurie hat
er zuerst in mehr untereeordneter Stellung in Nord- und Ostdeutschland
das Kreuzpredigeramt auseeübt und ist dann schließlich
zu der Machtvollkommenheit aufeestieeen, die wir an ihm
kennen lernten. Als Repräsentant seines Ordens hat er die auste-
ritas besessen, in der er auch Elisabeth erzop. Dem Vorbild Norberts
von Xanten gemäß hat er als apostolischer Prediger das Land
durchzogen und zueleich hohe kirchliche Funktionen wahrpenom-
men. Je enper das Band wurde, das ihn mit Elisabeth verknüpfte,
um so tiefer hat er sie in die Frömmigkeitstraditionen eingeführt,
von denen sein Orden lebte.

II.

Wir versuchen dieses Frömmigkeitsleben durch das Mittel
des Vergleiches näher zu bestimmen.

Schauen wir von Elisabeth auf ihrer Mutter Schwester, die
Heiliee Hedwig, Herzogin von Schlesien, so stoßen wir — bei
eleichen Lebensverhältnissen — auf die gleiche fromme Haltung.
Die Tante hat die Nichte überlebt und späterhin verehrt'; aber

') Karl Hermann May: Zur Geschichte Konrads von Marburg,
Hess. Jb. f. Landesgesch. I, 1951, S. 89 ff.

4) Nach der von G. A. Stenzel in Scrictores remm Silesiarum II
1839, S. 1 ff. herauseegebenen Vita trägt Hedwig zum Andenken an
ihre hochverehrte Nichte einen von ihr stammenden Schleier, auf den