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Ausgabe:

1954

Spalte:

393-400

Autor/Hrsg.:

Schneemelcher, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zur Chronologie des arianischen Streites 1954

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393

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 7/8

394

Zur Chronologie des arianischen Streites

Von Wilhelm Schneemelcher, Göttingen

Der arianisdie Streit gehört wohl zu den wichtigsten Auseinandersetzungen
, die im Raum der Kirche je ausgefochten sind.
Nicht nur die Geschichte des christologischen Dogmas, das dann
381, 431 und 451 seine Formulierung fand, sondern auch der
Ausbau der Staatskirche hängt aufs engste mit diesem Streit zusammen
, der seinen Namen von jenem Presbyter aus Alexandrien
bekommen hat, ohne daß man nun sagen könnte, daß Arius
d i e überragende Gestalt des harten und erbitterten Ringens
gewesen sei. Das ist doch wohl vielmehr Athanasius, der große
Bischof von Alexandrien (328—373), der mit seiner reichen
Publizistik auch weitgehend die Geschichtsschreibung über das
vierte Jahrhundert bis zum heutigen Tage beherrscht1. Es ist interessant
, zu beobachten, wie die Forschung seit langem immer
wieder bemüht ist, ein Bild von dem Ablauf des arianischen
Streites zu gewinnen, und wie sie dabei eines der Hauptprobleme,
die Wertung der kirchenpolitischen Schriften des Athanasius, darstellt
. Seit den grundlegenden Arbeiten von Eduard Schwartz'
haben wir es gelernt, die apologetischen Schriften des Alexandriners
als das zu bewerten, was sie tatsächlich sind: als kirchenpolitische
Flugschriften mit einer bestimmten Tendenz, geschrieben
in einer bestimmten Kampfessituation. Damit ist aber
die Forschung vor eine Fülle von Einzelproblemen gestellt, die
noch in keiner Weise als gelöst angesehen werden können. Aber
auch die dogmatischen Schriften des Athanasius werfen schwierige
Fragen auf. Denn — und das hat schon Opitz erkannt'1 und das
wird bei der weiteren Beschäftigung mit der handschriftlichen
Überlieferung immer deutlicher — die dogmatischen Traktate des
A. sind frühzeitig als Kampfschriften in den Auseinandersetzungen
des fünften und sechsten Jahrhunderts benutzt worden
und haben dabei mancherlei Interpolationen und Überarbeitungen
erfahren. Man könnte zugespitzt formulieren: Der echte Athanasius
tritt uns in den Apologien entgegen, wieweit er aber in
den dogmatischen Traktaten zu uns spricht, muß im Einzelfall
geprüft werden. Damit soll natürlich nicht einer hemmungslosen
Kritik, die alle dogmatischen Schriften für unecht erklärt, das
Wort geredet werden. Aber eine Überprüfung ist nun einmr.l
angesichts der handschriftlichen Überlieferung angebracht. Voraussetzung
dazu ist allerdings eine Sammlung aller handschriftlichen
Zeugen und eine Untersuchung dieser Überlieferung, die
das von Opitz gesammelte Material ergänzt und auswertet, dabei
sich aber nicht nur auf die großen Corpora beschränkt.

Es ist angesichts dieser Lage nicht verwunderlich, daß uns in
den Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte ein recht unterschiedliches
Bild vom arianischen Streit geboten wird. Man vergleiche
nur einmal die Darstellungen bei Hans Lietzmann (Geschichte
der Alten Kirche, Band 3 und 4) und bei Gustave Bardy
(Histoire de I' Eglise, Band 3), und man wird erkennen, daß hier
zwei Gelehrte von höchstem Rang dieselben Ereignisse doch recht
unterschiedlich darstellen und werten.

Die Schwierigkeiten für den Historiker sind aber nicht nur
darin begründet, daß er fast ausschließlich auf die so einseitigen
Schriften des Athanasius angewiesen ist und nur auf Umwegen
aus späteren Quellen wichtige Nachrichten bekommt, sondern
d'e Erfassung des Verlaufes und des Sinnes des arianischen Streiks
wird auch dadurch erschwert, daß in ihm sich Kirchenpolitik
Jjnd Staatspolitik so unlöslich verbunden haben, und daß weiteren
Theologie und Kirchenpolitik zu einem unentwirrbaren
Knäuel verwoben sind. Gewiß ist der arianische Streit eine dogmatische
Kontroverse — deren Hintergründe allerdings vor
al|em für die Anfangszeiten auch noch der Aufhellung bedürfen,
5j erst kürzlich eine kleine Studie von Martin Tetz* wieder

') Zur Würd igung des Athanasius vgl. meinen Aufsatz: Athana-
von Alexandrien als Theologe Und als Kirchenpolitiker: ZNW 43,
,95°/5I. 242-256.

, ') E. Sdiwartz, Zur Geschichte des Athanasius I—IX (Sitzungsber.
aer Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil. hist. Klasse 1904-1911).

, ) H. G. Opitz, Untersuchungen zur Überlieferung der Schriften
Qes Athanasius (Arb. zur KG 23). 1935.

) M. Tetz. Eine arianische Homilie unter dem Namen des Atha-
nas,us von Alexandrien: ZKG 64, 1952/53, 299-307.

deutlich gemacht hat —, aber er ist nicht nur das. Denn diese
dogmatische Kontroverse hat eine kirchenpolitische Seite, wie
sie bis dahin in der Kirche gar nicht möglich war. Und diese Kirchenpolitik
ist zugleich Machtpolitik, wie man sie bisher auch
nicht kannte, wie sie aber erst ermöglicht wurde durch die Verbindung
mit dem Staat. Um diese kirchenpolitische Seite — deren
Bedeutung man allerdings auch nicht zu einseitig sehen darf —
sichtbar zu machen und damit ein festes Fundament für die Geschichte
des arianischen Streites zu legen und zugleich den richtigen
Hintergrund für die athanasianischen Schriften zu schaffen,
hat H. G. Opitz seinerzeit begonnen, die Urkunden dieses Streites
zu sammeln und zu publizieren". Die Fortsetzung dieser Urkundenedition
(zunächst bis 342) soll demnächst abgeschlossen
werden und in Druck gehen.

Aber — und das gilt bereits für die Opitzsche Publikation —
schon bei den einfachsten Fragen der Chronologie geraten wir in
beachtliche Schwierigkeiten. Von einigen dieser Schwierigkeiten
soll hier gesprochen werden.

1. In einem Aufsatz „Die Zeitfolge des arianischen Streites
von den Anfängen bis zum Jahre 328"" hat Opitz die Reihenfolge
der Urkunden in seiner Ausgabe begründet und eine Chronologie
der Ereignisse in den ersten Jahren der arianischen Wirren
aufzustellen versucht. Dieser Aufsatz, der die Arbeiten von Eduard
Schwartz weiterführt und vor allem dessen grundlegende Entdeckungen
(Synodalschreiben von Antiochien 324/5 und zweite
Sitzung von Nicäa 327) aufnimmt, behandelt zunächst die Frage
des Datums des Sieges Konstantins über Licinius. Dieses Datum
ist deshalb in unserem Zusammenhang wichtig, weil Konstantin
sofort nach dem Sieg seinen Brief an Alexander von Alexandrien
und Arius schrieb'. Nun hat Opitz m. E. eindeutig bewiesen, daß
dieser Sieg von Konstantin im Jahre 324 errungen ist. Die Einzelheiten
brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Damit ist
aber doch ein Ausgangspunkt für die Anordnung des vorhandenen
Urkundenmaterials gegeben. Denn: als Konstantin nach dem Sieg
über Licinius in die Streitigkeiten eingreift, sind diese bereits
in vollem Gange. Es haben verschiedene Synoden stattgefunden,
Briefe sind gewechselt worden usw. All das läßt sich aber
kaum in den Zeitraum von wenigen Wochen oder Monaten unterbringen
. Der terminus post quem nun ist, wie Opitz mit Recht
festgestellt hat, aus den Subscriptionen der Synoden von Ancyra
und Caesarea8 zu erschließen, d.h. erst nach 314—17 anzunehmen
. Und schließlich ist noch eine Tatsache für die Anordnung
der Urkunden und insbesondere für die Datierung der Synoden
von Nikomedien und „in Palästina"0 zu beachten: Das Verbot
des Licinius, Synoden abzuhalten, von dem ja neben anderen
Quellen auch das Synodalschreiben von Antiochien 324/25 weiß,
ist in das Jahr 322 zu datieren10, und damit, so hat Opitz geschlossen
, ist deutlich, daß die Anfänge des arianischen Streites
in die Jahre 318—322 fallen". Durch einen Vergleich des urkund-

") Athanasius Werke III. Band: Urkunden zur Geschichte des arianischen
Streites. 1. Teil 318—328, hrsg. von H.G.Opitz, 1934.
") ZNW 33, 1934, 131-159.

') Urkunde 17 = Euseb Vita Const. II 64. Auf das Problem der
Echtheit der Vita Constantini kann ioh hier nicht eingehen. Die ganze
Frage wird erneut behandelt werden müssen, nachdem in einem Papyrus
eine Urkunde, die in der Vita Const. II 26—29 enthalten ist, gefunden
wurde. Dieser Papyrus ist abgedruckt von T. C. Skeat in Festschrift
W. Schubart: Aus Antike und Orient, 1950, 126—132. Identifiziert
wurde der Text von A. H. M. Jones, vgl. Nouvelle Clio V, 1953, 21 5.
Joh. Straub wird in dieser Zeitschrift darüber berichten. Jedenfalls dürften
die apodiktischen Ausführungen von F. Scheidweiler, Die Kirchengeschichte
des Gelasios von Kaisareia: Byzant. Zeitsch. 46, 1953, 277—
301, dadurch erheblich an Gewicht verlieren. Der erste Teil dieses Aufsatzes
ist dagegen beachtenswert, auch wenn man es kaum für richtig
finden wird, daß der verdiente Gelehrte F. Diekamp wie ein Schuljunge
abgekanzelt wird.

8) Vgl. dazu E. Honigmann, Two alleged „Bishops of Great Arme-
nia" as members of the synods of Ancyra (314 AD) and Caesarea in
Cappadocia: Patristic Studies (= Studi e Testi 173), 1953, 1—5.

•) Urkunde 5 und 10 (vgl. Anm. 5).

10) Vgl. "Honigmann a.a.O. S. 15.

") Urk. 1-13 (vgl. Anm.5).