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1954 Nr. 6

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 6

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benen' OXvfimodcDQog ein ohne jedes Epitheton genannter'Eq-
/iaelcov,an den sich dann aber der Brief in der 2. Pers sg. fast ausschließlich
richtet. Nur gegen Ende wird die Hilfe des Erstgenannten
noch ausdrücklich erbeten. Das war im Phm nicht so notwendig
, da bereits das Mitwissen des Philemon eine Hilfe war
und ein besonderer Appell an ihn auch die dem Paulus erwünschte
Freiwilligkeit der Gewährung allzusehr hätte einschränken können.
Welcher Umstand neben Philemon noch die Nennung der Appia
veranlaßt hat, kann nur vermutet werden und muß offen bleiben.

Fassen wir zusammen, so läßt sich wohl sagen, daß gegen
Archippus als Herrn des Onesimus keine unüberwindlichen
Gründe sprechen, daß diese Annahme dagegen den Schluß des
Kolosserbriefes sehr viel besser verstehen lehrt. Wenn dort vom
Inhalt des Phm die Rede ist, so ergibt sich sogar noch eine vierte
Verbindung mit ihm. Im eigenhändigen Schluß Kol 4, 18 steht
die in dieser Lapidarität singuläre Bitte des Paulus: „Gedenket
meiner Fesseln!" Im Phm aber weist er, wie oben schon hervorgehoben
, unermüdlich auf seine Haft hin. Das wird hier in beschwörender
Form nochmals aufgenommen.

Schließlich sind nun noch die Erwägungen heranzuziehen,
die Kn. über das Verhältnis von Kolossä und Laodikea sowie die
im Zusammenhang mit den beiden Gemeinden genannten Briefe
anstellt. Nach Kn. (S. 18 f.) ist der Brief „aus Laodikea" Kol
4, 16, den die Kolosser sich beschaffen und vorlesen lassen sollen
, identisch mit unserem Philemonbrief. Dafür spricht in der
Tat die sofort anschließende Aufforderung: „und saget dem Archippus
... 1" Denn an Archippus richtet sich ja dieser Brief. So
versteht sich ausgezeichnet, warum Paulus Wert legt auf Verlesung
dieses Briefes. Wieso aber kann er als der Brief „aus Laodikea
" bezeichnet werden? Nach Ausweis von Kol 4, 9. 17 gehören
sowohl Onesimus wie Archippus nach Kolossä und nicht
nach Laodikea. Das Kommen des Onesimus nach Kolossä wird
gar nicht erst begründet; also bedeutet l£ vfxwv v. 9, daß er von
dort weggelaufen war. Kam er mit dem Brief des Paulus von
Ephesus, so ist außerdem schwer denkbar, daß er im Lykustal
aufwärts erst durch Laodikea, wo sein Herr gewohnt hätte, in
das oberhalb gelegene Kolossä gekommen sein sollte. Zweifelhaft
ist es allerdings, ob man wie Kn. (S. 21 ff.) argumentieren
kann, daß es seine besonderen Gründe haben müsse, wenn ein
für beide Gemeinden bestimmter Brief zuerst nach Kolossä, dem
weiter abgelegenen Landstädtchen, und dann zurück in die Pro-
vinzialhauptstadt Laodikea geleitet worden ist. Der Grund sei
eben die Angelegenheit des Onesimus, der also nach Kolossä gehöre
. Aber kann die Bedeutung der Gemeinden so mit derjenigen

der Städte gleichgesetzt werden und beweist die Nennung von
Laodikea und das Fehlen von Kolossä unter den sieben Gemeinden
in Apk. 2 und 3, daß in der ersteren Stadt bereits zu Paulus
' Zeiten die bedeutendere Gemeinde bestand? Manche Lücken
der Beweisführung erklären sich auch daraus, daß bei Kn. trotz
gegenteiliger Beteuerung (S. 23) die Sache mit Onesimus im Ko-
losserbriet einen unverhältnismäßig starken Akzent erhält. Ob
aber nicht doch die Gnostiker und ihr Einfluß in der Gemeinde —
und zwar offenbar in der Kolossergemeinde, die von der in Laodikea
ja ausdrücklich unterschieden wird — die eigentliche und
vordringliche Sorge des Paulus warenl

Wenn nun Onesimus und Archippus in Kolossä zu suchen
sind, wie kann der Philemonbrief Kol 4, 16 der Brief „aus Laodikea
" heißen? Hier werden nun Vermutungen vorgebracht, denen
man nur noch zögernd wird folgen können. Kn. (S. 34)
schlägt vor: weil Philemon in Laodikea saß — von wo aus das
Lykustal vermutlich missioniert worden ist — und der Philemonbrief
daher zunächst dort abgegeben werden mußte, damit Philemon
ihn und Onesimus nach Kolossä überbringen oder weitersenden
konnte. Es fragt sich, ob das hinter xrv ix Aaodixeiag
stecken kann. Der unvoreingenommene Leser wird den Ausdruck
wohl eher auf einen an die Gemeinde zu Laodikea gerichteten
Brief deuten und das ix als nachträgliche Färbung von Tzoitfoaze
ansehen. Hier bleiben jedenfalls offene Fragen.

Wir brechen hier ab und versagen uns, auf die interessanten
kanonsgeschichtlichen Ausführungen von Kn. einzugehen, die im
Anschluß an Goodspeeds bekannte These vom autor ad Ephesos
als erstem Sammler des corpus Paulinum in der Vermutung gipfeln
: Onesimus, der Sklave des Archippus und späterer Bischof
von Ephesus (Ign Eph 1, 3; 2, 1), hat mit dem ihm zum Schicksal
gewordenen alle anderen erreichbaren Paulusbriefe in einer
Sammlung vereinigt, zur Einführung und zur Abrundung der Zahl
der Emptängergemeinden auf die volle Sieben den Epheserbriif
verfaßt und dazugefügt und das Ganze der kirchlichen Öffentlichkeit
übergeben. Darum ist der Philemonbrief, der das lebende
Glied zwischen dem Werk des Paulus und unserer Überlieferung davon
darstellt, als die Keimzelle des corpus Paulinum, damit aber
auch des neutestamentlichen Kanons überhaupt anzusehen (S. 57).

Was Kn. unmittelbar zum Verständnis des Phm und des
Kol beigetragen hat, scheint mir trotz aller Fülle der Phantasie
— aber ohne Phantasie gäbe es auch keine Interpretation —
und trotz allen vorkommenden Gewaltsamkeiten doch genug Erwägenswertes
zu enthalten, um einer, wie es scheint, ziemlich allgemeinen
Nichtbeachtung bei uns entrissen zu werden.

BEIUCHTE UND MITTEILUNGEN

Neuere Literatur
über die gnostischen Papyri von Chenoboskion

Von Werner Foerster, Münster/W.

Nachdem von dem großen Fund gnostischer Schriften in
Ägypten in dieser Zeitschrift 1949, Sp. 760—762 eine zusammenfassende
Übersicht mit Angabe der bis dahin erschienenen Literatur
geboten wurde, scheint es an der Zeit, die seitherige Literatur
zu nennen und zu berichten, was inzwischen an Einzelheiten -us
den Funden bekannt geworden ist und wie der Stand der Publikation
ist.

Über die näheren Umstände des Fundes hat J. Doresse1 auf
Grund eigener Untersuchungen berichtet. Danach ist der Fund des
Kruges mit den Handschriften schon 1945 geschehen, und zwar
auf der dem Dorf Nag Hammadi gegenüber liegenden Ostseite
des Nils, als Fellachen auf dem südlichen Teil eines Gräberfeldes
am Fuße des Djebel et-Tarif, d. h. in der Gegend des alten Chenoboskion
, gruben. Von den 13 Codices, die der Krug enthielt,
sind 4 ganz unversehrt, 6 weitere ziemlich vollständig, von den
3 restlichen sind 2 nur sehr zum Teil, und ein Codex, der nachher
zu besprechende Codex Jung, zu etwa 2/3 erhalten. Denn die
Fellachen hatten sofort einen Teil der Blätter zerrissen und ver-

') Sur les traees des papyrus gnostiques, rccherchcs a Chcnobos-
*'on, in: Academic Royale de Belgique, Bulletin de la classe des lettres.
'•Sirie XXXVI 1950, S. 432—439. (von mir nicht eingesehen).

brannt2. Der Fund wurde dann für 3 ägypt. Pfund nach Kairo
verkauft. Einen Codex davon kaufte der belgische Antiquitätenhändler
Eid, ein anderer wurde von Togo Mina, dem damaligen
Leiter des koptischen Museums in Kairo, für sein Museum erworben
(1946). Die anderen Codices wurden 1949 dem koptischen
Museum zur Untersuchung und eventuellem Ankauf angeboten
und nach längeren Verhandlungen dorthin gebracht, wo sie
bis zur Stunde, noch nicht angekauft, unter Siegel gehalten werden
. Alle Mitteilungen über den Inhalt dieser 11 Codices gehen
auf die kurzen, und, wie sich später ergeben sollte, nicht immer
ganz präzisen Mitteilungen von J. Doresse zurück, die in ThLZ
1949 Sp. 762 genannt sind. Die ausführlichste Zusammenfassung
und Erörterung der Fragen, die seine summarischen Inhaltsangaben
wecken, ist von H. Ch. Puech geboten'1, eine übersichtliche
Zusammenstellung der Titel der gefundenen Werke gibt
G. Graf4, kürzere Referate erschienen auch sonst8.

Es ist hier nicht der Ort, die wiederholt gegebenen Titel der
in den 11 Codices enthaltenen Werke und ihre Beziehungen zu

*) Nadi H. Ch. Puech und G. Quispel, Op zoek naar het Evangelie
der Waarheid, Nijkerk 1954, S. 5—7.

3) Les nouveaux «Scrits gnostiques. In: Coptic Studies in Honor of
Walter Ewing Crum, Boston 1950, S. 91—154.

*) In: Münchener Theol. Zeitschrift 1, 1950, S. 91—95.

r') O. Cullmann in: Theolog. Zeitschr. 5, 1949, S. 1 53—1 57; S. Mo-
renz in: Forschungen und Fortschritte 26, 1950, S. 57—59; H. Bacht in:
Stimmen der Zeit, 146, 1950, S. 390a—393b; vgl. auch G. Quispel,
Gnosis als Weltrcligion, Zürich 1951, S. 1 — 12.