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Ausgabe:

1954 Nr. 6

Spalte:

367-372

Autor/Hrsg.:

Harder, Günther

Titel/Untertitel:

Miszelle zu 1. Kor. 7, 17 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 6

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mir darin zu liegen, daß man sich über die Tiefengliederung der
paulinischen Theologie nicht im klaren ist. Hier rächt es sich, daß
man sämtliche Gedanken des Apostels auf eine Ebene aufzutragen
pflegt und kaum je den Versuch macht, nach Schwerpunkten
zu differenzieren. Selbst Bultmanns Theologie des Neuen Testaments
— obwohl der Abschnitt über Paulus wohl der am besten
gelungene des ganzen Werkes ist — führt hier nicht wesentlich
weiter. Es ist eine nicht länger hinauszuschiebende Aufgabe
der Neutestamentlichen Theologie, den inneren Stufenbau der
paulinischen Theologie: Missionspredigt und MissionstheologiK.

Gemeindepredigt, Hochgnosis und Ethik, endlich ans Licht zu
setzen.

Soll ich auf meine Themafrage noch eine ganz knappe, gedrungene
Antwort geben, so würde ich sagen: die beiden im
Thema stehenden Begriffe bilden im Sinn des Paulus keine Alternative
, sondern sie stehen im Verhältnis der Synthese, so aber,
daß der Gottesvolkgedanke Wurzel und Stamm, die Leib-Christi-
Idee aber die Krone bildet. Also nicht: Volk Gottes oder Leib
Christi, sondern: Volk Gottes und Leib Christi)

Zur Areopagrede

Von Walther Eltester, Marburg/Lahn
(Resume)

Über die Areopagrede ist letzthin weitgehende Einigkeit darüber
erzielt worden, daß sie von dem Schriftsteller Lukas aus Eigenem seiner
Apostelgeschichte eingefügt wurde und nicht eine Wiedergabe pauli-
nischer Gedanken sein kann. Auch in der Bestimmung des geistigen
Ortes der Rede herrscht zwischen ihren letzten Interpreten Dibelius und
Pohlenz Übereinstimmung. Dagegen weichen beide insofern voneinander
ab, als sie Act 17, 26 xaigoi und ai Sgo&eaiai t»Js xaroixiag avxwv
verschieden verstehen. Pohlenz deutet diese knappen Formeln geschichtlich
auf die zeitliche und räumliche Differenzierung der Völker und
läßt diesen Teil der Rede auf den stoischen Gottesbeweis e consensu
gentium angelegt sein. Dibelius will sie „philosophisch" erklären als
Hinweis auf die Fürsorge Gottes, die sich im Wechsel der Jahreszeiten
mit ihrer Wirkung auf die Fruchtbarkeit der Erde und in der Schaffung
begrenzter Zonen zum Siedeln für den Menschen ausdrückt. Hier knüpfe
der Areopagredner an die antike Theorie von den beiden gemäßigten

Zonen an, die allein unter den fünf Zonen der Erde dem Menschen
die notwendigen Voraussetzungen zum Leben darbieten. Dibelius ist
gegenüber Pohlenz recht zu geben. Wir haben es in der Tat mit einem
Hinweis auf die Offenbarung Gottes in der Natur zu tun. Durch sie
wird dem Menschen das Suchen und Finden Gottes möglich gemacht.
Freilich befriedigt der Hinweis auf die Zonenlehre nicht. Die Wurzeln
des Verständnisses für die ÖQo&soiai rijs xaxoixias avxäbv liegen
vielmehr im Alten Testament. Es handelt sich um einen Nachklang des
uralten Motivs von den Grenzen, die Gott dem Meer bei der Erschaffung
der Welt gezogen hat und durch die er seine Erde vor der Urflut
schützt. Die Geschichte des Motivs läßt sich vom Alten Testament über
das Neue Testament bis in die altkirchliche Literatur an einer Fülle von
Zeugnissen verfolgen.

(Erscheint in Beiheft 21, 1954, der Zeitschrift für Neutestamentliche
Wissenschaft)

Miszellc zu 1. Kor. 7,17

Von Günther Härder, Berlin

Der Abschnitt l.Kor. 7, 17—24 wird von dem Grundsatz
von V. 20 bestimmt: Exaaiog iv xfi xXrjosi fj IxXri&t), Iv xavTfl
fieveim. Über den Sinn dieses Satzes ist sich die Auslegung im
allgemeinen einig: Jeder soll in dem Stande bleiben, in dem ihn
der Heilsruf angetroffen hat, und er ein Glied am Leibe Christi
geworden ist. Dieser Grundsatz wird vom Apostel an den wichtigsten
Gegensätzen, dem religiösen und sozialen, erläutert: Der
Unbeschnittene soll auch als Christ unbeschnitten, der Beschnittene
soll beschnitten bleiben. Der Sklave soll ein Sklave, der
Freie ein Freier bleiben. Der Sinn dieser Ausführungen ist so
klar, daß es den Auslegern fast selbstverständlich erscheint, auch
den einleitenden Satz des Abschnitts, Vers 17, dementsprechend
zu deuten. Stünde nur der zweite der beiden komparativischen
Sätze mit (bg da, so wäre alles klar: exaozov (bg XExXrjxEV 6
■&e6s, ovzcog TiEQUiazeau). Dieser Satz bedeutet nichts anderes
als Vers 20. Die Verse 22 und 24 erläutern diesen Satz: 6... Iv
xvqIco xXrj&Elg dovXog äneXev&EQog xvqiov loxtv. ö/iotojg
6 eXev&eqos xXr]&Ei{ dövXög sonv Xqiotov. Exaazog kv cp
IxXrj&r), . . Iv xovxcp juevetcd.

Was nun aber den ersten der beiden (bg -Sätze anlangt, et firj
ixdarq» <bg /ue/ueqixev 6 xvgiog, so hat man auch ihn als abgewandelte
Form desselben Grundsatzes verstanden. Störend war
dabei nur das et fjuq. Die in dieser Einleitung beschlossene Aporie
haben die Ausleger z. T. dadurch zu beheben versucht, daß sie
Et fifj mit dem vorhergehenden Vers verbanden: ei xi oldag,
avrg, eI rijv yvvcüxa ocbaeig ei ju/j, wozu dann ein entsprechendes
ocboEig ergänzt wird. Als Itazismus finden wir aus diesem
Verständnis heraus dann die Textform fj jufj bei Chrysosto-
mos (Cat. 136), der erklärt: xovx' iax'w' no&sv oldag, rj ooöosig
r) fit} otoOEig1-

Damit ist aber die Aporie nicht behoben. eI firj würde kaum
ohne rj angefügt sein: rj eIixr. fj jurj aber ist zu schwach bezeugt.
Auch wenn man ei /urj mit dem voraufgehenden Vers verbände,
bliebe dennoch die Frage offen, weshalb der mit ojg eingeleitete
Vordersatz in doppelter Form erscheint: cbg fiEfis'gixsv 6 xvgiog,

') Dieselbe Textform findet sich in einer Reihe von Minuskeln.
Sie wird von einer Randlesart der Peschitto bezeugt.

(bg xExXrjXEv 6 tieog Es ist kein Wunder, daß der Koinetext,
über x&eog und vgiog reflektierend, beide vertauscht hat, offenkundig
deshalb, weil die Zuteilung der — so ist natürlich vorausgesetzt
— je verschiedenen Lebenslage als Beschnittener oder Unbeschnittener
, als Sklave oder Freier besser als ein Akt Gottes
und die Berufung besser als ein Akt des Kyrios anzusehen ist".
Gerade aber weil diese Reflexion vorliegt, kann man dem Koine-
Text nicht folgen, wie es z. B. Godet mit eben derselben Begründung
tut3.

Unter der Voraussetzung, daß beide wc-Sätze dasselbe sagen
, versuchen die Ausleger, in mannigfacher Weise mit dem st
fit) fertig zu werden. Entweder wird es als „sondern" verstanden*
oder als „außer daß" wie nXt)v ort*. Blaß-Debrunner verweist auf
Gal 1, 7, wo man in der Tat et /xr/ mit „außer wenn" wiedergeben
kann. Sieht man genauer zu, so bedeutet es auch dort einfach
„wenn nicht". Der vorhergehende Satz: daviiatco,ort xa%io>{
/iExaxivxEOvxe hat eigentlich negativen Sinn. Er entspricht der
Aussage des sich Wundernden: „Das kann doch nicht sein, daß ihr
euch umstellt", — und nun fährt der sich anschließende Satz mit eI
fxr fort: „wenn da nicht etliche sind, die euch verwirren". — Bengel
legt es als „si hoc non est", als ceteroqui, „übrigens", aus.

5) An der 1. Stelle haben Oeöq, an der 2. xvqios der Koinetext,
die Peschitto, Chrysostomos, Theodoret und Johannes Damascenus. Der
Codex Boernerianus verbindet an der 2. Stelle beide Lesarten zu der
unpaulinischen Wendung xvgiot 6 &e6i.

3) Frederic Godet, Kommentar zum 1. Brief an die Korinther,
deutsch von P. und K. Wunderlich, 1886. Er entscheidet sich „trotz der
Autorität der Majuskeln" für diese Lesart, „da es natürlicher ist".
Eben dies haben die betreffenden Textzeugen auch gemeint.

*) So z. B. Beza, aber nach Godet ohne grammatische Begründung-
Diese Begründung glaubt Blaß-Debrunner geben zu können, § 449:
tl fti] = äkXd, unter Hinweis auf Mark. 4,22: ovdc yag iatlv «
xgvjtTÖv, eär fit) iva (paveQca&f) ovüi iyeyeto 6möxQv<pov, aXX' tra
el&n cl( cpavEQÖv. Das äXXa im Parallelvers soll das eav /ti/ erläutern.
Doch bedeutet et /*!/ nach dem vorhergehenden negierten Satz einfach
„wenn nicht" im Sinn von „nur" (s. unten zum Sprachgebrauch der
Septuaginta). Es ist etwas nur verborgen, um offenbart zu werden. Ein
allgemeiner Sprachgebrauch von el filj im Sinn von „sondern" liß'
sich daraus nicht ableiten.

6) Blaß-Debrunner § 376.