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Ausgabe:

1954 Nr. 6

Spalte:

355-364

Autor/Hrsg.:

Weiß, Konrad

Titel/Untertitel:

Paulus - Priester der christlichen Kultgemeinde 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 6

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näer erhalten hat, ist aus Joh 11,45 ff. ersichtlich". Kaiphas —
dessen Name übrigens Lagarde38 und Nestle3" als „vates" gedeutet
haben — nimmt einen Grundsatz auf, den wir aus der rabbi-
nischen Tradition als nur eingeschränkt und in ganz bestimmten
Fällen rechtens kennen". Er wendet ihn resolut und mit ganzer
Schärfe auf den vorliegenden casus an. Er tut dies als Übergeordneter
, das zeigt die Einleitungsformel: 'Y/teTs ovx oTSate oidev.
Er handelt aufgrund seiner prophetischen, d. h. hier seiner die
Situation erhellenden Autorität41. Dies, weder eine Allegorese
noch eine unbewußte Weissagung wiederzugeben, ist der Sinn der
interpretierenden Bemerkung des Evangelisten42. Kaiphas handelt
tatsächlich in Vollmacht, aber Gott sagt ja zu seinem Votum,
indem er ihm einen Tiefensinn zulegt. Wie es auch um die Historizität
der Szene bestellt sein mag, sie zeigt deutlich die Anschauung
, die sich allgemein mit dem hochpriesterlichen Amte verband
. — Talmudische Stellen weiten sie aus und weisen sogar der
hochpriesterlichen Familie eine prophetische Qualität zu42.

Aus zahlreichen pseudepigraphen und rabbinischen Stellen
wissen wir von dem Streit, der über die Priorität von königlichem
und priesterlichem43, priesterlichem und prophetischem44 Amte
im Schwange war und an dem sich bald auch der neue Stand der
Rabbinen beteiligt45. Daneben gibt es Kombinationen4'. Der Lehrer
der Gerechtigkeit hatte anscheinend eine echte und, wie sein
Schicksal zeigt47, zeitweise Besorgnis erweckende Verbindung gefunden
. Daß aber die Hasmonäer obsiegten, war von gar nicht zu
unterschätzender Bedeutung. Sie legten lahm den selbständigen
Prophetismus. Sie nahmen ihm ein Hauptstück, die Eschatologie
— bezeichnenderweise wird sie nicht von den Hochpriestern gepflegt
. Sie entwanden ihm das Herzstück, die umfassende
Deutung der Gegenwart. Die Benutzung der Prophetie zur Fun-
damentierung der hasmonäischen Dynastie — sie sollte die unzureichende
priesterliche Legitimität ersetzen — mußte der prophetischen
Äußerung weithin den Kredit rauben und mag der Anlaß
dafür geworden sein, daß sich die Hoffnung weiter Kreise auf
den Propheten konzentrierte.

Freilich hat es weiter ein selbständiges Prophetentum gegeben
; es war ein essenisches — anscheinend in derselben Weise
von gewissen pharisäischen Kreisen gepflegt —, das sich rein auf
die Zukunftserhellung beschränkte. Unter Herodes ward ihm eine

37) Wenn man mit K. Elliger, Studien zum Habakuk-Kommentar
S. 273 diesen für die Anfangszeit des Herodes ansetzen will, stellt
HabR 10, 9 ein Zwischenglied dar.

M) Übersicht ... S. 97. - 39) ZwTh 1897 S. 149.

*°) Am nächsten steht ihm Gen r. zu 42,3; aber das ist gerade
eine pragmatische und nicht eine juristische Formulierung. Midr Sm 32
§ 3, Midr Koh 9, 18, jTer 8 sowie die 3 Parallelen in Gen r. zu 46, 27
schränken stark ein; die letztere macht wahrscheinlich, daß die Konzession
erst unter dem Druck der römischen Verfolgung gemacht wurde;
zur Form vgl. Jos. Bell 5 § 345.

") Erkannt von Ensfelder (Theol. Jbb. ed. Zeller 1842, 798 ff.). —
Daß er damit auch den Verhandlungsgegenstand verschiebt, kann hier
außer Betracht bleiben.

*') Ex r. zu 2,4; Sota 12b (die Übersetzung von Ad. Merx, Das
Ev. d. Johannes ist präziser als die von L. Goldschmidt VI, 49).

45) Sanh 110a; zur Testamentsliteratur s. die Zusammenstellung bei
Schürer III, 340. — 44) jHor III, 48b; Nur. zu 5,22.

46) BBathra 12a; Nu r. zu 5,22 Anf.; vgl. Sanh 90a.
4«) S. Sir 24, 31.

") S. dazu die eindringenden Erörterungen Elligers a.a.O. S. 211 ff.

Zeit der Blüte und Förderung zuteil, was darauf schließen läßt,
daß die Hasmonäer es entsprechend unterdrückt haben. Daneben
reckt sich je und dann der messianische Prophetismus empor. Aber
das sind Randerscheinungen, ständig bedroht von den synedrialen
Untersuchungskommissionen, wenn nicht von der Anzeige an
die Römer. Keine der beiden Richtungen gelangte zu offizieller
Anerkennung.

In einem Zweig des Urchristentums hat es eine Nachblüte
der Verbindung von priesterlichem und prophetischem Amt gegeben
. In einer den Rang von Ephesus anzeigenden, also kirchenrechtlich
hochbedeutsamen Formel erinnert Polykrates die Römer
daran, daß Johannes Eyevrj&rj i'sptv? xo nhaXov jzeq?ooex<osa. Die
Bemerkung, deren historischer Wert von A. Schwegler4* und E.
Stauffer50 erkannt, die also nicht als hyperbolisch zu verharmlosen51
ist, kann kaum zureichend aus der Antithese zum ephe-
sinischen Asiarchen verstanden werden, ist vielmehr in unsere
Tradition zu stellen, 'h.ouvs bezeichnet den agxieQevs. In der
Stirnbandnotiz hat Ad. v. Harnack — und zwar ganz ohne Kenntnis
der jüdischen Vorgeschichte — die sachliche Parallele zum altkirchlichen
77poipj;Ti7f-Titel herausgefühlt". Die Gegenprobe ist
in den patristischen Stellen zu erblicken, die dem jüdischen Hochpriester
das prophetische Amt zuschreiben53. Also: der ephesi-
nische Johannes wird als der von prophetischem Geist erfüllte
Hochpriester des neuen Bundes bezeichnet (und wahrscheinlich
hat er es selbst schon getan). Es geschieht das, indem eben der
Gegenstand, mit dem sich die Ausweitung des hochpriesterlichen
Amtes verbunden hatte, übernommen wird54. Dabei ist das priesterliche
und prophetische Amt so zur Einheit geworden, daß die
zitierten Worte den Anfang einer neuen Dreierformel55 bilden
können — genauso sollenn wie die des Johannes Hyrkanus.

Wie sich 2. Ptrl,19 als literarische Verlebendigung von
Urim und Tummim darstellt56, so darf vielleicht das ephesinische
Petalon als Zeichen der Fortwirkung jener spätjüdischen Verbindung
von Hochpriestertum und Prophetismus angesehen werden.

*") Eus h. e. 3, 31, 3; 5. 24, 3.

**) Das nachapostolische Zeitalter I (1846) S. 145 f.

60) Die Theologie des Neuen Testaments Anm. 68.

61) Th. Zahn, Forschungen zur Geschichte d. ntl. Kanons VI, 209 ff.
M) Die Lehre der zwölf Apostel (TU II. l) S. 128. Er hat zugleich

das kirchengeschichtliche Motiv aufgezeigt, daß es Polykrates angezeigt
sein ließ, nicht den TToorp^rrjc-Titel selber in den Mund zu nehmen.
Wenn P. nun aber nicht eine Umschreibung (wie im folgenden) sondern
diese archaische Formel wählt, so kann das seinen Grund nur im Schwergewicht
der Tradition gehabt haben, die ihm eine zwar das prophetische
Element beinhaltende aber auch darüber hinausschießende Wendung in
die Hand gab. — Über das Fortwirken jüdischer Tradition in Kleinasicn
s. Ad. Hilgenfeld, Der Paschastreit der alten Kirche (1860) S. 171 ff. u.
E. Stauffer in ZRGG 1952 S. 200. Dadurch wird das Verständnis des
Titels noch bei Polykrates wahrscheinlich. — Zahn a.a.O. S. 210 hat
in seiner Polemik gegen Harnack nur soweit recht, als er dessen Vermutung
einer sachlichen Zusammengehörigkeit der angeführten Stelle
mit Did 13. 2 erschüttert hat.
M) Justin, Dial. 52, 3 u.a.m.

54) Anzumerken ist, daß Epiphanius (Haer 29,4: 78, 14) in einem
Hegesipp benutzenden und diesen korripierenden (vgl. dazu die Analyse
Zahns a. a. O. S. 262) Referat Jakobus Justus als Petalonträger
bezeichnet.

56) ... xal jiaQTvq xal StSäoxaXog.

M) TtQorptjnxoq Xöyo; . .. c&j Xvyvoq rpalvoyv; vgl. dazu die LXX-
Übersetzung von Neh. 7, 65 und Esr. 2, 62.

Paulus — Priester der christlichen Kultgemeinde

Von Konrad Weiß, Rostock

Daß Paulus über Christus und sein Werk in der Sprache des
jüdischen Sühne- und Opferkultes spricht, ist von jeher beachtet
und zum Gegenstand intensiver Forschung gemacht worden. Dasselbe
kann man von den Äußerungen über sein apostolisches Amt
und über die christliche Gemeinde, soweit er sie ebenfalls der
Kultsprache entnimmt, nicht sagen. Sie sollen hier der Betrachtung
unterzogen werden.

Ich stelle zunächst den Stoff zusammen und erläutere ihn,
soweit hier nötig und möglich, um dann zu versuchen, die Bedeutung
das Befundes zu entwickeln.

I.

a) Daß Paulus für die Beschreibung seines apostolischen Dienstes
Worte gebraucht, die vom Dienste der Priester hergenommen sind, ist
für die in Frage kommenden Hauptstellen unbestritten. Wenn er
Rom. 15, 16 von sich als XeixovQyoi Xpioiov 'Itjoov und Phil. 2, 17
von der Xf.ixovyyla xijs tcIoxew; spricht, die er vollzieht, so besagt da»
allein noch nichts, da die Wortgruppe XeiiovgycTv usw. bei Paulus sonst
Aufwand erfordernde (öffentliche) Dienstverrichtungen bezeichnet, die
mit Priesterdienst im engeren Sinne noch nichts zu tun haben müssen.
Da das Wort aber an der ersten Stelle durch kgovpyiTv erläutert und
an der zweiten synonym mit Ihola gebraucht wird, ist an beiden Stel-