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Ausgabe:

1954 Nr. 6

Spalte:

325-342

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Jesus der Lehrer 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 6

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pneumatischen Wandel die Gebote zu halten, den Willen Gottes
zu tun. Darin ist die neue Aufrichtung und Legitimierung der
Forderung des Guten eingeschlossen. In diesem Sinne können
wir uns den Satz Dietrich Bonhoeffers zu eigen machen, daß es
„Menschen- und Naturrechte ... nur von Christus her" gäbe", so
gewiß das universale Gesetz vor- christliches Gesetz, wirksam
in den Völkern der Welt, ist, welches nicht erst mit der heilsgeschichtlichen
Sendung Christi in Erscheinung tritt.

3. Christus bleibt aber auch seiner Gemeinde gegenüber,
auch nach Ostern der gebietende Herr, der den radikalen
Willen Gottes als sein Gebot verkündet7. Die Bergpredigt ist durch
Ostern neu in Kraft gesetzt, und P. wendet sie auf die Situation
seiner Gemeinden an (Rom. 12, 14 ff.; 13, 8 ff.; 1. Kor. 8—10;

°) Ethik 2. Aufl. 1953, S. 281.

7) Über das Amt Christi als Gesetzgeber vgl. jetzt O. C u 11-
m a n n, Tradition 1954, S. 21 f., der im Anschluß an 2. Kor. 3, 4 ff.
mit Recht betont, daß Christus zugleich das neue Gesetz und der
Geist sei.

Gal. 6, 1 ff.; Kol. 3, 12 ff.). Aber die Ohnmacht des Gesetzes
(Rom. 8, 3) ist überwunden. Die Gemeinde des Geistes hat die
Vollmacht zu lieben, womit das ganze Gesetz erfüllt wird. Eben
damit ist Christus und seine Gemeinde das eschatologisch-gegen-
wärtige Zeichen für das kommende Ende des Gegensatzes der
beiden Reiche.

Was zunächst ein Fremdkörper innerhalb der paulinischen
„Ethik" zu sein schien, erweist sich als die kritische Rezeption
des Guten, um das die Welt weiß, indem es durch den Wandel
nach dem Geist unter der Norm der eschatologischen Agape gereinigt
wird. Das Ethos der Welt bleibt in der Gemeinde nicht
welthaft, und die Gemeinde Christi muß als die eschatologische
Realität, die sie ist, den Anfang machen mit der Offenbarung der
Herrschaft Christi in der Sphäre des Ethos unter dem Gesetz; gerade
dies ist das Kennzeichen einer wahrhaft „pneumatischen"
Ethik, daß aus ihr die Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus
erwächst (Phil. 1, 11), die alles Gesetz erfüllt.

Jesus der Lehrer

Ein Beitrag zur Präge nach dem „Quellort der Kirchenidee"

Von Erich F a s c h e r, Greifswald

Vorbemerkung1: Während in den meisten Lehrbüchern zur
Theologie des Neuen Testamentes die Lehre Jesu ausführlich abgehandelt
wird, findet sich über Jesus den Lehrer wenig oder gar nichts. Es
würde zu weit führen, das aus Büchern über neutest. Theologie von
Ferdinand Christian Baur an bis zur Gegenwart nachzuweisen. Nur
einige Beispiele seien herausgegriffen. Julius Kaftan (Neutest. Theologie
1927) behauptet: „Alle Grundgedanken des Neuen Testaments
stammen aus der apokalyptischen Gedankenwelt" (S. 13) und stellt die
Religion in die erste Linie, die Theologie in die zweite Linie seiner
Darstellung (S. 15). Er geht vom messianischen Selbstbewußtsein Jesu
aus, um das von ihm gelehrte Evangelium als eine Einheit verstehen zu
können (S. 2 5). Damit weiß er sich im Gegensatz zur Auffassung Holtz-
manns, der in Jesus anfänglich einen Reformator der jüdisch-gesetzlichen
Frömmigkeit sieht, welcher erst später — als der Rückschlag seines Erfolgs
eintrat — seinen Tod ahnte und in Daniel 7,13 einen Ausgleich
suchte und fand (S. 27). Leider vergißt Kaftan, den Vornamen des kritisierten
Autors zu nennen. Es kann sich um Oskar Holtzmann (vgl.
„Leben Jesu" 1901, S. 232) handeln oder um H. J. Holtzmann (vgl.
„Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie2 1911 I 183, wo der Verfasser
seine „Geschichtlich beschreibende Methode" dahingehend erläutert
: Jede neue Religionsstiftung trete anfangs als Reform mit einer
Kritik am Bestehenden auf, und Jesus habe anfangs mit Aussagen über
seine Person zurückgehalten. Das sei eins der gesichertsten Ergebnisse
aller gesunden Evangelienkritik. H. verweist dabei auf Baur und
Strauss).

Aber Kaftan scheint mir die Auffassung H. J. Holtzmanns (vgl. dessen
NT. Theologie I S. 29 5 f.) etwas vereinfacht zu haben; denn H. weiß,
daß erst der Messianismus Jesu die neue Religion gebracht hat und die
Katastrophe veranlaßte. Er weiß auch, daß Jesus zwar als Lehrer auftrat
, aber seine Auffassung so weit von der landläufigen Art der Schrift-
gelehrten abweicht, daß er ein Prophet zu nennen wäre, wenn ihn nicht
gewisse Äußerungen eines hohen Selbstbewußtseins auch über diese
Stellung hinaushöben. Der Jesu öffentliche Wirksamkeit tragende Gedanke
, zum geistigen Führer seines Volkes berufen zu sein, führe „direkt
zu messianischen Ansprüchen". „Der Fortschritt vom prophetischen
zum messianischen Bewußtsein vollzog sich mit unabwendbarer, innerer
Notwendigkeit" (S. 298). Danach scheint es, daß eine Grenze zwischen
Lehrer, Prophet und Messias für die Nachwelt nicht mehr zu ziehen ist,
nachdem Jesus diese innere Entwicklung genommen hat.

Für Theodor Zahn (Grundriß der neutest. Theologie 1928) ist Jesus
der die Predigt des Täufers fortsetzende „Prophet Galiläas", welcher
bezeugt, daß in seiner Person das Gotteswort gekommen ist. Für einen
Theologen, der unterschiedslos die Synoptiker und Johannes als gleichwertige
geschichtliche Quellen verwendet, ist begreiflicherweise keine
Möglichkeit gegeben, die c5«5aaxa^o?-Stellen der evangelischen Tradition
gesondert zu betrachten. Auch Friedrich Büchsei (Theologie des
NT 193 5) sagt kurz und knapp (S. 19 f.), daß Jesu Wort vielfach dem
der Schriftgelehrten gleiche, es aber überrage, weil es aus besonderer
Vollmacht gesprochen ist. „Sein Wort ist mithin mehr als prophetisch.

') Diese hier mit einigen Erweiterungen versehene Studie steht
als Beitrag in der ungedruckten Festschrift zu Walter Bauers 75. Geburtstag
und sei daher auch in dieser Fassung meinem alten Göttinger Lehrer
in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet.

es ist messianisch. Darum ist das Wort Jesu ein Bestandteil der messianischen
Geschichte Jesu . . .". Ethelbert Stauffer (Die Theologie des NT
1941 S. 5 f.), der in der Betonung des Einflusses der spätjüdischen Apo-
kalyptik auf die Gedanken der Männer des NT Kaftans Intentionen fortsetzt
, sieht in den Menschensohnworten „Den grundlegenden Maßstab
für die Ursprünglichkeit der überlieferten Jesuslogien wie für die Legitimität
der apostolischen Christologie", wenn auch sekundäre Tradi-
tionsstoffe und umgeformte Logien darunter sind (S. 10 und Anm. 21).

Es ist Rudolf Bultmann, welcher schon in seinem Jesusbuch
(S. 56—59) darlegt, „daß Jesus in der Tat als jüdischer Rabbi gewirkt
hat", daß seine Schüler als seine Anhänger noch nicht Glieder einer
religiösen Gemeinschaft seien, daß erst die spätere christliche Gemeinde
die Bezeichnung „Jünger" durch andere („Brüder", „Heilige") ersetzt
hat und ein Paulus sich Jesus schon gar nicht mehr als Rabbi vorstellen
kann. Es ist für Bultmann gar kein Zweifel, daß bei Jesus in seinem
Auftreten und in seiner Lehrweise „Züge eines Rabbi deutlich hervortreten
, wenn nicht die Überlieferung das Bild radikal entstellt hat"
(Jesus S. 59). In seiner Theologie des NT (1948 S. 1—54) hat Bultmann
nun mit Entschiedenheit die Verkündigung lesu als bloße Voraussetzung
der Theologie des NT betrachtet und Jesu Verkündigung des
Reiches Gottes von seinem Messiasanspruch getrennt. Jesus proklamiert
sich nicht als den Messias, er weist nur auf sein Kommen hin. So
harte Worte wie Lukas 9,,62; Matth. 8, 22; Luk. 14,26 f. und
Markus 3, 3 5 sind von daher zu verstehen, daß Jesu Ruf Gottes letztes
Wort vor dem Ende sei. Wohl habe Jesus eine Schar von Schülern aus
Heimat und Beruf herausgerissen, die ihn auf seinem Wanderleben begleiteten
, „indessen hat er nicht einen Orden oder eine Sekte, geschweige
denn eine „Kirche" gegründet und nicht allen zugemutet, Haus
und Familie zu verlassen (S. 8). Begründet ist Jesu Messianität nicht
darin, daß er Prophet und Lehrer Israels ist — er bleibt als solcher trotz
aller Radikalität seiner Äußerungen in den Grenzen alttestamentlicher
Prophetie und spätjüdischer Apokalyptik — sondern die Auferstehung
Jesu ist nach Bultmanns Ansicht die Grundlage eines neuen Glaubens,
welcher den Messiaskünder zum Messias macht. Die Gemeinde erwartet
ihren Lehrer und Propheten als den kommenden Menschensohn und versteht
im Licht des Osterglaubens sein Wirken neu. Der eigentliche Gehalt
des Osterglaubens ist der, „daß Gott den Propheten und Lehrer
Jesus von Nazareth zum Messias gemacht hat" (S. 44 oben). Die Verbindung
von Lehrer, Prophet und Messias hat somit nicht im Selbstbewußtsein
Jesu ihre Wurzeln, sondern im Bewußtsein der Urgemeinde,
welche neben der Ostererfahrung jene rabbinische Vorstellung gekannt
und genutzt haben wird, daß der Messias, wenn er einst kommt, auch
als Lehrer der Thora auftreten wird. Durch die Verbindung beider Voi-
stellungen „gewinnt seine Gestalt eine die Gegenwart bestimmende
Macht". Die Folgen dieser Auffassung für die Interpretation der ur
christlichen Tradition erscheinen mir sehr bedeutsam, da die Möglichkeit
der Feststellung exakter Überlieferung der Jesusworte nicht nur
gering ist, sondern auch wenig wichtig erscheint. Bultmann stellt die
Glaubensaussagen der Urgemeinde über die historischen Feststellungen
möglicher geschichtlicher Jesusworte. Somit können Jesus-Worte im
Lichte der Ostererfahrung anders gedeutet werden, sie können Zusätze
erhalten aus pneumatischer Exegese, ja es können völlig neue Worte
gebildet werden, die man auf die Offenbarung des erhöhten Herrn zurückführt
, so daß nun eine Quellenscheidung echter Jesusworte von
unechten völlig illusorisch zu werden droht.