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Ausgabe:

1954

Spalte:

321-326

Autor/Hrsg.:

Wendland, Heinz-Dietrich

Titel/Untertitel:

Zur kritischen Bedeutung der neutestamentlichen Lehre von den beiden Reichen 1954

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Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Unter Mitwirkung von Professor D. Ernst Sommerlath, Leipzig
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR D.KURT ALAND, HALLE »BERLIN

NUMMER 6

?9. JAHRGANG JUNI 1954

Zur kritischen Bedeutung der neutesta-
mentliclien Lehre von den beiden

Reichen. Von Heinz-Dietrich Wendland
Jesus der Lehrer. Von Erich Fascher

Matthäus als Interpret der Herrenworte.

Von QUntfaer Born kämm.....

Bemerkungen zur Gleichnisauslegung.

Die Loslösung des Christentums vom

Judentum. Von Johannes Lei pol dt .

Spalte

Spalte

Beobachtungen zur Tora-Verscharfung
im häretischen Spätjudentum.



321



347

325

'4PXIEPEY1 nPO'PIITEYÜN.

351



341

Paulus — Priester der christlichen Kultgemeinde
. Von Konrad Weiß.....

355

345

Leib Christi oder Volk Gottes bei Paulus?

363





Zur Areopagrede. Resume.

367

347



Spalte

Miszelle zu I. Kor. 7,17.

Von Oünther Härder........367

Prüfung der Thesen von J. Knox zum
Philemonbrief.

Von Heinrich Orccven.......373

Berichte und Mitteilungen:

Neuere Literatur über die gnostischen Papyri

von Chenoboskion. (Foerster).....377

Zum vorliegenden Heft.......383

Beutfiter Ctoanseltfrjjer Cfteologentag Berltn 1954

NEU TESTAMENTLICHE SEKTION

(Leitung: A. O e p k e, Leipzig, und J. Jeremias, Göttingen)

Zur kritischen Bedeutung der neutestamentlichen Lehre von den beiden Reichen

Von Heinz-Dietrich W e n d I a n d, Kiel

In der Wilhelm Stählin-Festschrift1 habe ich in einer Auseinandersetzung
mit der traditionellen Fassung der Zwei-Reiche-
Lehre die These vertreten, das NT fordere die eschatologische
und christologische Neuformung dieser Lehre; insbesondere werde
dies einerseits durch die neutestamentlichen Aussagen über die
Herrschaft Christi, andererseits durch den neutestamentlichen
Kosmos-Begriff zur Notwendigkeit. Ferner wurde dort darauf
hingewiesen, daß die bisher in der Diskussion über das Problem
nicht genügend berücksichtigte „Ethik" des NT deutlich zeige,
nicht der bloße negative Gegensatz der zwei Reiche, sondern der
überschritt des Reiches Gottes und des neuen Lebens in die Welt
sei der entscheidende Vorgang. Die Agape bedeutet jedenfalls,
daß es bei dem Gegensatz der beiden Reiche unmöglich sein Bewenden
haben kann. Wir haben es hier mit einem Thema zu tun,
bei dem die kritische Funktion der Exegese gegenüber theologischen
Traditionen oder der immanenten Theologie bestimmter
kirchlicher Haltungen besonders deutlich hervortritt.

Allein hier taucht nun doch ein neues Problem auf. Der
'extbefund, besonders in der paulinischen Parainese, auf die wir
Uns hier beschränken müssen, nötigt zu einer Erweiterung der
"gestellung. Es handelt sich um die „naturrechtlichen" Begriffe
PVi Wormeln bei Paulus, tpvocs, agen), dixutov u.a. (vgL
sich a- t:u Kor- iL 13—14; Kol. 4, 1). Auch 1. Kor. 9, 7 zeigt
™ die auffaiien<je Freiheit und Unbekümmertheit der Denk-
we des Paulus im Hinweis auf das natürliche Recht des Arbeits
, Anteil zu erhalten am Ertrage, zur Begründung seines
P o s t e 1 rechtes. 1. Kor. 11, 14 gar wird in stoischer Defini-
n von der lehrenden Natur gesprochen; Phil. 4, 8 begegnen
•> uter Begriffe des bürgerlichen Lebens"*, und wir werden gut
Vnu" n ' c n 1 mit k Lohmcyer zum Begriff der christlichen
oilkommenhcit hinauf zu interpretieren'1. Stützen diese Formeln
nicht die traditionelle Fassung der Lehre von den zwei Reichen,
J^großes Gewicht auf die Selbständigkeit des Weltreiches legt,

ri,,1) Dic Weltherrschaft Christi und die zwei Reiche, in: Kosmos u.
Lkklesia hrsg. v. H.-D. Wcndland, Stuttgart 1953, S. 23 ff.
„■dJi Dibelius in Lietzmanns Handbuch 11, 3. Aufl. 1937,
2U Phil. 4, g.

.y J E- Lohme y er. Der Brief an die Philipper (Meyers Krit.-
xcget. Komm. 9), 8. Aufl. 1930. S. 173 ff.

da diese durch die ordinationes Dci wohl begründet sei? Muß
man nicht also doch im Gegensatz zur Auffassung der „Christo-
kratie" wenigstens von einet relativen Autonomie des Weltreiches
im Sinne einer „natürlichen" Wcltordnung und eines
diese zur Geltung bringenden Ethos sprechen? Der Hinweis darauf
, daß es sich hier um die Übernahme von ethischen Traditionen
des hellenistischen Judentums handele, genügt offensichtlich
nicht zur Behebung der Schwierigkeit. Die Frage lautet: Wie
ist denn diese Rezeption in einer eschatologisch, christologisch
und pneumalogisch fundierten Parainese überhaupt möglich? Was
haben in einer solchen diese seltsamen Fremdkörper zu suchen?
Muß sie nicht vielmehr solche Argumentationen mit der (pvatg
und der doeriy und ethischen Verpflichtungen für jedermann a
limine abweisen, wenn es um Weisungen für eine vom Pneuina
geleitete Gemeinde geht?

Am deutlichsten tritt das Problem wohl im Kontext von
Phil. 4, 8 hervor. Die Begriffe der hellenistischen Moral treten
auf innerhalb der eschatologischen Verkündigung der Nähe des
Herrn (4, 5), die mit der Verheißung des Friedens Gottes (4, 7)
und dem Liebesgebot (4, 5) verbunden ist. Der Apostel bezeichnet
sich selbst zum Schluß als das Urbild des von der Gemeinde
geforderten Tuns (4, 9). Wenn nun in solchem Zusammenhange
die Formeln einer Ethik der bürgerlichen Ordnung, des Anständigen
und der Tugend auftreten, so ist damit das Problem am
schärfsten gestellt; und es scheint von hier aus wohl begreiflich,
wenn spätere Zeiten seine Lösung in einer Zwei-Stufen-Ethik gesucht
haben.

Man darf freilich zunächst nicht vergessen, daß der paulinischen
„Ethik" bestimmte kritische Voraussetzungen voraufliegen,
die eine gleichsam „naive" oder „direkte" Rezeption als ausgeschlossen
erscheinen lassen. Es handelt sich hier um das gegenwärtig
sich vollziehende Gericht Gottes über die Sünde der
ganzen Menschheit (Rom. 1—3), durch welches zugleich der heidnische
Götzendienst als Ursünde gegen die Ehre und Herrlichkeit
Gottes oder auch als Dämonendienst (1. Kor. 10, 20 f.) aufgedeckt
wird. Es handelt sich zweitens um die Freiheit des Menschen in
Christus von der Macht des Kosmos und der Sünde, die das Ende
aller gesetzlichen Ethik der Reinigung, der Selbstrechtfcrtigung
und Heiligung im jüdischen oder hellenistischen Sinne bedeutet.

321 322

UrB.TUB.