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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

318-320

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wagner, Hans

Titel/Untertitel:

Existenz, Analogie und Dialektik 1954

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

318

von einer Uniformität durch die Zeiten kann gar keine Rede sein.
Darum muß der Liturgiewissenschaftler jede Quelle für sich würdigen
, sie mit gleichzeitigen und früheren vergleichen, und so
kommt er zu einem Einblick in den jeweiligen Stand des Meßordo
einer Stadt, eines Bezirkes, einer Klostergemeinde. Faehn nimmt
den Meßordo des Missale Nidrosiense von 1519 und setzt daneben
drei hochmittelalterliche norwegische Meßordnungen aus
ungedruckten Quellen, um durch Analyse jedes Meßordo und
Vergleich dieser vier Meßordnungen zu einem Resultat für Norwegen
, ja vielleicht gerade für die alte Haupt- und Erzbischofs-
Stadt Nidaros zu gelangen.

Die drei ungedruckten Meßordnungen bezieht Faehn aus drei Manualien
oder Ritualien in der Kgl. Bibliothek zu Kopenhagen, deren
Signaturen heißen: Ny Kgl. S. 32 (Liber ritualis) — Ny Kgl. S. 133 f.
(Liber ritualis) — Thott 110 (Manuale). Diese „Handbücher" haben
verschiedenen Zeiten angehört und einzelne Teile wieder verschiedenen
Zeiten, aber den Grundstock aller drei kann Faehn auf das 13. Jahrhundert
oder doch auf die Zeit um 1300 festsetzen. Damit ist über das
Alter der in den Manualien vorliegenden Meßordnungen noch nicht
endgültig entschieden; diesen Entscheid kann erst die eingehende Analyse
und Vergieichung bringen. Faehn bezeichnet den Meßordo des
Missale Nidrosiense 1519 mit A; den aus Ny Kgl. S. 133 f. mit B; den
aus Thott 110 mit C; und den aus Ny Kgl. S. 32 mit D. In der Reihenfolge
A, B, C, D ist A die jüngste Phase, D die älteste, über B und
C erfolgt erst ein Urteil.

Nun, das Hauptresultat für die Liturgiewissenschaft dürfte Faehns
Schlußfolgerung sein: B und C sind Verwandte der berühmten Seez-
Gruppe! Verwandte also, norwegische Verwandte des um das Jahr 1000
exemplarisch werdenden Meßordo der römisch-fränkischen Art, wie er
'n dem normannischen Bischofsstädtchen Seez (heute Sees) bezeugt ist.
ebenso aber in Minden a. d. Weser (dorthin gehört die „Missa Illyrica"
des Flacius), in Gregorienmünster i. Elsaß, in St. Lorenz in Lüttich, alsbald
auch in Italien und Rom. (Darüber handelt neuestens ausführlidi
L A. Jungmann, Missarum Sollemnia I 188 ff.). Die Verwandschaft
bleibt bestehen trotz einer gewissen Selbständigkeit von B und ebenso
von C. Faehns Urteil über B lautet: „Eine etwas altertümliche Meßordnung
von der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, hauptsächlich beeinflußt
von französischer Tradition und in manchen Einzelheiten deutlich
abh ängig von der Meßerklärung im Micrologus" (nämlich im „Micro-
logus" des Bernold von Konstanz, f 1100). Von C sagt Faehn des näheren
: „Im Großen und Ganzen eine wesentlich französisch und italienisch
beeinflußte Meßordnung aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts,
mit gewissen archaisierenden Zügen und mit einem jungen römischen
Kanontext". C ist also jedenfalls jünger als B, aber, nach dem Alter der
Manualien zu schließen, waren beide im Gebrauch im
13. Jahrhundert. Ob auch am gleidien Ort? Für B stimmt Faehn dafür,
daß es im 13. Jahrhundert der Meßordo einer Pfarrkirche in Nidaros
war (Schluß aus den 6 Allerheiligenlitaneien in den 3 ManualienI), und
daß wir deshalb in B die Hauptzüge des Meßordo der Kathedrale von ■
Nidaros im 13. Jahrhundert antreffen. Vergleicht man B mit A, so
dürfte, meint Faehn, dadurch eine Reihe der wichtigsten Änderungen
im Meßordo von Nidaros seit und in den 250 Jahren bis auf das Missale
Nidrosiense 1519 festgestellt werden können. (Er führt sie S. 128
an)- Den Meßordo A charakterisiert Faehn so: „Eine, im Großen gesehen
, spätmittelalterliche, aber etwas konservative Meßordnung, wesentlich
beeinflußt von dem normannisch-englischen Liturgiekreis, mit
e'n paar seltenen Abweichungen im Kanontext und im Kommunionteil
etwas .romanisiert' ". (Dagegen weist Faen Bonniwells auf Wedel-
Jarlsberg ig99 sich stützende These von 1945 zurück, A habe Züge der
Dominikaner-Liturgie). Notiert sei auch noch Faehns Urteil über D:
■■Eine fragmentarische Meßordnung aus dem 12. Jahrhundert, durdige-
hend abhängig vom Messordo im Micrologus, vor allem im Kommunionteil
, und mit einem Kanon, welcher deutlich von irischer und
hauptsächlich altrömischer Tradition beeinflußt ist". Aus diesen norwegischen
Meßordnungen bezw. ihren Quellen erschließt Faehn dann die
Geschichte der Beeinflussung des norwegischen liturgischen (und kulturellen
) Lebens: 1. Periode, 10.—11. Jhdt., konservativer angelsächsischer
und irischer Einfluß: 2. Periode, 12.-13. Jhdt., dominierender
fcinfluß aus der Normandie, Frankreich, Italien; 3. Periode, das Spät-
"i'tteiaher. verschiedenartiger, doch wesentlich normannisch-englischer
£'nfluß. Also bestätigt auch die Geschichte des Meßordo, daß Norwegen
unter der Leitung englischer Missionare christianisiert wurde.
, Die Einzelheiten sind oft recht interessant, interessieren aber
hauptsächlich den Norweger. Allgemeiner Beachtung ist doch auf
Jeden Fall die Geschichte der „Oblationen" S. 69 f. wert. Ebenso
d'e Beitrage Faehns zur „Intinctio" (S. 115 ff.) und zum Frie-
denskuß (S. 109 f.). Selbstverständlich auch die Geschichte der
lebete (passim). Daß von allen drei Meßordnungen nur C die
■■doppelte Aufopferung", nämlich oblatio separata von Brot und
Wem, hat, sieht nach Italien (11. Jhdt.).

Faehn hat mit Recht Jungmann zum Führer genommen —
und auch darin hat er recht, daß er an vielen Punkten Jungmanns
Darstellung des Meßordo bestätigt, ja erweitert hat. Es ist eine
durch und durch wertvolle liturgiewissenschaftliche Arbeit. Natürlich
wird man bei diesem ersten Durchbruch durch das norwegische
Schweigen das berücksichtigen müssen, was Faehn am
Schlüsse seiner Einleitung schreibt: „Wenn auch das liturgische
Material aus Sage, Lied und der anderen mittelalterlichen Literatur
(hier wünschten wir uns ein Buch wie R. Stroppel, Liturgie
und geistliche Dichtung zwischen 1050 und 1300, Frankfurt
1927), aus den Membranfragmenten im Reichsarchiv und den
zahlreichen liturgischen Quellen von Island untersucht sein wird,
(dann) muß sicherlich vieles in vorliegender Arbeit revidiert werden
". Das ist der Gang der Wissenschaft, und insbesondere der
Liturgiewissenschaft — aber man kann den Norwegern nur Glück
wünschen, wenn sie es Faehn nachtun.

Augsburg Leonhard Fendt

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

MV a g n e r, Hans: Existenz. Analogie und Dialektik. Religio pura seu
transcendentalis. 1. Halbband. München/Basel: Reinhardt 1953.
227 S. gr. 8° = Religionsphilosophie Bd. 1. Kart. DM 14.— ; Lw.
DM 16.50.

Wenn man die tiefe Kluft vor Augen hat, welche Nikolai
Hartmann in seiner Ethik (S. 701, 735 ff.) gegenüber der Religion
aufgerissen hat, (indem das Interesse an der ethischen Freiheit
des Menschen ihn geradezu zu einem Atheismuspostulat zu treiben
schien), so wird man die Entwicklung einer Religionsphilosophie
von einem der Hartmannschen Kategorialontologie eng
verwandten philosophischen Ort aus von vornherein als ein bedeutsames
Ereignis begrüßen. Für den Theologen wird dadurch
die Möglichkeit zum direkten Gespräch mit einer der wichtigsten
Richtungen gegenwärtigen Philosophierens eröffnet.

Das Werk Wagners ist auf drei Bände geplant. Der erste
Band soll als transzendentale Untersuchung der Religion überhaupt
deren „Möglichkeits- und Rechtsbedingungen" behandeln
(43). Der zweite Band soll eine „Kategorienlehre der Religion"
ausführen. Auf dieser Grundlage wird schließlich der dritte Band
eine kritische „Philosophie des Christentums" entwickeln, in
deren Zentrum die Problematik der beiden durch die Begriffe
Krisis und Analogie bezeichneten Wege christlicher Theologx
stehen soll (36 ff.).

Vorerst liegt nur der erste Halbband des Werkes vor. Die
Einleitung erfaßt mittels N. Hartmanns „aporetischer Methode"
die Schwierigkeiten einer gegenwärtigen Religionsphilosophie
und den Umkreis der ihr aufgegebenen Probleme in bemerkenswerter
Weite und Vollständigkeit.

Die im ersten Band zu leistende transzendentale Untersuchung
der Religion setzt einen vorläufigen Begriff derselben voraus
. Wagner ist sich darüber klar, daß anders als bei einer transzendentalen
Begründung der Bereiche menschlicher Kultur jener
vorgängige Begriff der Religion nicht a priori in der menschlichen
Vernunft zu finden ist; denn Religion ist — zumindest ihrem
Selbstverständnis nach — keine Kulturschöpfung des Menschen.
Wagners Religionsphilosophie will keine Erörterung des Wesens
der Religion „innerhalb der Grenzen . . ." sei es der Vernunft,
sei es der Kultur oder der Humanität sein (151, 55 ff). Der vorläufige
Begriff der Religion kann daher nur ein „quasi-reiner"
sein und wird aus antizipierten Ergebnissen der erst im zweiten
Band auszuführenden Kategorialanalyse gebildet.

Den Platz seiner transzendentalen Religionsbegründung
sieht Wagner durch die Analogia-Entis-Spekulation der Scholastik
besetzt, deren Anwendung auf das Verhältnis von ens a se
und ens ab alio jedoch als petitio prinzipii entlarvt wird, da das
Dasein des Schöpfers dabei schon vorausgesetzt ist. Die Analogiespekulation
schlägt also keine Brücke strengen Denkens vom
Diesseits zum Jenseits (transzensiv), sondern von dem im Sprung
des Glaubens gewonnenen Standort im Jenseits aus sucht dieses
Denken die Verbindung zum Diesseits (ciszensiv).