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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

316-318

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Faehn, Helge

Titel/Untertitel:

Fire norske messeordninger fra middelalderen 1954

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

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nellen lutherischen Theologie im 19. Jahrhundert aufzuhellen,
und zwar im Blick auf die Lundenser „Kirchentheologie" aus der
Mitte des vorigen Jahrhunderts. In einer Einleitung (1—32) werden
die Anfänge neukonfessionellen Denkens im Widerspruch
zur Union in den Thesen des Claus Harms dargelegt und die
Gegnerschaft gegen den Rationalismus als die eigentliche Wurzel
angesprochen. Dabei wurde der Organismusidee die gebührende
Aufmerksamkeit geschenkt. Allerdings wird versucht, sie
aus der mittelalterlichen Scholastik abzuleiten (18), anstatt auf
die weit näherliegende pietistische Betonung des Lebensmotivs
und die damit gegebene Ausgestaltung des Organischen zu verweisen
(vgl. dazu meinen Aufsatz, Die innere Einheit der Er-
weckungsfrömmigkeit im Übergangsstadium zum lutherischen
Konfessionalismus ThLZ 1949, 17 ff., bes. 27 f., auch z.T. Robert
Schneider, Schellings und Hegels schwäbische Geistesahnen
(d. h. Bengel und Ötinger) 1938). M. E. zu wenig berücksichtigt
ist das Vorspiel durch Reinhards berühmte Reformationspredigt
aus dem Jahre 1 800. Kapitel 1 behandelt die konfessionelle Theologie
, Entstehung und Entwicklung (33—98), Kapitel 2: die konfessionelle
Theologie, die Amts- und Kirchendiskussion (99—134),
Kapitel 3: das Bekenntnis (135—194), Kapitel 4: die Kirche
(195-270) Kapitel5: das Amt (271-312).

Als historische Wurzel der konfessionellen Theologie bezeichnet
F. die Evangelische Kirchenzeitung Hengstenbergs. Das
trifft in dieser Ausschließlichkeit nicht zu, man denke vor allem
außer an den genannten Reinhard (und Harms) an Grundtvig und
seinen Einfluß auf Rudelbach, sowie an den Erlanger Christian
Krafft, der im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels (die Erlanger
Theologie und die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche)
nur gestreift wird. Leider fehlen m. E. unentbehrliche Gestalten
wie Gotthilf Heinrich v. Schubert und Karl Raumer. Ein dritter
Abschnitt stellt unter der Überschrift „Andere konfessionelle
Theologie" Stahl als Hegelianer und Antihegelianer, Kliefoth
in verwandter Weise als Vertreter des „Ordnungsgedankens" dar,
während eine klare Erfassung Vilmars hier nicht gelingt. Nur
seine Zuordnung zu Kliefoths hegelisch gedachtem, dogmengeschichtlichem
Entwicklungsschema, das darin gipfelt, Kirche und
Eschatologie als theologische Themen der Gegenwart hervorzuheben
, ist ein greifbares Ergebnis. Die Debatte um das Amt
wird kundig und treffend in einem historischen Vorblick analysiert
, dabei tritt Wilhelm Löhes führende Bedeutung hervor. Die
einzelnen Abwandlungen, die vor allem durch Löhes Überordnung
des Amts und Höflings Überordnung des allgemeinen Prie-
stertums bezeichnet werden, die drohende Spaltung der Erlanger
Theologie und die neuen Gruppierungen werden anschaulich.
Hier bezieht F. dankenswerterweise auch nichtkonfessionelle
Theologen wie Lechler, Preger und Reuter ein. In einem weiteren
Kapitel wird die Diskussion über die Kirche zusammengestellt
. Erst dann folgen die drei systematischen Kapitel, dem Titel
entsprechend dem Bekenntnis, der Kirche und dem Amt gewidmet
. Sie entfalten die Problematik und ihre Lösungsversuche
in ganzer Breite. Im Unterschied zur historischen Anordnung
wird hier (richtiger) der Bekenntnisbegriff an die Spitze gestellt
und der Amtsbegriff erst nach dem Kirchenbegriff erörtert. In
dem Abschnitt über das Bekenntnis wird zutreffend die Betonung
des Lebens herausgearbeitet, der Ansatz in der Wiedergeburtstheologie
erkannt und das konfessionelle Denken als „Erfahrungstheologie
" gekennzeichnet. Die Belege entnimmt F. vor
allem Gottfried Thomasius und Harless. Dann werden die „Anstaltskirche
" bei Stahl, die „Gemeindekirche" bei Höfling, die
„Voikskirche" bei Kliefoth entwickelt, wobei man über das letzte
Schlagwort streiten könnte. Denn auch die eigene Gedankenführung
F.s zeigt, daß das „volkskirchliche" nur e i n Motiv (und
zwar ein in der damaligen Situation keineswegs originelles Motiv
) für Kliefoth ist. Sein Kirchenbegriff kreist um das Verhältnis
von Geist und Recht, von Gnadenmitteln und persönlicher Aneignung
. Dankenswert ist die Gegenüberstellung mit Schleiermacher
und Hegel, besonders im Geist- und Entwicklungsgedanken
. Vernachlässigt ist dabei leider wieder das Lebensmotiv, das
zwar genannt, aber nicht festgehalten und durchgeführt wird.
Die unmittelbare Ableitung von Kliefoths Begriffspaar der äußeren
und inneren Annahme des Heils aus Johann Gerhards Denken
erscheint etwas gekünstelt (260 f.). In der Amtsdiskussion

werden eindrucksvoll Höflings sakramentalem Kirchenamt die
drei Ämter Kliefoths (Gnadenmittelamt, Gemeindeamt oder allgemeines
Priestertum, Kirchenregieramt) und das eine unteilbare
Amt als Dienst am Wort bei Stahl und Vilmar gegenübergestellt
. Hier wäre angesichts der sonstigen Wiederholungen in
der Gedankenentwicklung F.s eine nochmalige Behandlung Löhes
erwünscht gewesen. Die besondere Zuspitzung des Amtes zum
Hirtenamt und zur Christusrepräsentation bei Vilmar kommt
gut heraus.

So erhält der Leser ein reiches Bild, das von einer eindringenden
Beschäftigung mit dem ganzen Problemkreise zeugt, die
wesentlichen Linien und Haltungen gut erfaßt und gruppiert und
die hohe Bedeutung dieser Gedankenarbeit in ihrer inneren Energie
sichtbar macht. Wertvoll, ist auch der wiederholte Hinweis
auf die exegetischen Bemühungen und Begründungen, der m. E.
noch stärker sein könnte. Die Anlage ist freilich im ganzen zu
wenig gestrafft. Das Zentrum des Denkens ist nicht genügend gegenwärtig
, Bekenntnis, Kirche und Amt sind allzusehr nebeneinander
gestellt. Die Aufhellung der Triebkräfte bleibt bisweilen
an der Oberfläche. Nicht wirklich klar wird der letzte bewegende
Faktor, am ehesten ist er im Sinn F.s das Bekenntnis in seiner organischen
und begrifflichen Vereinigung objektiver und subjektiver
Elemente, die diese Theologen in den Begriff der „Vermittlung
" faßten. Daraus folgte ein aus der Betonung des Lebens geschöpfter
Entwicklungsbegriff, mit dem man in Konkurrenz zum
römisch-katholischen Kirchendenken Johann Adam Möhlers
trat. Das alles legt der Verfasser schön in dem Abschnitt über
das Bekenntnis dar, ohne es genügend für das Ganze fruchtbar
zu machen. Darin liegt die Grenze der verdienstlichen Untersuchung
.

Berlin Martin Schmidt

LIT VHG1EW1SSEN SCHAFT

Faehn, Helge: Fire Norske Messeordninger fra Middclalderen utg.
med innledning og Analyse. Oslo: Dybwad in Komm. 1953. 131 S.,
4 Abb. 4° = Skrifter utg. av det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo
II. Hist.-Filos. Kl. 1952, 5.

Wenn Faehn hier „vier mittelalterliche norwegische Meßordnungen
" vorlegt, einleitet und analysiert, so vergißt er nicht,
anzumerken, daß die Erforschung der mittelalterlichen Messe
Norwegens bisher so gut wie gar nicht betrieben wurde, trotzdem
an Quellen kein Mangel wäre. Um die Arbeit in Gang zu
bringen sei freilich erstes Erfordernis, das meist ungedruckte
Quellenmaterial im Druck herauszugeben und den einzigen alten
Druck, das 1519 gedruckte Missale der Haupt- und Erzbischofsstadt
Nidaros ,a. Nidelv (Nidaros: so hieß Trondhjem vordem
und so heißt es seit 1.1. 1930 wieder), neu herauszugeben, wie
das Lunder Missale von 1514 seit 1946 in Malmö ediert wurde.
Wegen der heute noch herrschenden Schwerzugänglichkeit der
Quellen ist nun bisher auch keine Monographie über die mittel'
alterlichen norwegischen Meß - O r d i n e s erarbeitet worden —
und gerade das greift Faehn herzhaft und mit schönem Erfolg an.
Gewiß hat J. Freisen einmal dem Meßordo des Missale Nidro-
siense (eigentlich: Nidarosiense) von 1519 Aufmerksamkeit geschenkt
(Missale Lincopense etc., Paderborn 1904). Gewiß hat
der verdiente A. Chr. Bang (von dem auch der Artikel „Norwegen
" in RE'1 XIV 214 ff. stammt) sich für den norwegischen Meßordo
des Mittelalters interessiert — aber hauptsächlich den Meßordo
des Missale Nidrosiense 1519 herangezogen und, eheu, ihn
vor 1319 angesetzt und in den Statuten des 14. Jahrhunderts vorausgesetzt
! Gewiß hat Sigrid Undset an den mittelalterlichen
norwegischen Meßordo gedacht, aber mit Treue und Herzlichkeit
ihn in dem nachtridentinischen römischen Meßordo gefunden-
Andere merkten etwas von den Schwierigkeiten, und gingen an
dem norwegischen mittelalterlichen Meßordo-Problem vorbei wie
der Levit am Jericho-Reisenden Lc. 10, 30 ff.

Faehn nun packt das Problem liturgiewissenschaftlich an. In
der Liturgiewissenschaft weiß man, daß im Mittelalter keine Llni-
formität des Ritus herrschte; nicht einmal im gleichen Bistum
war sie selbstverständlich, geschweige denn im ganzen Lande. Und