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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

312-313

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Aland, Kurt

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte in Lebensbildern 1954

Rezensent:

Schmidt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

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raschungen. Grundlegend sind nach wie vor die beiden Handschriften
Parisinus gr. 930 (P) und Ottobonianus gr. 443 (O), die
wir seit 1672 bzw. 183 8 kennen. Schon Lagarde hat betont, daß
beide Manuskripte „deutlich denselben text" enthalten (Clementina
, 1865, S. 11). Rehm urteilt ebenso. Aber er hat die beiden
Originalhandschriften selbständig kollationiert, während Lagarde
für O weithin auf Dresseis Ausgabe angewiesen war. Der
„Codex des Turrianus" ist, wie Rehm Seite XIII f. nachweist,
identisch mit dem Codex O und scheidet darum als selbständiger
Textzeuge aus. Dagegen legt Rehm größten Wert auf die textkritische
Auswertung der Epitome (E). Auf dieser dreifachen Grundlage
(E, P und O) baut Rehm im wesentlichen seinen Text auf.
Es ist nicht der ursprüngliche Homilientext, den Rehm auf diese
Weise rekonstruieren will, sondern die Textrezension @, d. h.
die Textgestalt, die die Homilien nach 381 in den „ebionäischen"
Kreisen Syriens erhalten haben. Neben der Rezension © erscheint
der syrische Homilientext der Edesssenischen Handschrift aus
dem Jahr 411 bei Rehm als Repräsentant einer selbständigen
Rezension (@), die auf älterer Textüberlieferung fußt und vielfach
eine bessere Textform bietet als @. Die arabische Tradition
dagegen, die motivgeschichtlich bekanntlich viel Interessantes
bietet, erweist sich textgeschichtlich als nicht sehr ergiebig.

Inhaltlich weicht der Text, den Rehm auf diese Weise gewinnt
, meist nicht allzusehr von den älteren Texteditionen ab.
Ich habe die Ausgaben von Lagarde und Rehm an 124 z. T. seitenlangen
Stellen, die religionsgeschichtlich, liturgiegeschichtlich
oder rechtsgeschichtlich von besonderem Interesse sind oder aus
anderen Gründen in der neueren Forschung eine Rolle spielen,
miteinander verglichen und nur an 9 von diesen Stellen sachlich
nennenswerte Besonderheiten gefunden. Diese 9 Stellen seien
hier nur ganz summarisch aufgezählt, um die wissenschaftliche
Aufmerksamkeit darauf zu lenken: Rehm Seite 41, Zeile 10 f.
(cf. auch Dressel z. St.); 63,1; 85,7; 118, 25 f. (cf. Dressel
z. St.); 119,24; 171,14; 194, 11 f.; 240,9; 279,24. Man
wird aus der relativen Geringfügigkeit dieser Ausbeute die
Schlußfolgerung ziehen dürfen, daß die bisherige Diskussion über
die Probleme der pseudoklementinischen Homilien bruchlos weitergehen
kann. Rehms Ausgabe hat die bisherige Textgrundlage
im allgemeinen nicht revolutioniert, sondern bestätigt und befestigt
. Darin dürfte ihre wissenschaftliche Hauptbedeutung liegen
.

Das schließt nicht aus, daß die neue Ausgabe in Einzelfällen zu
interessanten Observationen Anlaß gibt, und die unauffälligsten sind
nicht immer die unwichtigsten. Dafür ein Beispiel: In dem Wunderkatalog
Horn 1,6,4 sagt der Kodex O: xvIXovq ymlovg ögöoT. Ihm
folgt Rehm, gegen Dressel und Lagarde, die beide nach P lesen:
xvXXovs jioieX jisQtjiarstv, %a>Xovi; avoQÜoI. Rehm ist zweifellos im
Recht. Proclivi praestat ardua. Das doppelte Objekt zu dg/}oi in O ist
befremdlich, die Verdoppelung des Verbums in P ist sekundäre Erleichterung
in Anlehnung an die Stilform von Mtll,5. O repräsentiert
hier die Textrezension @. Aber hat © hier die klementinische Urge-
stalt des Logions bewahrt? Rehm selbst verweist im Apparat auf
Ree. 3, 60, 2. Dort steht: xwXoix; xai äoOevsTg og&ovo-Oai ejioirjne
(so Frankenberg nach dem Syrer). Debiles et claudos erexit (so Gersdorf
nach Rufin). Dort sind also die beiden Objekte durch xai verbunden
. Der Syrer führt, wie auch Rehm grundsätzlich betont, zeitlich
weiter hinauf als P und O. Ergo ist die Lesart mit xai die ältere, und
die griechische Textüberlieferung lautete ursprünglich: xvXXobs xai
XwXovg doiioT. Diese älteste Lesart aber hat drei frappante und bisher
m. W. unbemerkte Parallelen in der mandäischen Literatur. In Ginza
R 1, 201, einem der ältesten Traditionsstücke des Ginza überhaupt,
lesen wir: „Er richtet die Verkrüppelten und (so mit Petermanns Text
gegen Lidzbarskis Übersetzung) auf dem Boden Kriechenden auf, daß
sie gehen können". Im Johannesbudi 76, 274 heißt es: „Die Verkrüppelten
und auf dem Boden Kriechenden machte ich wieder auf den Füßen
gehen". Im Johannesbuch 76, 275 f. steht derselbe Satz in der Du-
form. Man sieht, wir stoßen hier auf eine feste Gestalt des Jesuslogions
, die von der Logienüberlieferung Mtll, 5 u. Lk 7, 22 abweicht,
aber der mandäischen und pseudoklementinischen Überlieferung gemeinsam
ist — ein neues Exempel für die mannigfachen Verwandtschaftsbeziehungen
zwischen den Urmandäern und den „ebionäischen"
Lesern der Pseudoklementinen. (Über andere Traditionsformen des Logions
hoffe ich demnächst in der ZNW zu berichten).

Der Neuausgabe der pseudoklementinischen Homilien soll
der Druck der Rekognitionen alsbald folgen. Vielleicht darf man
die Hoffnung aussprechen, daß man uns zum Abschluß der ganzen
Ausgabe einige Indices beschert: Einen Index der griechischen

und lateinischen Wörter, einen Index der Bibelstellen und eine
alphabetische Bibliographie, in der man die Autornamen nachschlagen
kann, die im Apparat genannt sind.

Die Beschäftigung mit den Pseudoklementinen war bisher
auf einen sehr kleinen Kreis von Esoterikern beschränkt, zumal
da die Ausgabe Lagardes von 1865 nur in 266 Exemplaren gedruckt
worden ist und darum längst zu den antiquarischen Raris-
sima gehört. Es ist zu wünschen, daß das Studium dieser Literatur
durch das Erscheinen der Rehmschen Editionen fühlbar in Aufschwung
komme. Denn eine Fülle von Problemen kann dadurch
gefördert werden: Die Geschichte Jesu, des Simon Magus, des
Menschensohnbegriffs, der Täuferbewegung, des apostolischen
Zeitalters, der judenchristlichen Sekten, des ältesten Kirchenrechts
, der antiken Legenden- und Romanliteratur. Rehm hat
seinerzeit in ZNW 37 (1938) eine neue literarkritische Analyse
der Pseudoklementinen vorgelegt und ist damals bis auf die
„Grundschrift" zurückgegangen. Kann man noch weiter zurückgehen
und auch die Grundschrift noch quellenkritisch zerlegen,
wie Waitz, Schoeps und andere es versucht haben? Rehm-Irm-
scher sprechen in der Einleitung von der Notwendigkeit, die Kle-
mentinen im Lichte jüdischer Texte zu untersuchen. Es wäre der
schönste Dank für die Leistung Rehms, wenn die Pseudoklementinen
den Anstoß gäben zu einer planmäßigen Verbindung pa-
tristischer und judaistischer Studien auf allen Gebieten der Alten
Kirchengeschichte.

Erlangen Ethelbert Stauffer

Aland, Kurt: Kirchengcschichte in Lebensbildern. I: Die Frühzeit.
Berlin: Verlag Die Kirche. 304 S. 8°. DM 7.80.

Die Kirchengeschichte ist lange Zeit die schwerfälligste unter
den theologischen Wissenschaften gewesen. Während etwa im
AT Rudolf Kittel in seinen „Gestalten und Gedanken in Israel"
(1926), im NT Adolf Deißmann in seinem freilich einseitigen
„Paulus" (1925), neuerdings Oskar Cullmann in seinem „Petrus"
(1952) Lebensbilder für weitere Kreise zeichneten, Adolf Schlattir
die „Geschichte der ersten Christenheit" (1926) erzählte und
selbst Rudolf Bultmanns Jesusbuch (1926 21952) in einer populären
Reihe („Die Unsterblichen") erschien, während die systematische
Theologie eine Fülle von allgemeinverständlichem
Schrifttum hervorbrachte und dadurch Namen wie Althaus, Barth,
Brunner, Delekat, Dilschneider, Doerne, Eiert, Gogarten, Heim,
Iwand, Köberle, Schlink, Thielicke, Vogel — um nur diese zu
nennen — in die Gemeinde einbürgerte, blieb die historische Disziplin
zurück. Heinrich Böhmer, der durch seine Verbindung von
minutiöser Beobachtungsgabe, fesselnder Darstellung und köstlichem
Humor hierzu besonders befähigt war, hat uns eine Reihe
unvergeßlicher Schilderungen hinterlassen, vor allem seinen
jungen Luther (1925), seine Jesuiten (1912) und seinen Ignatius
von Loyola (hrsg. v. Hs. Leube 1941). Darüber hinaus besitzen
wir wenig. Darum ist die Geschichte der Kirche bis zur Stunde
der Gemeinde ein unbekanntes Land bis auf die große Gestalt
Luthers und einiger Männer des 19. Jahrhunderts — meistens solcher
, deren Lebenswirkung noch in die Gegenwart hineinreicht.
Auch die Religionsgeschichtlichen Volksbücher, eine beachtliche
Leistung der historisch-kritischen Theologie am Anfang unseres
Jahrhunderts und Vorläuferin der RGG1 hatten ihr Schwergewicht
in der alttestamentlichen und neutestamentlichen Abteilung
, die kirchengeschichtliche blieb Torso. Wohl gibt es dankens werte
Überblicke über den ganzen Verlauf, wie den schlicht erzählenden
, ungemein inhaltreichen von Hans Achelis (1921), den
auf die große Linienführung bedachten von Hans von Schubert
(zuletzt vorl Erich Dinkler hrsg. 1948), den vorwiegend auf
Deutschland bezogenen von Hermann Schuster (zuletzt mit v.
Campenhausen 1947), den „theologischen" von Wilhelm v. Loe-
wenich, die Grundrisse von Theodor Brandt und Kurt Dietrich
Schmidt, die ebenfalls den theologischen Aspekt beachtlicherweise
hervorkehren. Wohl liegt die monumentale Gesamtdarstellung
von Johannes v. Walter vor, die einen verständnisvollen, urteilsfähigen
und umfassend gebildeten Leser sehr anspricht.

Jedoch die Verbindung von anschaulicher Erzählung mit kurzem
, auf das Wesentliche beschränktem Urteil und Hinweis auf
die kirchengeschichtliche Gesamtbedeutung, gegründet auf völlige
Beherrschung der Einzelheiten und theologische Klarheit, vor