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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

303-304

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Karl Georg

Titel/Untertitel:

Die Kupferrollen von Qumrân und ihr Inhalt 1954

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303

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

304

tumsangabe, die bei solchen Urkunden unerläßlich sein dürfte
und nach den Münzen der Bar-Kochba-Zeit auch erwartet werden
dürfte. Neben Absender- und Empfängerformeln in Z. 1. 2. und
der Mitteilung über den Kuhverkauf (Z. 3. 4) stehen nun die
brieflichen Mitteilungen des offenbar an erster Stelle unterzeichneten
Unterführers Jeschua' ben El'azar. Diese Mitteilungen müssen
aber irgendwie in einem sachlichen Zusammenhang mit dem
vorhergehenden stehen. Hier haben Lehmann-Stern den richtigen
Zusammenhang erkannt, indem sie annehmen, daß das Rechtsgeschäft
des Verkaufes eigentlich vor dem Militärgouverneur Jeschua
' ben Galgola hätte vollzogen werden müssen, wie er es
offenbar streng angeordnet hatte. Der Untergebene begründet die
Abweichung von dem Befehl mit der Nähe der Römer, zeigt auch
ausdrücklich, daß ihm der Befehl bewußt war, und betont, daß
er nicht aus Mißachtung gegen den Vorgesetzten von dem Befehl
abgewichen ist. Der abgewandelte Schlußgruß enthält noch einen
Hinweis auf seine bedrängte Lage, indem er sich selbst einen

Heilswunsch entbietet. Bei dieser Auffassung bedarf es nicht der
Annahme (Rabinowitz), daß Joseph ben Ariston der Überbringer
einer Botschaft war anstelle des Unterführers Jeschua' ben El'azar
und ein Zertificat mitbekam, das den rechtmäßigen Besitz der
Kuh erwies. Vielmehr muß als Überbringer dieser Urkunde, denn
überbracht worden ist sie wohl dem Militärgouverneur, der zuletzt
Unterzeichnete, „der Bezeugende", angenommen werden.
Er bezeugte am Sitz des Militärgouverneurs, daß die Unterschriften
rechtskräftig und eigenhändig waren43. Wir haben also literarisch
einen interessanten Mischtypus von Rechtsurkunde und
Militärbrief und erkennen, wie Bar Kochba und seine Mitarbeiter
um den Aufbau eines geordneten israelitischen Staats- und
Rechtslebens bemüht gewesen sind. Daß das Datum fehlt, muß
aus dem Mischtypus heraus erklärt werden. Im Militärbrief des
Bar Kochba (vgl. I) fehlt die Datumsangabe auch.

") S. Krauss, Talmudische Archäologie II S. 68 ff. hat Belegstellen
für diesen Boten gesammelt.

Die Kupferrollen von Qumrän und ihr Inhalt

Von Karl Georg Kuhn, Göttingen
(Resume)

Unter den reichen Schätzen an Lederhandschriften, Handschriftenfragmenten
, Papyri und Ostraka, die in den letzten lahren aus Höhlen
der Wüste Juda in der Nähe des Toten Meeres ans Tageslicht kamen,
ist wohl das Merkwürdigste, Überraschendste und vielleicht auch das
Wichtigste die Auffindung zweier Kupferrollen mit eingehämmerter
Schrift. Die Rollen wurden gefunden im lahre 1952 in einer Höhle in
der Nähe der berühmten ersten Fundhöhle von 1947 (1 Q). Sie liegt,
wie die erste Fundhöhle, am Abfall des Gebirges Juda zum Toten Meer
in der Umgebung der Ruinenstätte Chirbet Qumrän, die durch die inzwischen
durchgeführten Ausgrabungen als der einstige zentrale Ordenssitz
der jüdischen Sekte der Essener im ersten Jahrhundert vor und
im ersten Jahrhundert n. Chr. erwiesen ist. Als im Frühjahr 1952 Beduinen
Handschriftenfragmente in einer zweiten Höhle (2 Q) am Felshang
in der Nähe der ersten Fundhöhle fanden, haben Mr. Lankester Har-
ding und P. de Vaux mit ihren Mitarbeitern, rasch entschlossen, in einer
Expedition eine systematische Durchsuchung der zahlreichen Höhlen am
Steilhang beiderseits Chirbet Qumrän in einer Gesamtbreite von etwa
8 km durchgeführt. In diesem Raum liegen auch 1 Q und 2 Q. Die
Expedition war ein Gemeinschaftsunternehmen der Ecole Biblique
unter ihrem Direktor P. de Vaux, des Palestine Archaeological Museum
(Rockefeiler Foundation) und der American School of Oriental Researdi
in Jerusalem. Von den weit über 200 untersuchten Höhlen erwiesen sich
etwa 25 als früher einmal zeitweise benutzt. In einer Höhle (3 Q), die
etwas weiter von Chirbet Qumrän entfernt liegt als 1 Q und 2 Q, wurden
die beiden Kupferrollen gefunden. Sie gehören also mit den Funden
aus den anderen Höhlen dieser Umgebung zu dem mit Chirbet Qumrän
zusammenhängenden Gesamtkomplex der Essener-Funde.

Ursprünglich waren es 3 dünne Kupferplatten von 30 cm Höhe und

je etwa 80 cm Länge, die aneinandergenietet waren zu einer Gesamtlänge
von 2. 40m. Auf ihnen wurde der Text in Quadratschrift eingehämmert
, und zwar in schätzungsweise 12 Kolumnen zu je 16—17 Zeilen
. Sie wurden dann zusammengerollt, wobei die 3. Kupferplatte wieder
abgetrennt wurde, so daß sich 2 Kupferrollen ergaben. Der Text befindet
sich auf der Innenseite. Wegen der starken Oxydierung und Brüchigkeit
des Materials war es bisher noch nicht möglich, diese Stücke aufzurollen
. Die Schrift ist aber so eingehämmert, daß sie auf der Rückseite
Spuren der Durchprägung hinterlassen hat. Aus diesen Spuren konnte
ich bei meinem Aufenthalt in Jerusalem im Herbst 1953 einiges entziffern
. Der Text enthält viele Zahlenangaben, sowohl in Buchstaben als
auch in Ziffern ähnlich denen, die bereits aus den Elephantine-Papyri
bekannt sind. Aus den entzifferten Textzeilen läßt sich schließen, daß
der Text hebräisch ist und daß es sich jedenfalls nicht um einen biblisdien
Text, ja, überhaupt nicht um einen Text religiösen Inhalts handelt
. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Verzeichnis der Wertgegenstände
und des Vermögens der essenischen Gemeinschaft, die ja Gütergemeinschaft
hatte. Dieses Verzeichnis dürfte angelegt sein zu Beginn
des jüdischen Krieges 66—70 n. Chr. Zu diesem Zeitpunkt haben die
Essener ihre reiche Bibliothek an Lederhandschriften sorgfältig verpackt
und verborgen zur Sicherung vor den Kriegswirren. Entsprechend haben
sie wahrscheinlich auch die Wertgegenstände ihrer Gemeinschaft verborgen
und darüber ein Verzeichnis angelegt, das sie in Kupfer einhämmerten
und nicht einfach auf Lederrollen schrieben, um es möglichst unzerstörbar
zu sichern. Sie haben dann diese Kupferplatten, ebenso wie
sie es mit ihren Ledcrrollen machten, zusammengerollt und in einer
Höhle verborgen.

(Erscheint im Aprilheft 1954 der Revue Biblique)

Leviticus 18

Von Karl E 11 i g e r, Tübingen
(Resume)

Die literar- und traditionsgeschichtliche Analyse ergibt: um einen
Kern spezieller gesetzlicher Bestimmungen legt sich ein Rahmen allgemeiner
paränetischer Sätze.

Der Kern zerfällt in zwei Gruppen: v 7—17a und v 17b—23. Bei
Gruppe I läßt der Vergleich der Strukturelemente hinter der gegenwärtigen
Gestalt eine längere Geschichte sichtbar werden. Jetzt 11, waren
es einmal 12 Sätze; die „Tochter" ist vor v 10 ausgefallen. Aber
auch die Einheit und Ursprünglichkeit dieses Dodekalogs ist relativ.
Formale Anzeichen sind Flicksätze und -Wörter z.B. v 14bct'P1ENta va
ausgefallen, im Stil von Gruppe II nachgetragen), dazu die Erläuterungen
in v 9 und 11, die in Spannung zueinander stehen und Kommentierarbeit
verraten. Zusammensetzung und Reihenfolge lassen einen Dekalog
als Vorstufe vermuten (v 11 klappt in der ersten, v 16 in der zweiten
Reihe nach; v 17a fällt völlig aus der Reihe, das Zusammen der
beiden Enkelinnen in v 10 ist verdächtig). Am nächsten führt an den
ursprünglichen Bestand heran die Frage nach dem Sitz im Leben. A priori
ist zu sagen: handelt es sich um altes Gesetz, dann sollen die Sätze
nicht eine freischwebende Idee der Keuschheit verwirklichen, sondern
einen konkreten Zweck erfüllen, einen bestimmten Zustand, eine bestimmte
Einrichtung rechtlich schützen. Und in der Tat handelt es sich
hier ursprünglich um das Zusammenleben der Großfamilie, das nicht in

ein Tohuwabohu der Gcschlcchtsgemeinschaft ausarten darf. Nicht von
Heirat (r,~'~). sondern allgemein von Geschlechtsverkehr ( . . . ri"P3>
nb.-.P iö) 'st die Rede. Welche Möglichkeiten boten sich in der Großfamilie
? Vier Generationen weiblicher Wesen leben da u.U. zusammen:
in der Altengeneration Mutter (7), weitere Frauen des Vaters (8), unverheiratete
Schwestern des Vaters (12), Frauen der Brüder des Vaters
, die sich noch nicht selbständig gemacht haben (14); in der eigenen
Generation unverheiratete Schwestern (9), unverheiratete Halbschwestern
(11), Frauen der verheirateten Brüder (16); in der Generation
der Kinder Töchter (—) und Frauen der Söhne (15); in der Generation
der Kindeskinder Töchter der Söhne (10). Von den im jetzigen Text
Aufgezählten passen nicht in die Situation die Schwestern der Mutter
(13) und die Töchter der Töchter (10), die ja in anderen Familien leben
; auch die gleichzeitige Heirat von Mutter und Tochter (17) fügt
sich nicht in diesen Zusammenhang. Es bleibt die Zahl 10 als ursprünglich
. Und es erweist sich der Kern von v 7— 17a als ein altes Gesetz aus
nomadischen Zeiten, in denen die Großfamilie noch dicht beieinander
wohnt. Diesem Alter entspridit noch die gänzlich untheologische Begründung
: auf den Familiensinn wird reflektiert. Leitender Gesichtspunkt
für die Aufstellung der Sätze war also zunächst nicht die Bekämpfung
der Unzucht als solcher, auch nicht die Verhinderung von