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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

283-284

Autor/Hrsg.:

Hommel, Hildebrecht

Titel/Untertitel:

Pantokrator 1954

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283

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

284

Pantokrator

Von Hildebrecht H o m m e 1, Berlin
(Resume)

„Was unser Gott geschaffen hat, das will er auch erhalten", dieser
Kirchenliedvers des Pietisten Joh. Jak. Schütz v. J. 1675 steht am
Ende einer langen Tradition, in der eine uralte Formel von „Gott
dem Schöpfer und Erhalter aller Dinge" mit erstaunlicher Zähigkeit ihr
Leben bewahrt hat. Am Anfang steht, soviel sich erkennen läßt, das
Wort des großen Milesiers Anaximandros, eines der Väter der abendländischen
Philosophie, der im 6. vorchristl. Jhdt. gesagt hat, daß das
Unendliche, dem alles sein Entstehen verdankt und in das alles am
Ende wieder vergeht, auch alles erhalte und regiere, und daß dieses
Unendliche mit dem Göttlichen identisch sei (ungefähr folgender
Wortlaut läßt sich rekonstruieren; ex xov äneiQov navxa yiyvexai xai
eis xovxo ndvxa tpfteiQexai. avxrj d' f/ aQ%t] doxei xai neQiexetv
cbxavxa xai ndvxa xvßegväv xai xovx eaxt xo ftetov. Diels-Kranz,
Fragmente der Vorsokratiker °I 12 A S. 8 5, zur Erklärung vgl. a.
Werner Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker 1953,
S. 36 ff.). Hier erscheint also die Formel noch um ein Element bereichert,
indem nämlich Gott nicht nur alles erschafft und erhält, sondern auch
wieder in sich zurücknimmt. In dieser Gestalt greift den Gedanken
• auch Piaton im Timaios auf (41 A. C/D), während die Stoa, die dann
zur Hauptverbreiterin des Topos werden sollte, gerade diesen Zusatz
eliminieren mußte, da er ihrem Dogma von der Ewigkeit der Schöpfung
widersprach (Poseidonios bei Cicero, De natura deorum II 86;
Philon, Vita Mosis III 31, 238; Dion Chrysost. XII 29; etc. etc.).
Das junge Christentum dagegen hätte ihn wohl akzeptieren oder doch
sich assimilieren können. Daß es gleichwohl nur die Formel von der
„Schöpfung und Erhaltung aller Dinge durch Gott" übernahm — ohne
deren Wiedereingehen in die Gottheit — (z. B. Irenaeus, Adv. haer.
V 18, 3 mundi factor continet quae facta sunt, oder Augustinus, De
trinit. V 1 creatorem omnia continentem), ist eines von zahlreichen
Argumenten dafür, daß die Stoa hier die gebende und übermittelnde
gewesen ist (vgl. dazu im einzelnen Theologia Viatorum IV. Jahrbuch
der Kirchl. Hochsch. Berlin 1952).

Aber das Christentum konnte diese geringe Einbuße des Traditionsguts
umso leichter hinnehmen, als es für die letzten Dinge ohnehin
eine andere und umfassendere Lösung zu geben hatte. Fragt doch
jene Formel nur nach dem Bewahrtsein der Kreatur in Gottes Hand
(neQiexeoüai ist eines ihrer beliebtesten Ausdrucksmittel, schon von
Anaximandros gebraucht, später abgelöst von avvexeo&at, ocö£eo&at,
qyuldxxsa&ai — contineri, teneri, conservari usw.); das Schuldigwerden
und die Erlösungsbedürftigkeit des Geschöpfes dagegen läßt sie ganz
beiseite. Für dieses Anliegen bietet das Christentum eine ganz neue
Antwort, deren Zentralbegriff freilich nicht von ungefähr auf das Vokabular
jener Formel zurückgreift: aus dem bis zum Ende fortwährenden
aa>(ea&at „Erhaltenwerden" wird die einmalige Möglichkeit des
od>£eo&ai, besser ao>&ijvai. des „Errettet- und Erlöstwerdens" durch den
2wxr)q 'IrjaoCg Xqioxös — aus dem Erhaltergott ist der Erlösergott
geworden.

Während davon der zweite und der dritte Glaubensartikel in zurückhaltender
Andeutung künden, was entschlossen freigelegt und verdeutlicht
wird durch Luthers Auslegung, hat es der erste Artikel zunächst
und vordergründig nur mit dem kreatürlichen Schicksal von Gottes
Geschöpfen zu tun. Hier hat die Erklärung eines seiner Zentral- 1
begriffe, des navxoxQaxwg, einzusetzen.

Die Gottesepiklese navxoxgdxwQ, die im ersten Artikel des Apostolikums
Gott dem Vater zukommt, aber bereits im Neuen Testament
, vor allem in der Apokalypse des Johannes, auf Christus übertragen
ist und den göttlichen Herrscher in der Ostkirche so eindringlich
kennzeichnet, hat eine doppelte Wurzel. Die eine — längst bekannte
— gründet in den LXX, wo das Wort ,navxoxQ&xa)f> zum ersten Mal
im größeren Umfang verwendet wird und das hebräische Zebaoth und
Schaddai wiedergibt. Ihr eignet die uns geläufige Bedeutung des „Allmächtigen
" (omnipotens) = ndvxcov XQaxwv.

Die andere Wurzel scheint bisher kaum beachtet zu sein. Sie wächst
aus der Wendung ndvxa xgaxwv, der „Allerhalter" (omnitenens)
und entspricht der verbreiteten Bedeutung von xgaxeiv, avyxgaxecv,
diaxgaxeiv c. acc. = ovvixuv (continere, tenere) „erhalten".
In der Prägung 6 noirjxiji xöiv oXcov, 6 xov xöofiov naxtjQ ... ovve%cov xai
öiaxoaxwv (Philon, Vita Mos. III 31) u. ä. bezeichnet der ndvxa xga- ^
xcöv den Schöpfergott zugleich als Erhalter des Alls; auch dieses Element
der Formel ist über Poseidonios von Apameia bis auf den Mile-
sier Anaximandros zurückverfolgbar und verdankt der stoischen Popu-
larphilosophie seine weite Verbreitung in der Spätantike (vgl. etwa
schon den jxayxßaxrj; in Kleanthes' Zeushymnos, fr. 537 A., v. 1).

Von da haben die Christen der ersten Jahrhunderte die so gestaltete
Formel zur Bezeichnung des Schöpfer- und Erhaltergottes übernommen
und konnten sie dem naxljQ navxoxQaxcoQ des ersten Glaubensartikels
vermählen, weil ihr Gehalt auch biblisch begründbar war (Ps.
103, 5. 31. Hiob 10, 12. Jes. 40,28. Hebr. 1,2/3. etc.). Besonders nahe
liegt es, an Stellen wie Apc. 1,8. 4,8. 11,17 anzunehmen, daß hier
die Verwendung des navxoxQdxwQ sich mit stoischen Reminiszenzen *
verbindet, die in die gleiche Richtung weisen wie die längst als stoisch
erkannte Formel „in ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge"
(Kol. 1, 16 u. ähnl. öfter — hier hat übrigens jener eingangs erwähnte
Zusatz zu unserer Formel in anderer Gestalt doch noch Eingang in die
Stoa gefunden, vgl. vor allem Marcus, Ad se ipsum IV 23 <h yvoig,
ex oov ndvxa, ev ooi nana, elg ae navxa).

Der im navxoxgdxwg ruhende Nebensinn des „Allerhalters" (omnitenens
) neben demjenigen des „Allmächtigen" (omnipotens) war in der
christlichen Tradition des Morgen- und Abendlandes bis etwa ins
5. Jhdt. lebendig und ist dann allmählich verlorengegangen, hat aber dem
Sinne nach noch bei Johannes Damascenus nachgewirkt. Er hat weiterhin
auf westliche Kirchenlehrer wie Petrus Lombardus und Thomas von
Aquin ausgestrahlt und klingt noch in Luthers Auslegung des ersten
Glaubensartikels und im evangelischen Kirchenlied vernehmlich nach.

(Erscheint im Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule, Berlin
Theologia viatorum, V 1953/54.)

ALTTESTAMENTLICHE SEKTION

(Leitung: O. E i ß f e 1 d t, Halle, und W. Rudolph, Münster)

Partikularismus und Universalismus in der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte

Von Otto Eißfeldt, Halle/Saale
(Resume)

Vor die Alternative: Partikularismus oder Universalismus hat sich Schaftsanspruch auf sein Volk Israel beschränkte Jahwe kam nämlich

nach der üblichen Auffassung von den Dingen die israelitisch-jüdische seit Israels Eindringen in Kanaan dort mit Göttern universaler Art in

Religion zweimal gestellt gesehen, zunächst im 6. Jahrhundert v. Chr.. , Berührung, zu denen ein Verhältnis gefunden werden mußte. Das war

sodann um die Wende der Zeiten. Dort war es vorab der große unbe- l keineswegs überall polemisch. Vielmehr haben die Israeliten zum min-

kannte Exilsprophet, Deuterojesaja, der die bis dahin immer noch mit par- J desten einen der in Kanaan vorgefundenen universalen Götter, El, an-

tikularistischen Regungen behaftete Jahwe-Religion auf den Weg zu : erkannt, ihm — gewiß nicht in der kultischen Praxis, aber doch im

universalistischer Weite führte. Hier gebührt dem aufkommenden Chri- ; weltanschaulichen System — Jahwe übergeordnet und diesem einen,

stentum das Verdienst, die in der alttestamentlichen Religion beschlos- i freilich sehr ehrenvollen Platz in dessen Hofstaat oder Ratsversammlung

senen und von Deuterojesaja gekräftigten universalen Tendenzen ! eingeräumt. Lange konnte sich Jahwe seiner Art nach mit solcher Va-

zu voller Entfaltung gebracht zu haben. Diese Betrachtungsweise ist j sallen-Stellung nicht zufrieden geben. Vielmehr trachtete er bald selbst

auch zutreffend. Nur darf nicht übersehen werden, daß die Jahwe-Reli- I nach der Oberherrschaft, begann also seine partikularistischc Bcschränkt-

gion schon sechs, sieben Jahrhunderte vor Deuterojesaja sich mit der j heit zu universaler Absolutheit auszuweiten. Diesem Geschehen im

Alternative: Partikularismus oder Universalismus hat auseinandersetzen i einzelnen nachzugehen, ist eine überaus reizvolle Aufgabe, die noch

müssen. Der zunächst partikularistische, in seinem praktischen Herr- ' kaum in Angriff genommen worden ist.