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Ausgabe:

1954 Nr. 4

Spalte:

195-200

Autor/Hrsg.:

Trillhaas, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Stellung und Aufgabe der Theologie in der evangelischen Kirche 1954

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195

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 4

19Ü

Stellung und Aufgabe der Theologie in der evangelischen Kirche

Von Wolfgang T r i 11 h a a s, Göttingen1

Die evangelische Kirche hat eine volkstümliche und eine un- | sich des Menschlichen nicht, sondern nimmt es ganz und gar in den

Umkreis ihrer Erwägungen auf. Der Kirche ist die Welt nicht
gleichgültig und darum nimmt sie seit alters an der Wisssenschaft
teil. Seit dem christlichen Altertum hat sich die Theologie dieser
Kirche um das Bild der Menschheitsgeschichte, um die Wissenschaft
von den Sprachen, um die Philosophie der Gläubigen und der Ungläubigen
gekümmert. Seit alters hat die Theologie die Aufgabe
übernommen, die Kirche im Raum der Welt, im Reich des menschlichen
Geistes zu orientieren. Es sind die alten Orientierungsfragen
, die sie dabei geleitet hat: Wo befinde ich mich? Welches ist
mein gegenwärtiger Standort? Welches ist mein Verhältnis zu den
herrschenden Geistesmächten der Gegenwart? Wohin führt mich
mein Weg?

Wollte man rein formal verfahren, so könnte man natürlich
sagen, daß man die Gegenstände der Theologie von außen und
von innen her betrachten kann, von innen her, wie etwa der Glaubende
sich in der Welt seines Glaubens befindet, wie er „drin"
ist in seinen Gebeten, in den Liedern, die er singt, und wie der
Prediger selbst am besten seine eigene Absicht weiß, die er mit
seiner Predigt verfolgt. Aber das alles hat auch eine Außenseite.
Die Kirche hat auch eine Verfassung. Kultus und Literatur des Christentums
sind vergleichbar mit anderen Kulten und anderen Literaturen
. Auch andere Menschen, andere Religionen beten. Alles,
was der Kirche gehört, ist immer auch ein Gegenstand der äußeren
Welt, wie ihre Geschichte ja auch in die Weltgeschichte eingebettet
ist. Die Theologie ist darum ein schwieriges Geschäft, weil
sie stets die beiden Betrachtungsweisen miteinander verbinden
muß. Sie muß die Dinge von innen her kennen. Würde sie aber
nur die innere Kenntnis besitzen, so wäre sie damit nicht Wissenschaft
; denn die Wissenschaft weist uns in die großen Weltzusammenhänge
hinein. Aber eben diese Zusammenhänge, diese Betrachtung
unseres Glaubens und seiner Lebensformen von außen
her macht uns immer wieder die Einzigartigkeit und Unbedingt-
heit unseres Glaubens fragwürdig.

Theologie als Wissenschaft hat aber noch eine andere Aufgabe
. Sie soll den christlichen Glauben in die Sprache der Wissenschaft
, in die Sprache der Vernunft übersetzen. Wir müssen uns
über diesen Glauben mit anderen Menschen verständigen und für
diese Verständigung gibt es keine andere Brücke als die Vernunft.
Nun ist es möglich, daß sich dabei sehr viel an unserem christlichen
Glauben einfach als im besten Sinn vernünftig erweist. Es kann
aber auch sein, daß der Glaube die Vernunft erst läutern und heiligen
, sie gewissermaßen zur Taufe bringen muß. Es ist aber natürlich
auch möglich, daß sich Glaube und Vernunft doch nicht ganz
ineinanderfügen. Das muß dann nicht nur eine Krisis des Glaubens
bedeuten, es kann ja auch eine Krise, ein Gericht für unsere
Vernunft sein.

In diesem Verhältnis der Theologie zur Wissenschaft, in dieser
Bejahung der Wissenschaft durch die Theologie spricht sich nun
ein grundsätzlicher positiver Bezug zum weltlichen Wissen, zu den
Gegenständen der Wissenschaft überhaupt aus, sofern nur diese
Wissenschaft den Gesetzen ihres Gegenstandes allein und ganz
und gar ergeben ist. Es gibt nicht eine einzige Methode für die
verschiedenen Wissenschaften und es wäre daher sehr unwissenschaftlich
, eine bestimmte Methode als Ausweis echter Wissenschaftlichkeit
von allen Wissenschaften zu fordern. Eines schickt
sich nicht für alle. Aber das kann man fordern, daß jeder Zweig
der Wissenschaft seinem Gegenstand ganz unvoreingenommen und
erkenntnishungrig hingegeben ist. Wir werden niemals in diesem
Leben und in dieser Welt die Einheit aller Wahrheit erkennen. Wir
können sie nur glauben, aber die Wissenschaft lebt von diesem
Glauben an die vielleicht erst in der Ewigkeit erreichbare Konkordanz
aller Wahrheit. Es ist eine Welt, die alle Wissenschaften
umschließt, eine Schöpfung und es ist ein Schöpfer, der über
allem waltet.

In diesem positiven Verhältnis der Theologie zu jeder unvor
') Grundzüge des öffentlichen Vortrages in der Marienkirche zu eingenommenen Wissenschaft liegt der Anspruch der Kirche auf
Berlin am 5. Januar 1954. die Universalität ihres Glaubens enthalten. Sie glaubt an Gott den

populäre Seite. Zur volkstümlichen Seite gehören die deutsche Bibel
, der Choral, mit dem das Evangelium seit vielen Jahrhunderten
in die Herzen gesungen wird, die Predigt (besonders wenn sie gut
ist), das älteste deutsche Schulbuch: Luthers Katechismus und
vieles andere. Die Theologie gehört zweifellos auf die unpopuläre
Seite. Der Anlaß, über sie zu sprechen, besteht darin, daß die
offiziellen Vertreter der Theologie zur Zeit in Berlin zu einem
Theologentag versammelt sind. Es ist sinnvoll und kann wohl erwartet
werden, daß sich die Theologen bei dieser Gelegenheit auch
sichtbar zu Kirche und Gemeinde bekennen und daß die Theologie
vor der Gemeinde über sich selbst Rechenschaft ablegt. Die Theologie
hat freilich auch allen Anspruch darauf, in der Kirche der
Reformation gehört zu werden. Ist doch die Reformation und damit
der ganze Protestantismus ein Kind der Universität! Die Ämter
, welche Luther in der Kirche hatte, waren ausschließlich akademische
Ämter: er war Doctor biblicus, Professor und späterhin
ständiger Dekan seiner Fakultät. Wittenberg barg in sich die cathedra
Lutheri und es war lange Zeit im 16. Jahrhundert das Ordi-
nationszentrum des Luthertums. Die Geschichte der lutherischen
wie der reformierten Kirche ist weitgehend mit der Universitätsgeschichte
identisch.

Man kann von Theologie aber niemals abstrakt reden. Man
muß zugleich der Universitäten und Hohen Schulen gedenken, an
denen sie getrieben wird, wo unsere Pfarrer studiert haben und
weithin zu dem geworden sind, was sie hernach ihren Gemeinden
waren. Die evangelische Kirche verdankt ihrer Theologie das Wichtigste
: hier wird der Rückbezug zu den Quellen offengehalten.
Der alte Wittenberger Lehrbetrieb bestand ja im wesentlichen aus
exegetischen Vorlesungen, aus Disputationen und gipfelte nicht
zuletzt in den Predigten der großen Lehrer. So will die Theologie
die Kirche auch heute noch von aller Geschäftigkeit zur Besinnung,
von aller Gewöhnung zur Selbstkritik, von aller Angleichung an
die Zeit zur Sadie Gottes rufen, von aller falschen Sicherheit zur
Erschütterung, von aller Erschütterung zum Glauben, von aller Erstarrung
zum Leben und aus aller Erregung und Anfechtung zum
Frieden Gottes.

Aber man muß auch umgekehrt fragen: Ist die Theologie
nicht oft auch eine Last für die Kirche? Ich denke dabei nicht nur
an alle Belastungen durch Zank und Streit der Lehrer und der
Schulen. Ich denke vor allem an das Risiko, das geordnete Gemeindeleben
immer wieder den Hemmungen und Lähmungen der
Theologie und der theologischen Kritik auszusetzen. Artet nicht
so oft die Theologie in Spekulation aus? Kapituliert nicht auch sie
vor den Modeworten der Zeit? Stört sie nicht mit ihrer Eitelkeit,
die sich in den schlichten Gemeindedienst nicht mehr einzufügen
vermag? Stört sie nicht mit ihrer „freien Forschung" den Kinderglauben
, dem Jesus die Verheißung gegeben hat?

Könnte es die Kirche nicht ohne Theologie bequemer haben?
Wäre die Kirche ohne Theologie nicht manches Risiko los? Die
evangelische Kirche wird der hier drohenden Versuchung doch
widerstehen müssen. Aber sie kann von der Theologie andererseits
erwarten, daß sie sich über die schwierigen Stellen des Zusammenlebens
und Zusammenwirkens mit der Gemeinde verständigt
. Auch dieser Vortrag soll gerade angesichts seiner besonderen
Veranlassung ein bescheidener Beitrag zu einer solchen Verständigung
sein. Ich möchte sie auf drei Probleme beziehen:

1. auf die Theologie im Rahmen der allgemeinen Wissenschaft
,

2. auf die Frage nach der Freiheit der Theologie und
schließlich

3. auf das Verhältnis der Theologie zu den Laien in der
evangelischen Kirche.

1. Die Kirche bekennt sich zu Gott, aber sie bekennt sich auch
zu seiner wunderbarsten Schöpfung, zum Menschen. Sie schämt