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Ausgabe:

1954 Nr. 3

Spalte:

182-183

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Beyreuther, Erich

Titel/Untertitel:

August Hermann Francke und die Ökomene 1954

Rezensent:

Beyreuther, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 3

182

überall da vollzieht, wo das Gesetz erlitten und erfüllt wird; aus der
satisfaktorischcn wird eine exemplarisch verstandene Christologie; aus
der realen Eschatologic wird eine existcntiale. Dogmengcschichtlich betrachtet
bedeutet diese Theologie eine Weiterführung der Ansätze des
jungen Luther, an Calvin und der deutschreformierten Tradition gemessen
eine bewußte Abweichung von der Reformation, insofern diese
sich an Augustin orientiert hat.

Im zweiten Teil wird versucht, den Kirchenbegriff seiner Frühzeit
zu analysieren. Entsprechend der niederländisch-staatskirchlichen Tradition
steht der Gedanke des regnum Christi im Vordergrund. Erst im
Kampf um die neue Gestalt der holländischen Kirche jener Zeit begegnen
Ansätze zu einem Kirchenbegriff, der theoretisch separatistische
Züge zeigt, praktisch-ethisch jedoch an die Staatskirche gebunden bleibt.
Für eine Gruppe seiner Schüler bildet der zum Separatismus neigende
Doketismus den verhängnisvollen Ansatz, die Kirche von der Empirie
zu lösen.

Im dritten Teil wird die Ekklesiologie an Hand der Kirchenordnung
seiner Elberfcldcr Gemeinde und der von ihm neu bearbeiteten
Pfälzer Formulare verdeutlicht. Es ergeben sich dabei beachtliche Unterschiede
zur reformierten Tradition, die zeigen, daß die theologischen
Abweichungen auch konsequent in Leben und Ordnung der Gemeinde
übertragen sind. An der stark sozial ausgerichteten Sakramentsauffassung
kann die Abkehr von der reformierten Tradition, von Calvin
und letzten Endes von Augustin, nämlich der Verlust der realen Escha-
tologie, besonders verdeutlicht werden. An der Elberfelder Gemeinde
zeigt sich zugleich Bedeutung und Grenze Kohlbrüggescher Theologie.
Hier tauchen Merkmale des sektiererischen Separatismus auf: das Bewußtsein
apokalyptischer Bedeutung in Überwindung und Vollendung
der Reformation. Der dogmengeschichtlich beachtliche Versuch einer Eli-
minicrung des Augustinismus hat sich damit selbst ad absurdum geführt
.

Wessel, Hannelore (geb. Zacher): Das Bild von Jesus und der Ur-
kirche bei Erich Seeberg, auf der Grundlage seiner gcschichtstheologischen
Anschauungen. Diss. Berlin 1952, 238 und 45 S.

Der erste Teil der Arbeit stellt die gcschichtstheologischen Anschauungen
E. Seebergs dar und sucht, ihre Wurzeln aufzuzeigen. Dabei
ergibt sich, daß sie auf einer vollkommenen Synthese der Leitgedanken
des deutschen Idealismus mit dem gcschichtstheologischen Denken Luthers
, wie E. Seeberg es herausgearbeitet hat, beruhen. Für E. Seeberg ist
Geschichte sich selbst deutendes Geschehen, wobei der Historiker nur
erkennt, was in das „Reich des objektiven Geistes" eingegangen ist.
Geist ist dabei der der Welt immanente göttliche Geist. Es wird auch
eine kritische Auseinandersetzung mit einzelnen der in diesem Zusammenhang
von E. Seeberg geäußerten Gedanken versucht, so mit dem der
fortgesetzten Inkarnation, der einerseits die Einmaligkeit des Christus-
gcsdichens in Frage stellt und andererseits nur allzu leicht schwärmerischen
Ideen Tür und Tor öffnet.

Auf der Grundlage dieses ersten Teiles, der zum Verständnis der
Gcschichtsschau E. Sccbergs vorangestellt werden mußte, ist dann aus
der Fülle der weit zerstreuten Äußerungen E. Seebergs zu den Fragen des
neutestamentlichen Zeitalters das Bild zusammengetragen, das er von
Jesus und der Urkirchc sich gebildet hat. Entscheidend ist hier der Gedanke
, Jesus habe einen neuen Typus der Religion, den dogmatischen,
geschaffen, indem er den Mythus vom Menschensohn auf sich selbst bezog
, ihn so historisierte und damit das Dogma aufstellte. Bei der
kritischen Prüfung seiner Darlegungen ergibt sich, daß E. Seeberg in
zusammenschauender Weise die Forschungsergebnisse der verschiedenen,
auch der entgegengesetztesten neutestamentlichen Schulen zu einem in
sich geschlossenen und weitgehend überzeugenden Bild zu vereinen verstanden
hat. Dabei hat er alle Überspitzungen vermieden. Freilich wird
sein Bild in gewisser Beziehung zu einseitig, was sich aus seiner Geschichtsanschauung
erklärt: Bei ihm fehlt nahezu jeder Hinweis auf die
überragende Bedeutung der Parusiccrwartung Jesu und der Urkirche.
So kommt das esdiatologischc Moment der urkirchlichen Verkündigung
zu kurz, wohingegen es E. Seeberg in erster Linie darauf ankommt, die
ungebrochenen Linien, die von Jesus über Paulus zum kirchlichen Dogma
führen, herauszustellen. Dabei hat er überzeugend gezeigt, daß
es den oft berufenen Gegensatz zwischen der Botschaft Jesu und der
Verkündigung des Paulus oder der Urgemeindc nicht gibt. Er hat dadurch
zugleich das Unternehmen der Entmythologisierung des neutestamentlichen
Kerygmas in Frage gestellt. Wenn in Jesus der Mythos
durch seine Sclbstintcrpretation in die Geschichte eingegangen und
Dogma geworden ist, so hieße es, das Fundament des Christentums
aufgeben, wollte man diesen Mythos irgendwie herausoperieren. E. Seebergs
Grundsatz: .Jesus selbst erklärt es, warum der Glaube an Christus
möglich ist" und: ,,Hicr ist der Stein, der das Gebäude trägt", erscheint
als das klärende und richtungweisende Wort in der gegenwärtigen
Situation der neutestamentlichen Forschung. Die Christologie

beginnt in Jesu Selbstinterpretation. Die Kirche als Rechtsorganismus
hat ihre Wurzeln in Jesus selbst. So steht Jesus, der Christus, am Anfang
von Kirche und Dogma.

W i 11 i g, Hold: Das Gewissen in der Theologie Herrmann Cremers.
Diss. Berlin 1953.

Die Untersuchung hat ihr Absehen darauf gerichtet, die Eigenart
des Gewissensbegriffes in der Theologie Herrmann Cremers herauszuarbeiten
, auf sein theologisches Recht hin zu prüfen und ihn unter Berücksichtigung
moderner theologischer Problemstellungen nach Möglichkeit
der systematischen sowie der praktischen Theologie der Gegenwart
fruchtbar zu machen.

Der erste Teil der Arbeit steht unter dem Thema: Darstellung
der Konzeption. Unter diesem Gesichtspunkt wird versucht, die Eigentümlichkeit
der Cremcrschen Gewissenskonzeption bloßzulegen. Dabei
stellt sich heraus, daß der Gewissensbegriff den Gedanken einer Rezcp-
tionsfähigkeit für die Wahrheit (Offenbarung) involviert. Wahrheit und
Existenz sind die beiden Pole einer dialektischen Spannung, in der der
Mensch sich als personale Existenz befindet. Cremer unternimmt an
keiner Stelle den Versuch, das Gewissen im Sinne vulgär-rationalistischer
Ortsbestimmung auf ein begrenztes Gebiet menschlichen Geisteslebens
zu beschränken. Gewissen ist ihm reine Aktualität, die immer
und in jedem Augenblick wirksam ist und den ganzen Menschen noetisch
und ontisch in das Verhältnis letzter Verantwortung coram deo setzt.
Diesem personal wirkenden Gewissen wohnt als inaugurierendes Prinzip
das permanente Zeugnis unserer Gottentfremdung inne. Dem so in
die Grenzsituation des Daseins weisenden Gewissenzeugnis steht der
,,neue Inhalt" gegenüber (Wissen um das, was Gott für uns tat). Mit
derselben Radikalität, mit der das Gewissen im Vollzuge seines „ersten
Zeugnisses" die Schuldsituation aufreißt, macht es unter der Direktive
des „neuen Inhalts" dem Einzelnen, da er vom Worte Gottes getroffen
wird, die Tatsache zur existentiellen Gewißheit, daß der auferstandene
Christus sein Erlöser ist.

Der Darstellung der Konzeption folgt eine eingehende Exegese,
die in der Gestalt von sechs Analysen der neutestamentlichen Grundstellen
durchgeführt wird. Das Resultat läßt sich dahingehend zusammenfassen
, daß man im Neuen Testament dem Gewissen nur als einer
der mannigfachen menschlichen Geistesfunktionen begegnet, unter denen
ovvsidriaig vom J'oüc, den Sitz der logischen Spontaneität und vom
Löyog eyygajiTOS dem eingeborenen Sittengesetz, unterschieden wird.
Die Crcmersdic Konzeption ist an Umfang weit umfassender als der
Gewissensbegriff des Neuen Testaments. Cremer nimmt alle drei genannten
Faktoren in den Gewissensbegriff auf und vertieft den Begriff
in der Weise, daß er ihm an Stelle der sittlichen, eine ontisch-
tranzendierende Materialität beilegt. Damit nähert sich Cremer dem
anthropologisdien Zcntralbcgriff des Neuen Testaments, der xnr><Va.

Im dritten Teil der Arbeit wird der Begriff im Lichte moderner
Problemstellung, wie sie mit den Namen Karl Heim, Emil Brunncr,
Heinrich Vogel, Karl Barth u.a. verknüpft ist, untersucht. Diese Untersuchung
resultiert in der Feststellung, daß Cremers Gewissensauffassung
an mandien Stellen mit fragwürdigen Theologumena belastet
ist. Enthüllt man jedoch die Konzeption ihrer anfechtbaren Bedingtheiten
, wie es im vierten Teil der Arbeit versucht wird, so stößt man
zu einer theologischen Grundanschauung vor, die die Spuren existentiellen
Denkens deutlich werden läßt. In dem „ersten Zeugnis" des Gewissens
spiegelt sich unverkennbar die „desesperatio fiducialis" wider.
Von dieser Sicht her, wie sie in neuester Zeit von Dietridi Bonhoeffer
und Günther Jakob fruchtbar verwertet worden ist, gewinnt derTitel-
begriff eine neue Bedeutung. Gewissen ist ein Existenzbegriff, der nicht
nur den „Ort" der Subjektivation des Erlösungstodes Christi, sondern
darüber hinaus als Ausdruck existentiellen Getroffenseins vom Worte
Gottes und als personales Zentrum des Menschen den Ruf zur Einheit
laut werden läßt. Gerade weil es Cremer nicht um ein anthropologisch
begründetes „a priori", sondern um ein soteriologisches „post factum"
geht, erhält der Begriff „Gewissen" sein christologisches Gefälle. So
wird der Glaube zur Gewißheit des Heils, indem das Glaubensfaktum
als personales Subjekt in das Personzentrum „Gewissen" eingeht.

Habilitationsschriften

Beyreuther, Erich: August Hermann Frandce und die Ökumene.
Habil. Schrift Leipzig 1953.

Frandce, der ersten wahrhaft ökumenischen Gestalt nach der Reformationszeit
, ist es gelungen, arbeitsfähige ökumenische Gemeinsdiaf-
ten zwischen maßgebenden Gliedern verschiedener Konfessionskirdicn
zustande zu bringen, die erstmalig von lebendigen und weltmännisch
gebildeten Laienkräften mitgetragen werden.