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Ausgabe:

1953 Nr. 3

Spalte:

171-172

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bovet, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Angst vor dem lebendigen Gott 1953

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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171

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3

172

noch arbeitsreichen Lebensabend in Stade, überall von lebendigem
Gottvertrauen getragen, sowohl in dem tapferen Aufbau
seines Lebenswerkes als auch in dem mühevollen Bestreben, die
Trümmer seiner Lebensarbeit zu sammeln, die Glieder des Diakonissenhauses
Sarepta-Ariel und seiner zerstreuten Heimatkirche
. ,,Gott hört Gebet", dieser von den Galiziern vielgesungene
Kehrreim eines von D. Zöckler gedichteten und vertonten
Liedes, steht deshalb als Zeugnis solchen Gottvertrauens über
diesem warmherzigen Lebensbild. Das will es sein und nicht
eine Geschichtsquelle für politische Entwickelungen unter österreichischer
, sowjetischer, polnischer und deutscher Herrschaft, auch
nicht ein Bild der kirchengeschichtlichen Verhältnisse in und zwischen
den verschiedenen evangelischen Kirchen deutscher, polnischer
und ukrainischer Zunge in Polen. Aber für das Studium
von Diasporaarbeit und Diasporafrömmigkeit in Anstalt und Gemeinde
, von Volkstum und Kirche, von Heimat und Fremde
bildet D. Zöcklers Leben eine wertvolle Wegweisung und anschauliches
Material.

Berlin • Richard Kamm ei

Bovct, Theodor: Die Angst vor dem lebendigen Gott. Eine allgemeine
Pathologie der Religion. Tübingen: Katzmann-Verlag [1950]. 231 S.
8° = Der Mensch und seine Ordnung Bd IV. Lw. DM 7,80.

Der Züricher Nervenarzt Theodor Bovet hat in fünf unter
dem Titel „Der Mensch und seine Ordnung" erschienenen Büchern
zu Lebensfragen das Wort ergriffen, die den Seelsorger
wie den Arzt gleichermaßen berühren, die aber mehr noch über
die Fachkreise hinaus unter den Gebildeten tiefen Eindruck gemacht
haben. Soviel ich sehe, ist bislang keiner der erschienenen
Bände hier angezeigt worden. Ich nenne daher wenigstens die
Titel der anderen Bücher: I: Die Person, ihre Krankheiten und
Wandlungen; II: Die Ehe, ihre Krise und Neuwerdung; III: Der
Glaube, Erstarrung und Erlösung; und V: Die Ordnung der
Freiheit.

Auch der hier anzuzeigende Band ist nicht eigentlidi ein
wissenschaftliches Werk, sondern will Erkenntnis- und Lebenshilfe
bieten. B. will die schweren Hemmungen beseitigen, die für
den modernen Menschen bestehen, der zum Glauben an Gott und
Christus kommen will. In dieser Absicht wendet er sich der Pathologie
der Religion (nicht der Religion des abnorm veranlagten
Menschen!) zu. Wie die Ehe krank werden kann, das Verhältnis
zwischen zwei Ehegatten, so auch die Religion als die
Beziehung des Menschen zum persönlichen Gott. Wie im Verhältnis
der Geschlechter zueinander, so besteht auch im religiösen
Bezug ein Widerstreit zwischen Anziehung und Abstoßung,
ja, eben dieser negativen Seite, der Angst vor Gott, welche B.
als den Inbegriff der Pathologie des Religiösen betrachtet, will
B. seine Ausführungen widmen. Dabei behandelt er dann freilich
eine Menge religiöser Fragen, die ihm ersichtlich unmittelbar
am Herzen liegen, die aber doch mit diesem Thema nur in
mehr oder weniger lockerem Zusammenhang stehen: Geist und
Bild (hierbei eine seelsorgerliche Aktualisierung der 3 ersten Gebote
), Freiheit und Gesetz, wobei er die Gehorsamsfrage zugunsten
der Freiheit und der Liebe ganz aus dem christlichen Denken
ausschalten möchte. In dem Kap. über Liebe und Macht will B.
(gegen Nygren) die Trennung von Eros und Agape wieder aufheben
und vor asketischen Absichten — mindestens vor dem Mißbrauch
der Askese — warnen. Nachdem er, wie ich meine, recht
unvermittelt, auf den Entwicklungsbegriff zu sprechen gekommen
ist, begibt sich B. mehr und mehr auf das Feld eigentlich dogmatischer
Aussagen, indem er dem Begriff des Heiligen eine Gasse
bricht. Er nimmt dabei sogar Nichtchristen in sein Pantheon
auf und will mit Jungschen Kategorien den protestantischen
Freunden die Mariologie schmackhaft machen. Karl Barth hat in
seiner Kirchl. Dogmatik III/4, S. 141 dem Ehebuch B.s das Zeugnis
ausgestellt: „Man befindet sich in seinem Buch auf dem nüchternen
Boden von Zürich". Nun, es scheint doch auf diesem Boden
allerhand möglich zu sein. Bei aller Hochachtung vor der
lauteren Absicht des Verf.s muß man doch schließlich sagen, daß
er, wenn sich auf einer Seite (182) Asmussen, Heiler, Urs von
Balthasar, Caux und Newman begegnen, die Coincidentia oppo-
sitorum an eine gewisse äußerste Grenze getrieben hat.

Die einzelnen Darlegungen, die doch alle recht locker in
dem Thema des Buches geeint sind, bestehen mitunter in reichlich
abgekürzten Analysen. Immer wieder fragt man sich, an wen
sich das Buch eigentlich wendet: an die Gebildeten unter den
Verächtern des christlichen Glaubens, an die Theologen, oder
an jene Zeitgenossen, denen einfach Mut und Lebenshilfe geschenkt
werden soll. Denn das Buch wendet sich in jeder Seite
an irgend jemanden, es hat einen ausgemacht paränetischen Charakter
. Und darin ist die begierige Aufnahme wohl begründet,
die es allenthalben findet: Es fließt aus lauterster Gesinnung, enthält
viele gute Einsichten und begegnet einem echten Bedürfnis.
Aber es läßt, aufs Ganze gesehen, ebenso Einheitlichkeit, wie
Klarheit und Ausführlichkeit vermissen, die es zu jenem Kompendium
der Pastoralmedizin machen könnte, die offenbar manche
Heutigen in den Büchern von B. erblicken. So liegt m. E. die
Bedeutung dieses Buches wie der ganzen Reihe von Büchern von
B. darin, daß uns hier eine bedrückende Aufgabe der praktischen
Theologie eindringlich gezeigt wird, die noch vor uns liegt.

Güttingen Wolfgang Tril 1 haas

J a c o b i, Gerhard, Generalsuperintcndent, D..DD.: Langeweile, Muße
und Humor und ihre pastoral-theologische Bedeutung. Berlin: Lettner-
Verlag [1952]. 100 S. 8°. DM 3.20.

Alle Kunst geht vom Verwickelten zum Einfachen. Auch
die Kunst des Schreibens. Leider wird sie in Deutschland wenig
geschätzt. Vor allen Dingen unsere Gelehrten (heute mit dem
schrecklichen Neuwort „Wissenschaftler" gebrandmarkt) halten
im Allgemeinen den Stoff — das, was der Schriftsteller darbietet
— für wichtiger als die Form, in der er geboten wird. Die
Fachsprache wirkt wie der Lettner in der Römischen Kirdie, der
die Laien vom Chor fernhält. So hält die Fachsprache den
Laien vom inneren Tempel der Wissenschaft fern. Die Llnver-
ständlichkeit schafft Ehrfurcht. Leider gilt das besonders von der
modernen Theologie. Freilich ändert sich jetzt hier manches;
denn die Laien verlangen in steigendem Maße von den Theologen
, daß sie in einer verständlichen Sprache zu ihnen reden, wie
Luther es setan hat.

An diese Dinge muß man denken, wenn man Jacobi liest.
Er schreibt so leicht, daß es leicht scheinen könnte zu schreiben.
Er versteht die schwere Kunst des Weglassens und des Vercin-
fachens. Ich bringe einen Satz, den ich herausgreife:

„Zu meiner Überraschung entdeckte ich, daß sich die Langeweile
in philosophischer und sonstiger Literatur erst seit der
Aufklärung findet."

Ich glaube, das ist verständlich. Man könnte dasselbe auch
sehr unverständlich ausdrücken, um der wissenschaftlichen Gravität
willen; aber der Verfasser sucht hier wie in seinem ganzen
Vorbringen nach dem einfachsten und leichtesten Ausdruck. Mit
einem Wort, er ist ein Schriftsteller, d. h. ein Mensch, der das
Schreiben als Kunst betreibt. Das ist sehr viel und recht selten.
Darum ist sein Buch erfreulich.

Aber dies erfreuliche Buch hat auch sein Gewicht. In
seiner knappen Form greift es weit genug. Es behandelt in
vier Abschnitten nacheinander die Langeweile, die Muße
den Humor und schließt mit pastoral-theologischen Anmerkungen
. Am interessantesten scheint mir der erste Abschnitt,
der die Langeweile als Erscheinung einer bestimmten Kulturstufe
, als ein Lebensgefühl einer bestimmten Zeit betrachtet
. In jedem Falle eine höchst fruchtbare Betrachtungsweise, die
an Oswald Spenglers Morphologie der Kulturen erinnert. In der
Tat könnte man die Auffassung des Verfassers weiterführen und
die Langeweile als eine Erscheinung der Entseelung des Daseins,
seiner Säkularisierung, als Gefühl einer Spätzeit ansehen. Die
literarischen Beispiele, die der Verfasser bringt, von Pascal über
Faust, Kierkegaard zu Dostojewski, sein Hinweis auf die Stimmung
der Romantik, alles ist gut gewählt und interessant.

Über die Bedeutung der Muße wird jetzt von Laien und
Theologen in der Kirche viel nachgedacht. Hier wie überall bemüht
sich der Verfasser auch um die philologische Seite, die Geschichte
des Worts und des Begriffs. Überall hat man das Gefühl,