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Ausgabe:

1953 Nr. 3

Spalte:

167-168

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heschel, Abraham Joshua

Titel/Untertitel:

Man is not alone 1953

Rezensent:

Beth, Karl

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Seite 1

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167

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3

168

Scheidung von Wert und Sein ist unbegründet, entspricht nicht der herkömmlichen
Philosophie, noch ist sie nach neuester philosophischer Erkenntnis
vertretbar. „Ein rein ideales Reich der Werte existiert also
für den Menschen überhaupt nicht und ist folglich auch kein Wert für
ihn."

Wenn somit die ontisrhe Fundierung des Wertes zu bejahen ist,
Sein und Wert also einander zugeordnet sind, dann ist, . folgert der
Verf., das absolute Sein notwendigerweise auch der höchste und vollkommenste
Wert. ,,Da der Wert außerhalb seiner Relation zum Sein
und Bewußtsein undenkbar und unmöglich ist, ist das absolute Wertsein
ein absolutes Bewußtsein oder Überbewußtsein, eine absolute
Person oder Überperson. Die absolute Wertwirklichkeit kann kein im-
prrsonales Wesen sein, sondern nur ein persönliches oder überpersönliches
Wesen." Nur der Gott der persönlichen Erfahrung und der Offenbarung
kann diese absolute Wertperson sein. ,,Das Gottsein ist absolut
werterfüllt, und der Gotteswert ist absolut ontisch." Untermauert
wird diese Beweisführung durch den Satz Augustins: nemo
bonus, nisi unus deus.. . a quo sunt omnia bona.

Wenn somit die sittlichen Werte theonomen Charakter tragen, verlieren
sie dadurch keineswegs ihre Autonomie; entspringen sie doch
nidit göttlicher Willkür, sondern sind „ewige, unveränderliche Ausstrahlungen
des absolut werterfüllten Gotteswesens." Vielmehr gerade
durch ihre Theonomie werden die sittlichen Werte wahrhaft autonom.
Ein Reich der Werte sine deo endet letztlich im Illusorischen — wie
wir es in der wertethischen Autonomie N. Hartmanns erleben — bzw.
endet in vom menschlichen Willen und von menschlicher Willkür abhängigen
, folglich nicht mehr autonomen sittlichen Werten (cf. die
ethische Autonomie Kants oder auch Nietzsches).

Da der Mensch als imago dei einen Abglanz der absoluten göttlichen
Wertwirklichkeit in sich trägt, sind die sittlichen Werte ihm
nicht heteronom, sondern autonom. Doch ist diese Autonomie letztlich
eine Theonomie, da sowohl die sittlichen Werte wie auch ihr Träger
von dem einen Gott herstammen.

Mit seinen Sollensfordcrungcn will Gott den Menschen keinesfalls
vergewaltigen, sondern rechnet mit deren freiwilliger und einsichtiger
Erfüllung durch den Menschen. Deshalb Mt. 11,30 „meine Last ist
leicht". So bleibt bei allen Gottesforderungen grundsätzlich die Autonomie
des Menschen gewahrt, denn nur unter dieser Voraussetzung
ist eine edite Gotteskindschaft möglich.

Im Schlußwort kommt Verfasser zu folgendem Ergebnis: die
Antinomie: ethische Autonomie — religiöse Theonomie ist auf einer
unrichtigen oder zumindest unvollständigen Erkenntnis der wertethischen
Sphäre und der religiösen Wertwirklichkeit, wie sie im Gotteswort
ausgeprägt ist und vom orthodox-christlichen Bewußtsein erlebt
wird, aufgebaut. Die christliche Religion befindet sich durch ihre theo-
nome Sittlichkeit in keiner Antinomie mit der wahren Autonomie der
sittlichen Werte, sie hebt die Eigenständigkeit des Menschen .licht auf,
macht die Sittlichkeit nicht zu einer heteronomen Größe und beeinträchtigt
das sittliche Leben nicht. Die Theonomie ist das einzige Prinzip
, durch das die Autonomie der sittlichen Werte einen tiefen Sinn
erhalten und eine ausreichende wertontologische Begründung finden
kann.

Fünfdchen-FiirstcMiberg.'Oder Herbert Noack

Heschcl, Abraham Joshua: Man is not Alone. New York: Farrar,
Straus and Young 1951. VIII, 305 S. Geb. $3.75.

Eine frei und frisch atmende Religionsphilosophie ist es,
was Heschel, Professor für jüdische Mystik und Ethik am jüdischen
theologischen Seminar in New York, mit diesem Buche
vorlegt; nicht freilich als geschlossenes System, vielmehr als eine
Kette von Aphorismen, die, frei von jeder philosophischen Schultradition
, dem Stoff vielseitig nahe treten.

Das Grundproblem, das sich quer durch das ganze Buch hinzieht
und in immer neuen Wendungen auftaucht, ist dies: wie ist
es für den Menschen möglich, in einer Welt, die in vergifteter
Lügenatmosphäre erstickt und durch Haß und Verbrechen zerstört
wird, zu beharren, ohne selber in dem Schmutz und Moder
zu versinken?

Weder die Sterne oben noch die Natur unten kann ihm die
Kraft dazu reichen. Weder Mechanismus noch Encrgctismus noch
beide in Gemeinschaft vermögen die Antwort auf die Frage zu geben
, was menschliche Existenz inmitten des allgemeinen Zerfalls
bedeutet. Denn wer sich dabei bescheidet, daß die Welt aus
ihrer eigenen Energie entstanden sei, setzt sich über den wesentlichen
Punkt hinweg, weshalb es so eine Energie gibt, weshalb
ein Gesetz, weshalb Welt. Anderseits führt eine Begriffsphilosophie
über Gott an kein Ende, da es nicht einmal ein einziges
stichhaltiges Argument für Gottes Dasein gibt, und da die Anwendung
des Begriffs Existenz auf Gott überhaupt irrig ist.

Verf. beleuchtet die Problematik auch von der Seite, daß,
selbst wenn unsere Erkenntnis bis an eine göttliche Mitteilung
heranreichen würde, wir dennoch nie in der Lage sein könnten,
dieselbe als eine göttliche zu bestimmen, da der menschliche
Geist kein Kriterium für die Feststellung von etwas Göttlichem
im Bereiche philosophischer Erwägungen finden kann. Die Erde
mag eine ganz winzige Bedeutung im unendlichen Weltall haben,
aber auf jeden Fall hat der Mensch den Schlüssel dazu in seiner
Hand; und des Menschen Wesen besteht nicht in dem, was er ist,
sondern in dem, was sein kann. Er kann, was er soll; und was
er soll, ist, dem Schöpfer Rede stehen auf dessen ewige Frage:
Wo bist du? Denn der Mensch ist notwendig für Gott. Das eigentliche
Problem ist demnach, wie wir unsere Existenz erhöhen.

Wo aber finden wir die letzte Instanz auf unsrem Wege zur
Feststellung der letzten Wirklichkeit? Sie liegt in unsrem Heilig-
Angehaucht-Sein. Jedoch selbst dieses Angehauchtsein gibt uns
festen Halt nur, wenn damit die Einsicht verbunden ist, daß Ich,
dieses Individuum, für ein bestimmtes Ziel vorhanden bin — ein
Ziel, das selbstverständlich durch Beharrlichkeit charakterisiert
ist, also jenseits alles Stofflichen liegt.

Gestützt auf diese letzte These sucht Verf. dann noch zu zeigen
, daß jenes Zeugnis für die Wirklichkeit des Unsagbaren nicht
bloß objektiv der Seele gegenübersteht, sondern in die Seele eintritt
als ein Hauch, der von außen her nicht wahrgenommen werden
kann. Religion und religiöser Glaube sind eben, wie betont
wird, die Antwort auf dieses Mysterium des Hauches. Doch nur
selten werden wir uns bei dem wirbelnden Rad der täglichen Erfahrungen
der Jenseitstangente bewußt. Sie tritt aber gebieterisch
an uns heran in der Forderung, in Arbeit mit Gott verbunden
zu sein. Ich bin in diesem Plan Gottes das von Gott in die
Arbeit gerufene Objekt.

Es würde künftigen Werken dieses begabten Verfassers
sicherlich zum Vorteil gereichen, würde er sich eines viele Wiederholungen
vermeidenden logischen Stils befleißigen und seine
Gemeinsamkeit mit Fachgenossen bekennen.

Chicago K. Beth

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wurm, Theophil: Fünfzig Jahre im Dienste der Kirche. Predigten und
Reden. Mit einem Nachwort von Landesbischof M. Haug. Stuttgart:
Evang. Verlagswtrk [1950]. 170 S. 8°. Lw. DM 6.50.

Die vorliegende Sammlung enthält 15 Predigten und 3 Ansprachen
des Altbischofs der Württembergischen Landeskirche,
beginnend mit einer Predigt des stud. theol. im 5. Semester aus
dem Jahre 1 889 und endend mit einer in Stuttgart gehaltenen
Predigt zu Neujahr 1950. Ein warmherziges Nachwort des Landesbischofs
D. Haug zeigt den besonderen Zeugnischaraktcr dieser
Sammlung auf. Es handelt sich hier nicht um einen Band Lesepredigten
, wie er im Gottesdienst oder zur persönlichen Erbauung
Verwendung finden könnte. Die meisten der hier vorliegenden
Beiträge sind durch einen ganz konkreten Anlaß bestimmt
und tragen den Stempel einer solchen „Gelegenheits"-
Predigt, also etwa bei der Jubelfeier der Reutlinger Reformation
1924, bei der Verpflichtung als Bischof 1929, zur Einweihung
der Brenzkirche in Stuttgart 193 3, zum 400-jährigen Jubiläum
des Tübinger Stifts 1936, bei der Eröffnung des Hilfswerkes
Bethel 1947, beim Festakt der Synode der E. K. i. D. auf der
Wartburg 1948 u. a. m. Es ist auch nicht eine Reihe homiletischer
Musterpredigten, dem Theologen und Prediger zum Studium
und Vorbild dargereicht. Das Vorbild einer Himmelfahrtspredigt
möchte man sich z.B. anders denken, als die über Joh. 14, 1—6
gehaltene Predigt zu Himmelfahrt 1945, die doch ganz gewiß
ein in jenen bedeutungsschweren Tagen notwendiges und vollmächtiges
Zeugniswort ist. Formal homiletisch gesehen stehen
die Predipten in der Tradition evangelischer Verkündigung der
vorigen Generation; die Themapredigt mit vorangestellter Dis-