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Ausgabe:

1953

Spalte:

165-166

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Nicolai

Titel/Untertitel:

Das Problem des geistigen Seins 1953

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Seite 1

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1G6

165 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3_________

Damit sind Ziel und Methode der Untersuchung umrissen.
Ihr Aufbau vollzieht sich in drei Stufen. Zunächst wird der „personale
Geist" untersucht. Seine Stellung im Schichtenbau der
Welt sowie seine ontologischen Grundbestimmungen (Realität,
Individualität, Personalität etc.) werden in eindringenden Analysen
herausgearbeitet. Auf die Lehre vom personalen Geist folgt
die vom „objektiven Geist". Leben, Macht und Realität des objektiven
Geistes werden aufgezeigt. Echtes und Unechtes an ihm
ins Licht gestellt und sein modus deficiens: das Fehlen eines eigenen
Bewußtseins und einer eigenen Personalität, eingehend
erörtert. Hegel gegenüber wird betont, daß der objektive oder
Gemeingeist keine Substanz ist, zu der sich die Individuen wie
Inhärenzen verhielten. Er wird vielmehr von den Individuen getragen
, besitzt in ihnen seine Scinsbasis. Er hat eine Art getragener
Superexistenz über den Individuen und lebt doch durchaus
in ihnen. Indem er nun durch sie ständig Gebilde eigener Art hervortreibt
, objektiviert er sich. So tritt neben den personalen und
den objektiven Geist als dritte Grundgestalt des geistigen Seins
der „objektivierte Geist". Ihm wendet sich die Untersuchung in
Einige Kleinigkeiten möchte man vielleicht etwas anders sehen. ihrem letzten Teile zu. Phänomen und Formen der Objektivation
Römisches fehlt ganz. Hellas ist mit einer Stele vertreten. Gäbe es da werden aufgewiesen und das geschichtliche Dasein des objekti-
"'dits, was so gut in den Rahmen paßte wie das Ägyptische? Die ein- vierten Geistes allseitig beleuchtet. Zuletzt werden die Spannun-
arucksvollc Blindcnhcilung des Codex Sinopensis vermißt man auch gCn zwischen der Statik des objektivierten und der Dynamik des

nahen. Und es ist schön und sauber durchgeführt, wenn auch
nicht immer — was unvermeidlich ist — frei von persönlicher Haltung
. Die Bildwiedergaben und der Druck sind gut, die Deutungen
geben meist recht Entscheidendes und bleiben nicht an
der Oberfläche, die Bibclverse und die Gedichte sind mit guter
Einfühlung ausgewählt (freilich sind die ad hoc entstandenen
Gedichte nicht immer sehr befriedigend). Das Buch gehört in die
Hände aller derer, die in sich das Empfinden für Schönheit und
Ausdruckskraft noch nicht ertötet haben, besonders aber in die
Hände der Jugend, die so lernen kann, vom Detail her das Kunstwerk
sich innerlich zu eigen zu machen.

Eines freilich fällt beim Betrachten auf: Wie seltsam fern
•st uns so manches zeitlich so Nahe! Peter Cornelius, Wilhelm
Steinhausen, Ferdinand Hodler (und auch Ursula Kükenthal!)
erregen bestenfalls in den vorgeführten Beispielen Achtung vor
dem technischen Können; zu sagen vermögen sie uns kaum noch
etwas. Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, Wilhelm Groß und
Cuno Fischer dagegen reihen sich ein in die Zahl der zu uns
durch ihr Werk eindringlich Sprechenden.

nicht gerne als ein kaum übertroffenes Beispiel für die heilende Hand
Christi. Überhaupt wird die Hand Christi mit verhältnismäßig zu wenigen
Beispielen gezeigt (nur 7 Bilder!). In der altchristlichcn Kunst wird
die Hand Gottes nicht als Symbol seines in die Geschichte eingreifenden
Wortes gedeutet. Der Sdilußstein des Goslarcr Domes (S. 40) zeigt
zweifellos die Hand Christi, nicht die Gottes (Kreuznimbus!). Der byzantinische
Michael in Berlin (S. 46) hebt kaum abwehrend die Hand,
der Gcstus ist vielmehr fordernd; ebenso ist die Hand Christi im Jüngsten
Gericht Michelangelos in der Sixtina nicht „zum Schlag" erhoben
(S. 72), sondern ruft die Toten zum Gericht. Die Worte über die Hand
des Gekreuzigten vom Iscnheimer Altar (S. 68) sind allzu schwach;
hier kann man nicht „den krassen Realismus ablehnen", sich nicht „entrüstet
abwenden von dieser Vermenschlichung des Heilandes". Er w a r
Mensch, leidender, furchtbar sterbender Mensch: Nirgends ist das ergreifender
und angreifender gestaltet als hier. Diese Hand kündet in
ihrer Verkrampfung das unendliche Leiden für uns; hier kann man nur
noch andachtig sein! Das soll nicht herabsetzen, sondern für eine eventuelle
Neuauflage anregen. Vielleicht ließen sich dann auch noch die
großartigen Hände aus den Werken des Veit Stoß mit besseren Beispielen
als den hier gewählten (S. 156) heranziehen.

Oreifswald Klaus Wessel

PHILOSOPHIE UND BELIGIONSPHILOSOPHIE

Hart mann, Nicolai: Das Problem des geistigen Seins. Untersuchungen
zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften
. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter 1949. XVI, 564 S. 8°. DM 18.-;
Hlw. DM 20.-.

Dieses 193 3 zum ersten und 1949 in unveränderter Gestalt
zum zweiten Mal erschienene Werk ist aus Diskussionen hervorgewachsen
, die Hartmann in den Jahren 1929/30 mit seinem engsten
Schülerkreis in Köln geführt hat. Es geht aus von der Feststellung
, daß die einzelnen Geisteswissenschaften wohl zeigen
können, wie ein bestimmter Gang literarischer oder künstlerischer
Entwicklung sich gestaltet, aber nicht, welche Seinsweisen die
Entwicklung hat und wie sie sich grundsätzlich zum gröberen
Sein der realen Welt, in die sie ontisch eingebettet ist, verhält.
Das allgemeine Problem, vor dem man hier steht, ist das Problem
des geistigen Seins. Es ist - so betont Hartmann - kein neues,
sondern ein sehr altes Problem, das die verschiedensten Lösungen
erfahren hat. Diese bewegen sich meistens in Extremen, indem
die einen den Geist zur Grundlage aller Dinge, die andern
zu einem bloßen Beiwerk der Dinge machen. So verfehlen sie das
Wesen des Geistes. Dieses kann man nur dann adäquat erfassen,
wenn man sich von allen metaphysischen Vorurteilen frei macht
und sich rein an die Phänomene des Geisteslebens hält. Dieser
Weg, der überall am Greifbaren und Aufweisbaren, ja nötigenfalls
am scheinbar Äußeren einsetzt, kommt nach Hartmanns
Überzeugung dem geistigen Sein besser auf die Spur als alle kon-

lcbendcn Geistes — ein bereits von G. Simmcl gern behandeltes
Thema — in sehr fesselnden Darlegungen aufgezeigt.

Wer als Theologe ein Werk über das Problem des geistigen
Seins in die Hand nimmt, erwartet darin auch eine Erörterung
des Problems der Postcxistcnz des Geistes. Aber dieses Problem
wird von Hartmann nirgendwo berührt. Es hat den Anschein, als
existierte es für ihn überhaupt nicht. Zwar kennt er, wie wir sahen
, eine Superexistenz des Geistes, aber keine Postexistenz. Hier
werden wiederum die Grenzen des Hartmannschen Denkens sichtbar
, auf die bei der Besprechung seiner „Philosophie der Natur"
in dieser Zeitschrift (1951, Nr. 9) hingewiesen wurde. Aber trotz
des radikalen Immanentismus, der auch dieses bedeutende Werk
beherrscht, sollte der Theologe an ihm nicht vorübergehen. Birgt
es doch eine solche Fülle von feinsinnigen Beobachtungen geistes-
gcschichtlicher Art, von eindringenden Analysen geisteswissenschaftlicher
Grundbegriffe und von tiefschürfenden ontologischen
Untersuchungen zur Geschichtsphilosophie, daß es auch das Denken
des Theologen anregen und befruchten kann, gleichviel ob er
auf Systematischem oder historischem Gebiet arbeitet.

K°'n Jollannes Hessen

Pantsch owski, Iwan G, Dr. phil.: Ethische Autonomie und religiöse
Theonomie. Sofia 1951. 46. S. gr. 8° = Sonderabdruck aus:
Ännuaire de l'Acadcmie de theologie. St. Klement d'Ohrida. Tome I
(XXVII), 1950—1951. Sofia. Lewa 6.80. (Dieser Band I des Jahrbuches
der theologischen Akademie bildet die Fortsetzung der Jahr-
bücherrreihe der ehem. theologischen Fakultät und trägt in dieser
Reihe die Nummer XXVII).

Verf., der uns kein Unbekannter mehr ist (cf. ThLZ 1950, Sp. 680),
bemüht sich als Dozent an der theologischen Akademie in Sofia mit
dem Hauptfach christliche Ethik um eine theologische Begründung der
Wertontologie und christliche Ausdeutung der sittlichen Wertphänomcno-
logie. In philosophisch-ethischem Sinne könnte man ihn zur Schule der
materialen Wertethik (mit M. Scheler und N. Hartmann als Hauptvertretern
) und in theologisch-ethischem Sinne zur Schule der theologischen
Wertethik (wie R. Otto, Joh. Hessen und G. Wünsch) rechnen.
Selbstverständlich gibt er den philosophisch-ethischen und besonders
den theologisch-ethischen Problemen eine orthodox-christliche Färbung.
Alles wird in die große orthodox-christliche Tradition hineingestellt
und in ihrem Sinne beleuchtet. Das wird auch an der neuesten Arbeit
des Verfassers, die die Agape als kosmisches und sittliches Grundprinzip
zum Thema hat und eine gründliche Auseinandersetzung mit
Anders Nygren (Eros und Agape) bringen wird, zu erkennen sein.

In der uns vorliegenden Studie wird der Versuch unternommen,
die Antinomie zwischen ethischer Autonomie und religiöser Theonomie
vom orthodox-christlichen Standpunkt aus zu lösen. Ausgangspunkt ist
dem Verf. die wohlbcgründete Formulierung in N. Hartmanns „Ethik",
derzufolge die ethischen Werte autonom sind. Da die Religion demgegenüber
behauptet, alle sittliche Sollensforderung beruhe auf Gottes
Gebot, liegt hier eine unlösbare Antinomie vor. Verf. packt das Problem
so an, indem er zunächst nachzuweisen bestrebt ist, daß wir die

struktiven Theorien sittlichen Werte nicht jenseits der Wirklichkeit denken können. Jede