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Ausgabe:

1953 Nr. 3

Spalte:

156-157

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Moe, Olaf

Titel/Untertitel:

The apostle Paul 1953

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3

15ß

Nur wenige Male zieht Schlier auch die Gnosis zur Interpretation
heran. Für Gal. 3,27 wird die gnostische Auslegung S. 128 f. eben
angedeutet, für /worpoöoßai 4,19 dagegen ausdrücklich abgelehnt (S. 152
A. l), offensichtlich auch S. 160 für das Verständnis des Gegensatzes
zwischen oberem und unterem Jerusalem (zu 4,26). Von etwas größerem
Gewicht wird sie lediglich für 3,19 und besonders 3,20. Im Unterschied
zum Judentum (S. 109 f.) wird in der Gnosis die Beteiligung der Engel an
der Gesetzgebung negativ gewertet (S. 111 f.). Damit steht Paulus zunächst
in ihrer Nähe — aber gerade bei dem von Schlier gegebenen gnostischen
Material wird deutlich, wie wenig die Stellung des Paulus zum AT
(und selbst zur Tora) mit der Gnosis überhaupt übereinstimmt. Kann
also Gal. 3,19 nicht ein (das rabbinische Verständnis im ganzen umkehrendes
) paulinisches Theologumenon sein? Jedenfalls liegt es näher, daß
die dualistische Zuspitzung, die in der Gnosis begegnet, das Sekundäre
ist. — Daß hinter V. 19 die gnostische Vorstellung einer Verwandtschaft
des Mose mit den Engelmächten stehe, erwägt Schlier anscheinend
zunächst selbst mit einer gewissen Vorsicht (S. 114). — Zu dem im Zusammenhang
mit V. 19 Ende schwierigen V. 20 ist man für jede neue
Möglichkeit der Klärung dankbar. Schlier stellt fest, daß hier nicht
(hypothetisch) von einer Mittlertätigkeit zwischen Gott und Volk gesprochen
sein kann, sondern nur von einer Mittlerschaft innerhalb
Gottes selbst (S. 116). V. 20 besagt dann: weil die Tatsache, daß Gott
einer ist, den Mittlerbegriff ausschließt, deshalb kann auch das Gesetz
nicht von Gott gegeben sein (ebd.). Und nun nimmt Schlier an, Paulus
bekämpfe hier die gnostische Vorstellung der Mehrzahl von Göttern
und göttlichen Emanationen, unter denen ein Mittler(er) nötig sei
(S. 116 f.). Aber ist diese Vermutung glaubhaft, wenn sie zu so schwierigen
Konsequenzen führt wie bei Schlier? Ist es im Rahmen der sonstigen
Aussagen des Paulus annehmbar, daß er Mose als den „dämonischen
Interpreten" der Tora (S. 119; vgl. S.118 „das Dämonische des Gesetzes
") verstanden habe? M. E. ist es durchaus denkbar, daß er die Unmöglichkeit
der Vorstellung eines Mittlers innerhalb Gottes selbst rein
theoretisch entwickelt, um damit zu begründen, daß Mose nur Mittler
zwischen den Engelmächten gewesen sein könne (und darum also das
Gesetz von diesen herrühre, V. 19). —

Der Grundsatz Scriptura oder mindestens Paulus sui
ipsius interpres ist in sehr fruchtbarer Weise durchgeführt
(wobei Schlier im Vergleich zum sonstigen NT verhältnismäßig
oft auch Eph. und z. T. Kol. anzieht). Dadurch werden
über das engere Thema des Gal. hinaus („Das Gesetz und der
Glaube", 3, 1—5, 12; „Der rechte Gebrauch der Freiheit vom Gesetz
", 5, 13—6, 10) wichtige Grundlinien der paulinischen Theologie
sichtbar, aber durchgehends im engen Zusammenhang mit
dem behandelten Brief, dessen Aussagen erläutert und eingegrenzt
werden; man muß gleichzeitig die besonnene Sorgfalt hervorheben
, mit der der Exeget den Text des Gal. abhorcht und
sich zunächst auf die Wiedergabe seiner u. U. begrenzten Aussagen
beschränkt. — Formal (doch ist das zugleich ein sachlicher
Vorzug) vereint die Arbeit die philologische Sorgfalt eines
„historischen" Kommentars (die wichtigeren grammatischen und
textkritischen Erörterungen sind meist dem Text eingefügt)
mit der flüssigen Gedankenführung einer fortlaufenden Untersuchung
(zur letzteren gehört auch die immer neue Aufzeigung
der großen Zusammenhänge im Brief), die Schlier in einer klaren,
wenn auch nicht immer ganz leichten Diktion gibt, in der im allgemeinen
jedes Wort abgewogen ist (eine Ausnahme ist die
überspitzte Durchführung des Bildes von Gal. 3, 27: „Die Laster"
sind die „Glieder des alten Menschen", die auch dem Christen
„sozusagen immer wieder zuwachsen" usf.; S. 129).

So liest man Schliers Kommentar (was ja keineswegs immer
von dieser Literaturgattung gilt) mit fast bis zuletzt angespanntem
Beteiligtsein. Nicht weniger ist das freilich in dem begründet
, was er zu sagen hat. Deutlich wird in Schliers Exegese
(außer den bekannten Grundgedanken des Gal. zu Rechtfertigung
und Gesetz) das, was man den Heilsrealismus bei Paulus nennen
könnte, „die in keiner Dialektik mehr sich bewegende. . .,
sondern daseiende und zu glaubende «neue Schöpfung»" (S. 208),
das Urteil Gottes als wirkendes, besonders als schöpferisches
(z. B. S. 54 f.), der Glaube nach seiner objektiven Seite (neben der
personhaften; z.B. S. 127), das Christsein als ontischc Wirklichkeit.
Dementsprechend wird immer wieder (nicht nur dort, wo in Gal.
das Stichwort fällt) die Taufe als sakramentales Geschehen herausgestellt
in ihrer Bedeutung für das Christsein; und in dieser Linie
wird das paulinische „in Christus" „im Sinne einer ontisch-sa-
kramentalen Zugehörigkeit zu Christus Jesus" verstanden (S.
193). Dazu fügt sich Schliers Einsicht in die Zusammenhänge zwischen
Rechtfertigung und Pneuma (und neuem Leben) überhaupt.
Und in Übereinstimmung mit dem Gesagten erkennt er die
(heils) geschichtliche Linie der paulinischen Theologie
(S. 123) — um nur einige dem Rez. wichtig scheinende Gegebenheiten
zu nennen, die die Grundthesen in Schliers Deutung des
Gal. mittragen.

Natürlich könnte man über manche, auch über manche wichtigere
Einzelheit selbst der Hauptthemen ein Streitgespräch beginnen. So etwa
über den Gebraudi der Wörter Kosmos und kosmisch, der m. E. zum
mindesten nidit immer unmißverständlich ist. Was Schlier zur Frage des
Christ-und-Sünder-seins bei Paulus in Abwehr des nur „im jeweiligen
Augenblick «existentiellen» Glaubens" gegebenen simul iusius et
peccator sagt (S. 19 5 f.; der Christ als Glaubender ist vielmehr
nur iustus, ein mir für Paulus durchaus richtig scheinender Satz),
wäre m. E. seinerseits gegen anderweite Mißdeutungen zu sichern. —
Gelegentliche Bemerkungen bestätigen, „daß die Auslegung nicht abseits
der kirchlichen und theologischen Ereignisse geschehen kann"
(S. 5"). Gal. 1,9 „erweist auch das damnant der Kirche grundsätzlich
als apostolisch" und gibt „grundsätzlich die Möglichkeit zwischen wahrer
und falscher Verkündigung zu unterscheiden" (S. 15) .

Wichtigere Errata zu Gal. 3: S. 87 Z. 6 lies Rom 4u. Z. 12 ist
statt 4n gemeint Rom 4u (oder Gal 32»). S. 88 Z. 12 v. u. statt
Gen 17i.o wohl 172.io. S. 93 Z. 11 lies Diod. Sik. 36,2,2 (Dindorf V
123) (die falsche Zitation schon ThWbzNT I 126 Z. 24). S. 99 A. 3
Z. 3 statt Pol. lies Resp. X. S. 102 A. 6 Z. 3 lies Ditt. Syll.» 329, 30 f.
(bzw. •1742. 30 f.). Ebd. Z. 4 lies e.xyQaqmi; ; Dion. Hai. Ant. 2,72,5;
Plut Lyc. 9,2. Ebd. Z. 5 lies Dio 48,6. S. 104 A. 0 Z. 1 lies Od. 24,
283 ; Cyr. 8, 6, 23. Ebd. Z. 2 lies Esth. (statt Esr). Ebd. Z. 7 lies (II Kor)
27.i() I2is Eph 432. S. 108 A. 2 Z. 1 streidie Apk. S. 109 A. 1 Z. 1: das
Hcsiodzitat entstammt Op. 276. Ebd. Z. 2 lies Plat. Resp. V. Ebd. A.6
Z. 4 lies: Erdbebens, Sturms und... S. 111 Z. 21 lies vno iiyyiXa»
ötööadat, xov di Sedtoxora ... S. 112 Z. 3 lies Misä (zu HCJS =-= Mose
vgl. Lidzb. Joh.-B. S. 79 A. 6; S .245). Ebd. A. 4 Z. 3 LXX 16,40
(HT 17,5); Simeon 8. S. 114 A. 2 Z. 2 lies Philo, Quaest in Ex II 13.
S. 117 Z. 13 ist der Verweis auf S. 131,7 unverständlich (aus der
benutzten Textausgabe entnommen?). S. 121 A.2 Z. 2 statt aeth lies
wohl al W°. A. 4 Z. 4 lies Diod. S. 1, 32. 8. S. 123 A. 2 Z. 2 lies Ant.
84,4 (954c). S. 125 A. 4 Z. 1 lies Fab. 5,5 (I 177a). S. 129 A.2 Z. 1
lies Katech. Myst. 3,1 (bei durchgehender Zählung Katech. 21,1).

Die Übersetzung läßt nicht nur (auch ihrerseits) sehr häufig
erkennen, wie präzis der Text philologisch durchdacht ist,
sondern sucht ihn durch Umdenken in die moderne Sprache lebendig
zu machen.

A,us manchem Gesagten ging schon indirekt hervor, wie
dieser Kommentar nicht nur ein paar „Fachleute" angeht, so
streng „wissenschaftlich" er ist. Indem er wirklich ,,gründ"liche
Wissenschaft treibt, gibt er auch dem Verkündiger die echte Hilfe
, die er braucht.

Halle/S. Gerhard Delling

M o e, Olaf: The Apostle Paul. His Life and his Work. Translated
by L. A. Vigness. Minneapolis: Augsburg Publ. Housc [1950]. X,
577 S., 4 Kt. 8°. Lw. $ 4. 75.

Olaf Moe, Professor für Neues Testament an der Gemeindc-
fakultät in Oslo, veröffentlichte 1923 eine Lebensbeschreibung
des Paulus, die nun in englischer Sprache erschienen ist. Das
Werk ist trotz des lange zurückliegenden Erscheinungsdatums
offensichtlich völlig unverändert wiedergegeben worden; denn
die hinter jedem Paragraphen gebotenen Literaturangaben schließen
mit 1923 ab (seltsamerweise wird aber einmal Feines Paulus
von 1927 genannt!). Man fragt sich darum, ob ein ausreichender
Grund vorlag, dieses so weit zurückliegende Werk jetzt noch ins
Englische zu übersetzen. Ob ein solcher Grund in den Bedürfnissen
der amerikanischen lutherischen Gemeinden vorliegt, vermag
ich nicht zu beurteilen; daß die neutestamentliche Wissenschaft
von diesem Buch keinen Nutzen hat, wird man dagegen
sagen dürfen. Es handelt sich nämlich um eine streng konservative
Nacherzählung der aus sämtlichen als echt erachteten Paulus-
briefen und der als zuverlässig behandelten Apostelgeschichte
konstruierten Lebensgeschichte des Paulus, wobei Analysen seiner
Briefe und Verteidigungen der angefochtenen Texte jeweils
eingcflochten sind. Moe schreibt als ein Kenner der Texte und
der Forschung, und darum wird auch der Forscher, der grundsätzlich
anderer Meinung ist, vieles als richtig anerkennen kön-