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Ausgabe:

1953 Nr. 3

Spalte:

139-144

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des Tridentinum 1953

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139 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3 140

haftetsein an bestimmte Denkformen, im besondern einer Überbetonung
des aristotelischen Schemas zuzuschreiben".

Wir schließen aus den Erwägungen dieses zweiten Teils
unserer Darlegungen, daß es eine der Schriftoffenbarung wirklich
angepaßte rationale Denkform nicht gibt. Die bisherige theologische
Tradition kennt zwei Grundtypen, von denen jede eine
Seite der Offenbarung auszudrücken fähig ist. Vereinseitigt
führen sie zur Auflösung der christlichen Realität. Miteinander
verbunden können sie nur einen letztlich unbefriedigenden Kompromiß
bilden, wobei Spannungen und Zerrungen entstehen,
die der Entfaltung des christlichen Glaubens, Lebens und Denkens
einerseits vielleicht immer neue Anregungen geben, andererseits
doch auch hemmend entgegenwirken. Im Fall der Nachfolge
Christi sind diese Hemmungen sehr stark zu spüren. Wir
schließen aus all dem, daß die Theologie der Frage der Denkformen
höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden hat.

Wir müssen zum Schluß eilen, obwohl wir jetzt eigentlich
erst recht an den Anfang unseres Themas gekommen sind und
sehen, wie die Frage zu stellen ist. Es wäre nämlich zu untersuchen
, ob das Spiel zwischen den zwei aufgewiesenen Denkformen
nun unablässig weiter zu gehen habe, oder ob uns nicht ein Ausweg
aus diesem steten Hin und Her, eine echte Synthese zwischen
diesen Denkformen beschert werden könnte. Wir möchten dazu
zwei Hinweise geben.

Einerseits sollten wir uns im Gebiet der Philosophie und
der Denkformen auf die Kritik aller bisherigen Tradition besinnen
, mit der vor 50 Jahren Edmund Husserl in seinen Logischen
Untersuchungen seine philosophische Laufbahn begonnen hat.
Diese Kritik, die den Naturalismus aller bisherigen philosophischen
Systembildungen nachweist, bezieht sich sowohl auf die
platonischen wie die aristotelischen Formen, und im besondern
auch auf die von der husserlschen Phänomenologie sich abzweigende
Existentialphilosophie. Es wäre zu fragen, welches die Tragweite
der Kritik und der Neubegründung der Philosophie durch
Husserl ist. Wir möchten unsere persönliche Ansicht aussprechen,
daß die Möglichkeit, mit der husserlschen Phänomenologie aus
dem Dilemma der bisherigen Denkformen herauszukommen, der
aufmerksamsten Prüfung wert ist. Diese Möglichkeit wäre etwa
dann erfüllt, wenn es Husserl gelungen wäre, in eine tiefere
Schicht der Vernunft und des natürlichen Bewußtseins durchzustoßen
, in der sowohl das platonische Sein wie die aristotelische
Tat philosophisch begründet wären, so daß dann weder esse

") Melanchthon in Apol. XXVII, 45-50; zu Ritsehl vgl. RGG,
1. Aufl., IV, 645.

noch actus mehr letzte Begriffe wären und das Verhältnis
dieser beiden Grundkategorien geklärt werden könnte.

Andererseits, vom Sachgebiet der Theologie her, ist wohl
der Tatbestand der paradoxen Zuordnung von Indikativ und
Imperativ bei Paulus noch immer nicht genügend geklärt. Ihr
seid der Sünde gestorben, darum tötet die Sünde in euern Gliedern
; ihr seid ein neuer Sauerteig, darum feget den alten Sauerteig
aus; Gott gibt eudi Wollen und Vollbringen, darum schaffet
euer Heil mit Furcht und Zittern. Auch die Reformation, auch
Luther hat den Vollgehalt dieses paulinischen Zeugnisses nicht
ausschöpfen können. Hierbei geht es aber im Gebiet der Offenbarung
und des Glaubenslebens um dieselbe Synthese, die die
Philosophie zwischen Piatonismus und Aristotelismus zu suchen
hat. Der Piatonismus hat sich in der Geschichte der christlichen
Theologie als geeignetes Ausdrucksmittel für die Alleinwirksamkeit
Gottes und der Gnade erwiesen, der Aristotelismus hat
erlaubt, die eigene Verantwortung des Gläubigen für sein Leben
und Heil auszusprechen. Die platonische Alleinwirksamkeit Gottes
entspricht dem paulinischen Indikativ, die aristotelische Verantwortung
des Menschen entspricht dem paulinischen Imperativ
. Es wird freilich weder die Theologie das philosophische Problem
zu lösen haben, noch die Philosophie das theologische. Wir
erwarten zwei Gnadengaben unseres gnädigen Gottes und Vaters,
eine im Bereich des ersten Artikels, nach dem Gott ja auch Vernunft
gegeben hat und noch erhält, eine andere, ganz andere im
Bereich des zweiten und dritten Artikels, nämlich daß uns Gott
durch den heiligen Geist neue Bereiche der Schrift erleuchte. Zwischen
beiden Gnadengaben wird eine große Distanz sein, aber
doch auch über alle Distanz hinweg eine Analogie.

Die Theologie der Nachfolge Christi kann, so meinen wir,
erst durch dieses doppelte Gnadengeschenk Gottes von den aufgewiesenen
Hemmungen befreit werden. Andere werden vielleicht
eine einfachere und leichtere Lösung vorschlagen wollen.
Es soll ihnen unbenommen sein; aber wir unsererseits meinen,
daß man nicht drum herumkommen wird, diese Sache an ihrer
Wurzel anzugreifen. Es gibt keinen Königsweg in die Zukunft
hinein, am allerwenigsten in die Zukunft der Kirche Christi.
Audi der Theologe muß sein Brot im Schweiß seines Angesichtes
essen und der Kirche das Brot des Lebens im gleichen Schweiß
erarbeiten. Die Aufgabe, wie wir sie meinten formulieren zu
müssen, ist mühevoll; aber eine von einigen ihrer Hemmungen
befreite Theologie der Imitatio Christi wäre auch eine ganz
große Sache und ein unermeßbares Gnadengeschenk Gottes für
seine Kirche.

Zur Geschichte

Von R. S t u p

Unter den großen Qucllenpublikationen, die für die reformationsgeschichtliche
Forschung der letzten beiden Generationen von
eminenter Bedeutung geworden sind, steht das Concilium Triden-
tinum in vorderster Reihe. Dieses monumentale Werk hat die Historische
Kommission der Görresgesellschaft vor über 50 Jahren
auf Initiative von St. Ehses ins Leben gerufen und langsam aufgebaut
. In seinen 3 Abteilungen (Acta, Diaria, Epistolae) vereinigt
es ein überwältigendes Material aus den 3 Jahrzehnten von den
ersten Vorbereitungen des Konzils an bis zu seinen wichtigsten
Verhandlungszeiten. In einem halben Jahrhundert Forschungsund
Editionsarbeit ist über das früher zugängliche Quellenmaterial
hinaus eine Fülle von neuen, bis dahin unzugänglichen Urkunden
vorgelegt worden. Die Voraussetzung dafür war die Öffnung
der Vatikanischen Archive. Was St. Ehses und mit ihm Seb.

') Concilium Tridentinum. Diariorum, actorum, epistularum, trac-
tatuum nova collectio ed. Societas Goerresiana. Tom. VI: Concilii
Tridentini actorum partis 3 vol. I: Acta concilii Bononiensis a Massa-
rello conscripta. Ex collectionibus S. M e r k 1 e, auxit ed. illustr. Th.
Freudenberge r. Freiburg: Herder 1951. XI, 864 S. 4°. DM 70.—.

J e d i n, Hubert: Geschichte des Konzils von Trient. Bandl: Der
Kampf um das Konzil. Freiburg: Herder 1949. XIII, 643 S. gr. 8°.
Lw. DM 26.—.

— dass. 2. Aufl. ebda 1951. XIII, 643 S. gr. 8°. Lw. DM 32.-.

des Tridentinum1

> e r i ch, Münster

| Merkle, einer der eifrigsten Förderer dieses Unternehmens, immer
I mit Nachdruck schon betont hatten, die Notwendigkeit dieser
j Publikation für die Forschung, ist heute eine längst von allen
| Seiten anerkannte Selbstverständlichkeit.

Dieses Werk stellt ein ehrenvolles Denkmal für den wissenschaftlichen
Geist der Görresgesellschaft dar, die trotz aller Nöte
der Zeit diese Publikation hindurchgetragen hat, aber ebenso auch
| für die gründliche und weitschauende Arbeit zahlreicher Gelehrter,
t die viele Jahre ihres Lebens und Schaffens an dieses Werk gewandt
haben. Inzwischen ist die Generation der Initiatoren des
Unternehmens dahingegangen. Sie hat aber dafür gesorgt, daß die
wissensdiaftliche Ablösung da war, die die alten Aufgaben auf
ihre Schultern nehmen konnte. Dabei ist auch der Förderung
römischer Instanzen zu gedenken, ohne deren Mitwirken dieses
Werk nicht das sein könnte, was es geworden ist.

Der neue Band VI, 1, den Seb. Merkle noch vorbereitet und
Freudenberger herausgegeben hat, steht den früheren Bänden in
keiner Weise nach. Nach seiner Fertigstellung hat dieser Band,
der bis 1943 ausgedruckt vorlag, ein eigenartiges Schicksal gehabt
. Nach einem Bombenangriff unter den Trümmern des Herderschen
Vcrlagshauscs in Freiburg begraben, konnten die Druckbogen
ohne Schaden 1948 geborgen werden, so daß lediglich die
letzten 3 Bogen dazugedruckt zu werden brauchten.