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Ausgabe:

1953

Spalte:

112

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Neuberg, Arthur

Titel/Untertitel:

Das Weltbild der Physik 1953

Rezensent:

Mie, Gustav

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Seite 1

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nicht um Naturwissenschaft und Glaube oder dergl., sondern
um Wissenschaft gegen, bezw. zu Wissenschaft.) Es sind in der
Hauptsache vier Strömungen, die in Frage kommen. Erstens
die antireligiöse, von Diderot und Holbach her über die
Haeckel-Ostwaldepoche bis auf heute, ein Gemenge von naturwissenschaftlichen
Kenntnissen und meist unzureichender Philosophie
. Dies tritt immer wieder auf, hat aber keinen
Tiefgang mehr; da plätschern nur noch die Wasser. Zweitens die
höhere Region der Wissenschaft, die — besonders in der Physik -
ein entschiedenes Interesse für metaphysische Fragen hat und
auch für das Religiöse sichtliches Verständnis zeigt, dies auch
bekennt (Jordan, von Weizsäcker, Planck), im allgemeinen aber
mehr mit vornehmer Zurückhaltung bewährt, die nie ohne Ehrfurcht
ist, manchmal vielleicht zu zurückhaltend bis zu einer
Art Bekenntnisscheu. Drittens die evangelische Theologie mit
großer Aufgeschlossenheit für die naturwissenschaftlichen Probleme
und einer heute wohl allgemeinen freieren Stellung zum
Bibelwortlaut, dessen historische Gegebenheit gesehen und dessen
gewaltsame Harmonisierung mit der Wissenschaft vermieden
wird. Auf dieser Linie heißt es: Getrennte Bahnen, verschiedene
Arbeitsmethoden; zuletzt wohl e i n Ziel, aber gesonderte Wege.
Endlich die katholische Theologie. Schon längst haben katholische
Theologen mit Eifer und Erfolg naturwissenschaftlich mitgearbeitet
und sich Anerkennung errungen: Obermaier und
Breuil in der Prähistorie, um nur einige zu nennen, W. Schmidt
in der Kulturkreislehre, Birkner in der Anthropologie u. a.; und
in der Auseinandersetzung haben wir ernste Versuche und gute
populäre Darstellungen von Spülbek u. a. Auch bemerkenswerte
freie Stellungnahmen sind zu verzeichnen; ich nenne als Beispiel,
was der Erzbischof von Lille, Cardinal Lienart, über die Entwicklungslehre
geschrieben hat (Stimmen der Zeit 1948). Vorliegende
Schrift ist ein Beitrag, der Beachtung und die vom Verlag
gewünschte eingehende Besprechung verdient. Vor allem, weil er
charakteristisch ist für die katholische Einstellung, die eine andre
ist als die unsrige. Das zeigt sich schon in der rein scholastischen
Sprache der nicht eben leicht zu lesenden Schrift. Zeigt sich
aber auch in Einzelheiten: S. 64 in der abfälligen Beurteilung der
„subjektiven Erfahrung extra ecclesiam" mit ihrer angeblichen
„Gefahr des grenzenlosen Irrtums" (als ob es nicht auch intra
ecclesiam eine grenzenlose Gefahr des Irrtums gäbe!), ferner
S. 66 in der These der „Glaubenspflichtigkeit" neben der Glaubenswürdigkeit
, S. 110 im Schlußwort vom „Gehorsam des Denkens
" usw. Die ganze Schrift ist ein Beispiel der scholastisch-tho-
mistischen Methode, womit nichts Geringschätziges gesagt sein
soll. Auf dieser Linie wird die moderne Physik mit ihren großen
Umstellungen, die wir alle kennen und mit Erstaunen erleben,
requiriert für die transphysikalischen Annahmen des Glaubens.
Denn sie gebe, heißt es, die Möglichkeit übernatürlicher Ereignisse
zu und zeige folgerichtig ein Hereinragen höherer Seinsschichten
in unsre gewöhnliche Wirklichkeit. Selbst die Quantenphysik
, also eine rein wissenschaftliche Angelegenheit, wird als
die „höhere Schicht" bezeichnet. Danach spitzt sich der Inhalt
der Schrift zu auf die positive Behandlung des Wunders; auf
den Seiten ab 75 liegt das Schwergewicht. Die Wunder sind die
„Knüpfstellen" des Übernatürlichen mit dem Natürlichen, die
sicheren Zeichen der Offenbarung (d. h. der äußeren Erfahrung),
die „Spuren einer anderen Welt", das „Hereintreten der höheren
Ordnung in die niedere", das „Aufleuchten" der Schicht des
Übernatürlichen in der Schicht der Erfahrungswelt usw. Dabei
wird ausgesprochen, was auch auf evangelischer Seite manchmal
gesagt wird, daß die Wunder eine Vorausnahme künftiger Weltzustände
bedeuten, also eschatologisch; wobei sich nur freilich
der denkende Mensch fragt, warum der Schöpfer der Welt uns
erst in diese niedergeschichtete Welt gestellt und nicht sofort die
vollendete Seinswelt geschaffen hat, um so verwunderlicher, als
doch die Heilige Schrift in dem ersten Schöpfungsbericht das
schöne Wort sagt: es war alles sehr gut! Wir können mit dieser
Auffassung des Wunders nichts anfangen. Wir müssen unsren
frommen Glauben anders aufbauen. Wunder — ob die biblischen
oder die jederzeitlichen Erlebniswunder, z. B. Gebetserhörungen,
sind immer solche Ereignisse, bei denen wohl der frommgläubige
Mensch mit Recht das Hereinwirken einer höheren Hand erkennt
, der ungläubige aber in seiner Weise mit gleichem Recht
das zufällig glückliche Spiel des automatisdien Zufalls behaupten
kann. Auf beiden Linien läßt sich das Ereignis kausalgeordnet beschreiben
. Für jede Heilung, auch jede anormale, kann der beobachtende
Mediziner eine Krankheitsgeschichte schreiben. Ja
auch das Wunder vom Seesturm kommt, so oder so, zuletzt auf
eine beobachtbare Bewegung der Luftmolekel heraus, konnte
also etwa vom ungläubigen Bootsmann als seltsamer Zufall ausgelegt
werden. Dasselbe Ereignis, das der Gläubige als Gottestat
hinnimmt, kann vom Unglauben als Zufallswirkung aufgefaßt
werden. Eine zwangsläufige Anerkennung des Wunders durch den
Physiker, der er sich nicht entziehen könne, kann niemals zugegeben
werden. Daher bleibt es eben doch bei den — getrennten
Bahnen. Daß sie am letzten Ende der Tage zusammenlaufen werden
, zur Ehre Gottes des Schöpfers, woran wir glauben, steht auf
einem anderen Blatte. Hier handelte es sich nur um die zwangsmäßige
Erkenntnismethode, also um Fragen der Scholastik nach
dem aristotelisch-thomistischen Prinzip: die von Gott erleuchtete
Vernunft erforschet alle Dinge.

Zwei Einzelheiten möchte ich noch bemerken. S. 36 ist der Ausdruck
homogen falsch gebraucht — im Sinne von ganzheitlich (holi-
stisch); er bedeutet aber durchaus nicht einheitliche Zusammenfassung
mehrerer Schichten, sondern inhaltliche, substanziellc Gleidiartigkeit;
homogen und geschichtet sind keine Gegensätze, geschichtet kann homogen
, homogene Sdnchten geschichtet sein. Und S. 47 findet sich der
heute merkwürdig beliebte .auch von Karl Heim gern gebrauchte Ausdruck
„Raum" angewandt auf unräumliche Dinge, sogar auf geistige
Werte. Damit möchte endlich einmal aufgeräumt werden.

Dresden Arthur Neubtrg

Neuberg, Arthur: Das Weltbild der Physik. In seinen Grundzügen
und Hauptergebnissen dargestellt. 5. neubearb. Aufl. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht (1951]. 196 S. gr. 8". kart. DM 7.50.

In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte
wohl jeder Physiker die Vorstellung, daß die Physik bald eine
vollendete Wissenschaft sein werde, zu welcher nichts Wesentliches
mehr hinzukommen könne. Diese Auffassung ist in den
folgenden Jahrzehnten auf das gründlichste widerlegt worden.
Der Verfasser des vorliegenden Buches gibt nun eine auch dem
Laien verständliche ausführliche Darstellung der merkwürdigen
Ergebnisse der neueren Physik, er geht auf diese Dinge in einer
Weise ein, daß auch der Laie, der es liest, ein deutliches Bild
von ihnen bekommen muß. In dem letzten Kapitel des wirklich
sehr lesenswerten Buches zeigt er dann, daß dieses wissenschaftliche
Weltbild keineswegs dem Glauben an Gott widerspricht,
daß vielmehr Wissenschaft und Glaube sich zu einer Einheit zusammenfügen
.

Freiburg/Br. OustavMie

Meschkowski, Herbert, (Dozent Dr.): Das neue physikalische
Weltbild und der christliche Glaube. 2. Aufl. Berlin: Verl Haus u.
Schule 11951]. II S. 8°. DM -.40.

Eine gute, kurze Übersicht über die neuen physikalischen
Theorien, Quantentheorie, Relativitätstheorie, Substanzbegriff.
Kausalität, interessierten Laien zu empfehlen.

Dresden Arthur Neuberg

Schoene, Georg, Prof. Dr. med.: Über das Individuelle in Menschen,
Tieren und Pflanzen. (Biologische Untersuchungen). Berlin-Spandau:
Wichcrn-Verlag 1950. 79 S. 8° = Erkenntnis und Glaube. Schriften
d. Evang. Forschungsakademie Ilsenburg. kart. DM 3.80.

Diese in die wertvolle Schriftenreihe „Erkenntnis und Glaube
" der Evangelischen Forschungsakademie Ilsenburg aufgenommene
Untersuchung aus der Feder eines Mediziners behandelt in
sehr sorgfältiger, rein exakter Weise das interessante, nicht leichte
Problem der Individualität: wiefern ein bloßes Einzelexemplar
als von vornherein gegebene Individualität bezeichnet werden
darf und wie man sich das Werden desselben aus dem stofflichen
Material wissenschaftlich zu denken hat.

Dresden Arthur Neuberg