Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953

Spalte:

110-112

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Dolch, Heimo

Titel/Untertitel:

Theologie und Physik 1953

Rezensent:

Neuberg, Arthur

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

109

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 2___ HO

to present it as far as possible in his own way and in his own
words. Traditional Calvinism 1 have studiously avoided, and
have made no reference to works on Calvin, ancient or modern,
so that this presentation might be free from the imputation of
partisanship in any of the different schools . .." (7). T. sei nämlich
zu der Erkenntnis gekommen, „that Calvin's own theological Position
was very different from the hardened System that has
long passed under the name of Calvinism." (ib) Aber auch eine
Kritik an der bisherigen Calvindarstellung begegnet einem nirgends
, sondern T. stellt mit diesem Werke einfach Calvin selbst
vor die bisherige Calvindeutung hin. Daß freilich „in the very
arrangement of this material, as also in the exposition, interpre-
tation has been unavoidable", darüber ist sich Verf. klar (ib),
aber man wird zugeben müssen, daß die Gefahr, C's Intentionen
zu vergewaltigen, bei dieser Art der Darstellung sehr viel geringer
ist, zumal die (nur hier und da verweigerte) Zustimmung T's zur
Lehre Calvins dem Buche so deutlich abzumerken ist, daß, wie T.
selbst zugibt, die Darstellung möglicherweise „at times too kind
to the Reformer" sein könnte (8).

Die Anthropologie C's wird entfaltet, indem nacheinander
seine Äußerungen zu folgenden Themen gebracht werden: (a)
Die Selbsterkenntnis des Menschen, (b) Der Ort des Menschen in
der Schöpfung, (c) Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, (d)
Die totale Verderbtheit des Menschen, (e) Die Sündhaftigkeit
des menschlichen Geistes, (f) Der menschliche Geist und die Erkenntnis
Gottes, (g) Das Problem der natürlichen Theologie,
wobei-nicht sehr glücklich - das Thema c, gleichlautend und
nur mit 1, II, III, IV beziffert, jeweils als Überschrift vierer hintereinander
folgender Kapitel, Thema d und g je zweimal in entsprechender
Weise begegnen. Es zeigt sich jedenfalls schon durch
diese Einteilung, daß die mancherlei Einzelfragen der Anthropologie
mit systematischer Kraft unter einigen Leitgesichtspunkten
zusammengerafft sind, und zweifellos will T, gerade schon mit
solcher Akzentsetzung dem Calvinverständnis aufhelfen. Aber
auch, wenn man ihm das dankbar abnimmt, möchte man doch die
gesonderte Behandlung wenigstens einiger spezieller Fragen nicht
missen, wie z.B. die wichtige Frage: Menschliche Freiheit und
Allmacht und Erwählung Gottes praktisch überhaupt nicht behandelt
ist.

Im ersten Kapitel über die Selbsterkenntnis des Menschen
erhält man sogleich entscheidende Fingerzeige zum rechten Verständnis
aller in diesem Buche begegnenden anthropologischen
Aussagen C's. Wenn C. die Bewältigung der der Kirche gestellten
Aufgabe der Anthropologie in seiner ganzen Theologie am Herzen
gelegen habe, so habe er sich dabei immer von der Erkenntnis
leiten lassen, daß alle theologischen Aussagen vom Menschen
und alle Aussagen des Menschen von sich selbst immer nur „im
Rahmen einer Antwort auf Gottes Gnadenwort" erfolgen könnten
(Ii). Dabei erweist sich allseitig, wie C. gewußt habe, daß
theologische Anthropologie recht nur von der Christusoffenbarung
aus zu entwerfen sei. Diesen Grundsatz gilt es schon zum
rechten Verständnis der Gliederung der Institutio im Auge zu behalten
. Wenn C. dennoch zuweilen unter Absehung von der Erlösung
vom Menschen reden und den Menschen auf das Gesetz
verweisen, ja wenn er von der radikalen Sündhaftigkeit des Menschen
sprechen kann, aber doch zugleich auch um die Tugenden
auch des gefallenen Menschen weiß, so dürfe man solche Äußerungen
nicht, wie das bei C's Auslegern geschehen ist, zu dogmatischen
Lehrsätzen machen, vielmehr gelte es zu erkennen, daß C.
..dauernd ein didaktisches Ziel" verfolge und- „sich des Gesetzes
als eines Mittels" bediene, „um seinen Lesern die Wahrheit einzuprägen
" (16). Freilich muß T. zugeben, daß C. mitunter „unter
Außerachtlassung des Kontextes der Gnade" moralisiere, womit
er „zu seinen eigenen theologischen Erkenntnissen nicht hinaufreiche
(17). — Auch das zweite Kapitel über den Ort des Menschen
in der Schöpfung bringt für alles Weitere konstitutive Aussagen
C's. Alles, was über die Geschöpflichkeit des Menschen bei
C zu lesen ist, müsse von der „idea of thankful response" (Engl.
Ausg. S. 25, d. A. 23) her verstanden werden: Der Mensch ist
Mensch als das in Gottes Wort gegründete, von dem stets neu
an ihn ergehenden Worte Gottes lebende und sich auf dieses
Wort in dankbarer Antwort stets beziehende Wesen -; darin
spricht sich, sagt T., ein dynamisches Verständnis aus, das die

scholastische Auffassung von der Schöpfung und den causae secun-
dae hinter sich läßt. — Diese Grundeinsichten findet T. nun
immer aufs neue bewährt. So schon bei der Lehre von der Gottebenbildlichkeit
, die T. zusammenfassend dahin interpretiert,
imago Dei bedeute für C.: „Gott ein Gegenüber sein und ihm in
solcher Art antworten, daß er sich im Menschen wie in einem
Spiegel betrachten kann." (5 5). T. weist hier zur Beseitigung
zahlreicher Irrtümer der Calvindeutung darauf hin, daß C. in
einem weiteren Sinne von der imago spreche — nämlich sofern
die ganze Schöpfung Spiegel der Herrlichkeit Gottes sei — und in
dem engeren, nur von dem in Christus erneuerten Menschen aussagbaren
Sinne. Imago Dei sei ferner nach C. niemals ein natürlicher
, sondern ein geistlicher Besitz des Menschen, d. h. dieser
Ausdruck bezeichne „ein Handeln Gottes am Menschen" (63),
das, auf den Menschen gesehen, ein esse und pereipi der imago
„konstitutiv" miteinander „verbunden" sein lasse. (64). T. macht
hier jedoch darauf aufmerksam, wie dieser dynamische, teleologische
Charakter der imago bei C. freilich des öfteren durch seine
statische Prädestinationslehre behindert würde (73 f). — Die
Spannungen in C's Lehre vom sündigen Menschen erklärt T., indem
er C's scharfe Unterscheidung von Geistlichem und Natürlichem
beachten lehrt. So bedeute die Sünde für C. den völligen
Verlust der geistlichen und die V e r d e r b n i s der
natürlichen Gaben, der imago-Rest, von dem C. spricht,
beziehe sich also nur auf den Fortbestand der (in ihrer Deprava-
tion erhalten gebliebenen!) natürlichen Gaben. In ihrer Verkehrtheit
besteht also die imago, insofern und weil die Geschöpflichkeit
des Menschen und die Schöpferabsicht Gottes nicht aufgehoben
sind. Daß der Mensch, der seine verkehrte Existenz in
der immer neuen, aktuellen Abwendung von Gott vollzieht, in
diesem Zustande nicht völlig zugrundegeht, erkläre sich für C. so,
daß die imago nicht als des Menschen natürlicher Besitz, aber
doch immer „als Gottes Leitbild (intention) für den Menschen"
bestehe (125). — Gotteserkenntnis bestreitet C. dem so beschaffenen
, sündigen Menschengeist. Hier bedarf es der Offenbarung,
in der Gott sich den Grenzen, die dem menschlichen Geiste zugänglich
sind, anpaßt, so daß der Mensch an das Bild gewiesen
ist, das Gott selbst für seine Offenbarung auserwählt hat; d. h.
nur, wo Gott in Jesus Christus, seinem lebendigen Abbild (sie!)
erkannt wird, gibt es Gotteserkenntnis (1 56, 175). Natürliche
Theologie gibt es also für C. auch nicht, denn der Mensch kommt
zum Verstehen der Natur und Gottes nicht ohne das Wort, vor
allem das Gnadenwort der Christusoffenbarung, und die gläubige
Unterordnung unter die Torheit des Kreuzes. —

Solche und manche anderen Lichter steckt uns T. auf, indem
er C's Stimme selber in der anthropologischen Diskussion der
Gegenwart hörbar bzw. hörbarer macht. Für nichts anderes als
für dieses Vernehmbarmachen wird der Autor Aufmerksamkeit
und Dank erwarten. Und die Rezension eines solchen Buches
mochte ihren Dienst getan haben, wenn sie den Historiker auf
diesen neuen Zugang zu C, den Systematiker auf diese Bereicherung
(und dieses Korrektiv) seines Denkens hinweist, sie beide
und nicht zuletzt die Studenten aber zum Lernen einlädt.

Keienburgs Übersetzung ist gut lesbar, frei und verständnisvoll
von ein paar beobachteten Unebenheiten abgesehen. Auf einen sinn-
storenden Druckfehler auf S. 198, Z. 19, sei hingewiesen. Für eine Neuauflage
wird empfohlen, das (englisdie, aber völlig undeutsche) Genetivapostroph
bei dem Worte „Calvin's" wegzulassen und das Lesen des
Buches dadurch zu erleichtern, daß die (auch in der englischen Ausgabe)
oft sehr langen Absätze noch untergliedert werden.

Halle/S. H. Nitsclike

THEOLOGIE UND NATURWISSENSCHAFT

Dolch, Heimo: Theologie und Physik. Der Wandel in der Strukturauffassung
naturwissenschaftlicher Erkenntnis und seine theologisdie
Bedeutung. Freiburg: Herder 1951. VIII, HOS. 8° = Unsere Welt—
Sehen und Verstehen. III. Naturphilosophische Beiträge. Hlw
DM 4.80.

Das „Gespräch", um einen modischen Ausdruck zu gebrauchen
, zwischen Naturwissenschaft und Theologie ist wieder ziemlich
rege. (Die Formulierung des Verf. ist richtig, es handelt sich