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Ausgabe:

1953 Nr. 2

Spalte:

95-96

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Buber, Martin

Titel/Untertitel:

Israel und Palaestina 1953

Rezensent:

Oepke, Albrecht

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 2

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pathie, das Hellsehen in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft,
das Schwebendwerden menschlicher Personen, die Apporte, das
Zungenreden, die Materialisationen, die Erscheinungen Lebender
und Verstorbener und andere parapsychologische Erscheinungen"
dafür eine wissenschaftlich einwandfreie Sammlung von Material.

Tübingen Q.Rosenkranz

ALTES TESTAMENT

Bub er, Martin: Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee.
Zürich: Artemis-Verlag [1950]. 208 S. kl. 8° = Erasmus-Bibliothek,
hrsg, v. W. Rüegg. Lw. sfr. 9.80.

Dies Buch erschien zuerst 1944 in hebräischer Sprache. Vier
Jahre später wurde der Staat Israel begründet. Trotz dieses tief
einschneidenden Ereignisses brauchte für die deutsche Ausgabe
am Text nichts geändert zu werden. Denn der Verf. wollte von
Anfang an nicht die Geschichte einer politischen Unternehmung
schreiben, sondern in die einer religiösen Idee oder richtiger
einer Geisteswirklichkeit einführen. Man kann zwar die Zions-
idee des jüdischen Volkes in der Gegenwart eine nationale Bewegung
nennen. Aber das Wesentliche an ihr ist eben das, was
sie von allen anderen nationalen Bewegungen unterscheidet.
Dies liegt aber in der gottgeordneten Zusammengehörigkeit eines
bestimmten Landes und eines bestimmten Volkes. Die geschichtliche
Entfaltung dieser Idee wird nun nicht sowohl in zusammenhängender
Darstellung als in charakteristischen Einzelbildern
aufgewiesen.

Das biblische Zeugnis erklingt mit besonderer Deutlichkeit
in dem „Erstlingsgebet" Dt 26, 1—11, wo die Landnahme ebenso
als einmaliger geschichtlicher wie jede spätere Generation konkret
wieder und wieder erfassender Akt auftritt. In dem Gleichklang
von adam und adama tut sich eine Existenzgemeinschaft
zwischen dem (rotbraunen) Menschen und dem (rotbraunen)
Ackerboden Palästinas kund. Das Jobeljahr (dessen Etymologisierung
als „Heimholer"-Jahr allerdings schwerlich zutrifft) hindert
die Latifundienbildung. Denn jede Verirrung des Volkes
befleckt das ihm verliehene Land. Abrahams Zug in das gelobte
Land war zugleich der Übergang von heidnischen Gottheiten zu
dem lebendigen Gott. Die den Patriarchen gegebene Verheißung
bezog sich ganz konkret auf dieses Land, wie denn auch das
aus Ägypten kommende Volk eben in dieses Land geführt
wurde. Die Bewohner des Nillandes wissen sich von der Gottheit
unabhängig. Israel bangt im Ausschauen nach Regen zugleich
um Grimm und Gnade seines Gottes. Das Land Israels
wird auch der Schauplatz der kommenden Erlösung sein.

Von diesem festen biblischen Standort aus geht es in schnellem
Fluge durch die Geschichte. Im Mischnatraktat Taanit, sonderlich
in der Anekdote von Choni, dem Kreiszieher, „rauscht
der Regen Gottes". Auch die Aggada weiß um die enge Verbundenheit
Gottes mit dem Lande seines Volkes. Im Exil leidet
er selber. Er ruft, er wolle in das obere, himmlische Jerusalem
nicht einziehen, ehe er in das untere, irdische Jerusalem einziehen
kann, oder nach der Kabbala: ehe Israel in das irdische Jerusalem
wieder einziehen kann. Der babylonische Jude Seira lernt
im Lande der Väter, daß die Geschlechter, die, während der
zweite Tempel stand, nicht nach Jerusalem zurückkehrten, schuld
sind an der Zerstörung des Heiligtums. Jehuda Halevi, der Dichter
, tritt als Vertreter der Diaspora mit seinem Buch „Kusari"
auf. Er zeigt ganz die konkrete, wieder auf das Land weisende
Apologie des Judentums. Hat er sich doch selbst in Sehnsucht
nach dem Land Israels verzehrt! Das Buch Sohar der Kabbala, so
andersartig es ist, vertieft die räumliche Vorstellung von Jerusalem
als Mittelpunkt der Erde zur Bedeutung des dramatischen
Faktors des Weltverderbens und der Welterlösung. An diesem einen
Ort ist die harte Schale der Dämonien durchbrochen. Zweihundert
Jahre vor der französischen Revolution bereits formuliert
der Prager Rabbi Low, von dem die Sage des Ghettos als
dem Schöpfer des „Golem" erzählt, zunächst für Israel die
Grundrechte der Völker: „Es ist nicht geziemend, daß ein Volk
ein anderes unterwerfe". Das heilige Volk und das heilige Land
gehören zueinander. Der Mitteltrieb des Weltenbaumes strebt
senkrecht nach oben. Die palästinische Weisheit des Judentums

steht hoch über der babylonischen. Rabbi Nachman von Bratzlaw,
ein Urenkel des Stifters des Chassidistnus, reist unter Herzensqual
nach Palästina und sagt kurz vor seinem Tode: „Mein Ort ist
nur das Land Israel. Wohin ich auch fahre, ich fahre nur ins Land
Israel." Es ist die wahre Weisheit, im Brot allen Wohlgeschmack
der Welt zu kosten, und es ist die wahre Weisheit, in dem armen,
kargen Ländchen (Palästina) das Tor des Himmels zu erkennen.

Wir stehen hier bereits an der Wiege der zionistischen Idee.
Mehr noch ihr Prophet als ihr Bahnbrecher war der zu wenig beachtete
Moses Heß, der sich vom Judentum aus zum Marxismus
entwickelte, aber später zum Judentum zurückkehrte und das
Heil von der jüdischen Verwirklichung des Sozialismus in Palästina
erwartete. An dem Aufklärer Leo Pinsker und dem Begründer
des Zionismus, Theodor HerzI, übt der Verf. eindringende
Kritik, weil sie für die erwählungs- und offenbarungsmäßige Zusammengehörigkeit
von Israel und Palästina kein rechtes Verständnis
haben. Achad-Haam (Ascher Ginsberg) hat man mit Unrecht
als „Kulturzionisten" bezeichnet. Auch er denkt politisch,
aber als echter Chower-Zion „Liebender Zions". Er denkt mindestens
ebenso konkret wie Herzl, sieht aber das erste Erfordernis
in einer inneren Erneuerung des Volkes. Raw Kuk (f 193 5),
die repräsentative Gestalt des gesetzestreuen Judentums in Palästina
, betont besonders die Rückkehr zur Natur, d. h. für Israel
die Rückkehr nach Palästina. A. D. Gordon (1856-1922), der mit
50 Jahren aus seiner podolischen Heimat als Landarbeiter nach
Palästina kam, hat diese Theorie in die Tat umgesetzt und wurde
so ein Träger der Verwirklichung.

Diese gedrängte Übersicht gibt wohl einen Eindruck von
dem Reichtum des Buches. Buber bewährt hier nicht nur aufs neue
seine Kunst fesselnder Darstellung, seine Meisterschaft, die
Quellen der Jahrhunderte zum Klingen zu bringen. Biblisch gesehen
hat er gegenüber einer auch im Judentum reichlich vertretenen
aufklärerischen Verdünnung recht, aber innerhalb der Grenzen
des Alten Bundes. Trotz aller Innerlichkeit seiner chassidi-
schen Prägung wächst er über eine an „Blut und Boden" haftende
Theologie nicht recht hinaus. Wie bedenklich diese Bindung sich
auswirken kann, zeigen auch gewisse von ihm selbst angeführte
Beispiele. Einige Rabbinen, die ins Ausland gehen wollen, um
dort Lehre zu empfangen, werden an der Grenze so von dem Gedanken
an das Land überwältigt, daß sie weinend ihre Kleider
zerreißen und mit dem Ruf: „Das Siedeln im Lande Israel wiegt
alle Gebote der Tora auf" heimkehren. Ist das Halten der Tora
wirklich so billig zu haben? Daß der Israelit, der außerhalb seines
Landes wohnt, zwar einem „gleicht", der keinen Gott hat,
aber doch noch einen Gott „hat", kann nur eine sehr wohlwollende
Auslegung in 1. Sam. 26, 19 hineinlesen. Wenn Rabbi Nachman
behauptet, daß der Staub des Landes Israel den Menschen
zur Heiligkeit ziehe und dem den Staub der Welt gegenüberstellt,
so kann B. hier nur durch rationalisierendes Verständnis unangenehmen
Konsequenzen ausweichen. Es ist vollkommen richtig,
wenn er sagt: „Selbstverständlich hat nicht Palästina sich selber
zum Heiligen Lande gemacht, aber was es zum Heiligen Lande gemacht
hat, ist die Erwählung und Verheißung durch den lebendigen
Gott, deren Urkunde die Bibel ist" (S. 161). Aber eben
diese Erkenntnis hätte vor dem Kleben am Boden bewahren müssen
. Es ehrt das Judentum, daß in ihm selber je und dann Stimmen
auftauchen, die vor falschem Trotzen auf die Erwählung warnen
(S. 71 f.). Bedeutet aber das Haften an Blut und Boden nicht in
dieser Hinsicht eine ständige Gefahrenquelle?

Die Frage, die zwischen Buber und uns steht, ist die alte:
Beziehen sich die Israel gegebenen Verheißungen für alle Zeiten
nur auf dies Volk und auf dies Land, auf andere Völker und Länder
allenfalls nur anhangsweise? Oder war der Alte Bund Vorbereitung
auf den Neuen, in dem sich wahrhaft das Wort erfüllt:
„In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden"? Ist
das Judentum, auch das Judentum, das seinen größten Sohn hinausstieß
, für alle Zeiten Gottes Volk, oder ist es die Kirche, die
zwar auch Erez Israel als den Mutterboden ihres Glaubens verehrt
, es aber nicht verabsolutiert? Durch den Hinweis auf die Ver-
irrungen, die sich auf beiden Seiten reichlich finden, kann diese
Frage nicht im einen oder anderen Sinn entschieden werden. Sie
bedarf einer grundsätzlichen Lösung. Joh. 4, 19-24 gibt sie.

Leipzig AlbrccM Oepke