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Ausgabe:

1953 Nr. 2

Spalte:

79-86

Autor/Hrsg.:

Hermann, R.

Titel/Untertitel:

Dogmengeschichte der Frühscholastik 1953

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 2

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können. Die Frage ist also unausweichlich, ob diese mythologischen
Vorstellungen vom Kerygma ablösbar sind, oder ob die
mythologische Rede notwendige Ausdrucksform für die
Glaubensaussage ist (a. a. O. 156). W. G. Kümmel will nun nicht
vom Verständnis des modernen Menschen aus argumentieren
, sondern vom Zentrum der neutestamentlichen Verkündigung
aus. Dabei stellt sich heraus, daß das Handeln Gottes als
in der Zeit (also im Rahmen der Heilsgeschichte) sich abspielend
gedacht wird, und daß daher eine völlige Entmytholo-
gisierung unmöglich ist. Entmythologisiert werden kann nur diejenige
Vorstellungsform im NT, die dem Christusgeschehen inadäquat
ist. In diesem Fall wird das Problem in die Einzelexegese
geschoben werden müssen (a. a. O. 161; 169). Gedankenführung
und Zielsetzung von W. G. Kümmel sind eindeutig und verständlich
, die Begriffe geprüft und die grundsätzlichen Entscheidungen
abgewogen; und doch hat man das Empfinden, daß das gestellte
Problem noch ernsthafter und mit dieser vorgeschlagenen Lösung
noch nicht befriedigt ist.

Mit besonderer Spannung erwartet man das abschließende
Wort R. Bultmanns selbst (S. 179 ff.)8. Einige wichtige Thesen
seien hier erwähnt. Der Zusammenhang zwischen Mythos und antikem
Weltbild darf nicht abgestritten werden (S. 183). Wenn

s) Aus einer persönlichen Mitteilung von R. Bultmann geht hervor
, daß er selbst nicht das Empfinden gehabt hat, ein die Diskussion
„abschließendes" Wort zu sagen. H. W. Bartsch hat den Beitrag R. Bultmanns
zu diesem Band offenbar als einen „abschließenden" angesehen
und auch so bezeichnet. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, muß
außerdem offen zugegeben werden, daß R. Bultmann keineswegs sämt-
lidie Beiträge des vorgelegten Bandes gekannt hat, als er seinen Beitrag
schrieb. Man kann daher ihm nicht vorwerfen, er habe sich zu
R. Prenter nicht geäußert, denn der Aufsatz von R. Prenter war ihm
bei der Abfassung seines Beitrages nicht bekannt. Es wäre wünschenswert
, wenn dieser Tatbestand, auf den R. Bultmann besonderes Gewicht
legt, in der theologischen Öffentlichkeit allgemein beachtet würde. Ich
selbst bedaure es, daß der Band von H. W. Bartsch diesen Tatbestand
nicht klar herausstellt.

man nach dem existentialen Sinn des Mythos fragt, gibt man die
vorausgesetzte Denkform des Mythos nicht preis (S. 183). In jeder
Interpretation eines Textes ist eine bestimmte Fragestellung
mitgegeben; ohne eine Fragestellung bleiben die Texte stumm.
Übernimmt man die Existenz-Analyse als hermeneutisches Prinzip
, dann gerät allerdings die exegetische Arbeit in Abhängigkeit
von der philosophischen (S. 192). Das ist das Paradox des Glaubens
, daß er ein in seinem natürlichen und geschichtlichen Zusammenhang
feststellbares Ereignis gleichwohl als Gottes Tat versteht
(S. 198). Der Glaube verlangt die Befreiung von der Bindung
an jedes Weltbild, das das objektivierende Denken entwirft
(S. 207). Die radikale Entmythologisierungist
die Parallele zur pau1inisch-1utherischen
Lehre von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes
Werk allein durch den Glauben. Oder vielmehr: sie ist ihre kon-
I sequente Durchführung für das Gebiet des Erkennens (S. 207).

Dürfen wir zu diesem Denkprozeß, der die Wurzeln des neutestamentlichen
Wortes angreift, ein la sagen? Ist dies Selbstverständnis des
Glaubens wirklich so eng mit der reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung
verwandt? Ist die der Exegese mitgegebene hermeneutische
Fragestellung wirklich philosophisch bestimmt? Es kann kein Zweifel
sein, daß auf diese entscheidenden Fragen letzte theologische Antworten
gegeben werden müssen. Ist in den letzten Jahrzehnten wirklich ein
neues Hören auf das Wort Gottes geschenkt worden, dann wird es jetzt
seinen eigenen Weg suchen und sich weder historistisch noch philosophisch
festlegen. Letzten Endes werden wir mit guten Gründen zu
dieser Form der Entmythologisierung ein Nein sagen.

Mir ist wichtig, daß der vorliegende Band trotz aller Schärfe
und Spannung ein echtes Gespräch bleibt, das der theologischen
Arbeit nicht unwürdig ist. Auch dort, wo es scheinbar abbricht,
was gelegentlich unvermeidbar ist, behält die Abgrenzung eine
gute Form. Und dafür wird der Leser dankbar sein. Ich sehe den
ganzen Ernst der zwischen E. Stauffer und H. W. Bartsch aufgebrochenen
Frage nach dem theologischen Sinn der historischen
Forschung und der Bedeutsamkeit ihrer Ergebnisse für die Verkündigung
wohl ein, möchte mich aber mit den bisher erreichten
Ergebnissen nicht zufrieden geben.

Dogmengeschichte

Von R. Herrn

Das Werk ist als sechsbändiges vorgesehen. Im 1. Doppelband
, von dem Teil 1 vorliegt, wird die Gnadenlehre behandelt.
Der 2. Doppclband soll die Christologie, der 3. die Lehre von
den Sakramenten bringen. Das umfangreiche Werk soll zugleich
die zahlreichen verstreuten Studien und Abhandlungen, die der
Vf. der Frühscholastik gewidmet hat, sammeln und sie in einem
thematisch und historisch geordneten Zusammenhange für Forschung
und Lehre darbieten. Es soll damit ein Gesamtbild der
Frühscholastik, also der Zeit von (im Ganzen genommen) 1070 bis
1230, aber natürlich auf die Karolingische Tradition zurück- und
in die hochscholastische Zeit hineingreifend, entstehen.

Der Name Artur Landgrafs, des Herausgebers der vormals
Bäumkerschen „Beiträge zur Geschichte und Philosophie des
Mittelalters", des zugleich auf das Geistige und auf das Genaue,
ja auf das Minutiöse, gerichteten Forschers und profunden Gelehrten
bürgt für ein Werk, das sich unmittelbar aus den, noch
vielfach unerschlossen gewesenen, Quellen aufbaut und sowohl
in die Bestände wie in die Werkstätten und in die Diskussionen
der Frühscholastik hineinführt.

„Hineinführt" dürfte der richtige Ausdruck sein. Denn eine
Einführung ist dieser Band nicht. Er will es auch wohl nicht sein.
Man wird sich dafür an Landgrafs 1948 erschienene „Einführung
in die theologische Literatur der Frühscholastik" (Regensburg
1948) halten müssen. Immerhin hätte der Leser gern bei der Lektüre
des Werkes selbst z. B. einen Überblick über die Schulen,
über die Namen auch Einzelner und über die chronologischen

') Landgraf, Artur Michael: Dogmengeschichte der Frühscholastik
. Erster Teil: Die Gnadenlehre. Bd I. Regensburg: Pustet 1952.
302 S. gr. 8" DM 19.-; Lw. DM 23.-.

der Frühscholastik1

a n n, Greifswald
Verhältnisse. Gewiß ist die Einleitung zu diesem Bande interessant
geschrieben. Aber sie bietet die hier gewünschten Hilfsmittel
doch nicht in ausreichendem Maße.

Freilich soll der 2. Halbband ein „Handschriftcn-Namcn-und
Sachverzeichnis" bringen. Es wäre dankenswert, wenn ihm etwa
Tabellen in dem angedeuteten Sinne beigefügt werden könnten.
Doch wird auch dann das Werk seine Voraussetzungsfülle behalten
. Natürlich wird dem in der katholischen Dogmatik und in
der Scholastik durch und durch gebildeten Leser das Verständnis
im einzelnen leichter fallen. Aber man nimmt dem Werk nichts
von seiner zweifellosen Unentbehrlichkeit für die gelehrte Arbeit,
wenn man nicht verschweigt, daß es nicht eben leicht zugänglich
ist, und daß auch die imposante Materialfülle den Gedankengang
nicht ganz selten überquillt.

Daß es sich ferner nicht um eine Dogmengeschichte in unserem
Sinne, etwa um ein Werk im weiten geistesgeschichtlichen
und allgemein historischen Rahmen handelt, darf nicht überraschen
. Das Buch ist an der katholischen, „unserer heutigen",
Dogmatik orientiert, die ihrerseits an der Hochscholastik des
13. Jahrhunderts ihren Ausgangs- und Richtpunkt hat. Die Frühscholastik
wird nach ihrem Erkenntnishorizont bestimmt und an
jener als höherer Norm gemessen. Die Frühscholastik hat — das
führt die Darstellung dank immensen Forscherfleißes und viele
Lücken ausfüllend durch — die Aufgabe und das Verdienst, die
Begriffe und Grundlagen, die sie selber aus Schrift und Tradition
entnimmt, durchzudenken, ihren Problemgehalt zu klären und
zu läutern und sie so der Hochscholastik in ausgearbeiteter Gestalt
zu übermitteln. Philipp der Kanzler (der Pariser Universität
) ist zumeist der abschließende, schon Neues vorausnehmende,