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Ausgabe:

1953 Nr. 12

Spalte:

749-764

Autor/Hrsg.:

Goldammer, Kurt

Titel/Untertitel:

Die Frage der Entmythologisierung im Lichte der Religionsgeschichte und in der Problemstellung der Missionsreligionen 1953

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749

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 12 750

Die Frage der Entmythologisierung im Lichte der Religionsgeschichte und in der Problemstellung

der Missionsreligionen

Von Kurt Goldammer, Marburg

modernen Menschen die neutestamentliche Lehre vom „Geist"
und von den Sakramenten, vom Tod als Strafe für die Sünde,
die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod
Christi und schließlich die von der Auferstehung Christi mit dem
gnostischen Hilfsgedankengang, daß der Auferstandene ein
„Gottmensch" sei.

Dieses mythische Weltbild, das also etwa all das enthält,
was in den Glaubensbekenntnissen der Kirche als Gehalt des
Neuen Testaments in prägnanter Form bekannt wird, kann man
nach Bultmann nur „als ganzes annehmen oder verwerfen", nicht
durch Abstriche reduzieren. Da er glaubt, daß das neutestamentliche
Kerygma, die eigentliche Botschaft der christlichen Offenbarung
, nicht identisch sei mit diesem Mythus, gibt es nur den
Weg der Entmythologisierung. Er glaubt, daß der
Mythus das Motiv der Kritik schon in sich selbst trage und nach
„existentialer" Interpretation verlange. Ferner meint er, daß die
vielen Unausgeglichenheiten und Widersprüche innerhalb des
Neuen Testaments uns vor die „Aufgabe der Entmythologisierung
" stellten.

Was nun Bultmann des näheren will, legt er in seiner „For-
Sinne (deren Begriff hier wohl nicht erörtert zu werden braucht) derung einer existentialen Interpretation der mythologischen

Wohl wenige theologische und schließlich religiöse bzw.
„religionswissenschaftliche" Gesprächsthemen haben in den letzten
Jahrzehnten eine solche Erregung hervorgerufen und eine
solche Resonanz bis hinein in die breitere Öffentlichkeit gefunden
wie „das Problem der Entmythologisierung der neutesta-
mentlichen Verkündigung", welches Rudolf Bultmann in seinem
1941 erschienenen Aufsatze „Neues Testament und Mythologie"
zunächst einem beschränkten Kreise von Sachverständigen vorlegte
. Das ist um so bemerkenswerter, als dieser Streit ausbrach
mitten in einer bekämpften und unterdrückten Kirche und mitten
in einer weltgeschichtlichen Katastrophenzeit. Er scheint ein
Beweis zu sein für die ungebrochene Vitalität der abendländischen
Geistigkeit. Man muß die Kraft bewundern, die diese Kirche und
ihre Theologen aufbrachten, eine Frage anzufassen, die von innen
her an der Grundlage ihrer Existenz rüttelte. Die Zeitumstände
trugen freilich auch dazu bei, daß das Gespräch nach außen nicht
sehr laut wurde, nur wenige Partner hatte, und weithin überhaupt
vertagt wurde bis auf die Zeit nach dem Kriege, in der
es allmählich wieder aufgenommen wurde, oft in sehr heftigen
Formen. Erstaunlich ist, daß die Religionswissenschaft im engeren

sich dieser Frage nur wenig angenommen hat, obwohl sie eigentlich
ihre ureigenste Angelegenheit sein sollte. Das kam schon
im Marburger Vortrag des verehrten Gerardus van der Leeuw
im August 1950 vor diesem Kreise zum Ausdruck. Eine Behandlung
im rcligionsgeschichtlichen Rahmen rechtfertigt sich also
von selbst1.

I. Das Problem

In seiner Abhandlung über „Neues Testament und Mythologie
" von 1941 entwickelt Bultmann sein Entmythologisierungs-
programm, das — in ganz knappen Strichen gezeichnet — etwa
folgendermaßen aussieht: Die Botschaft des Neuen Testamentes
ist eingebettet in einen durchaus mythischen Rahmen. Das Weltbild
des Neuen Testaments ist in seiner Dreistockwerk-Gliederung
von Himmel-Erde-Unterwelt ein mythisches, und die Vorstellung
vom Geschehen, endend in einer eschatologischen
Katastrophe, nachdem sie eine wunderbare Weltschöpfung am
Anfang gesehen hatte, ist ebenfalls eine mythische. Auch das
eigentliche Heilsgeschehen, die Rede von Christus als
dem Gottessohn, von seiner Präexistenz, seinem Erlösungswerk,
seinem Kreuz, seiner Auferstehung und Himmelfahrt und seiner
Wiederkunft in Herrlichkeit, ist mythische, oder — wie Bultmann
sagt: — mythologische Rede. Mythisch ist die Vorstellung von
der Teilhabe seiner Gemeinde an seinem Leibe durch die Kraft
der Sakramente usw. Mythologische Rede aber ist für den heutigen
Menschen unglaubhaft, denn man kann dem modernen
Menschen nicht mehr das mythische Weltbild zumuten. Unser
Weltbild ist „unwiderruflich durch die Wissenschaft geformt".
Damit „ist die Kritik am neutestamentlichen Weltbild gegeben".
Man kann nicht mehr bekennen „niedergefahren zur Hölle" oder
„aufgefahren gen Himmel". „Erledigt" sind die Erwartung des
Menschensohnes aus den Wolken, der Geister- und Dämonenglaube
, die Wunder des Neuen Testaments. Man könne nicht,
meint Bultmann, „elektrisches Licht und Radioapparat benutzen
. .. und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des
Neuen Testaments glauben". Fremd und unverständlich sei dem

') Nachstehende Ausführungen, im wesentlichen entstanden Ende
1951 bis Anfang 1952, waren ursprünglich bestimmt für einen Vortrag
auf der Missionskonferenz der Provinz Sachsen in Halle im Februar
1952, der durch einen unglücklichen Umstand nicht zustande
kam. Sie wurden erstmals geboten vor einem Kreis geladener Gäste in
der Lukasgemeinde in Dresden am 6. Juni 1953, dann auf der 3. Reli-
gionswisscnschaftlichen Jahrestagung des Deutschen Zweiges der Internationalen
Vereinigung für das Studium der Religionsgeschichte in
Marburg a. d. Lahn am 31. Juli 1953. Geringfügige Ergänzungen wurden
vorgenommen. | geschichtlich ins Bewußtsein zu heben. Gerade diese , mythischen"

Begrifflichkeit" vor. Die dualistische Mythologie, die aus jüdischer
Apokalyptik und gnostischem Erlösungsmythus stamme,
müsse „existential" interpretiert werden. Dafür gibt er dann —
ausgehend von seinen bekannten Beziehungen zur modernen
Existenzphilosophie, insbesondere Heideggerscher Prägung — gewisse
Grundlinien. Er zeigt am Beispiel des christlichen SeinsVer-
ständnisses, wie sich das Neue Testament selbst entmythologisiert
. Dann legt er seine Entmythologisierung des Heilsgeschehens
, vor allem des Christusgeschehens, dar.

Es soll hier nicht weiter auf die Bultmannschen positiven
Ausführungen eingegangen werden, die auch manches Widersprüchliche
enthalten. Uns interessiert im wesentlichen die Frage
des Mythischen, und was Bultmann damit meint. Seine Reinigungsarbeit
ist nicht ganz einheitlich angelegt. Er redet zwar
einmal von der „Entmythologisierung der neu-
testamentlichen Verkündigung"; dann aber wieder
davon, daß „die Mythologie des Neuen Testaments kritisch
zu interpretieren" sei. Und schließlich erfahren
wir, daß es zu eliminierende Mythologeme oder eine „Elim i-
nierung mythologischer Reste" geben müsse. Die
ganze Aufgabe ist also differenziert, erscheint teils mehr, teils
weniger rigoros. •

Bultmann ist sich auch bewußt, daß er keine neue Forderung
erhebt. Er weiß, daß z. B. die allegorische Exegese der Alten
Kirche (die ja mit der von ihm angegriffenen Gnosis zusammenhängt
!) mit anderen Mitteln ein ähnliches Ziel verfolgte. Er weiß
auch, daß die ältere liberale Theologie im Grunde nichts anderes
betrieb als „Entmythologisierung" des Neuen Testaments, ohne
es so zu nennen. Ja, Bultmanns eigentliches Anliegen ist sogar
die große Sorge gegenüber der liberalen und religionsgeschichtlichen
Schule: daß nämlich das „Kerygma", das Wesentliche,
die Botschaft des Neuen Testaments, nicht etwa auch als Mythus
betrachtet und mit dem Mythischen zusammen eliminiert
werden könnte. Es geht ihm also um die Rettung dieses christlichen
Kerygma vor der falschen Kritik, vor dem mißverstehenden
Zugriff der Moderne.

Obwohl Bultmann in seinen positiven Vorschlägen das Problem
der Entmythologisierung nicht mehr scharf gefaßt hat,
bleibt es als Frage bestehen. Tatsache ist: es gibt einen Mythus.
Das Neue Testament enthält zweifellos Bestandteile, die man
als mythisch bezeichnen kann, nachdem einmal moderne Reflexion
begonnen hat, sich über die eigenen religiösen Daseinsformen
und Formelemente kritisch-analytisch Rechenschaft abzulegen,
und den Werdegang dieser Formen und Elemente entwicklungs-