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Ausgabe:

1953 Nr. 12

Spalte:

741-748

Autor/Hrsg.:

Schneider, Carl

Titel/Untertitel:

Origenes und die hellenistischen Religionen 1953

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 12

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Es kann nicht der Sinn eines kurzen Kongressreferates sein,
ein Problem in allen notwendigen, besonders philologischen, Einzelheiten
durchzuführen, das nicht nur von einer außerordentlichen
Subtilität ist, sondern auch von einem sehr großen Umfang
. Vielmehr sollen nur einige grundsätzliche Dinge zur Sprache
kommen und an einem Beispiel erörtert werden, deren neue Diskussion
aus der gegenwärtigen Lage der Patristik von selbst
erwächst.

Denn es ist eine Tatsache, daß besonders in Deutschland
und Frankreich die Patristik in den letzten Jahrzehnten in einer
Weise christlich isoliert worden ist, daß sie aus ihren religions-
Und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen herauszufallen droht.
Selbst die sichersten Ergebnisse Hamacks aus dem Bereich der
Hellenisierung des Christentums werden weithin nicht mehr beachtet
, wobei allerdings zu sagen ist, daß Harnack selbst infolge
(einer Abneigung gegen die Religionsgeschichte oft auf halbem
Wege stehen geblieben war. Am meisten haben unter dieser veränderten
Lage die Alexandriner zu leiden. Man versucht, sie zu
orthodoxen Christen zu stempeln und schneidet so ihre Lebenslinien
zur hellenistischen Welt ab, so daß sie in einem luftleeren
christlichen Raum stehen. Auf Kosten der religionsgeschichtlichen
Tatsächlichkeit werden sie in einer Weise christlich ,,rehabilitiert",
die einige Fragezeichen mindestens von der Philologie und von
der Religionsgeschichte her fordert. Wir haben es hier nur
mit der letzteren zu tun. Auf einmal ist der alte con-
sensus quinque sacculorum oder der mechanische Traditionsgedanke
wieder da — und eine heilsame Kritik von Seiten
der Philologie, Religionsgeschichte und Altertumswissenschaft
fehlt oft, abgesehen von einigen großartigen Arbeiten
wie etwa denen W. Theilers1. Nur die Beziehungen zu
Philon erwähnt man — sie sind nicht zu umgehen —, betont aber
dessen Abhängigkeit von der hellenistischen religiösen Welt immer
weniger. Und das in einer Zeit, in der diese durch Arbeiten
wie Festugieres neue Durchdringung der Hermetik deutlich vor
uns steht.

So ist etwa folgendes Bild entstanden: Auch die alexandri-
nischen Kirchenväter sind orthodoxe Biblizisten. Da, wo sie sich
außerchristlicher Formen bedienen, sind diese völlig lose angeheftet
. Ihre Bibclexegese bestimmt ihr Denken, und diese ist aus
der Bibel selbst erwachsen. Sie repräsentieren weder hellenistisches
Christentum noch christlichen Hellenismus, sondern sind
Glieder der einen katholischen Kirche, die ein Neues und Einmaliges
in der Welt darstellt, aufgebaut in der Hauptsache auf
den Schriften des Alten und Neuen Testamentes.

Dieser Betrachtungsweise soll nun für die Alexandriner,
hier für Origenes eine andere These gegenübergestellt werden:
Das alexandrinische Christentum ist ein
Spezialfall der hellenistischen Religionsgeschichte
, und seine Bibclexegese ist nur aus der hellenistischen
religiösen Sphäre heraus erwachsen und zu verstehen.
Alle Fülle alexandrinischer Bibelzitate darf nicht darüber hinwegtäuschen
, daß die Alexandriner aus der Bibel das herauslesen
oder in sie das hineinexegisieren, was in dieser Sphäre gegeben
war. Das gilt für die gesamte alexandrinische Theologie vom Hebräerbrief
— den ich für alexandrinisch halte — bis zu Kyrill.
Allerdings ist der Nachweis für Origenes am schwersten zu führen
. Da er aber der Größte der Alexandriner ist, seine Klerikali-
sierung und Rehabilitierung am eifrigsten betrieben wird, und
wir zudem seinem 1700. Todestag entgegen gehen, sei er wenigstens
angedeutet.

Bei Clemens liegen die Dinge klar. Es kann kaum ein Zweifel
darüber bestehen, daß er mindestens in eine Mysterienreligion
eingeweiht war, und die Übergänge vom außerchristlich
Griechischen zum Christlichen sind bei ihm fließend und mannigfaltig
. Bei Origenes liegt es ganz anders: er stammt aus einer
christlichen Familie und ist daher niemals unmittelbar mit

') W. The Her, Plotin u. d. antike Philosophie. 1944; ders
Die Vorbereitung des Neuplatonismus. 1930; ders. Porphyrius und
Augustin. 1933.

Origenes und die hellenistischen Religionen

Von Carl Schneider, Speyer a. Rh.

einer hellenistischen Religion in Berührung gekommen. Auf der
anderen Seite ermöglicht uns das, zu prüfen, welche Bedeutung
der allgemeinen hellenistischen religiösen Sphäre Alexan-
dreias zukam, wenn sie trotz dieser für sie erschwerenden Umstände
so stark einwirken konnte. Denn das ist heute eine
der vordringlichen Aufgaben der religionsgeschichtlichen Forschung
, solche mittelbaren Einwirkungen und Abhängigkeiten
aufzuspüren, nachdem die direkten im großen und ganzen
bekannt sind.

Doch ist die Arbeit an Origenes noch durch eine zweite
schmerzliche Tatsache erschwert. Je mehr man sich mit ihm befaßt
, umso mehr fühlt man die Hoffnungslosigkeit der Überlieferung
. Die gute Absicht seiner Freunde und insbesondere Ru-
fins, den Meister als Christen ohne Tadel hinzustellen, hat
das ausgemerzt, was für die religionsgeschichtliche Arbeit am
wichtigsten wäre, und der Stumpfsinn seiner Feinde hat nur
das aufbewahrt, was ihn am gröbsten von dem Christentum des
5. Jahrhunderts unterschied. Die feinen Nuancen, die wir am
nötigsten brauchen, sind für immer verloren, es sei denn, wir
machen einmal einen Papyrusfund von einem wirklichen Origencs-
kommentar.

Es ist nicht nötig, die religiöse Sphäre näher zu
schildern, die das Alexandreia des dritten Jahrhunderts kennzeichnet
, man kann sie, wie alle Arbeiten der letzten Zeit immer
deutlicher enthüllt haben, mit zwei Worten umschreiben: religiöser
Piatonismus. Die klare und konsequente Linie,
die von Plutarch über Plotin zu den späteren Neuplatonikern
führt, geht ungebrochen mitten durch das gesamte Schrifttum des
Origenes hindurch. Sie ist die Norjn seiner gesamten Schriftaus-
lcgung und Systematik. Die Fülle der Bibelzitate, die reiche Bibelkenntnis
, die Beherrschung christlicher Tradition wird nur von
dieser platonischen Religion zusammengehalten. Von ihr aus wird
alles Christliche interpretiert, ohne daß Origenes das selbst spürt
und meist des guten Glaubens ist, daß er genuin Christliches
glaubt und schreibt. Die Interpretatio Graeca der Bibel, die mit
der Septuaginta und mit Philon begann, wird bei Origenes erst
zur Interpretatio Platonica, freilich Platonica im Sinne nicht des
ursprünglichen, sondern des religiösen Piatonismus.

Im Kommentar zum Hohenlied steht am kürzesten formuliert
der platonische Satz, der allem Origenismus zu Grunde
liegt: „Quae in caelis sunt invisibilia et incorporea, illa sunt
vera; ista autem, quae in terris sunt, visibilia et corporea, exem-
plaria verorum ..., non vera2. Von hier aus wird die Stellung zu
den Religionen bestimmt und ergibt sich eine eindeutig religionsgeschichtliche
Haltung. Wenn Paulus sagt, daß es keine etdeuka
gibt, so meint er nicht, sagt Origenes, daß es keine ofjioidbßaxa
gäbe3. Ei'dcoXa sind sinnlose Mischwesen und Mischgestalten von
Göttern, 6fioia')fiara dagegen sind durchaus erlaubte Zeichen
des Göttlichen im Bereich des Empirischen. An der Gestirnreligion
läßt sich das exemplifizieren. Die Sterne sind niemals
alrcai, denn dies ist — platonisch wie christlich — Gott allein
, dagegen sind sie göttliche orjfieia1. Vom Vorherwissen
Gottes aus läßt sich daher die Astrologie rechtfertigen, soweit sie
für den Primat Gottes Raum in dieser Weise läßt. Nur erfordert
ihre Handhabe eine besondere charismatische Begabung.

Ebenso wird es möglich, allen außerchristlichen Religionen
einen bestimmten Platz anzuweisen. Nicht nur, daß Origenes im
Gegensatz zu vielen Christen seiner Zeit scharf ablehnt, die
außerchristlichen Götter oder Götterbilder zu schmähen und zu
beleidigen, denn der Christ dürfe überhaupt niemanden und nichts
schmähen, sondern er spricht ihnen sogar eine höhere Existenzform
zu, die in der platonischen Linie liegt und für das Christliche
Analogien gestattet. Ein gutes Beispiel liefert die Stellung
zu den Orakeln.

Seit Plutarchs delphischen Schriften war der Wert der alten

*) In Cant. cant. 2 (Delarue 3 S. 63).
•1) In Ex. 8. 3.

') In Gen. 1,4; hom. in Jer. 20, 5.