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Ausgabe:

1953 Nr. 12

Spalte:

727-740

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Religionsgeschichte als Wegbereiterin für die Zusammenhang der Religionen 1953

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 12

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Kirchenregiment, dem gegenüber der freie Protestantismus sein
Recht auf formale Tolerierung nur mühsam und weithin erfolglos
vertritt.

Die katholische Kirche ist durch verschiedene
päpstliche Entscheidungen festgelegt: Gregor XVI. spricht in
der Enzyklika „Mirari vos" vom 15. August 18 32 von dem
Wahnsinn, Gewissensfreiheit zu gewähren (deliramentum, asse-
rendam essa ac vindicandam cuiuslibet libertatem conscien-
tiae) und im Syllabus von 1864 wird unter den Irrtümern des
modernen Liberalismus und des modernen Staates auch die moderne
Toleranz auf religiösem Gebiet genannt. Und jüngst, 1949,
haben spanische katholische Theologen in St.
Sebastian folgende Entschließung gefaßt: „Der Mensch hat ein unveräußerliches
Recht, Gott zu verehren und die wahre Religion
auszuüben, unabhängig von jeder menschlichen Macht. Der Staat
darf diese religiöse Freiheit in keiner Weise stören, vielmehr soll
er sie als Grundsatz des Naturrechts beschützen und begünstigen
". Es handelt sich hier also, in unseren Kategorien gesprochen,
um eine vom Staate verlangte formale Toleranz gemäß dem Naturrecht
, verbunden ist diese Toleranz aber mit inhaltlicher Intoleranz
, die dann die formale Toleranz wieder einschränkt, denn
das Recht der Religionsfreiheit beschränkt sich auf die Ausübung
der „wahren Religion", die natürlich nur die eigene Religion sein
kann. Die Front, gegen die man sich hier wendet, ist offenbar
der areligiöse oder religionsfeindliche Staat, der wesensmäßig der
Religion gegenüber intolerant ist.

In modernen totalitären Staaten kehren sich die Verhältnisse
wieder um. Er ist — wie die religiöse totale Kircheninstitution —
formal und inhaltlich intolerant, schließt jede Abweichung aus
und verlangt die Einheit eines ideologischen Bekenntnisses, womit
gesagt ist, daß entweder Religion im Dienst gegenüber der
staatlichen Organisation toleriert wird (umgekehrt wie im Mittelalter
) oder radikal bekämpft wird, wenn sie sich diesem Ansinnen
widersetzt und die staatliche Einheit gefährdet.

Vom Standpunkt moderner vergleichender
Religionswissenschaft, die in gründlicher Auseinandersetzung
mit den Religionen die inneren Gesetze religiöser
Ideenbildung, die weitgehenden strukturellen Gemeinsamkeiten
der Religionen und ihre unverwechselbaren Eigenarten erforscht,
kann nur der Standpunkt formaler und inhaltlicher Toleranz mit

aller Entschiedenheit vertreten werden. Toleranz ist — wie gezeigt
wurde — weder eine durch die äußeren Machtverhältnisse
erzwungene unaggressive Haltung anderen Religionen und Konfessionen
gegenüber, noch auch inaktive Gleichgültigkeit, sondern
im tiefsten inhaltlichen Sinne Anerkennung der grenzenlosen
Möglichkeiten des Waltens göttlichen Geistes in den geschichtlichen
Sondergestaltungen der Religionen. Der Absolutheitsan-
spruch exklusiver Art, auf den sich formale und inhaltliche Intoleranz
gründen, liegt prophetischen Religionen und kirchlichen
Organisationen ebenso im Blut, wie der Mystik die Toleranz.
Wir deuten diesen exklusiven Absolutheitsanspruch und die ihm
zugehörige Intoleranz religionswissenschaftlich als naiv unmittelbare
Ausdrucksform für das innere Verhältnis persönlicher und
daher exklusiver Bindung an den personalen Gott. Vertiefte und
reflektierte Frömmigkeit wie auch wissenschaftliche Erkenntnis
versteht die Relativität der religiösen Ausdrucks-, Vorstellungsund
Kultformen und anerkennt sie als zwar fremde aber echte
Möglichkeiten der Gottesbegegnung. Echte inhaltliche Toleranz
schließt daher die eigene Bindung an die eigene Religion keineswegs
aus. Religion an sich ist für Menschen in Raum und Zeit
nicht zu verwirklichen, sie ist für uns nur möglich als geschichtliche
d. h. als individuell gestaltete Religion. Keinesfalls also
sind die geschichtlichen Religionen aufzuheben oder zu vermischen
. Wohl aber würde die religiöse Toleranz bei Wahrung der
eigenen Glaubensüberzeugung ermöglichen, daß sich, wie R u-
dolf Otto es einst in dem von ihm begründeten Religiösen
Menschheitsbund anstrebte, die Religionen im Ethischen zusammenfinden
, in dem sie die meisten Gemeinsamkeiten haben, um
als religiöses Weltgewissen gegen die areligiösen Mächte der Zerstörung
aller menschlichen Gemeinschaft und der Entwürdigung
des Menschen zu kämpfen.

Toleranz ist somit ein Ideal, für das viele große Geister der
Religions- und Geistesgeschichte, als es einmal erkannt war, sich
eingesetzt haben, nicht zuletzt auch Goethe, mit dessen Mahnung
zur Toleranz wir diese Betrachtung schließen wollen:

„Frage nicht, durch welche Pforte

du in Gottes Stadt gekommen,

sondern bleib am stillen Orte,

wo du einmal Platz genommen."

Die Religionsgeschichte als Wegbereiterin für die Zusammenarbeit der Religionen

Von Friedrich Heiler, Marburg

„Haben wir nicht alle einen Vater? Hat uns nicht e i n
Gott geschaffen? Warum verachten wir denn einer den anderen?"
Diese Worte des Propheten Maleachi (2, 10) wiederholte vor
mehreren Jahrzehnten ein jüdischer Rabbiner, als er einem neuernannten
katholischen Bischof seine Glückwünsche darbrachte.
Der Glaube an den einen Gott sollte in der Tat in den Gläubigen
aller irgendwie monotheistischen Religionen das Bewußtsein
der Familienzusammengehörigkeit und der Pflicht brüderlichen
Zusammenstehens erwecken. Es ist verständlich, daß die
Bekenner eines national aufgespaltenen Polytheismus sich nicht
nur als politische, sondern auch als religiöse Feinde ansehen
und bekämpfen. Der Kampf der Völker untereinander ist für sie
eben zugleich ein Kampf ihrer Götter, die sozusagen als die
obersten Massakreure ihnen in die Schlacht voranziehen; mit
ihnen siegen und unterliegen auch die Götter, die unterlegenen
Götter müssen ihren Siegern sich unterordnen und ihnen ihre
Embleme und Ehrennamen überlassen.

Unverständlich aber erscheint es auf den ersten Blick, daß
der Glaube an einen Gott oder ein göttliches Wesen bei seinen
Bekennern sich mit einer wechselseitigen Fremdheit und Feindseligkeit
verbinden kann. So war es aber in der Geschichte der
Religionen. Die Bekenner der hohen Religionen haben sich gegenseitig
immer wieder wenn nicht blutig verfolgt, so doch verachtet
und im günstigen Fall die Angehörigen der anderen

Religionen als bedauernswerte Irrende betrachtet, die so rasch
wie möglich zur wahren Kirche und Religion bekehrt werden
müßten. Wieviele Menschenleben sind die Opfer der Religionskämpfe
geworden, wieviel Gewissenszwang ist auf die Bekenner
anderer Religionen ausgeübt worden, wieviel Martyrien sind im
mutigen Bekenntnis der eigenen Glaubensüberzeugung erduldet
worden! Man denke an die wiederholten grausamen Verfolgungen
des Buddhismus durch den Konfuzianismus in Chinal An
die Ächtung der Juden im christlichen Mittelalter, ihre Verweisung
ins Ghetto, an die jüdischen Zwangstaufen und Zwangspredigten
! Man denke an die christlichen Kreuzzüge gegen den
Islam mit all ihren Grausamkeiten und Schändlichkeiten und
umgekehrt an den Druck moslemischer Herrscher auf die christlichen
Völker! Ja selbst in Religionen, in welchen der Tolcranz-
gedanke zu Hause ist, wie im Hinduismus, sind Konvertiten zum
Christentum aus ihrer Familie und Kaste ausgestoßen und schlimmer
als die Paria behandelt worden! Aber wenn auch in der
Neuzeit die Religionsverfolgung aus der Hand der Religionen in
die der sich verabsolutierenden politischen Mächte übergegangen
ist, so ist doch die aus tiefem Unverständnis fließende Geringschätzung
der fremden Religionen noch sehr verbreitet, ja in der
westlichen Christenheit heute teilweise verbreiteter als im Zeitalter
der Aufklärung, des Klassizismus und der Romantik. Wenn
wir denken, mit welcher Aufgeschlossenheit die Aufklärungsphilosophen
die chinesische Philosophie aufnahmen, Schopen-