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Ausgabe:

1953 Nr. 12

Spalte:

717-728

Autor/Hrsg.:

Mensching, Gustav

Titel/Untertitel:

Toleranz, eine Form der Auseinandersetzung der Religionen 1953

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 12

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Schöpfungsbericht; sie sind, wenn man den Schmidtschen Ansatz
der Niederschrift der Genesis auf 2100 v. Chr. ansetzt (das
genaue Datum ist hier belanglos), rund 4000 Jahre jünger. Das
ist das Einzige, was sich positiv historisch sagen läßt.
Alles andere ist Phantasie.

Zweitens: Begriffe, die einer theologisierten Religion entstammen
, wie „Paradies" und „Sündenfall", dürfen nicht auf
Tatbestände untheologischer Religionen übertragen werden. Man
verbaut sich das Verständnis für die Eigenart von Mythen der
Naturvölker, wenn man ihnen diese Begriffe unterlegt. Dieses
Verfahren führt zu einer Selbsttäuschung. Wenn man Begriffe
wie „Paradies" und „Sündenfall" in die Schöpfungsmythen von
Indianern und Pygmäen hineinsteckt, darf man nicht darüber erstaunen
, wenn diese Begriffe nachher wieder herausschauen.

Drittens: Wenn man Übereinstimmungen zwischen der Genesis
und den Religionen von Naturvölkern sucht, müßte man
wohl vor allem untersuchen, ob zwischen den höchsten Wesen
der Naturvölker und dem Gott des Alten Testaments irgendwelche
strukturellen Ähnlichkeiten bestehen. Über die Hochgötter
der Naturvölker wissen wir nicht viel, über den Gott der alten
Israeliten aber umso mehr, jedenfalls genug, um sagen zu können
: eine radikalere Verschiedenheit ist kaum denkbar. Es genügt
, das Urteil G. van der Leeuws anzuführen: „Wer über einen
konstruierten .Urmonotheismus' zum jüdisch-christlichen Monotheismus
gelangen möchte, wird sich betrogen sehen... Was der
Jahwe-Religion ihren Impuls und ihre Kraft gab, ist etwas Grundverschiedenes
. Jahwe ist ein animistischer Gott, dessen Wesen
höchste und brennendste Aktivität ist" - im Gegensatz zur
Otiosität der höchsten Wesen bei Naturvölkern.

Interessanter als diese mißlungene Beweisführung Schmidts
ist in seiner theologischen Schrift sein Urteil über das Verhältnis
von Offenbarung und Entwicklung. Die Offenbarung ist innerhalb
der Religionsgcschichte das einzige Positivum, dagegen bedeutet
„alle natürliche Entwicklung von da an, wo wir sie kennen
, stets einen Niedergang. Das ist auch den ethnologischen
Tatsachen entsprechend" (?!). Man begreift von daher Schmidts
formalen Widerspruch gegen den „Evolutionismus", da ihm
„Entwicklung" das schlechthin deteriorierende Prinzip ist. Entwicklung
ist immer nur Niedergang und Degeneration. Nichtsdestoweniger
bleibt Schmidt selbst völlig in evolutionistischen
Kategorien stecken. Am Anfang steht die Uroffenbarung Gottes,
sie führt zum Glauben der Menschen an den Einen Gott. Dann
kommt der Abfall von Gott (Sündenfall) mitsamt der Auslieferung
der Menschheit an Vielgötterei, religiöse Degeneration,
Magie usw. Das Christentum führt dann die gefallene Menschheit
zu Gott zurück. So schließt sich der Kreis, Urständ und Endstand
fallen zusammen. D e r „Urmonotheismus" ist eine

evolutionistische Zyklustheorie, eine Kreislauftheorie
vom Gang der Religionsgeschichte
. Es verschlägt demgegenüber nichts, daß Schmidt
auch von kulturhistorischen Schichten, Einwirkungen, Wanderungen
und Übertragungen spricht. Alles dies erfolgt nämlich
nur innerhalb eines festgelegten Ablaufschemas, es ist gar nicht
historisch, sondern wird nur so genannt; gerade am echt historischen
Geschehen wird vorbeigesehen.

Im übrigen ist alles dies schon einmal dagewesen, zwar nicht
bei Schmidts Vorläufer Andrew Lang (abgesehen von der Degenerationstheorie
, die Lang ebenfalls hat), aber bei J. F. Lafitau,
den Schmidt nicht kennt, jedenfalls beim Entwurf seiner Theorie
nicht kannte (was die Übereinstimmung umso interessanter
macht). Lafitau, Jesuitenmissionar bei nordamerikanischen Indianern
", Verfasser des Werkes „Moeurs des sauvages Ame-
riquains, comparees aux moeurs des premiers temps" (1724) ist
der eigentliche Vater der Theorie vom Urmonotheismus. Lafitau
kennt bereits gewisse Hochgötter bei den Indianern (wie den
„großen Geist", Manitu u. a.) und bemüht sich, in deren Religionen
Spuren eines ehemals reineren und höheren Gottesglaubens
aufzufinden. Wie für Schmidt, steht auch für ihn der
Glaube an ein „Estre superieur" am Anfang der religiösen Entwicklung
der ganzen Menschheit. Auch mit dem Problem, die
Hochgötter aus der unangenehmen Gesellschaft der sittlich so
zweifelhaften „Nebenwesen" herauszulösen, hat er sich bereits
herumgeschlagen. Der Urzeitglaube an das „Estre superieur"
geht den Menschen wieder verloren durch Unwissenheit, Laster
und Leidenschaften. Lafitaus Methode ist dieselbe wie die
Schmidts bei der Rekonstruktion der „Urkulturen": Es wird
aus den tatsächlichen Gegebenheiten primitiver Religionen ein
idealer Urzustand erschlossen, und es wird von diesem
aus dann alles davon Abweichende als „spätere Korruption" gekennzeichnet
. Klar ausgesprochen ist bei Lafitau bereits auch der
Gedanke, daß Gott selber der Urheber seiner Offenbarung (auteur
de la revelation) ist. Die theologische Denksphäre ist bei ihm
von der religionswissenschaftlichen noch nicht getrennt. Aber
wie wir sahen, ist auch bei Schmidt die Trennung eine nur unvollkommene
.

Schmidt hat den Versuch Lafitaus zweihundert Jahre später
wiederholt mit einem viel reicheren Material, auf einer breiteren
Grundlage, — aber gebunden an dieselbe „zyklische" Denkweise.
Es ist ein System von großartiger Geschlossenheit und inneren
Konsequenz, als geistesgeschichtliches Phänomen nicht ohne Reiz.
Aber wissenschaftliche Wahrheit besitzt es nicht.

**) Er hat im übrigen hohe wissenschaftliche Verdienste. Vgl. meine
„Methodik der Völkerkunde" (1938) S. 20 ff. und meine „Geschichte
der Anthropologie" (1948) S. 41 ff.

Toleranz, eine Form der Auseinandersetzung der Religionen

Von Gustav Menschin g, Bonn

Wenn das Gesamtthema unserer Tagung lautet „Auseinandersetzung
und Zusammenarbeit der großen Religionen", dann
sind damit formal die beiden wesentlichen Seiten einer Stcllung-
und Beziehungnahme der Religionen zu einander erfaßt: nämlich
die theoretisch-grundsätzliche und die praktische Seite des Problems
. Auseinandersetzung wird wesentlich eine Sache grundsätzlicher
Besinnung sein, und sie wird auch die Voraussetzungen für
die praktische Seite, für eine mögliche oder unmögliche Zusammenarbeit
festzustellen haben. Die theoretisch-grundsätzliche
Auseinandersetzung kann nun einerseits eine Auseinandersetzung
mit den Religionen sein. Das ist die Aufgabe der vergleichenden
Religionswissenschaft. Was wir hier im Auge haben, ist dagegen
die Auseinandersetzung der Religionen
selbst mit einander. Eine solche Auseinandersetzung,
wenn sie besonnen vollzogen wird und nicht im unreflektierten
Glaubensaffekt, wird fraglos zunächst eine theoretische Besinnung
auf das Verhältnis eigener und fremder Glaubensanschauungen
zu einander sein müssen. Aber eben diese Besinnung wird dann

notwendig zu praktischen Stellungnahmen führen, zu positiven
oder zu negativen. Toleranz und Intoleranz sind die Begriffe, die
solche Stellungnahmen bezeichnen, in denen sich eine grundsätzliche
Auseinandersetzung ausspricht. Dieses Phänomen toleranter
und intoleranter Auseinandersetzung der Religionen soll hier nun
gewissermaßen als Einleitung zu unserer Tagung, die sich dann
mit der inhaltlichen Seite der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit
der Religionen befassen soll, vom Standpunkt einer
verstehenden Religionswissenschaft aus behandelt werden. Was
wir also versuchen ist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit den Grundformen der Auseinandersetzung der Religionen
mit einander.

I.

Ehe wir an die religionsgeschichtliche Einzeluntersuchung
gehen, stellen wir eine kurze Definition der Begriffe
Toleranz und Intoleranz voran. Toleranz und ihr