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Ausgabe:

1953 Nr. 11

Spalte:

693

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Fritzsche, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Theologie als positive Wissenschaft 1953

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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693

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 11

694

Fritzsche, Hans-Georg: Theologie als positive Wissenschaft. (Über
den systemtheoretischen Unterschied zwischen Theologie und Religionswissenschaft
unter besonderer Berücksichtigung der enzyklopädischen
Konzeption Schleiermachers). Diss. Berlin 1953.

Die Diss. setzt sich zur Aufgabe, Begriff und Methode einer spezifisch
theologischen Enzyklopädie zunächst grundsätzlich zu entwickeln
und alsdann an einem thcologiegeschiditlichen Beispiel, der „Kurzen
Darstellung des theologisdien Studiums" Schleiermachers, zu illustrieren
. — Davon ausgehend, daß wissensdiaftliche Theologie als „Funktion
der Kirche" nicht das Problem kirchlich gebundener Antworten,
sondern das Problem kirchlich interessierender Fragestellungen ist,
erhält die theologische Enzyklopädie neues Gewicht, allerdings nicht als
lediglich Klassifikation und Deskription des Bestehenden, sondern als
Kritik und Heuristik der theologisch legitimen Thematik. Hierzu wird
entwickelt, daß die Theologie (im Unterschied etwa zur Religions-
wissensdiaft) ihr Glicderungs- und Wachstumsprinzip nicht durdi klas-
sifikatorische Zerlegung eines Themabegriffes, sondern durch Deduktion
von Unterfragen erhält, die zu einer konkreten Themafragc im
Verhältnis von Mitteln zum Zweck stehen, wobei das methodologische
Problem einer derartigen „teleologischen" oder „heuristischen Deduktion
" (im Rahmen der Frage nach dem „Fortschritt" in der Wissenschaft
) ausführlich behandelt wird. Des weiteren wird auf 3 Mißverständnisse
hingewiesen, die der Forderung, die theologische Arbeit
müsse auf eine Thcmafragestellung zweckgerichtet sein, zu begegnen
pflegen: 1.) einen Subjektivismus, der diese Ausrichtung statt in die
logische Abfolge der Gedanken in die psychologische einer christlichen
bzw. kirchlichen Gesinnung verlegt; 2.) einen Positivismus, der die
indifferenten Fragen negiert (oder ignoriert), statt diese zu kirchlich
interessierenden ( = der Themafrage dienenden) umzuschaffen (jenes
Problem der telcologisdien oder heuristischen Deduktion) und damit
übersieht, daß es die Existenzfrage der Theologie als einer kirchlichen
Wissenschaft ist, ob sie in der Lage ist, die Gesamtheit des empirisch
der Theologie zur Verfügung stehenden wissensdiaftlichen Apparates
voll auszulasten; sowie 3.) auf einen „Mechanismus", der die Unterfragen
zu allgemein formuliert und damit nur Bereiche nennt statt den
jeweils springenden Punkt in einem Bereich (das traditionelle Enzyklopädie
-Verständnis). — Der 2. Teil der Dissertation bringt insofern
ein Neuverständnis der „Kurzen Darstellung . .." Schlciermachers, als
er von dem Nachweis getragen ist, daß Sdileicrmadiers „historische
Theologie" keinen dritten Teil neben dessen ..philosophischer" und
„praktischer Theologie" darstellt, sondern letzteren beiden gemeinsam
gegenübersteht als deren (allgemein rcligionswisscnschaftlidies) „Ma-
terialarscnal", während die „philosophische" und „praktische Theologie
" als jene geforderte teleologische Fragenpyramide (des spezifisch
theologischen Wissens) angesehen und (wo nicht inhaltlich, so doch
methodisch) ausgewertet werden können. Schließlich wird an Sdileier-
machers Kritikern und (enzyklopädischen) Nachfolgern (in Auswahl) bis
zur Gegenwart (hier H. Diem) dargetan, wie sich jene drei genannten
Mißverständnisse realisiert und den methodischen Wert der „Kurzen
Darstellung . .." Sdilciermachcrs verdunkelt haben.

H a a s e, Martin: Der Einfluß des Kulturkampfes auf die kirchlichen
Verhältnisse im ehemaligen Königreich Sachsen. Diss. Leipzig 1951.

Der Kulturkampf hat in Sachsen große Beachtung gefunden. Schon
vor dem Erlaß der Maigesetze vom Jahre 1873 hat sich die sächsische
kirchliche Publizistik mit der gespannten Lage beschäftigt, die in Preußen
zwischen dem Staat und der katholisdien Kirche herrschte. Selbstverständlich
ist auch das Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872 beachtet worden
; viel stärker nodi der § 130a des Reichsstrafgesetzbuches, der
„Kanzelparagraph", der am 28. November 1871 vom Reichstag beschlossen
wurde. Er wurde als typisches Ausnahmegesetz empfunden.
Die Erweiterung, die er im Anfang des Jahres 1876 erhielt — der zweite
Absatz des § 130a — wurde zwar zur Kenntnis genommen, erregte aber
nicht weiter die Gemüter.

Sehr tiefen Eindruck machten auf die kirchliche Öffentlichkeit
Sachsens die preußischen Maigesetzc, die am 11.12.13. und H.Mai
1873 in Kraft traten und die die Unterwerfung der Kirchen, vor allem
der katholischen, unter eine straffe Staatsaufsicht bezweckten. Der Leipziger
Professor Luthardt unterzog sie einer eingehenden Kritik, die
Meißner Konferenz setzte sie auf ihre Tagungsordnung vom Jahre 1873.
Auf Diözcsanvcrsammlungcn und Ephoralkonfcrenzen wurde sie besprochen
. Auch die preußischen Kampfgesetze der späteren Jahre sind
in Sachsen beachtet worden.

Weitaus die größte Aufmerksamkeit erregte, wie anderswo, so
audi hier das „Rcidisgcsetz über die Beurkundung des Personenstandes
und die Eheschließung" vom 6. Februar 1875, das am I.Januar 1876
in Kraft trat. Seine Einführung gerade zu jener Zeit war vom Kulturkampf
veranlaßt. Schon jahrelang vorher wurde über seinen Hauptinhalt
, die „Zivilehe" gesdirieben und geredet. Einig war man in Sachsen
weithin darüber, daß sie möglichst verhindert werden müsse; nicht
nur kirchliche Kreise, sondern auch die sächsische Regierung waren
eifrig darum bemüht. Genützt hat das alles freilich nichts, das Gesetz
trat in Kraft. Die Bestrebungen, es wieder zu beseitigen, wurden auch
in Sachsen hier und da unterstützt, waren aber ohne jeden Erfolg.
Umso stärker war die gesetzgeberische Arbeit, die die Einführung des
Zivilstandes forderte. Bei den Erörterungen derselben in der Öffentlichkeit
spielte die Frage nach der Handhabung der Kirchenzucht gegen
Trau- und Taufverweigerer eine bedeutende Rolle; dabei entbrannten
heftige Kämpfe in der Pfarrersdiaft, die in der Person des Lic.
Stöckardt-Planitz sogar zu einer Trennung von der Sächs. Landeskirche
führten. Unbeirrt von diesen Ersdiütterungcn bemühten sich sowohl
der Staat als auch die Kirche darum, daß der Übergang möglichst
reibungslos vor sidi gehe und daß die Kirchen möglichst wenig
Verluste durch diese Neuerung erlitten. Das staatliche und das kirchlidie
Gesetzgebungswerk stellten je eine beachtliche Leistung dar; bis in
unsere Tage sind die wichtigsten dieser Gesetze, besonders die kirchlichen
, in Kraft geblieben. Die Verluste, welche die Kirchen durch die
Loslösung der Personenstandsführung von ihrem Arbeitsbereich und
durch die dadurch gegebene Freiwilligkeit der Taufe und der Trauung
erlitten, waren denn zunächst auch gering; erst nach 1918 begannen
sie sich stärker bemerkbar zu machen.

Hingewiesen sei auch auf mehrere Gesetze, die in den Jahren 1871
bis 1 873 verabschiedet wurden. Sic hatten ihren Grund zwar nicht im
Kulturkampf, aber in ihren Beratungen trat doch die kulturkämpferischc
Stimmung gelegentlich zutage; auch ihre endgültige Fassung trägt Spuren
davon an sich. Das Volksschulgesetz und das Kirchengesetz über
die Errichtung eines Landeskonsistoriums waren die wichtigsten
Stücke dieses Gesetzgebungswerkes.

Zwar nicht die bedeutendste, aber die interessanteste Frucht der
Gesetzgebungsatbeit jener Zeit ist das „Gesetz über die Ausübung
des staatlichen Oberaufsichtsrechtes über die katholische Kirche im
Königreiche Sachsen betr." vom 23. August 1876. Es hat seine Wurzeln
in dem Streit über die Veröffentlichung des Infallibilitätsdogmas
in Sachsen, obwohl schon früher gesetzgeberisdie Versuche gemadit
worden waren, das Verhältnis des sächsischen Staates zur katholischen
Kirche genau zu regeln. Dieses Gesetz ist im sächsischen Landtag, besonders
in der ersten Kammer, sdiwer umkämpft worden, wurde aber
doch schließlich angenommen und trat in Kraft. Der katholischen Kirche
hat es nicht geschadet. In den evangelischen Kreisen Sachsens hat es im
allgemeinen keine große Beachtung gefunden.

H a c n d 1 e r, Gert: Die Libri Carolini, ein Dokument der fränkischen
Frömmigkeitsgesdiichte. Diss. Greifswald 19 50.

Die Arbeit stellt die Frage nach dem Motiv zur Abfassung der
Libri Carolini (LC): „Die Übernahme der offiziellen Autorschaft an den
LC durch Karl den Großen hat dahin geführt, daß ... die Abfassung
der LC fast immer aus politischen Gründen hergeleitet wird, während
das religiöse Moment an die zweite Stelle gerückt wird" (S. 12). „Die
vorliegende Arbeit hat die Absicht, dieses allgemeine Urteil über das
Motiv der LC zu widerlegen" und „das Motiv der LC aus der Frömmigkeitsgeschichte
abzuleiten" (S. 13).

Zunächst wird widerlegt , daß die LC in Beziehung zur Kaiserkrönung
Karls stehen (S. 15 ff.). Die Bedeutung des Frankfurter Konzils
794, das angeblich deutlich die Anfänge der Kaiserpolitik Karls
zeigen sollte, wird abgewertet: .....es handelt sich um eine innerpolitische
Angelegenheit des fränkischen Reiches" (S. 24). Da aber das
byzantinische Bilderdogma von 787 für die Gesamtkirche Gültigkeit
beanspruchte und Papst Hadrian zugestimmt hatte, mußte man audi
fränkischerseits der Angelegenheit große Bedeutung zumessen. Deshalb
übernahm Karl d. Gr., der auch an anderen theologischen Streitfragen
seiner Zeit Anteil nahm, persönlich die Autorsdiaft über die LC. (S. 30).

Eine Analyse der den LC zugrundeliegenden Frömmigkeit ergibt,
daß der Abstand zwischen Gott und Mensch (S. 44 ff.) nur durch den
auferstandenen Christus (S. 52 ff.) überbrückt werden kann. Diese
christozentrische Frömmigkeit ist der eigentliche Grund zur Ablehnung
der Bilderverehrung: „Christus ist die einzige Brücke, die zu Gott
führt; jeder andere Überbrückungsversuch ist illegitim" (S. 78/79).

Der himmlische Christus war aber auch schon der Mittelpunkt
der fränkischen Frömmigkeit vor Karl d. Gr. (S. 80 ff.). Auch kann die
Theologie zur Zeit Karls d. Gr. nur von solcher christozentrischen
Frömmigkeit her verstanden werden. Nur so wird es verständlich,
warum gleichzeitig der Adoptianismus verurteilt und das filioque behauptet
wird (S. 90 ff.). Damit ist bewiesen, daß die LC nicht aus politischen
Motiven herzuleiten sind, sondern in erster Linie als Dokument
der fränkischen Frömmigkeitsgesdiichte angesehen werden müssen.