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Ausgabe:

1953

Spalte:

689-690

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Blauert, Heinz

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Zeit in der johanneischen Theologie 1953

Rezensent:

Blauert, Heinz

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689

Theologisdie Literaturzeitung 1953 Nr. 11

690

Ausgehend von dem gesamten in Frage kommenden synoptischen
Material ergibt sidi der Charakter der Ethik Jesu nicht aus der Summe
seiner sittlichen Weisungen, sondern aus der sachlichen Spannung, in
der Jesu ethische Grundgedanken zueinander stehen. Ein Teil seiner
Aussagen sind Gesetzesworte und vertreten nichts als die Heiligkeit
ethischer Satzung und zwar in Form von Anklage und Drohung. Ein
anderer Teil prägt ein „Neues Ethos". Dieses Ethos ist von der ethischen
Satzung des „Gesetzes" nicht allein formal und material sondern
dimensional geschieden, weil nicht mehr durch eine gesetzliche sondern
durch eine personale Norm motiviert: Das persönliche Verhalten Jesu
gegen Elende und Sünder, das in weltverzichtender Solidarität und Barmherzigkeit
(deren vornehmstes Stück die Sündenvergebungl) besteht,
wird zum Motiv eines neuen, nicht-gesetzlichen Ethos, dessen beide
Seiten, analog dem Verhalten Jesu, die Nachfolge (Wcltverzidit) und
die Barmherzigkeit sind. Übrigens ist zwischen einer Nachfolge im
weiteren Sinne (Jüngerstand) und im engeren, beruflichen Sinne (Jüngeramt
) zu unterscheiden. Dabei wird innerhalb des „Neuen Ethos" die
massive Gerichtsdrohung von Jesus selbst außer Kraft gesetzt.

Das Problem der Bergpredigt bei Franz von Assisi besteht in dem
Versuch des Franz, das „Alte Ethos", dessen Gegenstand die weltlichen
Ordnungen sind (Gemeinschaft, Besitz, Recht), mit dem Ethos der
Bergpredigt in einer großartigen Synthese zu koppeln. Diese Synthese
wird erreicht durch eine Reduktion des dimensionalen Unterschiedes
zwischen Bergpredigt und Ethik der Ordnungen auf einen bloß maximalen
Abstand. Sie findet Ausdruck in den charakteristischen Beziehungsverhältnissen
des franziskanischen Ethos und hat ihre Voraussetzung
in einem wesentlich asketischen Verständnis der Ethik Jesu.
Die Forderung der „Nachfolge" führt nämlich, statt zum Weltverzicht,
zu einer bloßen Perversion der natürlichen Ordnungen (Familie,
Eigentum, Recht) in asketische (Einsamkeit, Verelendung, Rechtsunsicherheit
). Und die Forderung der Barmherzigkeit wird durch die Koppelung
der entgegengesetzten Verhältnisse von Herrschaft und Unterwürfigkeit
. Erwerb (Bettel und Arbeit) und Almosengeben, Strafe und
Gnade, im Bczichungsverhältnis der gegenseitigen Konkurrenz
relativiert. Franziskus vertritt ein Ethos, dessen Programm die Bergpredigt
und dessen Substrat die Askese ist. Dieses Ethos steht im polaren
Gegensatz zur Ethik Luthers.

Das Gesamtergebnis der Arbeit wird allerdings durch die „Kritik
der Kritik" an Franz von Assisi entscheidend eingeschränkt. Innerhalb
der asketischen Ordnungen gelingt Franz immer wieder der Durchbruch
zum Evangelium, zur wirklichen Barmherzigkeit, zur wirklichen
Nachfolge. Diese Sachlage verleiht dem Ethos des Franz eine unerhörte
Spannung: Immer wieder hat Franz seine sclbstcrrichtcten Ordnungen
in Richtung auf die Bergpredigt überschritten. Dies ist der Ort, den
Franz in beinahe aussichtslosem, aber nirgends hoffnungslosem Ringen
umkämpft hat. Hier ist er Jesus unmittelbar nahe. Franz' und Luthers
Versuche, das Problem der Bergpredigt zu lösen, führen in die Problematik
hinein, nicht aus ihr heraus.

Die Ausführungen über Franz hängen aufs engste von den im
qucllcnkritischen Teil vorgelegten umfangreichen Untersuchungen ab.
Die Quellenkritik betrachtet sowohl die 3 Regeln des Franz als auch
die verwickelte Problematik der Speculumschriften (einschl. der Vitcn
des Thomas von Celano). Innerhalb der drei Regeln wird, abgesehen
von der Mitarbeit Hugolinos von Ostia an der 3. Regel, die Verfasserschaft
für Franz allein in Anspruch genommen. Die Mitverfasserschaft
der Ordensminister wird bestritten. Die Speculumgruppe wird Kapitel
für Kapitel untersucht. Sie erweist sich — im Gegensatz zur herrschenden
Ansicht — den Viten des Thomas von Celano durch die Augen-
zeugenschaft ihres Verfassers durchweg überlegen. Interne Abweichungen
stammen vom Verfasser selbst. Paul Sabatier hat den Quellenwert
des Spcculum Perfectionis im wesentlichen richtig beurteilt.

Blauert, Heinz: Die Bedeutung der Zeit in der johanneischen
Theologie. Eine Untersuchung an Hand von Joh. 1—17, unter besonderer
Berücksichtigung des Iiterarkritischen Problems. Diss.
Tübingen 1953.

Die Iiterarkritischen Arbeiten R. Bultmanns, E. Schweizers (Ego
eimi, Göttingen, 1939), J.Jeremias (ThBl 20, 1941) und E. Ruckstuhls
(Die liter. Einheit d. Joh.evs., Freiburg/Schweiz, 1951) aufnehmend,
legt die Arbeit in ihrem 1. Teil als Grundlage für die weiteren
Ausführungen elf Analysen aus Joh. 1—17 vor (2,13—22; 3,31—36;
5,19—30; 6,27—59; 7,1—9; 11,1—44; 12, 20—36a; 13,31—32;
14,1_9. 15—26; 16,16—24). Sie zeigen, daß unter Beachtung der
joh. Stilcharakteristika eine Scheidung von Tradition und Interpretation
im Joh. ev. durchaus möglich ist (anders Schweizer und Ruckstuhl).
Die joh. Reden bieten sich dabei dar als Meditationen und Interpretationen
einzelner joh. Logien. Diese Logicn haben ihren „Sitz im
Leben" im Gottesdienst der joh. Gemeinde, sind wie die Gemeinde-
Hymnen (Urprolog und Joh. 13, 31 f.) bereits ursprünglich griechisch
konzipiert — allerdings, wie die gesamte joh. Tradition und die interpretierende
Arbeit des Evangelisten, auf aramaisierendem Sprachboden

(virtual translation) — und enthalten, um den Offenbarer und seine
Gemeinde kreisend, Gegenwarts- (z.B. 5,24; 6, 47 f.; 15,5) und Zukunftsmoment
(z.B. 8,51; 11, 25 f.; 12, 31 f.). Der Evangelist setzt
außerdem wiederholt neben die präsentischen futurisch-eschatologische
Aussagen (vgl. 5.24 mit 28 f.; 6,40a mit 40b; 14,6 mit 3; 14,17
mit 18 ff.; 16,22a. 23b f. mit 16,22b. 23a). Dieser bereits traditionell
gegebenen und vom Evangelisten bewußt aufgenommenen Spannung
liegt eine diese Spannung umgreifende Konzeption zugrunde. Als Gegenstand
der theologischen Bemühungen des Evangelisten arbeitet der
1. Teil die Christologie und die Soteriologie heraus.

Der 2. Teil versucht, innerhalb dieser beiden Bereiche die joh.
Gesamtkonzeption unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen
Komponente zu entfalten. Die joh. Christologie hat zur impliziten,
völlig unreflektierten Voraussetzung die praesentia Christi, die zwar
die eschatologische, doch gleichwohl in Kreuz und Wort geschichts-
gebunden ist. Vor allem die Bindung an das Kreuz ist als ihr Ausgangspunkt
für sie konstitutiv (vgl. z. B. den durch das ganze Ev. auf
das Kreuz hinführenden Begriff der „Stunde"). Ihr Movens ist also
das historische Christusgeschehen. Dieses historische Faktum ist das
&jt äoit, von dem aus der Evangelist denkt. Erstmals im Urchristentum
erlangt es bei Joh. selbständige Bedeutung. Das Kreuz ist eschatologische
Erfüllung schlechthin (vgl. die mit 12, 3 8 einsetzende Zitationsweise
des Evangelisten im Unterschied zu der bis dorthin geübten
argumentierenden). Als eschatologische Verherrlichung bildet es die
Voraussetzung für die praesentia Christi. Gegenüber dem Kreuzesgeschehen
sind Präexistenz und Parusie nur „terminus ad quem, nicht
a quo". — In der Soteriologie wendet sich die theologische Reflexion
dann dem Problem der Gegenwart zu, und zwar sowohl in ihrer Beziehung
zur Vergangenheit (Kreuz) als auch zur Zukunft ((toi; aloivioqj.
Die soteriologische Selbstbesinnung der joh. Gemeinde und ihres Evangelisten
erwächst aus dem Gegenüber zu dem Heilshandeln Gottes in
Christus am Kreuz. Mit diesem ist der Zeitraum der eschatologischen
Erfüllung, des eschatologischen *ßv, erschlossen, und zwar für den,
den der im Wort begegnende Christus praesens in der „Erinnerung",
dem Bewahren des Kerygmas vom Kreuz, durch das Wort zum Glauben
führt. Dem Glaubenden, dergestalt in der Vergangenheit gegründet,
liegt andererseits die ganze Zukunft offen; denn er ist in die eschatologische
Existenz des ewigen Lebens versetzt, die mit den die Kontinuität
und das durative Moment betonenden Begriffen des „Haben"
und „Bleiben" charakterisiert wird, worin für den Glaubenden Vergänglichkeit
und Flucht der Zeit überwunden sind. Die eschatologische
Hoffnung der joh. Gemeinde ist demnach nicht mehr der völlige Abbruch
des Bestehenden, sondern das Bewahren der eschatologischen
fo>»7 und das Vergehen der dieser nicht teilhaftigen Welt.

Der 3. Teil versucht an Hand der zeitlichen Komponente der
joh. Theologie eine religionsgeschichtliche Einordnung. Beziehungen
zur Gnosis scheinen mir außer in einer nur formalen, im Interesse des
christologischen Absolutheitsanspruches vollzogenen Übernahme des
Erlösermythos nicht zu bestehen. Denn Gnosis und joh. Christentum
sind zwei wesensverschiedene Größen: dort ein zeitloses, ageschichtliches
, substantiell orientiertes Denken, hier dagegen eines, für das —
wie für das gesamte Urchristentum — der historisch-geschichtliche Bezug
konstitutiv ist. Eine viel tiefere Verwandtschaft besteht zwischen
ioh. und israelitisch-jüdischem Denken, das von seinen Ursprüngen
her darauf angelest war, das Phänomen der Geschichte zu entdecken.
Besonders enge Beziehungen aber bestehen, wie schon K. G. Kuhn
(ZThK 47, 19 50) betonte, zwischen Joh.-ev. und der Gemeinde des
Neuen Bundes, wie sie uns in den neuen palästinensischen Textfunden
gepenübertritt. Neben einer großen Anzahl begrifflich-formaler Berührungen
ist vor allem die temporale, zugleich eschatologische und
durative Struktur der Aussagen aufs engste verwandt: hier und dort
ein eschatologisches Geschichtsbewußtsein, verbunden mit dem Moment
der Kontinuität, das das Nebeneinander von präsentischer und futurischer
Eschatologie ermöglicht. Unter diesem Aspekt stellt sich das ioh.
Kerygma als das Ergebnis eines hermeneutischen Prozesses, als der Versuch
eines Neusagens des Christusgeschehens, dar, unternommen von
einer judenchristlichen Gemeinde, die in der Tradition der Gemeinde
des Neuen Bundes stand.

Conzelmann, Hans: Die geographischen Vorstellungen im Lukasevangelium
. Diss. Tübingen 1951, IX, 189 S.

Die Diss. bemüht sich um das literarische und das theologische
Problem: a) Wo ist die eigene Arbeit des Lukas eindeutig greifbar?
b) Was ist der historische und sachlich-theologische Gehalt seiner Bearbeitung
des ihm vorliegenden Materials?

Als Leitfaden dienen die geographischen Angaben, an Hand derer
na* de™ Rahme" wird' welchen der Verfasser seinen Stoff

einfügt. Diesen Rahmen in seiner Besonderheit zu interpretieren ist

V-'r?-!ll nA?liefe? diXS" Arbeit- Sie fra*' also nicht ™* dem
gcsch.chthchen Befund der Orte und Wege Jesu, sondern will zun-ith«