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Ausgabe:

1953 Nr. 11

Spalte:

672-673

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Klauser, Theodor

Titel/Untertitel:

A Short History of the Western Liturgy 1953

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 11

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es durch immerwährendes Gebet für die Welt, sei es durch individuelle
Seelenführung oder auch durdi heilende Wunderkraft.

Diese innere Nähe zum Gegenstand und die daraus gewonnene
Sicherheit des Standpunktes ermöglicht dem Vf. ein klares
Urteil über die mannigfaltigen Gestalten und Gestaltungen des
russischen Mönchtums; sie läßt ihn etwa den Weg des Iosif von
Volokolamsk, die Kirchenpolitik des Patriarchen Nikon und die
Einstellung Peters d. Gr. und des „hl. Synod" zum Mönchtum
als verfehlt ablehnen. Doch auch deren Verhalten wird ohne Verzerrung
dargestellt und historisch verständlich gemacht. Besonders
wichtig ist hier der aufgewiesene Zusammenhang zwischen
der inneren Neigung des Mönchtums zum Raskol im 17. Jhdt.
und dem Mißtrauen des neuen Staates gegen das Mönchtum vom
Beginn des 18. Jhdt. an.

Aber das Buch ist noch mehr als der Titel verspricht. In dem
gleichen Maße, wie das russische Mönchtum mit den historischpolitischen
Vorgängen der russischen Geschichte verknüpft war
und wie es über die Klostermauern hinausgewirkt hat, geht das
Buch S.s über den Rahmen einer eng umgrenzten Spezialmono-
graphie hinaus. Und da diese Wirkungen wenigstens in der alten
und mittleren Periode von ganz entscheidender Bedeutung für
die Entwicklung des russischen Volkes und Staates waren (man
denke nur an die Rolle, die das Kiever Höhlenkloster im 11. und
12. Jhdt. gespielt hat, an die Bedeutung der Einsiedlerbewegung
des 14. Jhdt. für die kolonisatorische Erschließung Nordrusslands,
an den Anteil des Mönchtums an der Ausbildung der Moskauer
Staatsideologie vom „dritten Rom" und an der Entstehung des
Raskol), so werden in diesem Buch die großen gestaltenden
Kräfte der russischen Geschichte sichtbar. Ebenso wie die Probleme
der Kirchen- und der Frömmigkeitsgeschichte finden auch
diejenigen der Geistes-, der Literatur- und der politischen Geschichte
, ja auch die der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Berücksichtigung
und z. T. detaillierte und mit wertvollen Literaturangaben
versehene Darstellung. Schon das 34 Seiten umfassende
Literaturverzeichnis ist für jeden, der sich mit der russischen Geschichte
beschäftigt, von großem Wert. Zu bedauern ist höchstens
, daß in das alphabetische Personenverzeichnis nicht auch die
Namen der Forscher oder mindestens alle im Text vorkommenden
Namen aufgenommen sind und daß nicht auch noch ein alphabetisches
Sachregister den Zugang zu der gewaltigen Fülle des
in dem Buche enthaltenen Materials erleichtert.

Zu Einzelheiten seien folgende Bemerkungen erlaubt: Der erste
Teil des Buches ist ein fast unveränderter Abdruck der 1940 in der
gleichen Reihe veröffentlichten Arbeit des Vf.: „Das altrussische Mönchtum
". Die geschlossene Übernahme dieser älteren Arbeit in das neue
Buch gereicht diesem nicht zum Vorteil. Nicht nur, daß sich dadurch
gewisse Überschneidungen und Wiederholungen ergeben, sondern überhaupt
steht dieser 1. Teil jetzt nicht auf der Höhe des übrigen Buches.
Zwischen dem 1. und 2. Kapitel fehlt der klare Gedankenfortschritt.
In beiden wird über Ilarion-Nikon (Priselkovs Hypothese von der Identität
beider wird von S. übernommen) und über Nestor ziemlich das
Gleiche berichtet (S. 57 und 75, bzw. 58 und 61), nur daß im 2. Kapitel
der Gesichtspunkt des National-russischen überaus stark betont
wird. Aber außer diesen formalen Mängeln geben auch einige inhaltliche
Details zu Einwendungen Anlaß.

Von Antonij wird auf S. 56 für wahrscheinlich gehalten, daß er
nicht auf dem Athos, sondern in Bulgarien war, dagegen auf S. 477
sein Aufenthalt auf dem Athos als selbstverständlich vorausgesetzt und
daran eine Folgerung geknüpft, die ihrerseits wieder wenig wahrscheinlich
ist — daß nämlich Antonij das Koinobitentum als die beste Art
des Mönchslebens betrachtet habe. Die Erzählung von Isakij und andere
Gründe lassen mich gerade das Gegenteil annehmen. Die Gestalt
des Feodosij scheint mir durch die zu starke Betonung der russischnationalen
Züge verzeichnet zu sein. Einer russischen historiographi-
schen Tradition folgend sieht S. diese nationale Eigenart Feodosijs in
der Ablehnung der „übertriebenen Askese" und in dem Willen, außer
dem Streben nach dem eigenen Heil „auch extensiv in die Welt zu wirken
" (S. 61). In Wirklichkeit standen im Mönchtum diese beiden
Grundtendenzen: Weggehen aus der Welt um des eigenen Heiles willen
und Sorge für die Welt von Anfang an nebeneinander, oft in ein
und derselben Gestalt (schon in des Athanasius Vita Antonii finden
sich beide), und S. selbst verweist an einer anderen Stelle (S. 64) auf
das palästinensische Mönchtum als Vorbild für diese soziale und karitative
Tätigkeit Feodosijs. Damit schrumpfen die „nationalen Sonderzüge
" bei Feodosij zusammen auf eine gewisse Bevorzugung des palästinensischen
Vorbildes gegenüber dem ägyptischen; und selbst dieser

Rest wird problematisch, wenn wir daran denken, daß damals auch im
griechischen Mönchtum um diese Fragen heftig gerungen wurde. Auch
die nicht irgendwie belegte, sondern nur einfach ausgesprochene Behauptung
, Nestors Feodosij-Vita trage „keinerlei Züge byzantinischer
Heiligen oder Asketen" (S. 61) ist m. E. in dieser Form sehr kühn.
Ebenso wie bei Feodosij scheint mir auch in der Beurteilung Nestors
das „nationale Gepräge" (S. 77) zu stark betont zu sein. Die nationalen
Töne in den sicher von Nestor stammenden Schriften sind doch
in Wirklichkeit ziemlich schwach, und Nestors Anteil an der Chronik
kann nicht als so sicher gelten, wie S. ihn darstellt (S. 77). — Daß das
„ganze altrussische Schrifttum den Mönchskreisen entstammt" (S. 77),
kann man nicht sagen. Es genügt, an Vladimir Monomach und die
altrussische Epik zu erinnern.

Auch die Gestalt des Sergij von RadoneJ scheint mir in mandicr
Hinsicht stilisiert. Daß Sergijs Ziel von seiner Abtsweihe an die Einführung
des strengen Koinobitentums gewesen sei, ist m. E. den Quellen
nicht zu entnehmen; ja der in der Vita mitgeteilte Brief des Patriarchen
von Konstantinopel macht doch wahrscheinlich, daß der Anstoß
dazu von außen gekommen ist. Merkwürdigerweise erwähnt S. diesen
Brief, soweit ich sehe, überhaupt mit keinem Wort (s. S. 91). — Wie
S. auf S. 8S (im Gegensatz zu S. 83) selbst sagt, war Sergijs Bruder
Stefan zuerst durchaus in einem Kloster.

Die übrigen Teile des Buches geben zu kritischen Einwendungen
viel weniger Anlaß. Etwas gezwungen ersdieint mir die auf S. 303 versuchte
Abgrenzung zwischen den Anschauungen Iosifs von Volokolamsk
und denen des Mönches Filofej. Zu dieser Frage kann jetzt ergänzend
hingewiesen werden auf die vortreffliche Monographie von W. Mediin,
„Moscow and East Rome", Genf 1952; zu Maksim Grek auf Grego-
rios Papamidiael, „Maximos ho Graikos, ho protos photistes ton roson",
Athen 1951. Die Liste russischer Asketinnen des 18. und 19. Jhdt.
auf S. 446 könnte ich aus den in meinem Besitz befindlichen Bänden
11 und 12 des Werkes des Archimandriten Nikodim um 11 Namen
ergänzen. Die Behauptung, in der russischen Hagiographie sei das Element
der Dämonologie ziemlich selten (S. 52 5), bedarf mindestens für
die ältere Zeit starker Einschränkung.

Eine gewisse Unbeholfenheit des Stils wird man dem nicht in
seiner Muttersprache schreibenden Vf. gern zu gute halten. Die Transskription
des russischen Alphabets ist nicht ganz konsequent durchgeführt
(„Kircevskij", aber „Dostojevskij", S. 468,; neben „Maceeviö"
auch „Macejevic", S. 448 f.; ferner Schwankungen c—z: staroziPzy.

S. 201, 225); bei den russischen Namen sind die Druckfehler nicht gerade
selten (S. 441—468 zähle ich 15), bleiben aber immerhin in angemessenen
Grenzen (ein sinnstörender Druckfehler im deutschen Text
S. 300, Anm. 1: in Z. 2 muß es heißen: „vor, die letzten..."). Besser
als „Jesugebet" (S. 523 und öfter) wäre wohl „Jesusgebet".

Diese wenigen kritischen Einwendungen zum Inhalt des
ersten Teiles und die Hinweise auf die kleinen formalen Mängel
sollen den großen Wert dieser hervorragenden Arbeit in keiner
Weise herabsetzen.

Kiel Ludolf Müller

LITURGIEWISSEN SCHAFT

KI aus er, Theodor, Prof.: The Western Liturgy and its History.

Some Reflections on Recent Studies. Transl. into English by Prof.
F. L. Cross. London: Mowbray [1952]. 63 S. 8°. kart. s 4—.

Theodor Klauser hat 1949 ein „als Manuskript gedrucktes"
kleines Meisterwerk unter dem Titel „Abendländische Liturgiegeschichte
" herausgegeben, auf welches ThLZ 1950, 130 hingewiesen
wurde, dessen Bedeutung aber eine eingehendere Besprechung
verdient. Das gerade in seiner Kürze (31 S.I) kraftvolle
Werklein hatte 1944 die „Bonner theologischen Blätter
für kriegsgefangene Studenten" geziert, nachdem es zuerst 1943
im Entwurf ein „Feldunterrichtsbrief" gewesen war. Nun hat der
Professor der Theologie an der Universität Oxford F. L. C r o s s
die hervorragende Sach- und Lehrkunst des Klauserschen Büchleins
erkannt und es in einer würdigen englischen Ausgabe den
englisch sprechenden Studenten („and perhaps others too") zugänglich
gemacht. Die Übersetzung ist ebenso getreu wie verständnisvoll
. Cross fügte eine Bücherliste für Studenten bei, dazu
eine Auswahl aus Klausers eigenen Schriften und einen Index
(hauptsächlich nominum). In dem „Vorwort des Übersetzers" erfahren
wir, daß in England die Studie von Dom Gregory Dix
„ The Shape of the Liturgy" großen Einfluß auf die Studentenschaft
ausübte.