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Ausgabe:

1953 Nr. 11

Spalte:

667-668

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Studer, Eduard

Titel/Untertitel:

Leonz Füglistaller 1768 - 1840 1953

Rezensent:

Pfister, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 11

668

suchen, wieweit er formal an sie anknüpft bzw. unbewußt von
ihr getragen ist.

Beide Teile des großen Werkes stehen im wesentlichen unter
traditioneller Begriffsbildung. Das Ganze ist mehr schlicht
erzählend als theologisch interpretierend und beurteilend angelegt
, daher muß die Wesensbestimmung des Pietismus innerhalb
der gewohnten Bahnen bleiben: „Leben" statt „Lehre", „Praktisches
Christentum" und Kampf gegen die Orthodoxie sind die
beherrschenden Züge — nicht die systematisch-theologischen Anliegen
der „Wiedergeburt" bezw. der „neuen Kreatur", der
Gestaltwerdung des Geistes, der urchristlichen „Kraft" und
„Vollkommenheit", des ökumenischen Kirchenbegriffs, für deren
gebührende Berücksichtigung ich bei der Frage nach dem inneren
Charakter des Pietismus Bahn zu brechen versucht habe (vgl. die
Aufsätze „Speners Wiedergeburtslehre" ThLZ 1951, 18 ff.; Spe-
ners Pia Desideria Theol. Viatorum III (1951), 71 ff. Das hallische
Waisenhaus und England im 18. Jahrhundert Theol. Zeitschi-.
(Basel); 1951, 38 ff. und demnächst meinen Beitrag zur History
of the Ecumenical Movement („The Ecumenical Movement on the
Continent of Europe in the 17th and ISth Centuries"). Doch
mindert das nicht den Dank für die geleistete umfassende Arbeit
, die zudem in dem zweiten Beitrag „Oplysningstiden" genau
durch Quellenbelege und Literaturzitate in Anmerkungen zu
jedem einzelnen Kapitel nachgewiesen ist (im ersten werden
Quellen und Literatur allgemein in einem Anhang genannt).
Die traditionelle Schau drückt sich vor allem auch in den Einteilungsprinzipien
aus, die aus der politischen Geschichte genommen
sind. Auf diese Weise treten andererseits — das ist die positive
Kehrseite — pietistische Fürsten wie Friedrich V. und Christian
VI. so eindrucksvoll vor den Leser, wie es dem strengen
Staatskirchentum Skandinaviens entspricht.

Berlin Martin Schmidt

S tu der, Eduard: Leonz Füglistaller 1768—1840. Stiftspropst in Lu-
zern. Freiburg/Schweiz: Paulusverlag 1951. XIX, 199 S. gr. 8° = Zcit-
sdirift für Schweizerische Kirchengeschichte Beiheft 8. sfr. 6.—.

Füglistaller entstammte einem alteingesessenen Geschlecht
des aargauischen Kelleramtes in der Schweiz. Die philosophische
und theologische Ausbildung erhielt er am Jesuitenkollegium
Solothurn und an der katholischen Universität des augsburgischen
Landstädtchens Dillingen. Der damals in Dillingen lehrende, von
wahrhaft ökumenischer Haltung erfüllte Joh. Michael Sailer beeinflußte
Füglistaller entscheidend. Eine kurze Vikariatszeit des
jungen Priesters im Luzernischen ließ den Wunsch wach werden,
nicht als Seelsorger, sondern als Pädagoge zu wirken. Die neu
gegründete Mittelschule zu Rapperswil, Bürgerschule, Lyzeum
und Priesterseminar in Luzern, das Gymnasium katholischer Fundation
St. Gallen, für kurze Zeit die neu geschaffene Sekundärschule
im aargauischen Städtchen Zurzach, waren die Stätten vielgestaltiger
Lehrtätigkeit Füglistallers. Dabei besdiränkte er sich
nicht auf das Gebiet der alten Sprachen; die Germanistik, Physik
und Mathematik fanden in ihm ebenfalls einen eifrigen Förderer.
Da er sich nicht zu größeren wissenschaftlichen Veröffentlichungen
entschließen konnte, geriet sein Name bald in Vergessenheit.
1815 übernahm er vorübergehend das Amt eines Kanzlers des
Apostolischen Vikars Göldlin in Luzern, ohne sich auf kirchenpolitischem
Gebiet wohl zu fühlen. Seit 1824 Chorherr des
St. Leodegarstiftes im Hof, wurde er bald dessen Propst. Am
21. März 1840 erlag er einem Schlaganfall.

Studer hat es verstanden, ein interessantes Bild dieses mehr
im Verborgenen wirkenden katholischen Gelehrten zu zeichnen,
indem er sich nicht auf das Biographische im engern Sinn beschränkte
, sondern die maßgebenden geistigen Strömungen und
politischen Geschehnisse in die Darstellung einbezog. Besonders
eindrücklich wird dem Leser die überragende Gestalt Sailcrs,
der nicht nur Füglistaller und den Kreis um ihn maßgebend bestimmte
, sondern über die konfessionellen Grenzen hinweg mit
Freunden im Gespräche stand. Mit Lavater in Zürich wurde Füglistaller
durch Sailer bekannt! Der Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft
, Helvetik, Mediation und Restauration bedeuteten
auch in Luzern eine turbulente Zeit. Zu Luzern bildete

sich eine einflußreiche Schicht von Aufklärungsfreunden unt<;r
Patriziern und Akademikern, die nicht an Kritik gegenüber den
herrschenden staatlichen Einrichtungen und gegenüber der römischen
Kirche zurückhielt. Obwohl Füglistaller die neue Entwicklung
mit regem Interesse verfolgte, nahm er eine eher konservative
Stellung ein; er war kein Freund des allmächtigen
Frankreich und die Idee einer von Rom weitgehend unabhängigen
katholischen Nationalkirche, wie sie von Wesscnberg und
Thaddäus Müller in Luzern vertreten wurde, lehnte er ab. Im
Gegensatz zu den liberalen Kreisen unter den Politikern und
dem Klerus stellte er sich mehr und mehr auf die Seite einer antiliberalen
Weltanschauung. Hinter den staatskirchlichen Bestrebungen
der Luzerner Liberalen vermutete er eine aufklärerische
Mißachtung übernatürlicher Werte und materialistische Fort-
schrittphilosophie, so daß er keinen Blick mehr für die positiven
Errungenschaften der Regenerationsperiode hatte.

Zürich Rudolf Pflster

Gabler, August: Altfränkisches Dorf-und Pfarrhausleben. 1559
—1601. Ein Kulturbild aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg.
Dargest, nach den Tagebüchern des Pfarrherrn Thomas Wirsing von
Sinbronn. Nürnberg: Verl. Die Egge 1952. 156 S., 26 Bildtaf.,
1 Stammtaf. 8° = Freie Schriftenfolge d. Gesellschaft f. Familienfor-
sdiung in Franken, hrsg. v. F. Solleder Bd. 3. kart. DM 7.50.
(Bestellungen sind an die Gesellschaft f. Familienforschung in Franken
, Nürnberg, Archivstr. 17, zu richten.)

Die Gesellschaft für Familienforschung in Franken hat unter
ihrem überaus rührigen Geschäftsführer, dem vor kurzem in den
Ruhestand getretenen Direktor der Staatlichen Archive Dr. Solleder
, für ihre Veröffentlichungen einen anderen Weg beschritten,
als ihn familiengeschichtliche Verbände sonst zu gehen pflegen.
Statt eine Zeitschrift mit Artikeln über Fragen, die eigentlich
nur den Familienforscher und hier recht oft nur den Spezialisten
für eine bestimmte Familie interessieren, herauszugeben, veröffentlicht
sie größere Schriften von dauerndem Wert und allgemeiner
Bedeutune. So hat sie zunächst höchs*' beachtliche Llrkun-
denveröffentlichungen vorgenommen. Das älteste Ehebuch der
Pfarrei St. Sebald in Nürnberg und das der Pfarrei St. Lorenz in
Nürnberg, beide 1524 beginnend, verdanken diesem Gedanken
den Druck. Etwas anderer Art ist die neueste Veröffentlichung
von Lehrer August Gabler in Augsburg. Sie bringt eine nach sachlichen
Gesichtspunkten' gegliederte Bearbeitung der höchst bedeutsamen
Tagebücher des Pfarrers Thomas Wirsing in Sinbronn
bei Dinkelsbühl, die dieser im Jahre 1 573 begann und im Jahre
1601 erst mit seinem Tode beendete. Als ausführliche Tagcbü.her
decken sie freilich nur etwa 6 Jahre aus diesem ganzen Zeitraum.
Für andere Jahre liegen nur Aufzeichnungen über Kasualhand-
lungen vor. Von den erhaltenen Büchern liegen 4 noch heute
in dem Pfarrhaus, in dem sie einst entstanden, 2 — die ältesten
— kamen in die Fürstenbergische Hofbibliothek in Donau*
eschingen. Sowohl die Lückenhaftigkeit der erhaltenen Bücher
als der Umstand, daß ein Teil von ihnen in einer ganz fremden
Bibliothek erhalten ist, legt den Gedanken nahe, daß die geretteten
2400 Seiten nur einen sehr dürftigen Bruchteil dessen bilden
, was Pfarrer Wirsing einst der Nachwelt aufbewahren wollte.
Leider kommen solche unersetzliche Verluste sogar heute noch
vor. Die Bearbeitung dieser Bücher ist ein lauter Mahnruf zu
noch vermehrter Fürsorge für die Sicherstellung solcher wertvoller
Schätze.

Ein urkundengetreuer Abdruck dieser Seiten verbot sich selbstverständlich
von vornherein. Was möglich war. hat der Bearbeiter geleistet
. Viele Einträge sind wörtlich wiedergegeben, so daß man auch
den unmittelbaren Eindruck der Niederschrift bekommt. Doch hätte«
wir gerne ein paar Seiten geschlossen in wörtlichem Abdruck gelesen,
um auch zu spüren, wie die einzelnen Bemerkungen aneinandergefügt
sind.

Unverständliche Ausdrücke hätten noch öfter erklärt werden können
. Dabei hätte sich dann gelegentlich die Lesung überprüfen und
wohl auch berichtigen lassen, so z. B. Seite 60 Z. 5. v. u. ,.muetz ab
gewesen". (Es handelt sich um das mittelhochdeutsche Wort murz
— Stumpf und das damit zusammenhängende Adverb murzes = ganz
ab). S. 105 ist statt „Adami Margarita Theologica'" zu lesen: Adami