Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953 Nr. 11

Spalte:

662

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Otto

Titel/Untertitel:

Bericht von Jesus aus Nazareth 1953

Rezensent:

Seesemann, Elisabeth

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

661

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 11

662

untereinander (l.Kor. 10, 16 f. [68]). Wenn „die Gemeinde als Leib
Christi aus den Sakramenten entsteht" (1. Kor. 12,13 [70]), so ist
„die konkrete, örtliche Gottesdienstgemeinde" Leib Christi (71) als
Darstellung des einen Leibes Christi (72 f.).

4. Auch das „Sein in Christo" ist „Teilhabe am Kreuz und seiner
Auferstehung"; diese Teilhabe „geht vom Gottesdienst aus" (8 8 [74—
89]).

B II: 1. Der Gottesdienst ist „Versammlung im Namen Jesu"
(98) nicht durch das Bekenntnis von Menschen zu ihm, sondern durch
das Wirksamwerden der Gegenwart Jesu (Name = Dynamis, Kraft-
bercich [93—95]) im „Anbruch des eschatologischen Reiches", auch
„unterm Kreuz" (99).

2. „Die Gegenwart Christi in der Gemeinde ist eine solche durch
und im Heiligen Geist" (100, vgl. 104 f.); dieser stellt im Leib Christi
die personale Beziehung zwischen Christus und dem Menschen und
zwischen den Christen her (106—108). Zwar ist der Geistesempfang
nicht an die Taufe (102) oder an die Handauf legung (103 f.) g e-
bunden; er ist dem Menschen nicht verfügbar (loof.): der Heilige
Geist „bleibt Subjekt, Person" (104, und zwar handelndes „Subjekt
der Gemeinde" [105[). Aber es wird nirgends berichtet von einer
Geistmitteilung „ohne Zusammenhang mit der Predigt des Evangeliums
, mit dem Gebet" (durch das er der „schon glaubenden Gemeinde"
geschenkt wird [101]), „mit der Taufe oder mit der Handauflegung"
(104). Ist der Gottesdienst der zentrale Ort des Geistwirkens, so ist
„eine Verachtung des Gottesdienstes . . . eine Verachtung des Geistes
Christi und trennt uns von" Christus „selbst" (108).

3. Im irdischen Gottesdienst — „in dem gemeinsamen Bekenntnis
zum Kyrios Christus als dem Hohenpriester" (112, dort gesp.) —
nimmt die Gemeinde am himmlischen teil (besonders nach Hebr. 12,
18 ff. [111—115]). „Die entscheidenden Kultakte" des hohepriesterlichen
Handelns Jesu sind das Sterben und „das durch sein Sterben erreichte
Eintreten Jesu in das Heiligtum Gottes" (119). „Dieses einmalige
Opfer steht im Mittelpunkt des himmlischen Gottesdienstes und
übt seine fortdauernde Wirkung von diesem Gottesdienst her aus'
(120 gesp.). „Um das zu fassen, muß man sich von der irdischen Zeit-
vorstellung freimachen" (ebd.).

4. Die Gemeinde durchschreitet im Gottesdienst die durch das
Sterben Jesu geöffnete Tür des „Vorhanges" (Hebr.), der Grenze zwischen
Welt („Fleisch") und Heiligtum üottes (121—127).

5. „Der Gottesdienst ist Sakrament" (audi ohne Taufe und Abendmahl
) : „Das Element... ist das Sichversammeln der Gemeinde im
Namen Jesu", „oder aber ihr Zeugnis". „Die... Gnadengabc ist"
Christus. Er „ist der eigentlich im Gottesdienst Handelnde. Er ist der
Liturg, Priester und Prophet. Er proklamiert durch sein Kreuz und Auferstehen
den neuen Bund" und will die Anwesenden in sein Sterben
und Auferstehen einbeziehen (128). Seine Gegenwart ist „unabhängig
vom Glauben der Versammelten" (130).

— Auf seine erste Frage zurückkommend, stellt H. zum Schluß
fest: der urchristlichc Gottesdienst spricht „ein Ja zum Kultus" insofern
, als er dem „himmlischen, absoluten Kultus zugewandt" ist (131),
„Gottes Kult, den er selbst in seinem Sohn veranstaltet" (132). Er
verzichtet „auf die eigene kultische Aktivität des Menschen" im „Ernstnehmen
des ewigen Kultaktes Gottes" (133).

Die Leitsätze, die jedem Abschnitt vorangestellt sind, werden am
Ende des Buches noch einmal im Zusammenhang abgedruckt (135—
'38). Ein Stellenregister erschließt es der Auswertung (139—142).

Schon in diesem Referat, das notwendig zahlreiche Einzel-
ergebnisse der bedeutsamen Arbeit übergehen mußte, wird hoffentlich
etwas davon sichtbar, daß in ihr eine Fülle von Fragen
der neutestamentlichen Theologie in einer sehr fruchtbaren Weise
zum Thema Gottesdienst in Beziehung gebracht werden. Das
geschlossene Bild von der Theologie des NT im allgemeinen
"nd dem urchristlichen Verständnis des Gottesdienstes im besonderen
, das sich ergibt, ist eindrucksvoll. Wie weitgehend
•neine Auffassung von letzterem mit der H.s übereinstimmt,
braucht hier nicht aufgezeigt werden. Ein ernsthaftes Bedenken
muß ich, um anderes zu übergehen (die Anwendung des Sakrament
-Begriffes auf den sakramentlosen Gottesdienst müßte beispielsweise
m. E. noch genauer begründet werden), anmelden zu
einem Gedanken, der für H. offenbar entscheidend ist (er bestimmt
ja den Titel der Arbeit): zu dem Satz, daß in der Mitte
des urchristlichen Gottesdienstes das Opfer Christi (im Sinne
des Hebr.) stehe.

Offensichtlich hängt damit ganz unmittelbar die Betonung des
Kultischen zusammen. Ist aber die Zurückhaltung des NT in der Verwendung
kultischer Begriffe im nicht übertragenen Sinn wirklich nur
aus der Scheu vor synkretistischen Mißverständnissen zu erklären? War
dazu im AT und Judentum kein Anlaß vorhanden? Für das AT — und
im Grunde auch für das Judentum — ist indessen der kultische Tatsachenbereich
unentbehrlich I Setzt das Urchristentum mit seiner —
m. E. im Entscheidenden ablehnenden — Stellung zum Kult sich nicht
gerade von AT und Judentum ab?

Der Gedankenbereich, der für Hebr. in den Stichworten
Opfer, Vorhang, Hoherpriester angedeutet ist, scheint mir jedoch
in ganz besonderer Weise ihm zuzugehören (Anklänge 1. Pt. 1,
2. 19; doch kann l.Pt. den Tod Jesu auch durchaus unkultisch
deuten, 3, 18). Für Paulus (bei dem sich ja überhaupt nur geringe
Ansätze zu kultischem Denken finden) spielt damit ein
Gedanke, den H. als maßgeblich für das Verständnis des urchristlichen
Gottesdienstes ansieht, sozusagen keine Rolle (trotz
Rom. 3, 25 [dazu H. 65]. — 108—27 wird denn auch ganz überwiegend
Hebr. zitiert). Dementsprechend sind die Verbindungslinien
zwischen der Deutung des Gottesdienstes, die aus Paulus
gewonnen ist (etwa s. v. Leib Christi), und dem Opfer—Kult-
Gedanken nur schwach. Für Apc. ist das Verständnis des Todes
Christi als eines Opfers im engeren Sinn recht fraglich; die
Bezeichnung Jesu als Lamm dürfte hier von Jes. 53, 7 her zu
verstehen sein (o(pä£etvheißt in Apc. offenbar: gewaltsam töten
). Und für Joh. dürfte die Datierung des Todes Jesu auf die
Stunde der Schlachtung des Paschalammes keine ausreichende
Begründung für die Opferauffassung geben (H. bezieht sich auch
nicht etwa darauf) — von den Synoptikern ganz zu schweigen.

Einig ist das NT darin, daß der christliche Gottesdienst auf
dem Handeln Gottes im Tode und in der Auferweckung Jesu
beruht; die Gemeinde ist die Schar derer, die dadurdi freien
Zugang zu Gott haben; im Gottesdienst wird sie in jenes Geschehen
einbezogen. Opfer ist dagegen für Hebr. spezitisch Darbringung
und damit Leistung vor Gott; und Blut ist für ihn
Reinigungsmittel. Nun soll grundsätzlich die „Legitimität" einer
einheitlichen Darstellung der neutestamentlichen Theologie
nicht bestritten werden für Bereiche, in denen sich die Aussagen
der verschiedenen Schriftsteller sinnvoll ergänzen. Aber es ist
(so scheint mir) zu fragen, ob man jene besonderen Gedanken
des Hebr. (etwa gar mit Hilfe des für uns mehrsinnigen Begriffes
.Opfer ) auf das übrige NT übertragen kann, ohne damit
die sonstigen neutestamentlichen Aussagen wesentlich umzudeuten
.

Diese — freilich sehr nachdrücklich gemeinte — Frage kann
den Dank für die reiche Gabe des Verf. nicht mindern; sie kann
vielmehr nur unterstreichen, daß die vorliegende Arbeit einen
gewichtigen Beitrag zu dem ja lebhaft im Gange befindlichen
Gespräch über den urchristlichen Gottesdienst (und damit den
Gottesdienst überhaupt) gibt.

Halle (.Saale) Qerhard Delling

Dibelius, Otto: Bericht von Jesus aus Nazareth. Tatsachen von
gestern und heute. 8., neudurchges. Aufl. Hamburg: Furche-Verlag
[1952]. 109 S. 8° = Bücher des neuen Lebens 1. Pp. DM 3.80.

Um es gleich zu sagen: es ist ein sehr ansprechendes kleines
Büchlein, geschrieben für weiteste Kreise, besonders auch für solche
, die der Botschaft des Evangeliums fremd gegenüberstehen.
Und so, wie der Verfasser es von Jesus sagt: „was Jesus sagte,
war immer ganz einfach" — so ist's auch in seinem Buch: in ganz
schlichten Worten wird zuerst das Wesentliche der Verkündigung
und der Person Jesu hervorgehoben und sodann der Weg des
Evangeliums zu den Völkern des Ostens, zu den Römern, zu den
Deutschen und zu den anderen Völkern verfolgt und am Beispiel
einzelner Persönlichkeiten erläutert. Auf wenigen Seiten spricht
der Verfasser am Schluß des Büchleins von sich selbst: „Er hat
mir in zwei Welten Heimatrecht gegeben. Ist in der irdischen
die Arbeit getan, will er das Tor der ewigen aufschließen. Dafür
danke ich ihm."

Frankfurt/M. Seesemann